Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. September 2002

Die göttliche und die menschliche Dimension des Staates (5.)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es war eine weltgeschichtliche Stunde, als Jesus, der Gottessohn, das Wort sprach: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, gebt aber auch Gott, was Gottes ist.“ In dieser Stunde hat Jesus das Recht des Kaisers, anders ausgedrückt: das Recht des Staates, der sich eben damals im Kaiser verkörperte, anerkannt. Die Staatenbildung und das Staatenwesen, das staatliche Recht und die staatliche Autorität stammt von Gott. Aber es ist nicht das einzige Recht. Das staatliche Recht muß sich messen lassen am göttlichen Recht. "Gebt auch Gott, was Gottes ist!" Und Gott steht über dem Kaiser und über dem Staat. Indem Christus das Recht des Staates anerkannt hat, hat er auch die Aufgabe, den Staat zu bauen, den Menschen zugewiesen. Die Grundlagen des Staates stammen von Gott, aber der Aufbau ist den Menschen überlassen. Und so können wir heute zwei Punkte unterscheiden, nämlich das Göttliche am Staate und das Menschliche am Staate.

Göttlich ist der Staat als Einrichtung. Es muß Staaten geben. Der Mensch ist so geschaffen, daß er sich vergemeinschaften muß und daß diese Vergemeinschaftung eine Autorität braucht und daß dieser Autorität gehorcht werden muß. Das hat Gott so angeordnet. Der Mensch ist, auf sich allein gestellt, nicht fähig, sich voll und ganz zu verwirklichen; er bedarf der Gemeinschaft. Die Lebensnotwendigkeiten sind so gewaltig, daß der Einzelne zugrunde gehen würde, wenn er sich nicht in einen Verbund einfügen würde. Und so ergibt sich auch das Streben der Menschen nach Gemeinschaft, das von Gott eingesenkt ist. Die mangelnde Autarkie des Menschen, die mangelnde Selbstgenügsamkeit des Menschen, verweist auf das Verbundensein im Staatswesen hin. Aber auch noch etwas anderes zeigt, daß der Staat notwendig ist, nämlich der Antagonismus der Menschen, die Tatsache, daß die Menschen einander feind sein können, daß sie sich gegenseitig bekämpfen. Da muß eine richtende Instanz, eine neutrale richtende Instanz vorhanden sein, welche diesen Antagonismus bezwingt, welche das Recht schafft, die für Gerechtigkeit sorgt. Der Staat ist dazu da, um vor Übergriffen des einen gegen den anderen zu schützen.

Die Staatszwecke, nämlich das Recht zu schützen und zu wahren und die Wohlfahrt und das Wohl des Volkes zu besorgen, diese Staatszwecke kommen von Gott. Gott will, daß Staaten bestehen; Gott will, daß Staaten die Staatszwecke bewirken, und so sprechen wir mit Recht vom Rechtsstaat, der eben das Recht begründet, das Recht wahrt und das Recht durchsetzt gegen die Rechtsbrecher im Strafrecht.

 Das Christentum war von Anfang an eine staatsbejahende Religion. Es hat allen Romantizismus abgewiesen, der meinte, man könne auf Liebe und auf Freiheit allein eine Ordnung aufbauen. Das Kirchenrecht hat immer als Bestandteil der Rechtsordnung darauf bestanden, daß die Christen dem Staat den erforderlichen Gehorsam erweisen. Der Anarchismus ist eine Irrlehre. Der Staat hat sein Recht von Gott, und die Kirche hat dieses Recht stets anerkannt, nicht nur in guten Zeiten, auch in bösen. Die Kirche hat auch den Staat geachtet, an dessen Spitze ein Nero oder ein Diokletian stand. Die Kirche hat auch die modernen profanen Staaten, die sich aus dem Römischen Reich Deutscher Nation gelöst hatten, anerkannt, obwohl sie der Kirche nicht freundlich gegenübergestanden sind. Die Kirche bejaht den Staat. Sie ist überzeugt, daß der Staat Dauer haben wird. Solange es Menschen gibt, wird es Staaten geben. Die Legende vom Absterben des Staates, die uns der Bolschewismus weismachen wollte, ist längst als absurd erwiesen. Die Kirche bejaht auch die Souveränität des Staates, d.h. der Staat ist die höchste Macht in seinem Bereich, freilich untergeordnet unter das Gesetz Gottes.

