Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. Juli 2007

Der menschliche Mißerfolg der Heilsbotschaft

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Unser Heiland sitzt an den Halden von Jerusalem und weint. Es ist keine rührselige Angelegenheit, wenn der Herr über das unbußfertige Jerusalem Tränen vergießt. Es ist ein Starker, der weint, einer, dem der Wund und die Wellen gehorchen, einer, der die Toten aus dem Totenreich zurückruft. Er weint und gesteht damit seinen Misserfolg. An einer anderen Stelle sagt er von diesem Jerusalem: „Wie oft wollte ich deine Kinder sammeln, wie eine Henne ihre Küchlein sammelt, du aber hast nicht gewollt.“ Jerusalem hat sich nicht bekehrt trotz der Weisheitsrede des Herrn, trotz der Wunder, die er gewirkt hat. Die frommen Pharisäer, die gescheiten Schriftgelehrten, die mächtigen Sadduzäer, sie haben sich nicht bekehrt, sie haben sich vielmehr fast geschlossen gegen ihn gestellt, wie auch die Mehrheit der kleinen Leute. Christus hat Kapharnaum, seinen Lieblingsort, nicht bekehrt, und er hat Nazareth, seine Heimatstadt, nicht bekehrt. Der Misserfolg ist sein Reisebegleiter von Galiläa bis Jerusalem. „Wie oft habe ich gewollt – ihr aber habt nicht gewollt!“

In einem Gleichnis hat der Herr das Verhalten der Menschen geschildert, die zu einem Gastmahl geladen waren. Sie hatten lauter Ausreden. Der eine hatte ein paar Joch Ochsen gekauft, die wollte er ausprobieren, der andere hatte einen Acker erworben, den wollte er ansehen, wieder ein anderer hatte sich verheiratet und konnte deswegen nicht kommen. Ausflüchte, um dem großen Gastmahl zu entgehen, das der Herr bereitet. Auch seine Jünger haben ihn enttäuscht. Nicht nur dass einer ihn verraten und ein anderer ihn verleugnet hat, nein, es gab auch solche, die jeden Verkehr mit ihm abgebrochen haben, als er ihnen das eucharistische Geheimnis predigte. Sie gingen nicht mehr mit ihm, „denn diese Rede ist hart. Wer kann sie hören?“ So hat sich im Leben des Herrn eben das zugetragen, was wir am Karfreitag in den Klageliedern immer wieder vorgetragen bekommen: „Was hätte ich noch mehr tun sollen und habe es nicht getan? Ich habe dich gepflanzt als meinen Weinberg, alle Schönheit und alle Herrlichkeit war in dir, und doch bist du bitter mit mir geworden. Mit Essig hast du mich getränkt, und die Lanze hast du in mein Herz gestoßen.“

Hier tut sich ein Geheimnis auf, ein Geheimnis, das wie ein Abgrund ist, nämlich: Der Sohn Gottes will, der angesprochene Mensch will nicht. Und der Mensch siegt, wenigstens vorläufig. Gott sendet seinen eingeborenen Sohn, dass er die Menschen zur Umkehr ruft, aber sie lassen sich nicht zur Umkehr rufen. Die Botschaft des Herrn rührt sie nicht, die an sie gerichtet ist. Sie hören nicht auf die Wahrheit. Und Gott lässt es geschehen. Er hat Respekt vor der Freiheit des Menschen. Er zwingt ihn nicht von außen, und er überwältigt ihn nicht von innen. Der Respekt Gottes vor der Freiheit des Menschengeschlechtes ist so groß, dass er geschehen lässt, wenigstens bis zu einer gewissen Zeit, wenn die Menschen ihm, dem Herrn, den Krieg erklären, wenn sie die Religion abschaffen, wenn sie seine Boten töten. Kein Religionsstifter, meine Freunde, nicht Mohammed, nicht Buddha, nicht Moses, kein Religionsstifter hat am Ende seines Lebens soviel Misserfolg aufweisen müssen wie unser Heiland Jesus Christus. Vor dem gänzlichen Fiasko, vor dem Vergessenwerden hat ihn, menschlich gesehen, nur seine Auferstehung gerettet. Dann freilich gab es einen Siegeszug des Evangeliums. Er hat die griechischen Weltweisen bezwungen, er hat die römischen Herrscher bezwungen, der hat die slawischen und germanischen Fürsten bezwungen. Millionen und Abermillionen haben sich der Religion des Herrn zugewandt. Wir sprechen heute von einer Milliarde katholischer Christen. Dazu gibt es ja noch viele hunderte Millionen Christen anderer Art. Doch Vorsicht! Wenn wir näher hinschauen, kommen uns schwere Gedanken. Als ob alle, die den Namen Christi tragen, auch seiner Botschaft folgen würden; als ob alle, die da auf ihn getauft sind, auch von ihm gerettet werden. Und darüber dürfen wir nicht vergessen die Milliarden Ungetaufter, die diese Erde bevölkern.

