Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die heiligen und gefallenen Engel (Teil 2)

6. Oktober 1996

Wesen, Erhabenheit und Geistigkeit der Engel

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es ist leicht, über Engeldarstellungen zu spotten. Denn Engel werden gewöhnlich als kleine Kinder dargestellt, mit Flügeln versehen, lieblich anzuschauen. Der Spott ist billig. Wie soll man das Unsagbare aussagen? Wie soll man das Unsichtbare sichtbar machen? Wie soll man Geist in Körper übertragen?

Die Engel sind geheimnisvolle, gewaltige, Menschenmaß überschreitende, mächtige Wesen. Der erste Eindruck, den sie hervorrufen, ist die Furcht. Das erste Wort, das sie zu den Menschen sprechen, denen sie erscheinen, lautet deswegen regelmäßig: „Fürchtet euch nicht!“ So sprach der Engel, als er zu Zacharias kam und ihm die Geburt Johannes’ des Täufers verkündete: „Fürchte dich nicht!“ Und als der Erzengel Gabriel Maria erschien, um ihr die Menschwerdung des Logos zu offenbaren, da sprach er zu ihr: „Fürchte dich nicht!“ Als die Engel auf den Fluren von Bethlehem den Hirten die frohe Botschaft von der Geburt des Messias brachten, da redeten sie sie an: „Fürchtet euch nicht!“ Und als die Engel am Grabe des Auferweckten zu den Frauen sprachen, da sagten sie wiederum: „Fürchtet euch nicht!“ Es muß also etwas Furchtbares, etwas Furchterregendes, etwas Erhabenes und Unerhörtes an den Engeln sein. Diejenigen der Propheten, welche Engelerscheinungen gehabt haben, drücken den gewaltigen Eindruck, den sie von den Engeln gehabt haben, in Bildern aus, die uns nicht leicht erklärbar sind. Der Prophet Ezechiel beispielsweise hatte eine Vision: „Von Norden her brach ein Sturmwind herein und trug eine gewaltige Wolke flackernden Feuers. Lichtglanz umgab sie, und von innen heraus leuchtete es wie Glanzerz im Feuer. Mitten darin erschienen Gestalten, die vier lebenden Wesen ähnlich waren. Ihr Aussehen war folgendes. Sie hatten Menschengestalt, jedes hatte vier Gesichter und jedes von ihnen vier Flügel. Das Aussehen ihrer Gesichter war folgendes. Vorn hatten sie ein Menschengesicht, rechts ein Löwengesicht, links ein Stiergesicht, nach innen zu ein Adlergesicht bei allen vier Wesen. Ihre Flügel waren oben ausgebreitet. Mit zweien berührten sie einander, mit zweien bedeckten sie ihre Leiber. Ein jedes ging geradeaus vor sich hin. Wohin der Geist sie zu gehen trieb, dahin gingen sie. Sie wandten sich nicht um, wenn sie gingen. In der Mitte der Wesen war etwas, das aussah wie glühende Feuerkohlen, wie Fackeln. Diese fuhren zwischen den Wesen hin und her. Das Feuer hatte einen leuchtenden Glanz, und Blitze gingen aus dem Feuer hervor. Die Wesen liefen hin und her, so daß es aussah, als ob Blitze zuckten.“

Das Unerhörte und Geheimnisvolle, das Unsagbare und Rätselhafte, das der Prophet in dieser Vision geschaut hat, sucht er in immer neuen Bildern, mit immer neuen Formen, mit immer neuen Ausdrücken wiederzugeben. Man würde den Text mißverstehen, wenn man die einzelnen Elemente als Bestandteile einer in sich fertigen Gestalt begreifen würde. Vielmehr ist in den einzelnen Elementen der Versuch zu erblicken, das Unfaßbare mit den Menschen verständlichen Ausdrücken wiederzugeben. Vor allem eignet den Engeln ein kriegerischer, ein kämpferischer Zug. Deswegen wird beispielsweise der Erzengel Michael mit einem Schwert dargestellt. Als Jakob nach der Versöhnung mit Laban Engel traf, da rief er aus: „Das ist Gottes Heerlager.“ Der Engel, der Josue nach der Einnahme von Jericho erschien, sagte, er sei der Anführer des Heeres des Herrn. Und der Engel, der Daniel über die Zukunft unterrichtete, erklärte ihm, daß er mit dem Engelfürsten des Perserreiches kämpfe und daß ihm Michael bei diesem Kampfe zu Hilfe gekommen sei.

