Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Juni 2014

Das Zeugnis des Geistes und der Christen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In der heutigen Messfeier versetzt uns die Kirche in die Seelenstimmung der Jüngergemeinde, die nach der Himmelfahrt des Herrn in Jerusalem versammelt war. Sie freute sich über die Herrlichkeit des Herrn, aber sie war auch voll Sehnsucht nach ihm. Im Gebet harrte sie des verheißenen Geistes und gedachte der Worte, die der Herr in der unvergesslichen Abschiedsstunde im Abendmahlsaale zu ihnen gesprochen hatte. Gleiche Gedanken kommen heute in der heiligen Messe zur Sprache. Im Eingangslied heißt es: „Dir sagt mein Herz, ich suche dein Antlitz.“ Darin ist die Sehnsucht ausgedrückt. Auch wir sollen der tröstlichen Verheißung Christi gedenken, wenn es im Zwischengesang heißt: „Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen.“ Auch wir sollen uns im Gebet auf die Pfingststunde vorbereiten: „Seid klug und wachsam im Gebete“, so mahnt der Apostel in der Epistel. Und wir sollen auch uns über das Rechenschaft abgeben, was Jesus im Evangelium sagt. Es sind drei Dinge:

1.      das Zeugnis des Geistes,

2.      die Aufgabe der Jünger und

3.      das Schicksal der Jünger. 

