Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
9. Juni 2013

Man kann sich den Himmel verdienen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Vor wenigen Tagen fragte mich eine Dame aus unserer Gemeinde: „Kann man sich den Himmel verdienen?“ Mit dieser Frage sind das Verdienst, seine Möglichkeit und seine Berechtigung angesprochen. Kann man sich den Himmel verdienen, so fragte die Dame. Die Grundlage des Verdienstes sind die guten Werke. Wer vom Verdienst sprechen will, muss zuerst von den guten Werken sprechen, denn verdienstlich sind eben nur gute Werke. Wir wollen deswegen zwei Sätze aufstellen und über sie nachsinnen. Erstens: Gute Werke sind notwendig, um das Heil zu erlangen. Zweitens: Gute Werke sind verdienstlich vor Gott.

Der erste Satz lautet: „Gute Werke sind notwendig, um das Heil zu erlangen.“ Was sind gute Werke? Gute Werke sind freie Handlungen des Menschen, die nach Inhalt und Absicht mit dem göttlichen Gesetz übereinstimmen. Diese alle sind gute Werke: Freie Handlungen des Menschen, die nach Inhalt und Absicht mit dem göttlichen Gesetz, also mit den Geboten, übereinstimmen. Gute Werke werden unterschieden in natürlich gute Werke und in übernatürlich gute Werke. Die natürlich guten Werke stammen allein aus den sittlichen Kräften des Menschen, aus der bloßen Natur. Der Mensch kann auch im gefallenen Zustand manches natürlich gute Werk ohne Gnadenhilfe vollbringen. Die natürlich guten Werke haben zwar für die Übernatur keine Bedeutung, aber sie räumen die Hindernisse hinweg, die der Gnade den Weg verwehren. Luther war ganz anderer Ansicht. Er lehrte: „Der Gerechte sündigt in jedem guten Werke.“ Wie kann man einen solchen Unsinn sagen! Dem gefallenen Menschen und dem ungläubigen Menschen muss auf Grund seiner verbliebenen geistigen Natur die Befähigung zu sittlich guten Werken zugesprochen werden, die grundsätzlich ohne aktuelle wie habituelle Gnade und ohne Glauben geschehen können. Das ist tröstlich, weil einer, der in der Todsünde lebt, nicht meinen muss: „Ich kann jetzt nichts mehr tun für mein Heil.“ O ja, er kann selbst in der Todsünde noch gute Werke verrichten, natürlich gute Werke, die der Gnade den Weg bereiten. Die übernatürlich guten Werke stammen aus der Gnade als ihrem vorzüglichen Prinzip. Sie sind von einem übernatürlichen Motiv getragen, und sie sind auf den übernatürlichen Endzweck hingerichtet. Die guten Werke des Gerechtfertigten, die guten Werke im Gnadenstande, sind Taten Gottes, die vom Wirken des Menschen aufgenommen und zur menschlich geschichtlichen Aktualität gebracht werden. Sie sind ganz Werke Gottes und ganz Werke des Menschen, aber unterschieden durch die je eigentümliche Wirkweise. Gott als dem Allverursacher kommen die guten Werke absolut und selbständig zu. Dem Menschen als der Zweitursache kommen sie in Abhängigkeit und als gnadenhafte Teilhabe an Gott zu. Also kein Widerspruch, wenn wir sagen, gute Werke sind sowohl die Taten Gottes als auch die Taten des Menschen, nämlich jeweils in verschiedener Richtung. Wenn man ohne nähere Bezeichnung von guten Werken spricht, so sind die im Stande der heiligmachenden Gnade verrichteten Handlungen gemeint. Man muss, meine lieben Freunde, nichts Außergewöhnliches tun, um gute Werke zu verrichten. Nicht bloß beten, fasten und Almosen geben sind gute Werke, sondern alles, was wir als Gerechtfertigte in richtiger und sachlicher Weise nach Gottes Willen tun, das sind gute Werke. Unsere Berufsarbeit, unsere häuslichen Pflichten sind gute Werke, wenn sie in der rechten Absicht und im Gnadenstande geschehen.

Es ist ein Dogma der katholischen Kirche, dass der Gerechtfertigte gute Werke vollbringen muss. Gute Werke sind notwendig. Denken Sie an Johannes den Täufer. „Jeder Baum, der keine Frucht bringt, wird ausgehauen und ins Feuer geworfen.“ Das sind die guten Werke, die man bei ihm vermisst. Denken Sie an das Gleichnis von den Talenten. Der faule Knecht, der nicht gearbeitet hat, wird in die Finsternis hinausgeworfen, weil er keine guten Werke aufzuweisen hat. Gute Werke sind heilsnotwendig. „Nicht jeder, der zu mir sagt, Herr, Herr, wird in das Himmelreich eingehen, sondern wer den Willen meines himmlischen Vaters tut.“ Dem reichen Jüngling sagt der Herr: „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote.“ Das sind die guten Werke, die von dir verlangt werden. Jakobus, der Apostel Jakobus, hebt wie kein anderer neutestamentlicher Autor die Notwendigkeit, die Heilsnotwendigkeit der guten Werke hervor. „Was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber keine Werke? Kann ihn der Glaube retten?“ Er erinnert sich eben an das, was der Herr gesagt hat: „Was ihr einem der Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.“