Wenn im Neuen Testament die Furchtbarkeit der Engel gemildert erscheint, so ist auch hier klar, daß sie geheimnisvolle, mächtige und gewaltige Wesen sind. Ich erinnere an das Wort Jesu von den zwölf Legionen Engeln, die ihm der Vater schicken könnte, wenn er darum bäte, selbstverständlich um ihn vor seinen Feinden zuschützen Sie erscheinen im Neuen Testament in Menschengestalt; aber das hindert nicht, daß sie übermenschliche Kräfte besitzen. Sie erscheinen als Männer. Damit soll ausgedrückt werden ihre Kraft und der Öffentlichkeitscharakter ihres Wirkens. Sie sind von Lichtglanz umgeben, ihr Antlitz ist lichtflammend, die Herrlichkeit Gottes umstrahlt sie. Wegen ihrer Kraft werden sie im Neuen Testament Herrschaften, Mächte und Gewalten genannt.

Die Engel sind Geister, d.h. leibfreie Wesen. Es ist ein Dogma des katholischen Glaubens, verkündet vom IV. Laterankonzil und vom I. Vatikanischen Konzil, daß die Engel leibfreie Geister sind. Sie sind also erhaben über die Gebundenheit an den Raum und an die Zeit, die wir Menschen mit uns tragen. Sie sind nicht an die Fesseln von Raum und Zeit gekettet, wie wir Menschen es sind. Sie sind gewiß an einem bestimmten Orte, nicht überall, wie Gott überall ist, aber sie sind ganz am ganzen Orte und ganz an jedem Teile des Ortes. Vor allem können sie sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit von einem Ort zum anderen bewegen. Deswegen stattet die Kunst sie mit Flügeln aus, sie fliegen. Sie besitzen die Macht, sich mit unvorstellbarer Kraft von einem Ort zum anderen zu begeben. Sie sind auch erhaben über die Zeit, denn sie verändern sich nicht, wie wir Menschen uns fortwährend verändern.

Die Engel besitzen einen durchdringenden und übergreifenden Verstand. Ihre Verstandeserkenntnis ist weit, weit der menschlichen überlegen. Ihr Erkenntnisvermögen unterscheidet sich vom Menschen etwa so wie das Erkennen eines Genies von dem Erkennen eines dumpf dahinlebenden Menschen. Mit ihrer Intelligenz vermögen sie Neues zu lernen. Die Engel sind nicht allwissend. Sie kennen weder die Gedanken der Menschen noch die Pläne Gottes. Der Herr sagt ja einmal: „Die Stunde, wo der Vater im Himmel das Reich Gottes aufrichtet, wissen nicht einmal die Engel!“ Er deutet also eine Grenze ihres Wissens an, aber gleichzeitig natürlich auch die Fülle und die Kraft ihres Erkennens. Die Engel besitzen einen machtvollen Willen. Wegen ihrer Verstandesschärfe und wegen ihres kraftvollen Willens fassen sie ihre Entschlüsse augenblicklich, ohne Schwanken und ohne langes Überlegen, mit Festigkeit und ändern sie nicht mehr. Mit ihrem Willen vermögen die Engel körperliche Dinge zu bewegen. Wir hören im Neuen Testament, daß sie den Stein vom Grabe weggewälzt haben. Es muß also auch eine ungeheure Kraft in ihnen sein. Sie vermögen mit ihrem Willen auch den Menschen zu beeinflussen, den menschlichen Geist zu erreichen. Josef wurde im Traume vom Engel mit Weisungen versehen.