Misserfolg haben auch seine Glaubensboten gehabt. Als Paulus in Korinth predigte, da wird berichtet, als er von der Auferstehung der Toten sprach, da verspotteten sie ihn und gingen weg. Andere sagten: „Wir wollen dich ein anderes Mal darüber hören.“ Und in Cäsarea sprach er vor dem Landpfleger Felix. Aber als er redete von der Gerechtigkeit, von der Enthaltsamkeit und vom Letzten Gericht, da erschrak Felix und sagte: „Für diesmal magst du gehen. Zu einer gelegenen Zeit will ich dich rufen.“ China und Indien, diese Milliarden Menschen, sind kaum vom Christentum berührt. In Vorderasien und Afrika gab es einmal eine Blüte des Christentums, Hunderte von Bischofssitzen. Bis der Halbmond das Kreuz zertrümmert hat. Und wie steht es im christlichen Abendland? Vom Ural über Paris bis San Francisco steht das Christentum weithin im Zeichen des Abfalls. Der Misserfolg gähnt uns heute an. Christus, der den Erfolg vorausgesagt hat, hat auch den Misserfolg gesehen und am Ende den Triumph des Antichristen.

Woher dieser Misserfolg? Wir machen es uns einfach, wenn wir sagen: Es liegt an unserer Schwachheit, unserer Unzulänglichkeit, unserer Trägheit. Ja, wir sind schwach, wir sind unzulänglich, wie sind träge! Wir haben noch lange nicht vollbracht, was wir hätten vollbringen sollen. Wir müssen uns anklagen, dass wir unnütze Knechte sind, gewiß. Aber das alles erklärt nicht den Misserfolg. Denn es gibt auch die Heiligen, die Misserfolg hatten, und Christus war kein Versager, und er hat Misserfolg gehabt. Ja, so hört man manchmal: Wenn alle Kirchenbesucher ganze Christen wären, dann würden wir die Welt im Fluge für Christus erobern. Gebt uns tausend für Christus Glühende, und wir heben das Land aus den Angeln. Welche Sprache, meine Freunde, welche Sprache! Diese tausend Glühenden sind schon da, in der Gestalt frommer Priester, eifriger Laien, starkmütiger Politiker und opfervoller Kranker. Diese tausend Glühenden sind schon da, aber vielleicht werden sie morgen tausend Martyrer sein und tausend Landesverwiesene und tausend Gefangene. Tausende dieser Glühenden sind in den Arbeitslagern gestorben. Auch die Heiligen hatten mehr Misserfolge als Erfolge. Gewiß, wir sind oft Versager, aber bei Christus ist kein Versagen und war dennoch Misserfolg. Es gibt auch heute einen christlichen Misserfolg, der nicht das Versagen der Kirche zum Vater hat. Gott hat auch heute Respekt vor der Freiheit der Böswilligen. Und so gibt es auch heute noch das Mysterium des Misserfolgs. Die Menschen verstopfen ihre Ohren, um nicht zu hören; sie schließen ihre Augen, um nicht zu sehen; sie verhärten ihre Herzen, um die Gnade nicht aufnehmen zu müssen. Sie gehen auch heute wieder ihren Geschäften und ihren Vergnügungen nach, statt sich zu bekehren und Gott die Ehre zu geben.

Jeder Priester, jeder katholische Laie, jeder Vater, jede Mutter wissen um den Misserfolg. Sie haben gelehrt und erzogen, sie haben gemahnt und gewarnt, und doch war wirklich oder scheinbar alles vergeblich. Der Misserfolg droht den Eifer zu lähmen und das Selbstbewusstsein des Glaubenskünders zu erdrücken. Arbeiten ohne Erfolg, Säen ohne Ernten, das ist bitter zu ertragen. Der Misserfolg kann schlimme Folgen nach sich ziehen. Seelsorger können müde werden und ihre Arbeit auf ein Minimum einschränken. Sie können sagen: Es hat ja doch keinen Zweck, alle Mühe ist umsonst, wir erreichen nichts. Und so gibt es Priester, die nur das Allernotwendigste tun. Ich mache mich nicht kaputt für eine aussichtslose Sache, so sagen sie. Ich habe einmal gehört, wie ein Priester mir sagte: „Mir kommt es vor, als ob ich mit Erbsen gegen eine Wand würfe.“ Die Seelsorger können sich wegen des Misserfolges harmlosen, doch scheinbar mehr befriedigenden Tätigkeiten zuwenden. Manche ergeben sich der Literatur, verfassen vielleicht selbst kleine Schriften, kurz: suchen ihre Befriedigung in Liebhabereien. Wer sich umschaut unter den Priestern, der weiß, dass es solche Fälle gibt. Die Seelsorger können sich auch anderen Tätigkeiten zuwenden. Manche gehen in die Politik. Sie meinen dort schnelle und sichtbare Erfolge erringen zu können. Indem die sozialen Verhältnisse verändert werden, scheint etwas erreicht zu werden. So erklärt es sich, dass in Südamerika Priester zu den Sandinisten gestoßen sind und sich einen Tarnanzug angezogen haben, um bei den Rebellen mitzumachen. So ergibt sich auch die Flucht des Stadtdekans von Wiesbaden aus der Seelsorge in die Politik. Die Seelsorger können versucht sein, Ersatz für die angebliche oder wirkliche Erfolglosigkeit ihrer Arbeit zu suchen in Fahrten und Reisen, in künstlerischen oder kulinarischen Genüssen. Es ist kein Zweifel, dass es so etwas gibt. Das alles sind Auswege, Abwege und Irrwege.

