Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
19. November 2017

Die göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir beten in der heiligen Messe des dreizehnten Sonntags nach Pfingsten: „Gib uns Wachstum im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe. Und damit wir zu erlangen verdienen, was du verheißest, lass uns lieben, was du befiehlst.“ Hier ist die Rede von Glauben, Hoffnung und Liebe. In der Epistel des heutigen Sonntags bescheinigte der Apostel Paulus der Gemeinde in Saloniki werktätigen Glauben, opferwillige Liebe und beharrliche Hoffnung. Hier sind sie wieder, die drei: Glaube, Hoffnung, Liebe. Diese drei Begriffe drücken die so gennanten göttlichen Tugenden aus. Was sind Tugenden? Tugenden sind bleibende Anlagen, Fertigkeiten zum Guten. Und die göttlichen Tugenden sind jene, die sich auf Gott richten, die mit Gott verbinden, die uns zu Gott hinziehen. Wir unterscheiden göttlichen Tugenden und sittliche Tugenden. Sittliche Tugenden werden durch Übung erlangt: die Treue, die Reinheit, die Freigebigkeit, die Wahrhaftigkeit. Die göttlichen Tugenden beziehen sich unmittelbar auf Gott. Sie befähigen die Christen, in Verbindung mit der heiligsten Dreifaltigkeit zu leben. Sie haben den dreieinigen Gott zum Ursprung; er gießt sie ein, man nennt sie eingegossenen Tugenden. Sie werden uns geschenkt. Sie haben Gott zum Beweggrund. Wir lieben Gott um seinetwillen, nicht um unseretwillen. Und sie haben Gott zum Gegenstand. Wir lieben ihn, ihn über alles und in allem. Die drei göttlichen Tugenden sind unsere göttlichen Lebenskräfte in Beziehung auf Gott. Sie dienen der christusförmigen Entfaltung des christlichen Lebens.

An der Spitze steht der Glaube. Der Glaube ist jene göttliche Tugend, durch die wir an Gott und an all das glauben, was er uns gesagt und geoffenbart hat und was die Kirche uns zu glauben vorlegt. Denn Gott ist die Wahrheit selbst. Der Glaube ist also eine Art geistiger Wahrheitserfassung, eine intellektuelle Annahme und Aufnahme von Offenbarungswahrheiten. Er stützt sich unmittelbar auf Gott als die ungeschaffene Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Es ist katholisches Dogma, dass zum Glauben, zum Akt des Glaubens, zur Annahme des Glaubens der freie Wille des Menschen und die Gnade Gottes zusammenwirken müssen. Der Glaube ist eine sittliche Handlung und Tugend, die von der Freiheit des Willens ausgeht und getragen wird, und er kommt durch eine übernatürliche Erleuchtung des Menschen zustande. Diese erschließt uns das Tor zur Gnade und Seligkeit. Der Glaube, meine lieben Freunde, ist notwendig zur Erlangung des Heils als Gebot und als Mittel. Im Brief an die Hebräer steht der fundamentale Satz: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen.“ Der unerlässliche Heilsglaube schließt alle geoffenbarten Wahrheiten einschlussweise – implizite – ein. Man muss an alles glauben, denn wenn man nur einem einzigen Gegenstand des Glaubens die Zustimmung versagt, fällt der Glaube als Ganzes dahin. Also: Der unerlässliche Heilsglaube muss einschlussweise auf alle geoffenbarten Wahrheiten sich richten. Ausdrücklich braucht er nur zu umfassen, dass Gott ist und dass er denen, die ihn suchen, Vergelter wird. Das ist der ausdrückliche Glaube, der von jedem gefordert ist und der jedem möglich ist: dass Gott ist (existiert) und dass er denen, die ihn suchen, Vergelter wird. Der Dienst am Glauben und das Zeugnis für den Glauben sind heilsnotwendig. Wir müssen den Glauben annehmen, bewahren, aus ihm leben und ihn weitergeben. Aus ihm leben, das ist das Schwere, aus dem Glauben leben, also die Handlungen, Betätigungen ausrichten nach dem Glauben, fragen: Gefällt das Gott? Ist das sein Wille? Wir leben aus dem Glauben, wenn unser Denken, Wollen und Tun vom Glauben geprägt und gestaltet ist. Wir müssen aber auch