Geisteszeugnis, Jüngeraufgabe und Jüngerschicksal. Wir sprechen oft vom Zeugnis. Wissen wir auch, was wir da aussagen? Was ist ein Zeugnis? Ein Zeugnis ist die Kundmachung einer Überzeugung oder einer Erfahrung an andere. Das Wort stammt natürlich aus dem Bereich der Gerichtsbarkeit. Aber es findet auch Anwendung im täglichen Leben. „Wenn der Tröster kommt, den ich euch vom Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis von mir ablegen.“ Wie tut das der Heilige Geist? Wie wirkt er sein Zeugnis? Er wirkt es auf zweierlei Art, nämlich durch das Einwirken auf die Einzelseele und durch sein Wirken in der gesamten Kirche. Meine lieben Freunde, was uns die Kirche über das Leben der begnadeten Seele sagt, ist so ergreifend hoch und ist so unerhört neu, dass manchen ein Zweifel ankommen kann, ob das alles auch wirklich ist. Der Heilige Geist wohnt in der Seele des Menschen, des gerechtfertigten Menschen, nicht bloß mittels geschaffener Gnadengaben. Nein, er wohnt mit seiner ungeschaffenen Wesenheit in der Seele des Gerechten. Die heiligmachende Gnade macht ihn zu einem Tempel des Heiligen Geistes. „Wisst ihr nicht“, fragt der Apostel Paulus die Korinther, „wisst ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid und dass der Heilige Geist in euch wohnt?“ Der Heilige Geist entfaltet in der Seele auch eine übernatürliche Tätigkeit. Er bewirkt eine Verähnlichung der Seele mit Gott durch die Mitteilung des gottförmigen Seins der Gnade. Wir sind wirklich „consors naturae dei“, teilhaft der göttlichen Natur. Mit der heiligmachenden Gnade sind die eingegossenen Tugenden: Glaube, Hoffnung, Liebe und die Gaben des Heiligen Geistes verbunden. Auf dieser Tafel in unserer Kirche sind sie angezeichnet: Weisheit, Wissenschaft, Verstand, Rat, Stärke, Frömmigkeit, Furcht des Herrn. Das sind die wunderbaren Gaben des Heiligen Geistes. Alle diese Wirkungen sind wirklich und wahr, vorausgesetzt, dass der Mensch sich ihnen eröffnet. Das Gnadenwirken in der Seele ist die erste Weise, wie der Heilige Geist seine Zeugnistätigkeit leistet. Die zweite Weise ist sein Wirken in der Kirche. Der Heilige Geist ist die Seele der Kirche. Ähnlich wie die Seele im Leibe ist der Heilige Geist Wesens- und Lebensprinzip der Kirche. Er verbindet die Glieder der Kirche untereinander und mit Christus, dem Haupt der Kirche. Er ist es, der die kirchliche Hierarchie bei der Ausübung ihres Lehramtes, Hirtenamtes und Priesteramtes mit seinem Beistand unterstützt. Er ist es, der mit seiner Gnade jede Heilstätigkeit in den Gliedern des mystischen Leibes anregt und begleitet. Er ist es, der das Leben und Wachstum des mystischen Leibes anregt und begleitet. Er lehrt die Glieder der Kirche alles und erinnert sie an alles, was Jesus ihnen gesagt hat. Ohne ihn, meine lieben Freunde, wäre das Wort Gottes und wäre der Glaube an Christus längst verdunstet, umgedeutet, vergessen. In unserer Kirche lebt dieses Wort weiter! Er legt Zeugnis über Jesus ab. Dass in unserer Kirche immer noch gebetet wird, dass Jesus „Gott von Gott“ ist, „wahrer Gott vom wahren Gott; gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“, das ist dem Wirken des Geistes zuzuschreiben! Denn andere Bekenntnisse haben diese Wahrheiten längst aufgegeben! „Die Dogmen sind überholt“, so sagt man mir. Der Heilige Geist führt in alle Wahrheit ein. Es gibt eine Geschichte der Dogmen, ja, es gibt eine solche Geschichte der Dogmen. Aber nicht, wie der Unglaube meint, nämlich als Geschichte des Verfalls, sondern als Entwicklung in der Erkenntnis der Wahrheit. In diesen Tagen hat der Bundespräsident Gauck auf dem Katholikentag in Regensburg davon gesprochen, auch zentrale Elemente des Glaubens seien Veränderungen unterworfen. Wir sagen ihm: „Herr Gauck, das mag bei Ihnen der Fall sein, aber bei uns nicht!“ Er führt in alle Wahrheit ein und er bewahrt in der Wahrheit. Er redet in den Christen, wenn sie vor Gericht gestellt sind. Ich denke immer an den katholischen Rechtsanwalt Josef Wirmer, der von Freisler, dem Blutrichter der Nazis, zum Tode verurteilt wurde. Dabei suchte er ihn, den gläubigen Katholiken, zu verspotten. „Dann kommen Sie in die Hölle“, sagte er zu Wirmer. Und Wirmer antwortete lächelnd: „Es wird mir ein Vergnügen sein, wenn Sie bald nachkommen.“ Der Heilige Geist hilft das anvertraute Glaubensgut bewahren. Er verleiht die außerordentlichen Gnadengaben; er gestaltet den Christen zu einer Wohnung Gottes; er bewirkt die Sündenvergebung, die Wiedergeburt, die geistige Erneuerung. Er schenkt die Gotteskindschaft. Alle, die sich vom Geiste treiben lassen, sind Kinder Gottes. Er gießt die Liebe Gottes in die Seelen ein. Er bringt die christlichen Tugenden hervor. Das alles ist wirklich und wahr, wenn immer die Glieder der Kirche den Geist wirken lassen, wenn sie also von Feigheit, Eigensinn und Rechthaberei lassen.

