Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. Mai 2017

Das Beweisverfahren des Parakleten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn der Paraklet kommt – in der heutigen Lesung des Evangeliums wird dieses griechische Wort als Tröster übersetzt –, der Geist der Wahrheit, wird er der Welt beweisen, dass es eine Sünde, eine Gerechtigkeit und ein Gericht gibt. Diese Worte sprach unser Herr, als er Abschied nahm von den Seinen und sich für sein Leidenswerk rüstete. Er kündigt ein Beweisverfahren an. Es werden Sachverhalte erklärt werden, es werden Tatbestände bewiesen werden, es wird die Wahrheit aufgedeckt werden. Wer führt den Beweis? Der Paraklet. Das ist ein griechisches Wort und bedeutet wörtlich übersetzt: der Herbeigerufene, der Anwalt, der Fürsprecher, der Beistand, meinetwegen auch der Tröster. Der Paraklet führt den Beweis. Als erster und eigentlicher Paraklet erscheint Jesus auf Erden. Aber nach dem Fortgang Jesu muss ein anderer diese Rolle übernehmen, und das ist der Paraklet, das ist der Geist. Er steht in engster Beziehung zu Jesus und zum Vater. Er ist aber nicht identisch mit dem Vater oder mit dem Sohne, sondern er ist die dritte Person in der Dreifaltigkeit; er trägt personale Züge. Der Paraklet ist eine Geistperson. Sein Tätigwerden ist der Wirksamkeit Jesu analog. Er übernimmt nach Jesu Weggang dessen Funktion. Jesus sendet den Parakleten, den Geist der Wahrheit, damit er Zeugnis für ihn ablege. Der Paraklet hat drei Funktionen. Eine Offenbarungsfunktion: Er wird die Seinen alle Wahrheit lehren. Er hält die Wahrheit, er vollendet sie. Er sichert die apostolische Auslegung der Worte Jesu. Er begründet die apostolische Tradition, die in der Kirche entfaltet wird. Hier, meine lieben Freunde, hier liegt die Fundstelle für die Dogmenentwicklung in der katholischen Kirche! Der Paraklet hat zweitens eine Lehrfunktion. Er führt weitergehend in die Lehre Jesu ein. „Er wird von dem Meinigen nehmen und euch verkünden. Er wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“, also die Erinnerungsfunktion des Parakleten ist wesentlich. Dadurch bleibt die Aktualisierungskraft des Geistes dauerhaft an die Lehre Jesu gebunden; das Alte immer neu sagen, und Wahrheiten, die bisher eingewickelt waren, auswickeln und entfalten. Drittens: Der Paraklet hat eine Gerichtsfunktion, und das ist das Thema des Evangeliums der heutigen heiligen Messe. Er hat eine Beweisfunktion, er führt das Beweisverfahren.