den Glauben bekennen. Wir bekennen den Glauben durch die Tat, sooft wir zeigen, dass wir katholische Christen sind, z.B. wenn wir andächtig das Kreuzzeichen machen oder wenn wir am katholischen Gottesdienst teilnehmen. Die heiligen Martyrer haben im Bekenntnis des Glaubens ihr Leben hingegeben, und deswegen heißen sie Blutzeugen. Wir sollen auch unseren Glauben schützen. Wir schützen ihn, wenn wir ein christliches Leben führen, wenn wir alles meiden, was eine Gefahr für den Glauben bedeutet. Dem Glauben bringen Gefahr glaubensfeindliche Schriften, glaubensfeindliche Fernsehsendungen, vertrauter Umgang mit glaubenslosen Menschen, mit Religionsspöttern und Irrgläubigen. Wir erwecken den Glauben mit dem Gebet, das wir wohl als Kinder alle gelernt haben: „O mein Gott, ich glaube alles, was du geoffenbart hast und durch deine heilige Kirche uns zu glauben vorstellst, weil du der unendlich wahrhaftige Gott bist.“ Der Glaube allein genügt nicht, um den Menschen zum Kinde Gottes und zum Erben des Himmels zu machen. Der Apostel Jakobus schreibt in seinem Briefe: „Du glaubst, dass ein einziger Gott ist. Du tust wohl. Aber auch die bösen Geister glauben und zittern.“ Der Glaube ohne Werke ist tot. Der Glaube verbindet den Menschen weder vollkommen mit Christus noch macht er ihn zum lebendigen Glied seines Leibes, wenn nicht Hoffnung und Liebe dazukommen. Das lehrt uns wiederum der Apostel Paulus in seinem Briefe an die Galater. „In Christus“, sagt er, „gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein, ob man Jude ist oder Heide ist, sondern bei Christus gilt nur der Glaube, der durch die Liebe wirksam ist.“

Die Hoffnung ist jene göttliche Tugend, durch die wir uns nach dem Himmelreich und dem ewigen Leben sehnen, indem wir auf die Verheißungen Christi vertrauen und uns nicht auf unsere eigenen Kräfte, sondern auf die Gnadenhilfe des Heiligen Geistes verlassen. Die theologische Hoffnung ist eine übernatürliche Tugend, durch die wir den beseligenden Besitz Gottes mit Zuversicht von der Güte, Allmacht und Treue Gottes erwarten. Christlich hoffen heißt, vertrauensvoll erwarten, dass Gott uns helfen wird, die von ihm versprochenen Güter zu erlangen. Das Wesentliche der Hoffnung ist nicht das Verlangen, sondern das Vertrauen. Und was ist denn der Gegenstand der Hoffnung? Der Katechismus von Mainz aus dem Jahre 1920 – also zweifellos noch rechtgläubig – antwortet auf die Frage: Was müssen wir vor allem von Gott hoffen? Wir müssen von Gott vor allem die Verzeihung unserer Sünden, seine Gnade und die ewige Seligkeit hoffen – die Verzeihung unserer Sünden, seine Gnade und die ewige Seligkeit. Die wahre Hoffnung geht also auf Werte, die dem Menschen als Ebenbild Gottes gemäß sind und allein seine wahre Vollendung bewirken können. Sie stützt sich auf Gott und sein Werk und in diesem Rahmen auch auf eigene Wirkmöglichkeiten. Wir dürfen also die Herrlichkeit des Himmels erhoffen, die Gott denen verheißen hat, die ihn lieben und seinen Willen tun. In jeder Lage sollen wir hoffen, dass wir mit der Gnade Gottes ausharren bis zum Ende, ausharren im Guten, meine lieben Freunde. Voller Hoffnung betet die Kirche, dass alle Menschen gerettet werden. Ob es tatsächlich geschieht, ist unserer Erkenntnis entzogen. Die Kirche sehnt sich danach, in der Herrlichkeit des Himmels mit Christus vereint zu sein. Das entscheidende Motiv für die Hoffnung ist die Treue Gottes. Wir müssen die himmlischen Güter vertrauensvoll von Gott erwarten, weil der gütige und getreue Gott sie uns versprochen hat. Die Hoffnung äußert sich im Gebet und nährt sich vom Gebet, vor allem vom Vaterunser, wo ja die Hoffnungsgüter aufgezählt sind: dein Wille geschehe, dein Reich komme, dein Name werde verherrlicht. All das, was uns die Hoffnung ersehnen lässt, ist in diesem Gebet enthalten. Aus dem Vertrauen