Das Zweite, woran uns der Geist erinnert, ist die Jüngeraufgabe, nämlich Zeugnis zu geben für Christus. Eine Jüngeraufgabe, der sich niemand entziehen darf. Zeugnis geben erstens durch Worte, zweitens durch die Tat. Ein offenes, charaktervolles Christenwort, ein starkes, mannhaftes Bekenntnis zu Christus zur rechten Zeit kann viel Segen stiften, kann Schwache stärken, Gebeugte aufrichten, Schwankende stützen. Chrysostomos lebte in einer Zeit, wo noch viele Heiden am Leben waren, und deswegen musste er auch seine Gläubigen zu mutigem Bekenntnis auffordern. „Wenn du einen Ungläubigen fragen hörst: Du betest einen Gekreuzigten an? dann werde nicht rot, schau nicht verlegen zu Boden, vielmehr richte dich auf, sieh ihm stolz in die Augen und sprich mit ihm: Ja, ich bete ihn an.“ In der Zeit der Nazis wurde einmal ein katholischer Diplomat vom Reichsführer SS Heinrich Himmler gefragt, ob er katholisch sei. Der Diplomat gab eine diplomatische Antwort: „Ich habe eine katholische Erziehung erhalten.“ Er wich also aus, er sagte nicht: Ich bin noch katholisch, sondern: Ich habe eine katholische Erziehung erhalten. Petrus fordert in seinem ersten Brief die Gläubigen auf, bereit zu sein zur Verantwortung gegenüber einem jeden, der von ihnen Rechenschaft über ihre Hoffnung fordert. Diese Hoffnung ist zuerst und zuoberst das ewige Leben. Wir glauben an das ewige Leben, und wir geben Zeugnis davon! Dass töricht die Behauptung ist: Tot ist tot und aus ist aus. Nein, es geht weiter. Wir wissen, dass viele nichtkatholische Christen entweder überhaupt nicht an die wirkliche Gegenwart Christi im Altarsakrament oder jedenfalls nicht an die bleibende Gegenwart glauben. So erheben sie gegen uns den Vorwurf, wir würden Brot anbeten. Da heißt es: bekennen. Bekennen mit dem Konzil von Trient: „Wir glauben jenen selben Gott in den eucharistischen Gestalten gegenwärtig, den der ewige Vater in die Welt einführt mit den Worten: Ihn sollen anbeten alle Engel Gottes.“ „In Demut bete ich dich, verborgene Gottheit, an, die du den Schleier des Brotes hier angetan.“ Ein stärkeres Zeugnis als das Wort ist die Tat. Das Leben, der ganze Inhalt des Lebens soll Kunde von Christi Lehre und Christi Geist geben. Die größten Eroberungen sind nicht so sehr durch Predigten, sondern durch ein wahrhaftes, beispielhaftes Christenleben gemacht worden. Die tiefste Werbekraft des Christentums sind Männer und Frauen, deren praktische Lebensführung ein überzeugender Beweis für die Wahrheit und die Kraft der Lehre Christi ist. „Auch ihr werdet von mir Zeugnis geben.“ Dieses Zeugnis, meine lieben Freunde, hat es doch in großem Umfang gegeben. Es gab eine Zeit, in der sich die katholischen Christen als Sünder wussten, und dieses Wissen bewegte sie, in regelmäßigen Abständen das Sakrament der Sündenvergebung zu empfangen. Es gab eine Zeit, in der Jugendliche, viele Jugendliche – ich habe es erlebt – alle vier Wochen zur Beichte und zur Kommunion gingen. Es gab eine Zeit, in der die katholischen Christen darauf hinweisen konnten, dass die Geburtenhäufigkeit katholischer Ehen erheblich größer war als nichtkatholischer Ehen. Es gab eine Zeit, in der aus katholischen Familien Priester- und Ordensberufe in großer Zahl hervorgingen. Diese Zeit ist vergangen. Der Wille und die Kraft der meisten katholischen Christen zum Zeugnis ist erschlafft. Sie haben die Mahnung des Apostels Paulus vergessen: „Macht euch nicht die Art dieser Welt zu eigen, sondern wandelt euch um durch Erneuerung eures Denkens.“ Wenn es eine Wende zum Besseren geben soll, meine lieben Freunde, dann müssen die Haltungen und Handlungen, die einst lebendige, katholische Christen auszeichneten, wieder aufgenommen werden. Wenn man vor einem Abgrund steht, ist jeder Schritt zurück ein Fortschritt!

