Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
24. Januar 2010

Das Gebot der Feindesliebe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Rächet euch nicht selbst, vielmehr: Wenn dein Feind hungert, gib ihm zu essen, wenn ihn dürstet, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, sammelst du Feuerkohlen auf sein Haupt. Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute!“ Diese Worte haben wir soeben in der Lesung aus dem Römerbrief gehört. Aber die Worte stammen gar nicht von Paulus, sie sind aus dem Alten Testament übernommen. Jawohl, da steht schon im Buche der Sprichwörter: „Wenn dein Feind hungert, so speise ihn, wenn ihn dürstet, so tränke ihn mit Wasser, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln, und der Herr wird es dir vergelten.“

Unsere erste Reaktion auf solche Worte ist Unbehagen. Wir wissen, was Feindschaft ist: wenn uns ein Mensch dauernd nachstellt, wenn er uns verleumdet, wenn er uns die Wirkmöglichkeiten abschneidet, wenn er im Geheimen gegen uns hetzt. Manche von uns kennen solche Feinde. Wer so mit uns umspringt, ist unser Feind. Die Saat, die er aussät, geht furchtbar auf. Die gewöhnliche Reaktion ist, dass die Menschen empört sind, dass sie zornig werden, dass sie auf Rache sinnen. Blutrache ist immer noch in manchen Gegenden unseres Erdballs eine gewöhnliche Form, wie man sich an seinem Feinde rächt.

Aber viele, die uns wehtun, sind keine Feinde. Wir täuschen uns manchmal. Sie sind nur anders, fremdartig, unserem Wesen zuwider. Das gibt es natürlich. Der schottische Schriftsteller Bruce Marshall läßt in einem seiner Romane den Kardinal von Paris sprechen: „Um Christi willen die Leute zu lieben, konnte man satt werden. Es waren ihrer zu viele, die man allein um Christi willen lieben sollte.“ Es waren ihrer zu viele, die man allein um Christi willen lieben sollte. Es gibt eben Menschen, die einem auf die Nerven gehen, ihre Art oder ihre Unart macht es uns schwer, sie anzunehmen, wohlwollend gegen sie zu sein und sie klaglos zu ertragen. In demselben Romane von Bruce Marshall wird dem Abbé Gaston die Gesinnung zugeschrieben: „Im Gedränge der Untergrundbahn fiel es ihm schwer, die Menschen zu lieben.“

Wir kennen taktlose und schwatzhafte Menschen, die über uns herziehen, unsere Unvollkommenheiten vergröbern, den Splitter im Auge des Nächsten sehen, aber nicht den Balken im eigenen Auge. Und darin steckt tatsächlich ein Keim zur Feindschaft. Wir kennen auch die Gereiztheit vieler Menschen, überarbeitet, erschöpft, am Ende der Kraft. Wir kennen ihre Minderwertigkeitsgefühle, ihre leib-seelischen Konflikte, ihre Verdrängungen. Wir wissen auch um das Erbe, das in ihnen haust, die Veranlagung, das Verhängnis. Daraus können sich Feindschaften entwickeln. Sie suchen ein Ventil, und das Ventil ist der andere. An dem reagieren sie sich ab. So etwas gibt es.

Wir sollten solche Feindschaften nicht erst aufkommen lassen, Kränkungen, Verletzungen, Enttäuschungen einfach übersehen, vergessen, in Demut hinnehmen. Einer unserer Fehler ist, meine lieben Freunde. dass wir zuviel von den Menschen erwarten: Das muss er tun. Das kann ich erwarten. Nichts muss er tun. Nichts mußt du erwarten. Alles kann man übersehen, mit allem kann man fertig werden in Demut und in Nächstenliebe. Manchmal hilft auch das Aussprechen. Sie haben vielleicht gehört, dass die Frau des Ministerpräsidenten von Nordirland ein Verhältnis unterhält, was den Gatten natürlich schwer trifft und das ganze Land mit ihm. Aber diese Erscheinung hat dazu verholfen, dass der stellvertretende Ministerpräsident von Nordirland, der mit dem anderen in Dauerfeindschaft lebte, ihm die Hand gereicht hat, und er hat die Hand angenommen. Sie haben sich über dem außerehelichen Verhältnis der Frau des Ministerpräsidenten versöhnt.