in der Hoffnung erwächst dem Christen Ruhe und Zuversicht des Herzens, Eifer und Tatkraft und Treue im Dienste Gottes, Gottergebenheit, Geduld und Standhaftigkeit in allen Mühen, Kämpfen und Leiden. Wir dürfen auch zeitliche Dinge von Gott erhoffen, soweit sie unserem ewigen Heil dienlich sind. Also wenn wir bitten: O lieber Gott, mach mich gesund, dürfen wir hoffen, dass Gott es tun wird, aber indem wir gleich hinzufügen: Mach mich gesund, damit ich dir dienen kann. Die zeitlichen Güter fallen also unter die Hoffnung, soweit man sie im Namen Jesu erfleht in Unterordnung unter das ewige, übernatürliche Heil und mit den übrigen Erfordernissen eines wirksamen Gebetes. Wir können die Hoffnung erwecken, wie wir es gelernt haben: „O mein Gott und Herr, ich hoffe von dir die Verzeihung meiner Sünden, deine Gnade und endlich die ewige Seligkeit, weil du, o gütiger und getreuer Gott, dieses alles versprochen hast. Stärke, o Gott, meine Hoffnung.“ Die Hoffnung verurteilt den Menschen nicht zur Passivität; wir dürfen die Hände nicht in den Schoß legen, weil wir auf Gott hoffen. Sie fordert unsere Aktivität heraus, sie fordert, dass wir uns selbst ernstlich um den Himmel bemühen und beharrlich um die Hilfe Gottes bitten. Im 2. Petrusbrief steht ein Satz, der uns nicht entgehen sollte, nämlich: „Seid darauf bedacht, eure Berufung und Auserwählung durch eure guten Werke gewiss zu machen“ – die Berufung und Auserwählung durch die guten Werke gewiss, also sicher machen.

Die Liebe endlich ist jene göttliche Tugend, kraft der wir Gott um seiner selbst willen über alles lieben und aus Liebe zu Gott unseren Nächsten lieben wie uns selbst. Das Gebot der Gottesliebe lautet: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Gemüte und aus allen deinen Kräften.“ Wir müssen Gott über alles lieben, d.h. wir müssen ihn mehr lieben als alles andere. Wir müssen alles andere ihm nachstellen. Eher alles verlieren, als Gott durch eine Todsünde beleidigen. Wir müssen Gott über alles lieben, weil er uns erschaffen, erlöst und geheiligt hat. Wir müssen ihn über alles lieben, weil er, der unendliche Gott, aller Liebe würdig ist. Er ist der Schönste, der Herrlichste von allem, was existiert. Die Liebe zu Gott schließt auch die Selbstliebe und die Nächstenliebe ein. Christus lehrt das Hauptgebot der Liebe im innigen Zusammenhang mit der Selbst- und Nächstenliebe. Das zweite Gebot ist diesem gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Als Voraussetzung der übernatürlichen Liebe behält auch die natürliche Selbstliebe ihren sittlichen Wert und ihre Verpflichtung im Leben des Christen. Sie mahnt uns, das irdische Leben hoch zu schätzen, die leiblichen und geistigen Anlagen zu entfalten, in der Wahl und Ausübung des Berufes gewissenhaft zu sein und die äußeren Kulturgüter nach ihrem Wert für das eigene Leben zu benutzen. Die christliche Selbstliebe hat zum Gegenstand die übernatürliche Würde und Bestimmung des Menschen als des Gotteskindes. Sie erstreckt sich auch auf den Leib, denn der gehört zur Persönlichkeit des Liebenden, er ist ein Tempel des Heiligen Geistes und ein Glied Christi und zur Teilnahme am ewigen Leben berufen. Der Gegenstand der Nächstenliebe ist jeder, welcher der ewigen Seligkeit fähig ist, also alle Menschen, auch die Todsünder und die Feinde, die Seelen im Fegefeuer. Die Liebe zu einer Gemeinschaft ist ebenso möglich und verpflichtend. Wir müssen unsere Familie lieben, unsere Heimat, unser Vaterland. Das Motiv der Nächstenliebe ist Gott. Grundlage ist die Beziehung des Nächsten zu Gott. Wir lieben ihn hier nicht wegen seiner eigenen Qualitäten, Vollkommenheiten, nicht wegen seiner menschlichen Vorzüge, nein, wir lieben ihn als Ebenbild Gottes, als Gotteskind, als Glied Christi und Tempel des Heiligen Geistes. Diese Liebe ist heilsnotwendig. Die Liebe ist