Was beweist der Paraklet? Er beweist, dass es eine Sünde gibt. Nicht alles, was auf Erden geschieht, ist Missverständnis oder Schicksal oder Zufall, nein, es gibt Schuld und Versagen. Die Ursünde der Welt ist der Unglaube gegenüber dem von Gott gesandten Messias, gegenüber dem wesensgleichen Sohne Gottes. Johannes hat die Tragik dieses Unglaubens schon im Anfang seines Evangeliums beschrieben: „Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt hat ihn nicht erkannt. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf.“ Was ist der Welt so gefährlich, wie die Weigerung, den gottgesandten Retter anzuerkennen? Was ist ihr so gefährlich? Nichts. Diese Weigerung, den Erlöser anzuerkennen, ist die Ursünde der Welt. Sie wurde fortgesetzt von denen, die sich an die jüdischen Henker Jesu anhielten. Das Schicksal des auf Erden erschienenen Gottessohnes setzt sich auch nach seinem Heimgang zum Vater fort in den Missverständnissen, in dem Unverständnis, in dem falschen Verständnis von Jesus Christus. Die Sozinianer erklärten die Gottheit Christi als schriftwidrig und vernunftwidrig, das Dogma von der Erlösung sei unhaltbar. Die Deisten sahen in Jesus den Verkünder der natürlichen Religion, also einer vernunftgemäßen Moral. Die Vertreter einer humanistischen Christologie lehnten die Gottheit Christi und seine stellvertretende Genugtuung faktisch oder ausdrücklich ab. In der Aufklärung hat sich das protestantische Christentum endgültig vom metaphysisch-ontologischen Fundament der Christologie verabschiedet, und die Masse des sog. gebildeten Bürgertums ist ihr gefolgt, begnügt sich mit einem undogmatischen, praxisorientierten Christentum. Der angeblich größte evangelische Theologe des 19. Jahrhunderts, Friedrich Schleiermacher, unterscheidet Jesus von anderen Menschen nicht durch seine göttliche Natur, sondern durch sein reines Gottesbewusstsein. Also ein psychisches Faktum macht den Unterschied Jesu von anderen Menschen aus. Der evangelische Theologe David Friedrich Strauss löste die christologischen Aussagen völlig von der Person Jesu ab. „Alles“, so schreibt er in seinem Buche – und ich habe es gelesen von Deckel zu Deckel –, „alles, was von Jesus ausgesagt wird, das gilt von der Menschheit.“ Nicht Jesus ist der Erlöser, sondern die Menschheit, die sich selbst erlöst. In unserer Zeit gilt als der größte evangelische Theologe Rudolf Bultmann. Er lehnt die christologischen Dogmen als überholte Metaphysik ab. Gegenüber all diesen Verirrungen leistet der Paraklet Aufklärungsarbeit. Er verwirft die Meinung, es handele sich hier nur um begreifliche Verschiedenheiten der Auffassungen, Meinungsverschiedenheiten. Er zeigt, dass diese Verirrungen sündhaft sind. Sie stehen im erklärten Gegensatz zur Wahrheit und zum Willen Gottes. Wer falsch über Christus denkt, kann nicht sein Zeuge sein. Wer die Gottheit Christi leugnet, trennt sich von der Offenbarung Gottes. Der Paraklet beweist, dass es eine Sünde gibt.

