Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. August 2010

Mariens Heimgang in die Herrlichkeit des Sohnes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Aufnahme Mariens in den Himmel Versammelte!

Mariä Heimgang nennen wir das Fest, das wir heute begehen. Es gibt in unserer Sprache kein schöneres, kein trauteres Wort für das Sterben eines Menschen, als wenn wir von seinem Heimgang sprechen. Sterben ist ein Heimgang, weil sein Ziel, der Himmel, unsere Heimat ist, unsere wahre Heimat. Und wenn wir gar an das Sterben der Gottesmutter denken, dann können wir es nicht anders als einen Heimgang betrachten. Alles Schöne und Lichte, das im Gedanken an die Verklärung, an die ewige Ruhe, an die Verherrlichung, an die Vollendung inbegriffen ist, legen wir in dieses Wort: Mariä Heimgang.

Es ist volkstümlich, von Mariä Himmelfahrt zu sprechen. Aber das ist nicht ganz korrekt. Die Himmelfahrt, die ascensio, der Aufstieg, ist Christus vorbehalten. Er ist aus eigener Kraft dem Grab entstiegen und in den Himmel aufgestiegen. Maria hat keinen Aufstieg, sondern eine Aufnahme erlebt, eine assumptio. Also das, was mit ihr geschehen ist, war passiv, nicht aktiv wie bei ihrem Sohne.

Nach einem uralten Glauben, den die begeisterte Liebe in den Herzen der Marienverehrer hat aufblühen und tiefe Wurzeln schlagen lassen, nach diesem uralten Glauben ist Maria schon – anders als wir – mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden. Es wurde jahrhundertelang von der Kirche geglaubt, aber es fehlte die letzte Sicherheit. Die Sicherheit hat diesem Glauben Papst Pius XII. verschafft, als er am 1. November 1950 auf dem Petersplatz in Rom verkündete: „Es ist eine von Gott geoffenbarte Glaubenswahrheit, dass die unbefleckte, immer jungfräuliche Gottesmutter Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufs mit Leib und Seele zur himmlischen Herrlichkeit aufgenommen worden ist.“ Diese Glaube birgt für den keine Denkschwierigkeiten, der überhaupt an die Auferstehung des Leibes glaubt. Christus führt ja seit seiner Auferstehung ein leibliches Leben, und auch wir werden nach Ablauf der irdischen Geschichte einmal auferstehen in einem verklärten Leibe. Warum sollte der Auferstandene nicht seine Mutter, die Mutter des Auferstandenen, mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit geholt haben? Warum hätte sie warten müssen bis zur letzten, bis zur endgültigen, bis zur allgemeinen Auferstehung der Toten? Wenn Jesus sagt: „Wo ich bin, da soll mein Diener sein“, dann muss erst recht seine Mutter sein, wo er ist, also in der himmlischen Herrlichkeit.

Der Heimgang Marienserrli geschah durch den Tod, durch das dunkle Tor des Todes. Es gibt vereinzelt Theologen, die meinen, Maria sei nicht gestorben. Ich halte das für unbegründet. Maria wollte doch in allem ihrem Sohne ähnlich sein, auch im Todesschicksal. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit ihrem Sohne, meine ich, mußte sie den Tod erleiden. Aber die Todespforte, durch die Maria schritt, ist wie in Licht getaucht, ist wie in Licht gehüllt. Am Sterbebett einer Mutter sind wir von Trauer und Leid erfüllt. Im Sterben der Mutter wissen wir: Sie geht von uns, sie läßt die Kinder zurück, die Kinder verlieren ihre Mutter. Aber bei dieser Mutter ist es anders. Sie geht fort, sie geht heim, und wir erhalten eine Mutter. Am Sterbebett dieser Mutter können wir nicht von Trauer, Reue, Bitterkeit und Leid erfüllt sein. Das ist ein Lichtfest, das ist ein Erntefest, das fröhliche Einbringen einer reif gewordenen Ernte. Maria ist heimgekommen und ist uns nahe gekommen. In schönerer Gestalt kann der Tod nicht erscheinen als bei Maria. Blühender kann ein Sterben nicht gedacht werden als das ihre. Maria ist heimgekommen.