Der Misserfolg, der uns begleitet, der jeden begleitet, darf uns zwar traurig, aber nicht verzweifelt machen. Gott will unsere Arbeit, unseren Eifer und unser Gebet. Das allein muss genügen. Ob wir ernten dürfen, oder ob ein anderer ernten darf, das ist Gott anheimgegeben. Wer für Gott arbeitet, der muss etwas von der Langmut Gottes haben. Christus hat im Gleichnis verboten, das Unkraut mit dem Weizen auszureißen. Nur wer den Misserfolg ertragen kann, der ist ein geduldiger und beharrlicher Arbeiter im Reiche Christi.

Es ist aber auch noch eine andere Überlegung notwendig, nämlich: Manche Misserfolge sind nur scheinbar. Es gibt einen verborgenen Erfolg, und auf den dürfen wir hoffen, um den dürfen wir beten. Gott möge uns zwar den Erfolg verbergen, aber er möge wirken, was er in den Seelen wirken kann. Der Erfolg kirchlicher Arbeit ist schwer messbar. Wer kann genau angeben, in welcher inneren Haltung die Besucher der heiligen Messe den Gottesdienst mitfeiern? Wer kann in das Herz eines Büßers schauen, der seine Sündenlitanei dem Priester bekennt? Wer kann die Wirkung eines Hausbesuches, einer Predigt ermessen? Man muss Geduld haben, man muss warten können. Der Same geht manchmal spät, manchmal sehr spät auf. Der Herr hat uns ja das Gleichnis vom Sämann hinterlassen. Drei Viertel des Samens geht verloren. Das eine fällt auf den Weg, die Vögel kommen und picken es aus. Anderes fällt auf felsigen Grund, aber es hat keine Feuchtigkeit, es geht auf und verdorrt. Der dritte Teil fällt unter die Dornen. Die Dornen wachsen auf und ersticken es. Nur der vierte Teil des Samens fällt auf guten Boden, und er geht auf und bringt Frucht.

So, meine lieben Freunde, mag unsere Arbeit in der Erziehung, in der Seelsorge, in der Verkündigung scheinbar erfolglos sein. Sie ist aber niemals sinnlos. Für Gott arbeiten hat immer Sinn! Und wir arbeiten für Gott und nicht für unsere eigene Befriedigung. Gott ist immer der letzte Sieger. Vor Gott hat jede Messe einen unendlichen Wert, auch wenn sie nur wenige Gläubige anzieht. Ich habe in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik Gottesdienste vor drei und vier Gläubigen gehalten, Sonntagsmessen vor drei und vier Gläubigen. Ich hatte an einer Station einen einzigen Jungen, dem ich Religionsunterricht gab, einen einzigen. Vor Gott ist jede Arbeit schätzenswert, jede Predigt kostbar, auch wenn sie die Herzen der Zuhörer nicht umwandelt. Jeder Hausbesuch hat seinen Sinn, auch wenn der Empfang abweisend ist. Jedes Mahnwort der Eltern fällt auf einen Boden, in dem Gott etwas wachsen lassen kann. Gott vermag zu retten, auch ohne uns.

Menschliche Verblendung kann schreckliche Katastrophen auslösen, aber sie kann den Sieg Gottes nicht zunichte machen. Freilich, dieser Sieg steht erst am Ende, aber er kommt so sicher, wie auf die Nacht der Tag folgt. Auch jetzt schon redet Gott, handelt Gott, richtet Gott. Wer Ohren hat, zu hören, der hört den Gang Gottes in der Geschichte. Christi Mißerfolg bedeutet Jerusalems Ende. Wir haben es eben im Evangelium gehört. Die Feinde werden über das unbußfertige Jerusalem herfallen und es zerstören. Christus weint 40 Jahre vorher in menschlicher Anteilnahme über diese unbußfertige Stadt. Meine Freunde, die Liebe verzeiht alles mit einer einzigen Ausnahme, und das ist: nicht wiedergeliebt zu werden. Je größer der Erfolg des Antichristen, desto näher das Erscheinen Christi. Darauf warten wir, darauf harren wir, darauf hoffen wir. Wir trauern über den Misserfolg, aber wir verzweifeln nicht. Wir weinen, aber wir geben nicht auf. Die Tränen, die ehrlich über den Misserfolg geweint werden, werden Perlen im neuen Jerusalem sein.

Amen.

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