Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
23. Januar 2011

Mit der Gnade Gottes wachsen und Früchte bringen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Sonntag suchten wir uns klarzumachen, was es bedeutet, wenn wir sagen, ein Mensch werde gerechtfertigt. Es besagt, dass der Mensch aus einem Sünder zu einem Heiligen wird. Die Sünde wird weggenommen, nicht nur zugedeckt, wie Luther meinte, sie wird weggenommen, sie ist vernichtet, sie ist getilgt. Und der Mensch, der begnadete Mensch besitzt ein neues, ein göttliches Leben, das wir die heiligmachende Gnade nennen.

Die Gnade ist ein neues Sein. Nach protestantischer Ansicht ist die Gnade nur die Huld Gottes, nicht ein neues Sein, nicht eine neue Qualität – ein wesentlicher Unterschied. Nein, die Gnade ist ein neues Sein, und dieses Sein kann wachsen. Es kann wachsen und gesteigert werden in doppelter Hinsicht. Die Verähnlichung mit Christus nimmt zu, und die Lebendigkeit des Wirkens steigert sich. Das ist die doppelte Wachstumschance, die die Gnade in uns hat: eine steigende Verähnlichung mit Christus und ein gesteigertes Christuszeugnis.

Die Taufe macht uns zu Gotteskindern und zu Bürgern im Reiche Gottes. Wir werden Christus verähnlicht. Wir werden Brüder Christi, Kinder Gottes. Die Heilige Schrift kann sich gar nicht genug tun, immer wieder hervorzuheben, dass wir Kinder Gottes geworden sind. „Alle, die ihn aufnahmen“, schreibt Johannes, „gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben.“ Und der Apostel Paulus sagt: „Ihr seid alle Kinder Gottes durch den Glauben an Jesus Christus. Wenn ihr nun Söhne seid, dann seid ihr auch Erben, Erben durch Gott. Er hat euch ja schon ein Angeld gegeben für die Seligkeit, nämlich den Heiligen Geist, der in eure Herzen gekommen ist und der ruft: Abba, lieber Vater.“ Das ist die Wirkung der Taufe. Wir werden Glieder Christi und Angehörige des Leibes Christi. Getauft zu sein ist eine unbeschreibliche Freude und ein unbeschreibliches Glück. Es gibt Menschen, die stolz sind auf ihre Vorfahren. Warum nicht? Wir dürfen stolz sein auf unsere Blutsbrüderschaft mit Christus, unserem Heiland.

Das Wachstum der Gnade geschieht durch das Sakrament der Firmung. Die Firmung macht uns dem Herrn ähnlich, insofern er eine Sendung für die Welt hatte. Seine Sendung war, die Welt zu erlösen. Das ist also die Aufgabe des Gefirmten, an dieser Sendung des Herrn teilzunehmen, mitzuhelfen, dass das Reich Gottes auferbaut wird, dass alle Menschen zu Christus finden, dass das Licht überall leuchtet und die Finsternis verscheucht wird. Wir nennen diese Tätigkeit apostolisch tätig sein, so wie es die Apostel waren, und Apostolat, das ist unsere Aufgabe. Ich werde manchmal von Menschen gefragt: Ja, wie soll man das denn machen, was soll man denn tun, um apostolisch tätig zu sein? Ich erzähle Ihnen heute zwei Beispiele aus der jüngsten Zeit. In der Frankfurter Zeitung „Neue Presse“ erschien am 18. Januar ein Artikel, wo ein Bruder Paulus den Lesern die Eucharistie klar machen wollte. Er erzählte, wie die Hostien gestanzt werden, und dann wird daran gedacht, dass Jesus damals in Jerusalem Brot nahm, es brach und den Jüngern zu essen gab. Da bedenken die Katholiken: Meine Oblate ist eigentlich ein Stück von einem Brot, das eben zerbrochen wurde auf dem Altar, und diesen Vorgang nennt man Kommunion, wenn alle ein Stückchen von dem einen gebrochenen Brot erhalten. Das war alles, was der Bruder Paulus über die Eucharistie zu sagen hatte. Dagegen stand eine mir bekannte Dame auf und schrieb einen Leserbrief, der am 20. Januar in dieser selben Zeitung veröffentlicht wurde. „Wenn Kommunion erklärt werden soll“, schreibt sie, „dann bitte richtig nach der Lehre der katholischen Kirche, was in dem angeführten Artikel nicht der Fall ist. Nach der Lehre der katholischen Kirche spricht der Priester in Stellvertretung Christi die Wandlungsworte über Brot und Wein, wodurch diese in der Kraft des Heiligen Geistes in den Leib und das Blut Christi verwandelt werden, welche der Gläubige in der heiligen Kommunion empfängt. Dies und nichts anderes bedeutet Kommunion.“ Das war apostolische Tätigkeit.