Aber er beweist auch, dass es eine Gerechtigkeit gibt. Gerechtigkeit ist hier im juristischen Sinne gemeint, nämlich als Rechtfertigung oder Schuldloserklärung vor Gericht, als Sieg im Prozess. Es handelt sich dabei um das Führen in einem Rechtsstreit. Und der Heilige Geist beweist, dass das Unrecht nicht das letzte Wort behält. Es gibt eine Gerechtigkeit zuerst für Jesus von Nazareth. Er war ja der Ausgestoßene. „Er verführt das Volk“, sagten die Hohenpriester. Und gegenüber Pilatus erklärten sie: „Dieser Verführer hat behauptet, er werde nach drei Tagen auferstehen.“ Gegenüber diesen Verirrungen zeigt der Paraklet, dass es für Jesus nach seiner Verkennung und Hinrichtung auf Erden eine Gerechtigkeit gibt durch seine Erhöhung, durch seine Auferstehung und Himmelfahrt. Der Paraklet führt den Beweis, dass Jesus nicht in der Hölle weilt, sondern dass er zum Vater im Himmel aufgestiegen ist. Der Hingang zum Vater ist die Erhöhung Christi durch Gott. Die urchristliche Predigt hat immer mit großem Nachdruck betont, dass die Auferweckung und Erhöhung Christi die Beglaubigung seiner göttlichen Sendung ist. Der Paraklet beweist, dass es eine Gerechtigkeit gibt, auch für die Kirche. Seit Beginn der christlichen Bewegung, meine lieben Freunde, werden Schmähungen über Schmähungen über die von Christus gestiftete Heilsanstalt gehäuft. Ein Autor unserer Tage bezeichnete die Kirche als die „größte Verbrecherorganisation der Geschichte“. Nein, so ist es nicht. Gewiss, nicht alle Menschen in der Kirche haben aus der Gnade Christi, die sie ja angeboten bekommen haben, gelebt und gehandelt; viel Menschliches, allzu Menschliches hat sich zugetragen. Wir bekennen es mit Schmerz und Scham. Aber diese Kirche ist und bleibt der Leib Christi, der fortlebende Christus, aus dem Gnade und Wahrheit strömen. Der Paraklet beweist, welch unermesslicher Segen durch die Kirche über die Menschheit gekommen ist. Die Kirche und sie allein hat den Glauben an Gott und seinen Gesandten Jesus Christus bewahrt, verteidigt, verbreitet und behütet. Die Kirche hat den Menschen seit 2000 Jahren die Gnade Gottes vermittelt, im Messopfer und in allen Sakramenten. Im Ölgarten hat Jesus zu seinen Jüngern gesagt: „Steht auf, lasst uns gehen“: in die Gefangenschaft, in die Verurteilung, in den Tod. „Steht auf, lasst uns gehen.“ Katholische Kirche, jetzt sehe ich dein Geheimnis: Du bist eine Unzulänglichkeit, du bist ein Ärgernis, aber der Herr hat zu dir gesagt: Lasst uns gehen, lasst uns miteinander gehen, lasst uns selbander gehen. Und diese Gemeinschaft im gemeinsamen Gehen wird nicht aufhören, solange diese Weltzeit läuft. Es gibt eine Gerechtigkeit auch für jeden Einzelnen. Hier auf Erden, meine lieben Freunde, bleibt uns vieles im eigenen Leben und im Leben anderer ein Rätsel. Wir erblicken Menschen, auf die unermessliches Leid gehäuft ist: körperliche Schmerzen, ja Qualen, seelische Bedrückung, Verzagtheit, Beklommenheit, Einsamkeit, Verlassenheit. Wir sind oft sprachlos und ratlos, wenn uns die Menschen nach Sinn und Zweck so vielen Leides fragen, oder wenn sie höhnen: Wo ist denn euer Gott? Wir wissen, dass die Gerechtigkeit auf Erden am Kreuze hängt. Aber wir sind auch überzeugt, dass es einen Ausgleich für irdische Pein gibt. Auf uns wartet eine Stunde, in der alle Tränen getrocknet werden, wo alle Not ein Ende hat, wo Gottes Gerechtigkeit sich auch gegenüber dem Einzelnen durchsetzt. Der Paraklet macht uns gewiss, dass nicht umsonst gelitten wird.

Der Paraklet führt endlich den Beweis, dass es ein Gericht gibt. Im Johannesevangelium ist das Gericht ein Hauptthema. Johannes kennt selbstverständlich das Endgericht der traditionellen Eschatologie, das der Sohn Gottes halten wird, und bei dem er Lebendige und Tote richten wird. Er kennt also den Gerichtstag oder den Jüngsten Tag. Aber im Unterschied zu den anderen Evangelisten weiß er noch von einem anderen Gericht, nämlich dass das Kommen Jesu in die Welt schon das Gericht einleitet. In der Begegnung mit Christus vollzieht sich die Scheidung von Glauben und Unglaube, und das ist das Gericht. Der Herr hat es mehrfach erklärt. Nach der Heilung des Blindgeborenen sagt er der Volksmenge: „Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen.“ Dem jüdischen Ratsherren Nikodemus führt er die Wahrheit vor Augen: „Das ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, aber die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht.“ Den Juden, die sich über seine Heilungen am Sabbat entrüsteten, wies er nach: „Wer glaubt, kommt nicht ins Gericht, sondern ist vom Tode ins Leben hinübergeschritten. Wer aber nicht glaubt, bleibt in der Finsternis, bleibt unter dem Zorne Gottes und ist schon gerichtet.“ „Glauben ist schwer“, sagt der französische Dichter Victor Hugo, „aber nicht glauben ist unmöglich.“ In Jesu Tod ist das Gericht Gottes über den Herrscher der Welt, der ihn ans Kreuz gebracht hat, vollzogen worden. Denn Jesus hat ja gerade durch seinen Tod, durch seinen im Gehorsam geleisteten Tod über den Teufel triumphiert. Seitdem ist die Macht des Teufels gebrochen. Er ist der Unterlegene, er ist der Gerichtete. So kann Jesus im Hinblick auf sein Leidensschicksal sagen: „Jetzt ergeht das Gericht über die Welt. Jetzt wird der Fürst dieser Welt gerichtet.“