Freilich darf man die Kraft und die Macht der Engel nicht übertreiben. Sie sind und bleiben Geschöpfe Gottes. Das heißt, sie sind in ihrem Sein und in ihrem Tun von Gott abhängig. So ungeheuer ihr Sein und so ungeheuer ihre Macht ist: Sie bleiben Geschöpfe Gottes. Sie haben keinen anderen Wirkkreis, als Gott ihnen übergibt; sie sind die Vollstrecker und Vollführer des göttlichen Willens. Auch ihre Heiligkeit ist nicht zu vergleichen mit der Heiligkeit Gottes. Es ist eine geschenkte und abgeleitete, eben eine geschöpfliche Heiligkeit. Deswegen heißt es zum Beispiel im Buche Job: „Siehe, er traut seinen Dienern nicht, seinen Engeln, die er herrlich geschaffen!“ Oder im Psalme 89: „Denn wer in den Wolken ist gleich dem Herrn? Wer ist ähnlich dem Herrn von den Gottessöhnen, dem Gott, gar furchtbar im Rate der Heiligen, gewaltig erhaben ob allen um ihn?“ Es scheint im Umkreis des Neuen Testamentes Versuche gegeben zu haben, den Engeln eine Stellung einzuräumen, die nur Christus gebührt. Die Engel sind Geschöpfe und infolgedessen auf Christus hin erschaffen. Aber es gab damals offenbar – in Kolossä zum Beispiel – Menschen, die meinten, Gott sei so weltüberlegen, daß der Verkehr zwischen ihm und den Menschen nur durch Engel möglich ist, daß der Mensch also nicht unmittelbar zu Gott gehen kann und Gott auch nicht unmittelbar zum Menschen kommt als durch die Vermittlung von Engeln. Dagegen nimmt der Kolosserbrief Stellung, wenn gleich im ersten Kapitel hervorgehoben wird, daß Christus derjenige ist, „in dem alles erschaffen ist im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, die Throne, Herrschaften, Mächte und Gewalten. Alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen.“ Also die Engel sind Geschöpfe Gottes, die ihr Ziel in Christus finden. Und im Hebräerbrief wird, ebenfalls gegen einen falsch verstandenen Engelkult, die wesentliche Unterschiedenheit zwischen Christus und den Engeln in immer neuen Wendungen hervorgehoben: „Er ist hocherhoben über die Engel, wie sein Name, den er als Erbteil erhielt, den ihrigen überragt. Denn zu welchem der Engel hat er je gesagt: ‘Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt’? Und wiederum: ‘Ich werde ihm Vater und er wird mir Sohn sein.’ Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in die Welt einführt, sagt er: ‘Und niederfallen sollen vor ihm alle Engel Gottes!’ Von den Engeln sagt er: ‘Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen.’ Vom Sohne sagt er: ‘Dein Thron, o Gott, steht in alle Ewigkeit, und das Zepter der Gerechtigkeit ist das Zepter deines Reiches.’“ Und zum Schluß fügt er noch hinzu: „Zu welchem Engel hat er je gesagt: ‘Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße hinlege.’ Sind sie nicht alle dienende Geister, zum Dienst abgesandt um derer willen, die das Heil erben sollen.“

Wir sind nicht in Gefahr, meine lieben Freunde, die Engel zu hoch zu erheben und dadurch der Ehre Christi Eintrag zu tun. Nein, heute besteht die Gefahr, daß die Engel hintangestellt werden, daß sie vergessen werden, ja daß sie geleugnet werden. Wir wollen uns auch durch Kritik an Engeldarstellungen nicht irremachen lassen. Wie soll man denn die Unschuld der guten Engel, ihre Reinheit, ihre Heiligkeit anders darstellen, als indem man sie eben als unschuldige Kinder abbildet? Das ist ja doch der Sinn, warum die Engel als Kinder abgebildet werden, weil sie so unschuldig und so rein, so frisch und unverdorben sind, wie eben ein Kind, das soeben die Taufe empfangen hat, ist. Nein, wir wollen die Engel verehren, wir wollen ihnen vertrauen, wir wollen ihnen unser Leben weihen und dadurch sicher sein, daß wir ihres Schutzes uns immer erfreuen dürfen.

Amen.

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