Eine andere Dame – Frauen sind ja immer mutiger als Männer, nicht wahr – kaufte mehrere Nummern der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ auf, in der gegen die Homosexuellenlobby Stellung genommen wurde. Sie kaufte diese Exemplare auf und verteilte sie. Auch das war eine apostolische Tat. Man muss nur einmal nachdenken und sich überlegen, was man tun kann, dann findet man schon zu apostolischem Wirken.

Die Verähnlichung mit Christus wird weitergetrieben in der Priesterweihe. Der Priester ist in gewisser Hinsicht – in gewisser Hinsicht! – ein Abbild des Herrn, des Hohenpriesters, des Lehrers und des Guten Hirten. Seine höchste Berufung ist, in der Kraft des Heiligen Geistes, wie die Dame geschrieben hatte, die Wandlung der Gaben vorzunehmen, also Leib und Blut auf den Altar herabzurufen. Christus wirkt durch den Priester und im Priester die Wandlung von Brot und Wein, und der Priester ist sein unerläßliches Werkzeug.

So ist jedes Glied, der Getaufte, der Gefirmte, der Priester Christus verähnlicht. Er stellt Christus abbildlich dar. Er ist ihm im Sein verbunden, und diese Seinsverbundenheit macht unsere Würde, unser Glück und unsere Zuversicht aus. Wir sind wahrhaftig von königlichem Geblüt, nämlich vom Geblüt des Königs Jesus Christus. Diese Seinsverbundenheit in der Handlungsverbundenheit ständig zu verwirklichen, das ist unsere Aufgabe. Wir haben die heiligmachende Gnade. Sie ist uns von Gott geschenkt. Sie soll aber die ganze menschliche Natur, unser Handeln, unser Denken durchherrschen. Wir sollen auch in der heiligmachenden Gnade fest in der Kirche stehen, denn wir haben ja alles, was wir besitzen, von ihr: den Glauben, die Sakramente. Christlicher Glaube ist immer kirchlicher Glaube, nicht, wie manche heute sagen: Christus ja, Kirche nein. Nein, vielmehr Christus und Kirche. Durch die Kirche zu Christus und mit Christus in der Kirche, das ist die katholische Antwort auf diese dumme Redensart „Christus ja, Kirche nein“.

Die Vermehrung der Gnade hängt aber nicht nur von Gott ab. Sie hängt auch von der sittlichen Betätigung des Menschen ab. Der gewöhnliche Weg, wie die Gnade in uns wächst, wie die Gnade in uns gesteigert wird, ist die sittliche Betätigung. Wenn wir als sittlich gute Handlungen setzen, wenn wir das Gute. das Sachgemäße verwirklichen, dann wächst die Gnade in uns. Wie Paulus im Galaterbrief schreibt: „Wenn wir im Geiste leben, laßt uns auch im Geiste handeln.“ Diese Betätigung in der heiligmachenden Gnade ist eine Frucht, eine Frucht der übernatürlichen Heiligkeit. Der Heilige Geist in uns drängt, lebendig zu sein, Frucht zu bringen. Die Gnade treibt Früchte des neuen Lebens hervor, aber eben nur dann, wenn der Mensch mitmacht, wenn er die Gnade sich entfalten läßt, wenn er dem Entfaltungsdrang der Gnade nachgibt.

Dieses Fruchtbringen ist eine strenge Pflicht. Nicht der Glaube allein, sondern der Glaube, „der durch die Liebe wirksam ist“, wie Paulus im Galaterbrief schreibt, dieser Glaube sichert das ewige Leben. „Der Glaube ohne Werke ist tot“, wie uns der Apostel Jakobus belehrt. Der Herr hat im Endgericht geschildert, dass es ein Gericht nach dem Tun ist. Die Seligen werden in die himmlische Freude aufgenommen, weil sie im elenden Bruder und in der bedürftigen Schwester Christus gesehen haben. Die Verlorenen gehen nicht deswegen verloren, weil sie nicht geglaubt haben, sondern weil der Glaube nicht wirksam war, weil sie ihren Glauben nicht in werktätiger Liebe geübt haben. Die Erfüllung der sittlichen Gebote ist auch unerläßlich, um den Gnadenstand zu bewahren; denn der Gnadenstand kann verlorengehen. Wir können aus der Gnade herausfallen. Deswegen mahnt der Apostel Paulus: „Sei nicht übermütig, sondern fürchte dich“, nämlich die Gnade zu verlieren, die Freundschaft Gottes aus dem Herzen zu verbannen. Um gut zu sein, muss man ständig besser werden.