Wir halten fest: Der Staat, die Staatsordnung, das Staatswesen ist von Gott gewollt. Der Mensch ist verpflichtet, Staaten zu bauen und im Staatswesen seinen Beitrag zu leisten.

Da kommen wir gleich zu dem zweiten Punkt, zu dem Menschlichen im Staate. Wir wissen aus der Geschichte, daß es eine große Vielfalt, eine bedeutende Mannigfaltigkeit von Staatswesen gegeben hat. Vom Despotismus des Anfangs über die Demokratie zur Monarchie und zur Republik gibt es eine fast unübersehbare Vielfalt von Staatswesen. Sie alle sind von gleichem Recht, wenn auch von unterschiedlichem Wert. Wir Christen sind nicht festgelegt auf eine bestimmte Staatsform. Es ist nicht wahr, wenn behauptet wird, Christen müßten für die parlamentarische Demokratie sein. Das ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Christen können auch in jedem anderen Staatswesen sich geborgen fühlen, das die Rechte Gottes und der Menschen beachtet und das für das Wohl und die Wohlfahrt der Menschen tätig ist. Wir sind nicht verpflichtet, im Gewissen verpflichtet, von Gott her verpflichtet auf die parlamentarische Demokratie als die einzig mögliche Staatsform. Auch sie hat ihre Schwächen. Mehrheiten in der parlamentarischen Demokratie können genauso rücksichtslos und diktatorisch sein wie Despoten und Diktatoren.

Entscheidend für ein Staatswesen ist, ob der Staat die wesentlichen Staatszwecke erfüllt, ob er das Gemeinwohl besorgt, ob er für den Frieden unter den Menschen tätig ist, ob er das Recht achtet und das Recht schützt. Diese Erfüllung der Staatsaufgaben aber hängt von den Menschen ab, welche den Staat bauen. Die Menschen sind entscheidend, welche Menschen am Aufbau des Staates arbeiten und mit welcher Gesinnung sie am Aufbau des Staates arbeiten, das ist entscheidend. Wenn die Besten sich dem Staat versagen, dann werden die Unedlen den Staat beherrschen. Es müssen also die Menschen mitarbeiten am Staat, sie müssen sich einbringen in das Staatswesen. Sie müssen, so bescheiden ihr Anteil auch sein mag, sie müssen im Staatswesen ihre tätige Mitarbeit bewähren.

 Welche Menschen den Staat bauen, darauf kommt es an. Heute ist eine Irrlehre weit verbreitet, die sagt: Wie einer im Privatleben ist, das ist völlig unbeachtlich. Hauptsache, daß er im öffentlichen Leben sich an die Gesetze hält. Diese Meinung ist total verkehrt. Der Mensch läßt sich nicht teilen. Der Mensch ist eine einzige und ungeteilte Persönlichkeit; es gibt nicht zwei Persönlichkeiten, eine private und eine öffentliche. Wie der Mensch im Privaten ist, so wird er sich auch in der Öffentlichkeit bewähren oder in der Öffentlichkeit versagen. In dieser Hinsicht halte ich es mit Maximilian Robbespière, dem großen französischen Revolutionär. Er hat den schönen Ausspruch getan: "Ich glaube nicht, daß ein schlechter Mensch ein guter Politiker sein kann." Das glaube ich auch nicht. Ich glaube nicht, daß ein schlechter Mensch ein guter Politiker sein kann. Sondern: Es muß ein guter Mensch sein, der gute Politik machen will, sonst wird er seine Verlogenheit, seine Betrügerei auch in der Politik fortsetzen, sonst wird er das, was er im privaten Bereich gelernt hat, in der Politik umsetzen. Es kommt also entscheidend darauf an, daß gute Menschen eine gute Politik machen.