Gute Werke, nun, das ist der zweite Satz, sind verdienstlich vor Gott. Es ist ein Dogma, ein Glaubenssatz unserer Kirche: Die guten Werke der Gerechtfertigten sind vor Gott wahrhaft verdienstlich. Wer getreu bis zum Ende wirkt und auf Gott hofft, dem stellt der Herr das Ewige Leben in Aussicht. Zugleich als Gnade, also als unverdientes Geschenk, und zugleich als Lohn, der für gute Werke ausgezahlt wird. Christus lässt eben in die Gerechtfertigten unaufhörlich seine Kraft einströmen, und diese Kraft geht ihren Werken voraus, damit sie geschehen. Sie begleitet sie und folgt ihnen nach. Ohne sie könnte kein Werk verdienstlich vor Gott sein. Meine lieben Freunde, ich habe Sie gelegentlich hingewiesen auf frühere Konzilien. Und hier möchte ich das Konzil von Orange in Südfrankreich erwähnen, aus dem Jahre 529. In dieser frühen Zeit hat das Konzil von Orange gelehrt: „Den guten Werken wird Lohn geschuldet, wenn sie geschehen. Die Gnade Gottes aber, die nicht geschuldet wird, geht voraus, damit sie geschehen.“ Hier ist in einer, ich möchte sagen, geradezu erleuchteten Weise das Prinzip der katholischen Verdienstlehre ausgesprochen. Den guten Werken wird Lohn geschuldet, wenn sie geschehen. Die Gnade Gottes aber, die nicht geschuldet wird, sondern frei ist, geht voraus, damit sie geschehen. Das Konzil von Trient hat die Verdienstlehre ein für allemal gültig und immer bleibend vorgetragen. Das Konzil weist darauf hin, dass zwar die Schrift das Wort Verdienst nicht kennt, aber die Schrift spricht vom Lohn, von der Vergeltung, vom Siegespreis, von der Krone in gleichem Sinne, wie wir vom Verdienst sprechen. Der Lohn ist kein Anspruch, den der Mensch bei Gott geltend machen könnte, sondern Gnade. Es ist Gnadenlohn. Es ist ein frei gewährter, nicht ein geschuldeter Lohn. Aber Gott hat sich verpflichtet, Lohn zu zahlen für den, der gearbeitet hat. „Siehe, ich komme bald“, heißt es in der Apokalypse des Johannes, „und mit mir mein Lohn, um einem jeden nach seinen Werken zu vergelten.“ Durch die Verdienstlehre der Kirche wird nicht eine neue menschliche Selbstherrlichkeit aufgerichtet, als ob man sich rühmen könnte der Verdienste. Nein, die Verdienste gründen ja in der Kraft Gottes und nur in ihr. Der Mensch kann übernatürliche Werte schaffen, weil und sofern Gott sie durch ihn schafft. Er kann nur in der Schöpferkraft Gottes schöpferisch werden. Aber in dieser Kraft wird er auch schöpferisch. Denn wenn der von Gott ergriffene und durchherrschte Mensch tätig wird, dann wird Gott durch ihn tätig. Es sind Gottes eigene Werke, von denen wir sagen, dass sie verdienstlich sind. Und deswegen beten wir ja auch in der Präfation von Allerheiligen: „Wenn du, Gott, ihre Verdienste krönst, krönst du deine Werke.“ Der von Gott zur Freiheit geschaffene Mensch wirkt in freier Entscheidung und Verantwortung in der Kraft Gottes die Werke Gottes. Aber Gottes Taten sind zugleich Menschentaten. Wie immer man sich das Zusammen von göttlicher Wirksamkeit und menschlicher Mitwirksamkeit erklären mag, es ist sicher, dass eine Verantwortung des Menschen für die guten Werke bleibt und dass er dafür von Gott Lohn erhält.

Was kann man sich denn verdienen? Das Konzil von Trient gibt darauf die Antwort. Man kann sich verdienen den Zuwachs an Gnade, das Ewige Leben und die Vermehrung der himmlischen Herrlichkeit. Drei Dinge nennt das Konzil von Trient: Vermehrung der Gnade, das Ewige Leben und Zuwachs an Herrlichkeit. Es lautet also die Antwort auf die Frage, die mir die Dame gestellt hat: Man kann, ich setze hinzu, man muss sich den Himmel verdienen.