Die positiven sittlichen Tätigkeiten, die wir nach Gottes Willen vollbringen sollen, müssen häufig durch Überwindung herbeigebracht werden. Ohne sittlichen Kampf kann der katholische Christ nicht bestehen. Der Kampf gegen die Sinnlichkeit, der Kampf gegen die innere Unordnung, der Kampf gegen die Schwäche ist ein wesentliches Erfordernis. Das haben schon die Lateiner und die Griechen der alten Zeit gewußt: Abstine! Contine! Sustine! So haben sie gelehrt. Abstine – enthalte dich! Contine – Beherrsche dich! Sustine – Halte aus! Aus der übernatürlichen Berufung ergibt sich, dass das Ziel, dem wir entgegenstreben, unendlich viel reicher, wichtiger, schöner ist als alles, was wir auf Erden erwerben und besitzen können. Das Irdische ist gegenüber dem Himmlischen geringfügig. „Ohne Jesus sein, das ist eine ganze Hölle. Bei Jesus sein, das ist ein Paradies von Wonne. Ist Jesus bei dir, so kann dir kein Feind schaden“, schreibt der selige Verfasser des Buches von der Nachfolge Christi. Und an einer anderen Stelle: „Siehe, zweifache Freude kannst du nicht haben: dich hier auf Erden töricht ergötzen und drüben mit Christus herrschen, das geht nicht.“ Und deswegen mahnt er: „Lerne jetzt der Welt sterben, damit du im Tode mit Christus zu leben anfangen kannst.“

Der Kampf ist uns auch deswegen auferlegt, weil die böse Begierlichkeit auch nach der Tilgung der Erbsünde bestehen bleibt. Begierlichkeit ist das intensive Streben nach einem lusterregenden Gut. Die böse Begierlichkeit ist das ungeordnete Streben nach einem lusterregenden sinnlichen Gut. Ungeordnet ist die Begierde, wenn sie gegen die sittliche Ordnung steht. Nach Paulus ist in uns ein Hang zum Bösen. Die Verderbtheit unserer Natur wird eben durch die Taufe nicht gänzlich aufgehoben. Es bleibt ein Rest. Augustinus, der sich viel damit beschäftigt hat, sagt: „Die Begierlichkeit ist Sündenfolge und Sündenwurzel.“ Sündenfolge und Sündenwurzel. Sie bleibt auch im Gerechtfertigten zum Kampf. Das soll uns demütig machen, denn wir wissen, wie sind angewiesen auf die Gnade, auf die helfende Gnade, auf die aktuelle Gnade, die uns über unsere Untiefen hinwegträgt, die uns hilft zur Abwehr des Bösen. So steht denn keine Heiligkeit fest, wenn du, Herr, deine Hand zurückziehst. So nützte denn keine Weisheit, wenn du nicht regierst. So hilft denn keine Tapferkeit, wenn du nicht bestehst. So dauert denn keine Keuschheit, wenn du sie nicht schützest. So nützt denn keine Wachsamkeit, wenn dein heiliges Auge nicht wacht. Denn wenn deine Hand uns losläßt, dann versinken wir, wenn wir aber deine Hand erfassen, so kommen wir wieder ans Land und leben.

Die sittliche Menschennatur verlangt eben immer Kampf und Selbstverleugnung, Überwindung, damit ihre Kräfte sich voll entfalten können. „Soviel wirst du im Guten voranschreiten, als du dir selbst Gewalt antust. Und wenn du dir nicht selbst Gewalt antust, wirst du die Sünde nie besiegen.“ Es ist schwer, meine lieben Freunde, es fällt allen schwer, allen, die hier versammelt sind, es fällt allen schwer, sich zu überwinden, zu kämpfen, sich selbst zu verleugnen. Niemand hat diese Lage besser in Worte gefaßt als der selige Verfasser des Buches von der Nachfolge Christi. „Jesus hat jetzt viele Jünger, die im himmlischen Reiche gern mit ihm herrschen möchten, aber wenige, die sein Kreuz auf Erden tragen wollen. Er hat viele, die seinen Trost begehren, aber wenige, die in der Trübsal mit ihm ausharren wollen. Er hat viele, die mit ihm essen und trinken möchten, aber wenige, die mit ihm fasten wollen. Alle möchten mit ihm Freude haben, aber wenige wollen für ihn leiden. Viele folgen Jesus bis zum Brotbrechen beim Abendmahle, aber wenige bis zum Trinken des Leidenskelches. Viele rühmen seine Wunder, aber wenige teilen mit ihm die Schmach des Kreuzes.“

Das ist es also, meine lieben Freunde, was wir lernen wollen, lernen noch in diesem Jahre. Bald beginnt ja die Vorfastenzeit am Sonntag Septuagesima, und dann kommt die Fastenzeit. Da wollen wir uns das zu Herzen nehmen und wollen an uns arbeiten, wollen unsere Fehler bekämpfen, wollen den Hauptfehler ausrotten. Wenn wir einen Fehler wirklich gründlich beseitigen, verschwinden auch die anderen. Denn der Mensch ist ein Totum, eine Ganzheit, und diese Ganzheit läßt sich von einer Stelle aus vollkommen neu gestalten. Tugend wird durch Härte groß, durch Weichlichkeit wird sie vernichtet. So wollen wir denn beten: „O Gott, gib mir die himmlische Weisheit, dich vor allem zu suchen und dich in allem zu finden, dich über alles und in allem zu lieben.“

Amen.

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