Das ist eine Auswirkung der Bruderliebe, die der Herr uns lehrt. Er will, dass wir alle Menschen als unsere Brüder ansehen, und er hat die Nächstenliebe der Gottesliebe gleichgestellt. Er will, dass wir nicht nur ihn selbst lieben, sondern auch alle seine Geschöpfe. Er nimmt den Menschen, also sein Geschöpf, als seinen eigenen Bruder an und sagt: „Was immer ihr dem geringsten meine Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Man könnte es auch umdrehen: Was immer ihr dem geringsten meiner Bruder nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan. Also die Gottesverehrung ist unteilbar. Die Gottesverehrung ist verknüpft und untrennbar verbunden mit der Nächstenliebe. Das ist eben das Verhängnis, dass nicht immer Christlichkeit und Kirchlichkeit zusammengehen, dass manche kirchlich sind, aber nicht christlich handeln.

Sie haben gehört von dem Ministerpräsidenten von Simbabwe, Robert Mugabe. Er hat sein Land zugrunde gerichtet, hat die Weißen vertrieben, den Boden aufgeteilt. Der Hunger regiert in seinem Lande. Aber Robert Mugabe geht jeden Sonntag in die Kathedrale zur heiligen Messe.

Das Geheimnis der wahren Religion ist die Echtheit christlichen Lebens. Die Liebe zum Mitmenschen ist so bedeutsam, weil sie eine Ausweitung der Gottesliebe ist, ja sie ist der Beweis für die Gottesliebe. Wenn wir wissen wollen, ob wir Gott lieben, brauchen wir nur zu fragen: Lieben wir den Nächsten? Wenn wir das bejahen können, dann dürfen wir auch gewiß sein, dass wir Gott lieben. Religion ist eben die schwere Aufgabe, Gott zu lieben und es gleichzeitig fertigzubringen, den Nächsten zu lieben.

Die Nächstenliebe beginnt im Denken. Viele Fehler gegen die Liebe haben ihre Wurzel in der Voreingenommenheit. Wir achten die anderen nicht in ihrer Andersartigkeit, wir lassen ihre guten Eigenschaften wenig oder gar nicht gelten. Wir sind nicht wohlwollend im Deuten ihres Tuns. Warum? Weil wir den anderen fast immer nach seinen Fehlern beurteilen. Alles, was unsere Empfindlichkeit trifft, das rechnen wir ihm an. Wir glauben lieber das Böse als das Gute von unserem Nächsten. Da setzt Gott mit dem Gebot der Feindesliebe ein: „Liebet eure Feinde! Tuet Gutes denen, die euch hassen! Betet für die, die euch verleumden!“ Also Gutes tun gerade denen, die uns nichts Gutes tun. Tut Gutes denen, die euch hassen! Betet für die, die euch verleumden. Wir dürfen also den Feind nicht von der allgemeinen Menschenliebe ausschließen.

Es ist keine Pflicht, dem Feind eine besondere Liebe zu erweisen. Wir sind ihm nicht spezielle Erweise der Liebe schuldig. Die Pflicht der Feindesliebe besteht darin, dass wir gewillt sind, ihm in der Not zu helfen. Weiter geht die Pflicht nicht. Die Pflicht der Feindesliebe besteht darin, dass wir bereit sind, ihm in der Not zu helfen. Man kann mehr tun, und man soll mehr tun. Die Feindesliebe kann und soll weitergehen. Aber die Pflicht besteht eben nur in der Bereitschaft zur Hilfe, falls sie notwendig ist. Das hat die Theologie im Laufe der Jahrhunderte herausgearbeitet, und das ist richtig. Aber eines dürfen wir niemals in unserem Verhältnis zum Nächsten annehmen, nämlich das Verhältnis der Gegenseitigkeit. Wie du mir, so ich dir. Das ist mit dem christlichen Verhalten unverträglich. Wer vergelten will, stellt niemals die Gerechtigkeit her. Niemand bestreitet, dass den Polen im letzte Kriege Unrecht, gewaltiges Unrecht geschehen ist von Deutschen, von deutscher Seite. Aber dieses Unrecht wird nicht dadurch gutgemacht, dass von polnischer Seite Deutschen Unrecht getan wird, und die Vertreibung ist und bleibt ein Unrecht. Wer vergelten will, stellt niemals die Gerechtigkeit her.