Wem beweist der Paraklet das alles? Er beweist es der Welt. Die Welt ist hier nicht gemeint als die Schöpfung Gottes, sondern sie ist gemeint in ihrem ungläubigen Verhalten, als die Welt, die gottfeindlich ist, die das Licht hasst, die sich durch Augenlust, Fleischeslust und Hoffart des Lebens auszeichnet. Für diese Welt hat der Apostel die Mahnung: „Liebt die Welt nicht, noch was in der Welt ist.“ Und diese Welt muss es sich gefallen lassen, dass ihre Irrtümer und Verirrungen vom Parakleten aufgedeckt werden. Das geht nicht ohne Kampf ab. Denn die Welt hängt an ihren Verfehlungen, sie will nicht aufgeklärt werden von Christus. Sie wehrt sich dagegen, ihre Irrtümer aufgeben zu müssen. Und wodurch, durch wen tritt der Paraklet seinen Beweis an? Er wirkt in Verbindung mit den Jüngern, ja durch die glaubende und bekennende Gemeinde. Er beweist diese ihre Existenz als unweltlich, übernatürlich, unüberwindlich, also er führt das Beweisverfahren durch die Kirche. Sie zeigt der Welt, dass es eine Sünde, eine Gerechtigkeit und ein Gericht gibt. Zu diesem Zweck hat der Auferstandene seine Jünger als Zeugen berufen, und er rüstet sie aus mit Heiligem Geist: „Ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch herab.“ Es ist die Kraft von oben, mit der er sie ausrüstet. Die Apostel sind Zeugen in der Kraft des Heiligen Geistes. Die Welt will von der Sünde, von der Gerechtigkeit und vom Gericht nichts wissen, und so ist der Zusammenstoß von Verkündern und Adressaten der Verkündigung unvermeidlich. Wenn immer, meine lieben Freunde, wenn immer die Kirche ihrer Aufgabe treu bleibt, wenn immer sie den Auftrag des Heiligen Geistes erfüllt, wird ihre Verkündigung die Welt reizen und empören. Die Verkündiger erblicken in der Abwehr der Welt die Bestätigung der Treue zum Mandat des Heiligen Geistes. Der Herr hat das Schicksal seiner Jünger vorausgesehen: Ablehnung, Nachstellung, Verfolgung. Aber er hat einen Trost für sie: „Wenn man euch hinführt und ausliefert, dann seid nicht im Voraus besorgt, was ihr reden sollt. Was euch in jener Stunde eingegeben wird, das redet, denn nicht ihr seid es, die reden, sondern der Heilige Geist.“ Meine lieben Freunde, dieses Wort des Herrn ist in Erfüllung gegangen. Im Januar 1943 stand in München die Gruppe „Weiße Rose“ vor dem Volksgerichtshof und seinem Präsidenten Roland Freisler; die Geschwister Scholl an der Spitze. Und eine junge Frau, die gläubige evangelische Christin Sophie Scholl, den Tod vor Augen, bekannte sich unerschrocken zu dem Weckruf, wegen dessen sie verurteilt wurde. Sie rief in den Gerichtssaal: „Viele, ja die meisten denken ja so wie wir, aber sie haben nicht den Mut, es auszusprechen.“ Sophie Scholl hatte den Mut und bezahlte ihn mit ihrem jungen Leben. Wir sind nicht allein. Der Paraklet, der Heilige Geist, ist bei uns und mit uns. Wir sind nicht auf unsere menschlichen Kräfte angewiesen, die Kraft des Geistes wirkt in uns. Wir sind Jünger eines Herrn, der zu uns spricht: „In der Welt habt ihr Bedrängnis, aber habt Mut: Ich habe die Welt überwunden.“

Amen.

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