Der Staat ist auch immer der Gefahr der Entartung ausgesetzt. Die besten Dinge auf Erden sind am zerbrechlichsten; die besten Dinge sind am gefährdetsten, und das gilt auch für den Staat. Der Staat ist gefährdet. Es besteht die Gefahr, daß er der Entartung verfällt. Es gibt verschiedene Formen der Entartung. Der Staat entartet, der sich als höchstes und letztes Ziel ausgibt. Der Staat ist ein Mittel, nicht ein Ziel. Er ist ein Mittel, ein Ziel zu erreichen, nämlich die Wohlfahrt und den Frieden im Volke und die ewige Seligkeit im Jenseits. Wer den Staat zum letzten Ziel macht, wer den Staat über Gott erhebt, der treibt den Staat in die Entartung.

 Eine zweite Form der Entartung ist die Absage an die Moral. Der Staat muß moralisch sein. Seine Gesetze müssen mit der Sittlichkeit übereinstimmen. Er kann nicht die Sittlichkeit übergehen; er muß sich an die Sittlichkeit halten. Er soll die Sittlichkeit fördern. Seine Gesetze sollen der Sittlichkeit dienen. Gewiß ist die Sittlichkeit, die der Staat in seinen Gesetzen vorschreibt, nicht die höchste. Aber es muß jenes Minimum an Sittlichkeit gewährleistet sein, ohne das ein Staatswesen nicht bestehen kann, ohne das ein Volk nicht heilsam seinen Weg zum Ziele nehmen kann.

Dagegen verfehlt sich der Staat seit Jahrhunderten. Er hält sich nicht mehr an die Moral. Er meint die Moral beiseite schieben zu können um der Übersichtlichkeit willen. Das gilt vor allem auf dem Gebiete der Geschlechtlichkeit und des Ehelebens. Der Staat, der sich von protestantischen Vorstellungen nährt, hat die Ehescheidung und die Zivilehe eingeführt. Er hat damit der Kirche entwas entrissen, was ihr zukommt, nämlich die Ordnung der Ehe festzulegen, die Eingehung der Ehe, die ein Sakrament ist, zu bestimmen. Der Staat, der sich von der Moral lossagt, gräbt sich sein eigenes Grab.

 Eine Entartung des Staates ist es auch, wenn er durch kriegerische Unternehmungen sich zu vergrößern, zu vermehren, in seiner Machtstellung zu behaupten versucht. Der Staat, der andere Staaten überfällt, der Staat, der Ohnmächtige mit seiner Übermacht überfällt, ein solcher Staat entartet. Der Staat ist für die Friedenswahrung bestimmt und nicht für den Kampf und den Krieg, den er unprovoziert herausfordert.

Eine Entartung des Staates ist es auch, wenn er im Inneren den Menschen entrechtet. Viele Staaten haben die Rechte der Staatsbürger unzulässig beschnitten. Wir brauchen nicht nur nach Afrika zu schauen; das ist auch in europäischen Staaten immer wieder geschehen. Der Staat etwa der Französischen Revolution hat die Rechte seiner Bürger zwar proklamiert, in der Tat aber sie in erheblichem Umfang unterdrückt. Und vor allem vergeht sich der Staat immer wieder gegen die Rechte der Kirche. Er weiß, da ist eine Macht, die kündet mit göttlichem Auftrag die Sittlichkeit und die Gebote. Diese Macht ist ihm lästig, und so sucht er sie zu unterdrücken und aus dem öffentlichen Leben auszuschalten. Solange es Staaten gibt, haben sie versucht, der Kirche Abbruch zu tun. In wenigen Fällen hat die Kirche Förderung und Verständnis gefunden, in viel mehr Fällen Unwillen und Hemmung. Wenn es nämlich darauf ankommt, sagt sich die Kirche von allem Opportunismus los und erhebt ihre Stimme zu dem von Johannes dem Täufer geprägten Diktum: "Es ist dir nicht erlaubt!"