Die Bruderliebe verpflichtet uns, dem Feinde die Geduld und die Nachsicht zu erweisen, die er uns gegenüber nicht zeigt. Wir nehmen unseren Ausgangspunkt von Gott. Er erweist seine Liebe zu uns dadurch, dass er seinen Sohn in den Tod geschickt hat, als wir seine Feinde waren. Jesus, unser Herr und Erlöser, hat seinen Feinden, seinen Peinigern und seinen Quälern, am Kreuze verziehen und hat seine Jünger zur Feindesliebe verpflichtet. Ja. er fordert ausdrücklich die Versöhnung: „Wenn dein Bruder etwas gegen dich hat, dann versöhne dich erst, und dann komm und opfere deine Gabe im Tempel!“ Opfern ist gut, aber erst die Versöhnung. Und er hat die Verzeihung Gottes davon abhängig gemacht, dass wir erst dem Nächsten verzeihen. „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben haben“, heißt es im griechischen Text, „wie auch wir vergeben haben.“ „Mit dem gleichen Maße, mit dem ihr meßt, wird euch gemessen werden.“ Erbarmen und Feindesliebe, das ist uns aufgetragen. Der Apostel Paulus hat sie uns vorgelebt. In seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt er: „Man flucht uns – wir segnen. Man verfolgt uns – wir dulden. Man lästert uns – wir trösten.“ Manche haben es verstanden, ihm in dieser Feindesliebe nachzufolgen. Ich hatte einen Freund, meine lieben Christen, der bei den Gebirgsjägern im Norden Europas, also in Lappland, eingesetzt war im letzten Kriege. Die Gebirgsjäger zogen sich dann zurück, da ja auch Finnland in den Krieg eintrat. Noch im Rückzug machten sie zwei russische Gefangene. Der Einheitsführer befahl meinem Freund: „Hornig“, sagte er, „Hornig, die erschießt du!“ Er wollte sich mit den Gefangenen nicht belasten. Was machte mein Freund Hornig? Er ging mit den Gefangenen abseits, gab zwei Schüsse in die Luft ab und ließ sie laufen. Feindesliebe! Nur nicht nach dem Grundsatz handeln: Wie du mir, so ich dir! Nur nicht nachtragen, nur nicht immer wieder auf erlittenes Unrecht zurückkommen. Der Apostel Paulus mahnt im Epheserbrief: „Laß die Sonne nicht untergehen über deinem Zorne.“ Das heißt: Bevor der Tag zu Ende geht, mußt du dich versöhnen. Laß die Sonne nicht untergehen über deinem Zorne! Der Zorn, der im Herzen zurückbleibt, vergiftet uns, meine lieben Freunde. Die seelische Gesundheit verlangt, dass wir vergeben, sobald wie möglich und so gründlich wie möglich vergeben. Durch den Verzicht auf Rache erweisen wir uns selbst den größten Dienst. Wer Groll und Rachedurst in sich trägt, vergiftet sich selbst. Von dem heidnischen Kaiser Marc Aurel stammt das Wort: „Die beste Art, sich an jemand zu rächen, ist die, nicht Böses mit Bösem zu vergelten.“ Die beste Art, sich an jemand zu rächen, ist die, nicht Böses mit Bösem zu vergelten. „Wir wissen“, schreibt der Apostel Johannes, „dass wir vom Tod zum Leben übergeschritten sind, weil wir die Brüder lieben.“ Er sagt nicht: „weil wir Gott lieben“, sondern „weil wir die Brüder lieben.“ Deswegen sind wir vom Tode zum Leben übergeschritten, weil wir die Brüder lieben.

Die Feindesliebe ist ein unablösbarer Bestandteil der Gottesliebe. Das ist eben das Christentum, dass es nicht mehr spricht: „Auge um Auge. Zahn um Zahn“, sondern dass es sagt: „Liebet eure Feinde! Tuet Gutes denen, die euch hassen und betet für die, die euch verfolgen.“ Eine Liebe, die sich von dem anderen abhängig macht, ist keine rechte Liebe, ist irgendwie gehemmt, fragwürdig, unschöpferisch, ohnmächtig. Die selbstlose Liebe liebt, ohne dass sie wiedergeliebt wird. Die selbstlose Liebe wagt das große Wagnis, zu lieben, ohne auf Vergeltung zu rechnen. Die wahre, selbstlose Liebe überwindet das Böse durch das Gute. Es gibt, meine lieben Freunde, nur einen Weg, den Feind zu besiegen: durch die Macht der Liebe.

Amen.

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