heilsnotwendig einmal als Mittel und zum anderen als Gebot. Sie ist notwendig als Mittel, und das ergibt sich aus dem sittlichen Wesen der Liebe, denn sie verwirklicht den höchsten Zweck des sittlichen Lebens und des übernatürlichen Heilswerkes, die Ehre Gottes durch volle Hingabe der Seele an Gott, das höchste Gut. Die Heilsnotwendigkeit ist sodann auch eine des Gebotes, es ist uns geboten, die Liebe zu üben. Sie wird uns zur Pflicht gemacht. Wodurch? Durch die gleiche Natur und physische Abstammung aller, durch das allgemeine Bedürfnis gegenseitiger Hilfe und sozialer Einheit, durch die Pflicht der sittlichen Achtung und Förderung aller Menschenseelen. Jesus macht die von ihm gebotene Liebe zum „neuen“ Gebot. Ja, ist sie nicht schon im Alten Testament geboten? Wieso ist sie dann ein neues Gebot? Christliche Nächstenliebe ist ein neues Gebot, denn sie stützt sich auf das Vorbild der Erlöserliebe Jesu Christi. Sie rückt zum Rang einer göttlichen Tugend empor, sofern sie zum unmittelbaren Gegenstand die übernatürliche Gottbestimmung und Gotteskindschaft aller Menschen hat. Sie wird innerlich bewirkt durch den Heiligen Geist, den Geist der Liebe zwischen Vater und Sohn, der in die Seelen einzieht und sie heiligt. Sie ist die mit dem neuen Leben Christi unzertrennlich verbundene neue Lebenskraft. Wir können jetzt, was früher unmöglich schien. Diese Verpflichtung folgt schließlich aus der neuen übernatürlichen Verbundenheit der Menschen in Christus. Dieser Tage erhielt ich einen Brief eines verzweifelten Menschen, der unendlich viel durchgemacht hat in seinem Leben, missbraucht worden ist. Er war zur Beichte, und der Beichtvater hat ihm gesagt: Sie müssen verzeihen. Das begreift er nur schwer – Sie müssen verzeihen, das fordert die Liebe. Die Nächstenliebe hat bestimmte Eigenschaften. Sie muss innerlich und aufrichtig sein, nicht nur nach außen gezeigt, sondern innerlich und aufrichtig. Sie muss lauter und uneigennützig sein, man soll nicht lieben, weil man wiedergeliebt wird. Sie muss werktätig sein, d.h. sie muss sich in Taten auszeugen, jede echte Liebe drängt zu Taten. Sie muss schließlich allgemein sein, d.h. sie darf niemanden ausschließen – und das ist vielleicht das Schwerste. Wir dürfen von unserer Liebe niemanden ausschließen. Wir müssen für alle beten, auch für unsere Feinde, Widersacher, Gegner, Hetzer. Die Liebe ist die Frucht des Heiligen Geistes und die Vollendung des Gesetzes, und darum hält die Liebe auch die Gebote Gottes und Christi. Der heilige Johannes hat uns, wenn wir Schwierigkeiten haben, Gott zu lieben, weil er ja nicht ein Gegenstand der sinnlichen Erkenntnis ist, eine trostreiche Wahrheit vermittelt, wenn er sagt: „Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben“, also der liebt Gott, der seine Gebote hält. Damit ist die Liebe uns leicht gemacht, denn diese Gebote Gottes sind ja eine Wohltat, meine lieben Freunde. Wir erwecken die Liebe zu Gott, wenn wir beten: „O mein Gott und Herr, ich liebe dich von ganzen Herzen über alles, weil du der unendlich gute Gott bist. Aus Liebe zu dir liebe ich auch meinen Nächsten wie mich selbst. Entzünde, o Gott, meine Liebe.“ Es gibt drei göttliche Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe. Sie sind uns lebensnotwendig und sie sind uns heilsnotwendig. Glaube und Hoffnung entsprechen dem Stande der irdischen Pilgerschaft. Im Jenseits wird der Glaube ins Schauen verwandelt und die Hoffnung in den Besitz. Und jetzt, meine lieben Freunde, jetzt wollen wir mit der Kirche wie in der heiligen Messe des dreizehnten Sonntags nach Pfingsten beten: „O Gott, gib uns Wachstum im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe. Und damit wir zu erlangen verdienen, was du verheißest, lass uns lieben, was du befiehlst.“

Amen.

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