Auf absehbare Zeit, und ich meine für immer wird es keine Institution geben, die mit solcher Kraft und mit solcher Entschiedenheit sich gegen öffentliches Unrecht, gegen Staatsunrecht, gegen Staatsunwesen sich wendet wie die katholische Kirche. Der Protestantismus verdankt seine Entstehung dem Bündnis mit den irdischen Mächten. Dieser Haltung der Anlehnung an den Staat ist er stets treu geblieben. Die Orthodoxen sind bis zur Selbstpreisgabe opportunistisch. Sie haben sich mit Stalin arrangiert, und sie haben mit den Zaren sich in eine Symbiose begeben. Nicht so die katholische Kirche. Die katholische Kirche wurde immer von totalitären Staatswesen als ihr oberster und unerbittlicher Feind empfunden, weil sie sich nicht beugt, weil sie im göttlichen Auftrag dem Staate zuruft: "Es ist dir nicht erlaubt!"

Dennoch sind die Christen, die überzeugten Christen, die praktizierenden Christen die besten Staatsbürger. Sie wissen sich an die staatliche Aufgabe gebunden. Sie wissen sich zu Mitarbeitern im Staat aufgerufen. Sie wissen vor allem, daß gute Menschen auch gute Staatsbürger sind. Wenn die Menschen im privaten, im sittlichen Leben sich bewähren, dann werden sie auch im staatlichen Leben sich als treue Staatsbürger beweisen, indem sie die Steuern entrichten, indem sie sich in den Gemeinwesen betätigen, indem sie dem Staate geben, was des Staates ist.

Meine lieben Freunde, der römische Staat hat  jahrhundertelang die Christen verfolgt. Zur Verteidigung der Christen hat im Jahre 150 ein Christ eine Verteidigungsschrift geschrieben an die Machthaber der römischen Reiches. In dieser Verteidigungsschrift heißt es: "Ihr (nämlich ihr Heiden, ihr Träger des Staates) habt in der ganzen Welt keine besseren Helfer und Verbündeten zur Aufrechterhaltung der Ordnung als uns (uns Christen). Wir lehren zum Beispiel, daß ein Betrüger, Wucherer, Meuchelmörder Gott ebensowenig verborgen bleibt wie ein Tugendhafter und daß jeder ewige Strafe oder ewiges Heil zu gewärtigen hat nach dem Verdienst seiner Taten. Wenn die Menschen insgesamt sich dieser Überzeugung anschlössen, würde niemand mehr für die kurze Lebenszeit sich dem Laster hingeben, sondern würde sich Mühe geben, Gottes Lohn zu erhalten und von seinen Strafen verschont zu bleiben." So schreibt im Jahre 150 Justin der Martyrer an den römischen Kaiser.

Wahrhaftig, wir haben gegenüber dem Staat zwei Aufgaben, einmal uns als Christen in unserem Leben zu bewähren, daß wir den Geboten nachleben, daß wir die Sitten hochhalten, daß wir moralisch einwandfrei unser Leben führen. Und zum anderen, daß wir uns am Staatsleben beteiligen je nach unseren Fähigkeiten. Es wird Menschen geben, die können nicht mehr tun als den Stimmzettel ausfüllen. Aber es gibt auch andere, die mehr tun können. Man kann sich einer Partei anschließen, denn anders als in einer Partei kann in einem Parteienstaat das staatliche Leben nicht organisiert werden. Man kann in ein Gemeindeparlament gehen. Man kann Zeitschriften, die für bestimmte religiöse und sittliche Werte werben, unterstützen. Man kann Parteien, denen man noch trauen darf, mit Geldspenden helfen. Das sind Möglichkeiten, um im Staatsleben sich einzubringen. Aber noch einmal: Über allem muß stehen das Gesetz Gottes, die Zehn Gebote. Wenn die Zehn Gebote nicht mehr gelten, können zehntausend Staatsgesetze die Ordnung nicht aufrechterhalten.

Amen.

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