Das ist die erste und wichtigste Bedeutung ihres Sterbens. In dieser Stunde, da ihr irdisches Leben endete, begann eigentlich erst ihr wahres Leben. Ihr irdisches Leben mit seinen Freuden und Schmerzen hat da seine Erfüllung gefunden. Dieses Sterben war nicht ein Aufhören, es war ein Einmünden. Nun wissen wir ja, und es ist uns oft genug gesagt worden, dass unser irdisches Leben nur eine Aussaat ist, eine Vorbereitung, ein Vorspiel, eine Wanderung, ein Anfang. Und das ist richtig. Wir wissen, dass das Ziel und die Ernte jenseits des Todes liegt. Und dennoch, wenn wir am Sterbebett, wenn wir am Grab eines lieben Menschen stehen, wenn wir dem Tod oder dem Sterben eines lieben Menschen zuschauen, dann ertappen wir uns immer wieder bei einem tiefen Erschrecken vor diesem ausweglosen Leid. Nun ist es aus; nun ist dieses kostbare und geliebte Leben zu Ende. Nun ist alles vorbei. Aber siehe, wenigstens in einem Falle vermag sich auch unser Empfinden über diese kurzsichtige Ansicht zu erheben. Wenn wir an das Sterben der Gottesmutter denken, dann wissen wir, und dann fühlen wir es, dass mit diesem Sterben kein Ende gekommen ist, sondern dass ihr Sterben sie zum Höhepunkt ihres Lebens führte, nämlich zum Heimkommen zu ihrem Sohn und ihrem Gott. Sie kam heim zu dem Wesen, für das sie gelebt hatte, ja für das sie geschaffen war. Ich glaube nicht, dass irgendein Mensch die Zusammengehörigkeit, das Zusammensein, das Eins-Sein dieser beiden Menschen Jesus und Maria auch nur annähernd sich vorzustellen vermag. Wir wissen doch, meine lieben Freunde, die Liebe und die Verbundenheit zwischen Menschen wächst mit der Größe und Weite, mit der Reife und Heiligkeit ihrer Seelen. Je reifer, je heiliger ein Mensch, um so mehr vermag er zu lieben. Und dann muss aber auch bei Maria die Liebe zu ihrem Gipfelpunkt gekommen sein; sie ist ja der höchststehende aller Menschen. Und deswegen kam sie heim zu ihrem Sohne und zu ihrem Gotte. Es war etwas Einzigartiges an ihrem Heimgang, dass sie nicht nur zu Gott heimkam, sondern zu ihrem Kind. Hier trat der Fall ein, der sonst nicht mehr möglich ist, nämlich dass ein Abstand und eine Spannung, die zwischen den Menschen und zwischen Gott ist, aufgehoben ist und nicht mehr existiert. Es ist unsere lebenerfüllende, schmerzliche Aufgabe, den Abstand zu überbrücken, unseren Gott nicht zu verlieren, indem wir die Menschen lieben und umgekehrt von den Menschen sich nicht zu entfernen, indem wir uns Gott weihen. Dieser Abstand ist in Maria aufgehoben. Indem sie ihr Kind liebt, indem sie ihr Kind trägt, dient sie ihrem Gotte. Wenn sie sich nach ihrem Kinde sehnt, dann ist sie in Gott geborgen. Wenn sie den Menschen liebte, den sie geboren hat, dann ging sie ohne weiteres in Gott ein. Und ihr Heimgang war eben eine Heimkehr zu ihrem Kinde, zu Christus, ihrem Gott. Ein einzigartiger Vorgang, wo Natur und Übernatur sich vermählt haben.

Ganz so kann es bei uns ja nicht sein, aber annähernd. Je mehr Christus, der liebste aller Menschenkinder, unser Herr und Freund und Meister wird, um so mehr wird auch Gott selbst unseres Herzens Gott und unser Anteil sein. Je mehr unsere Sympathien und unsere Sehnsucht sich an Jesus klammern, um so mehr werden wir auch Gott, der in diesem liebenswürdigsten aller Menschen vorhanden ist, vereint. Und auch auf eine andere Weise können wir heimgehen, den tröstlichen Heimgang gewinnen, den Maria von ihrem Herrn empfangen hat, wenn wir nämlich ganz tief den Menschen verbunden sind, die selbst wieder ganz tief in Christus leben. Wenn wir also mit Maria, mit den Heiligen, mit einem anderen von Christus glühenden Menschen verbunden sind, dann wird unser Heimkommen dereinst ähnlich dem Mariens. Wir werden heimkehren zu dem Menschen, den wir liebten, und es wird eine Heimkehr zu unserem Heiland sein, in dem jener Mensch lebte und liebte.

Wie töricht ist es, meine Freunde, wenn von Andersgläubigen unsere Marienverehrung angezweifelt, beschnitten wird. Zu dem Kardinal Mercier in Brüssel sagte einmal ein protestantischer Theologe: „Ich gehe unmittelbar zu Gott.“ „Ja“, sagte der Kardinal, „das tue ich auch. Nur gehe ich an der Hand der Mutter!“ Wir werden eingehen zu Gott, und wir werden dort die Menschen finden, denen unser Herz und unser Blut, denen unsere Sehnsucht und unsere Liebe gegolten hat. Wenn zwei oder mehr Menschen unter sich verbunden sind in einer Liebe, die in Christus geborgen ist, wenn sie also gleichsam mit einer einzigen Liebe einander und den göttlichen Meister lieben, dann ist auch ihr Heimkommen im Grund ein einziges. Sie kommen heim zu dem Menschen, sie finden den Menschen, und sie kommen heim zu Gott, und sie finden Gott. Ein ewiges Wiedersehen miteinander und gerade dadurch ein ewiges Aufschauen zu Gott. Wir finden in jedem Herzen, das wir wahrhaft liebten, das Herz unseres Erlösers, weil es darin schlägt. Und im Herzen Jesu finden wir jedes andere Herz, das uns wirklich gehörte, weil wir es von ihm empfangen haben.

In solcher Weise mußte also auch Maria, als sie zu ihrem Sohne heimkam, dort jedes Menschenherz treffen. Im Herzen ihres Sohnes mußte sie jedem Menschen verbunden sein, der in diesem Herzen lebt. Alle Christusjünger mußte sie dort treffen. Allen mußte sie nahe kommen. Und so war ihr Heimkehren nicht nur ein Heimkommen zu ihrem Sohne, es war auch ein Eintritt in die Mitte, in der ihr Sohn steht: in die Mitte aller seiner Heiligen, in die Mitte seiner Engel, in die Mitte seiner Kirche. Indem sie zu ihm kam, kam sie auch zu allen Gläubigen, kam sie zu uns allen. Wir erhielten an diesem Tage unsere Mutter, die Mutter, die für uns geschaffen und für uns gekrönt war, die für uns tätige und beinahe allmächtige Mutter, denn ihr Macht ist nur noch abhängig von der Nähe, in der sie bei ihrem Sohne steht. Diese Nähe aber ist nun ins Unbegrenzte gewachsen, denn sie kann nicht mehr größer werden.

Amen.

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