Freilich, und das ist die dritte Überlegung, die wir anstellen wollen, freilich wer die Jüngeraufgabe treu erfüllt, muss darauf gefasst sein, dass auch ihm das Jüngerschicksal zu Teil wird, von dem Christus im heutigen Evangelium spricht: Hass und Verfolgung. Das haben die ersten Jünger Christi, die Apostel, das hat die Urgemeinde, das haben die ersten Jahrhunderte des Christentums erfahren. Was hat man ihnen alles vorgeworfen: Atheismus, Essen geschlachteter Kinder, Blutschande, Zauberei, Eselskult, Hass gegen das Menschengeschlecht. Diese unerhörten Vorwürfe, von denen kein einziger zutraf, wurden gegen die Christen der ersten Jahrhunderte erhoben. „Es kommt die Stunde, da jeder, der euch tötet, Gott einen Dienst zu tun vermeint.“ Und so ist es auch weiter gegangen. Der heilige Augustinus schreibt einmal: „Es war mir lange Zeit rätselhaft, warum der Priesterhass so allgemein ist. Wir haben niemand Unrecht getan, niemand beleidigt, kein fremdes Gut geraubt, sondern wir weihen unser ganzes Dasein dem Wohl des Menschengeschlechtes. Warum behandelt man uns so lieblos, dass man kaum ein Gespräch führt, ohne dabei einen Bischof oder einen Priester anzugreifen? Dieses Rätsel hat sich mir gelöst“, sagt Augustinus, „in der Vorhersagung Jesu: ‚Dies werden sie euch antun, weil sie weder mich noch den Vater kennen.‘“ Der Hass gegen die Kirche, gegen die Glieder der Kirche, gegen die Priester der Kirche, ist zu erklären aus der Unkenntnis, aus der Unkenntnis des wahren Glaubens, der wahren Lehre der Kirche. Sie wissen nur von Zerrbildern der Kirche und nicht von der wahren göttlichen Kraft des Heiligen Geistes, die in ihr lebt. Die Christenheit der Gegenwart hat sich weitgehend der im Argen liegenden Welt angepasst. Aber die Achtung oder auch nur die Duldung dieser Welt hat sie dadurch nicht gewonnen. Die Feindschaft der Welt trifft auch die erschlaffte und müde gewordene Christenheit von heute. Die Schläge der Feinde treffen auch die bequem gewordene Kirche – vermutlich nach Gottes Absicht. In der Vorsehung Gottes braucht die Kirche Verfolgungen, damit ihre Glieder aufgeweckt und aufgeschreckt werden, damit sie von Sattheit und Bequemlichkeit aufstehen. Es gibt freilich auch den Fall, dass Diener der Kirche von allen Verfolgungen verschont bleiben. Ja, es kommt vor, dass sie in den Massenmedien wohl gelitten sind. Wie erklärt es sich, meine lieben Freunde, dass in der heutigen Zeit ein Bischof Ehrung um Ehrung empfängt und einen Preis nach dem anderen erhält? Wird er deswegen geehrt, weil er sein Amt kraftvoll verwaltet? Den Inhalt des Glaubens ohne Abstriche verkündigt und seine Diözese rastlos durcheilt? Oder wird er geehrt, weil er von alledem nichts tut?! Vielmehr die außer Rand und Band geratene Wohlstandsgesellschaft bedient? Vielleicht sollte er sich an das Wort des Apostels Jakobus erinnern: „Wisst ihr nicht, dass die Freundschaft mit der Welt Feindschaft gegen Gott ist? Wer also Freund der Welt sein will, der macht sich zum Feinde Gottes.“ Wer sich der Pflicht für die Wahrheit Zeugnis abzulegen entzieht, den belohnt die Welt. Gott lässt zu, dass seine Kirche geschmäht, befehdet, verfolgt wird. Das ist ein Geheimnis des göttlichen Heilsplanes, dass die Braut Christi auch die Wundmale Christi tragen muss. Meisterschicksal und Jüngerschicksal sind eng miteinander verbunden. „Wenn die Welt euch hasst, denkt daran, dass sie mich vor euch gehasst hat.“ Der Knecht ist nicht mehr als sein Herr. Die Geschichte zeigt, dass die Kirche solche Verfolgungen braucht. Als im 19. Jahrhundert der Erzbischof von Köln von der preußischen Polizei ins Gefängnis gebracht wurde, da setzte die katholische Erneuerung des 19. Jahrhunderts ein, mit diesem Ereignis. Das Kölner Ereignis hat die Katholiken aufgeweckt. Der Geist der Wahrheit, den der Herr gesandt hat, ist kein Geist der satten, behaglichen Ruhe. Er ist ein Geist des Kampfes. Nur im Kampfe erstarken Glaubenstreue und Glaubenseifer. Und wir sind berufen, meine lieben Freunde, an diesem Kampfe teilzunehmen. Nicht mit äußeren Waffen, sondern mit den Waffen der Treue, der Opferbereitschaft, des Gebetes und der Liebe, mit der Kraft eines reinen, überzeugenden und beispielhaften Christenlebens. Dann werden wir das Wort des Herr erfüllen: „Auch ihr sollt Zeugnis von mir ablegen.“

Amen.      

 

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