Damit vonseiten des Menschen ein Verdienst zustande kommt, sind einige Bedingungen notwendig. Erstens: Der Mensch muss noch auf dem Wege sein – in statu viatoris – also noch im irdischen Leben. Nach dem Tode sind keine Verdienste mehr möglich. Jetzt ist die Zeit der Aussaat. Jetzt ist der Tag der Arbeit. Darin liegt auch der gewaltige Ernst des menschlichen Lebens. Zweitens: Wer Verdienste erwerben will, muss im Stande der Gnade sein, d.h. er muss übernatürlich geheiligt und göttlichen Lebens teilhaftig sein. Drittens: Das Werk, das er verrichtet, muss eine freie, sittlich gute Handlung sein. Es muss also mit wahrer innerer Willensfreiheit verrichtet werden. Es kann aber auch jedes gute Werk zum Verdienst werden. Auch das pflichtmäßig geleistete, auch unsere tägliche Arbeit im Beruf und im Haus. Auch das kann und soll Verdienst werden. Viertens: Der Beweggrund des verdienstlichen Handelns muss die Liebe zu Gott sein. Nach Paulus sind alle, auch die größten Werke, nichtig, wenn sie nicht aus Liebe geschehen. „Und wenn ich meinem Leib zum Verbrennen gäbe, hätte aber die Liebe nicht, ich wäre nichts.“ Nach Jakobus wird der in der Prüfung Bewährte die Krone des Lebens empfangen, die Gott denen verleiht, die ihn lieben. Wer liebt, arbeitet im wahren Sinne für Gott und seine Sache. Wer liebt, handelt aus vollkommener innerer Freiheit. Beides macht die Taten des Lohnes würdig. Es genügt die habituelle, also die einmal erweckte und anhaltende Gesinnung der Liebe, um gute Werke zu verrichten. Ein aktuelles Denken an Gott ist nicht notwendig. Das ist ein großer Trost, meine lieben Freunde. Ein aktuelles Denken an Gott ist nicht notwendig. Es genügt, die einmal erweckte Haltung der Liebe, um das ganze Wirken als gute Werke Gott darzubringen. Man spricht hier gewöhnlich von der guten Meinung. Gute Meinung ist die Absicht, alles zur Ehre Gottes oder aus Liebe zu Gott zu tun. Diese gute Meinung allerdings erlässt uns Gott nicht. Sie müssen wir haben. Das ergibt sich aus dem Wesen der Sittlichkeit und aus den ausdrücklichen Geboten Gottes. Es fragt sich, wie oft wir die gute Meinung erwecken müssen, damit unser Handeln übernatürlichen Wert erhält. Nun, ich sage noch einmal: Die jeweils eigene Erweckung der guten Meinung ist zur Verdienstlichkeit des Handelns nicht notwendig. Es genügt, wenn wir sie einmal gesetzt haben und nicht widerrufen. Aber freilich, wir sind Gefahren und Versuchungen ausgesetzt. Die gute Absicht bei uns kann sich abschwächen. Wir wissen ja, wie wir nach der Beichte gewöhnlich gut anfangen, und dann lauer werden. Und deswegen empfiehlt sich die regelmäßige Erweckung der guten Meinung. Ich halte es für außerordentlich verdienstlich, täglich die gute Meinung zu erwecken. An jedem Tage zu sprechen: „O Gott, lass mich diesen Tag zu Deiner Ehre, zum Heile meiner Seele, zum Segen für meine Mitmenschen verbringen.“ Wenn Sie das sprechen, meine lieben Freunde, da sammeln Sie wahrhaft Schätze für den Himmel. „O Gott, lass mich diesen Tag zu Deiner Ehre, zum Heile meiner Seele, zum Segen für meine Mitmenschen verbringen.“

Wir wissen alle, dass das Gerichtsurteil Gottes, nach unserem Tode, nach den Werken erfolgt. Jeder erhält Strafe oder Lohn nach dem, was er getan oder unterlassen hat. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit guter Werke, um im Gericht bestehen zu können. Das gute Handeln, die guten Werke sind den Menschen zum Heile unbedingt notwendig. Sie sind nicht die Wirkursache des Heils, sie schaffen nicht das Heil, aber sie sind die Bedingung, die Bedingung, von der Gott sein barmherziges Urteil abhängig macht. „Seid bestrebt, eure Berufung und Auserwählung durch gute Werke sicherzustellen“, heißt es im 2. Petrusbrief. „Seid bestrebt, eure Berufung und Auserwählung durch gute Werke sicherzustellen.“

Ich wurde gefragt: „Kann man sich den Himmel verdienen?“ Ich antworte: „Ja, man kann, man soll, man muss ihn sich verdienen.“ Man muss die guten Werke vollbringen, die dem göttlichen Richter ermöglichen, das Urteil zu fällen: „Du guter und getreuer Knecht, du gute und getreue Magd, weil du über Weniges getreu gewesen bist, will ich dich über Vieles setzen. Geh‘ ein in die Freude deines Herrn.“

Amen. 

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