Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
28. November 2004

Über Gründe für den Glaubenszerfall

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wer auf ein längeres Leben zurückblickt, weiß, dass in dieser Zeit, in diesen Jahrzehnten, die Religiosität im gläubigen Volk immer mehr zurückgegangen ist. Noch im  Zweiten Weltkrieg waren die Kirchen glänzend besucht, manchmal überfüllt. Die Menschen standen Schlange vor den Beichtstühlen, die Priesterseminarien waren gefüllt. Ich erinnere mich, als ich in den Jahren 1960-1966 in der Kirche St. Bonifaz in Mainz am Sonntag immer den Gottesdienst um 11.30 Uhr hielt, dass die Kirche nicht nur gefüllt, sondern überfüllt war. Die Menschen standen, weil die Sitzplätze nicht ausreichten, bis vorne an die Kommunionbank. Stundenlang haben wir jeden Samstag das Bußsakrament gespendet. Das hat sich seit mindestens 30 Jahren radikal geändert. Die Entchristlichung der Massen hat mit der Entkirchlichung begonnen. Heute bezeichnen sich noch 63 Prozent der Deutschen nominell – nominell! – als Christen. Wie ist diese Entwicklung zu erklären? Es gibt eine fundamentale Erklärung, und die lautet: Der Glaube ist zusammengebrochen. Aber wie konnte der Glaube zusammenbrechen? Er ist zusammengebrochen hauptsächlich durch das Termitenwesen ungläubiger Theologen. Das ist der entscheidende Grund für den Zusammenbruch des Glaubens, die Termitenarbeit ungläubiger Theologen.

Alles hat begonnen im Protestantismus. Seit dem 18. Jahrhundert sind im protestantischen Bereich ungläubige Theologen aufgestanden und haben das Evangelium von Jesus Christus zerfetzt. Ich stelle Ihnen heute drei dieser Männer vor. Hermann Samuel Reimarus, Immanuel Kant und David Friedrich Strauß. Hermann Samuel Reimarus lebte von 1694 bis 1768. Er war Professor in Hamburg. Dieser Mann gab sich als gläubiger evangelischer Christ aus. Er besuchte den Gottesdienst, er empfing das Abendmahl. In Wirklichkeit war er vom christlichen Glauben total abgefallen. Dreißig Jahre lang hat er an einer Schrift gearbeitet, die das Christentum auflöste. „Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes“, so nannte er diese Schrift; sie wurde nach seinem Tode herausgegeben von Gotthold Ephraim Lessing. Und diese Schrift hat die ganze Religionskritik und Bibelkritik des 18. und 19. Jahrhunderts entscheidend bestimmt.

Was hat Hermann Samuel Reimarus gelehrt? Er ging davon aus, dass Jesus eine irdische Messiashoffnung hatte. Er wollte ein Reich begründen, aber diese Hoffnung ist fehlgeschlagen; am Kreuze wurde er desillusioniert. Nun hätten die Jünger wieder zu ihrer Arbeit zurückkehren müssen, aber das wollten sie nicht. Sie haben deswegen Jesus verfälscht. Sie haben ihm Züge zugeschrieben, die in seinem wirklichen Leben niemals zu beobachten waren. Alle die Wunder und Erscheinungen sind von den Jüngern frei erfunden worden. Und das Schlimmste: auch die Auferstehung. Die Jünger haben den Leichnam Jesu gestohlen und dann behauptet, er sei auferstanden. Das ist die Betrugshypothese, die Hermann Samuel Reimarus in seiner „Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes“ in die Welt gesetzt hat. Die Wirkung dieses Mannes ist eine ungeheure gewesen. Ich sage noch einmal: Die ganze antichristliche Publizistik des 18. und 19. Jahrhunderts hat hier ihren Ansatzpunkt.

Ein Zeitgenosse des Reimarus war der Königsberger Philisoph Immanuel Kant. Er lebte von 1724 bis 1804. Kant kann in seiner Wirkung überhaupt nicht überschätzt werden. Er ist der maßgebende Philosoph nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, ja darüber hinaus auch in den USA geworden. Kant war lutherischer Christ, aber er hat niemals als Professor einen Gottesdienst besucht. Er ist auch dann nicht in die Kirche gegangen, wenn er als Rektor der Universität Königsberg hätte gehen müssen. Warum nicht? Weil er konsequent seine Lehre gelebt hat. Diese Lehre besteht darin, dass er die Religion in Ethik auflöste. Die ganze Religion besteht darin, dass man sittlich handelt. Mehr braucht es nicht. Die Religion ist ein Anhängsel der Ethik. Die wahre Religion -  das ist ein wörtliches Zitat – besteht nach Kant in der „Erkenntnis unserer Pflichten als göttlicher Gebote“. Also wer, wie man heute so sagt, ein anständiger Mensch ist, der hat Religion. Mehr braucht es nicht. Versucht der Mensch auf anderem Wege als durch moralischer Handeln die Gnade Gottes zu erlangen, zum Beispiel durch statutenmäßige Religionshandlungen, so ist das – wiederum wörtliches Zitat – „bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes“, also Gebet, Gottesdienst, Opfer sind „bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes“. Das Beten – ich zitiere Kant noch einmal wörtlich – als ein „innerer, förmlicher Gottesdienst und darum als Gnadenmittel gedacht, ist ein abergläubischer Wahn“.

Die christlichen Dogmen werden von Kant umgedeutet, das heißt geleugnet. Sie werden auf die Sätze einer vernünftigen Moral zurückgeführt. Der christliche  Glaube existiert für ihn nur innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Nicht eine göttliche Offenbarung ist das Wort Gottes, sondern der moralische Imperativ in uns. Dass wir gehalten sind, moralisch zu handeln, das ist nach ihm das Wort Gottes. Da sehen Sie die Umdeutung. Das Christentum ist für Kant eine geschichtslose, rein menschliche Idee, ein Christentum ohne Christus und ohne Kirche, ohne die Heilsgeschichte. Jede positive Offenbarung scheidet für Kant aus. Das Historische am Christentum ist für ihn völlig gleichgültig.

Diese Anschauungen Kants sind durch zahllose Popularisatoren in die gebildete Schicht übergegangen und von der gebildeten Schicht in das gesamte Volk abgesunken. Das ist es, was heute der durchschnittliche Deutsche denkt: Hauptsache, man erschlägt keinen Menschen und begeht keinen Raub, dann ist man ein anständiger Mensch. Das Gebet, der Besuch des Gottesdienstes, die Hingabe an Gott sind völlig überflüssig.

Der dritte dieser Denker ist David Friedrich Strauß. Er war evangelischer Theologe in Tübingen und lebte von 1808 bis 1874. David Friedrich Strauß hat als erstes großes Werk ein Leben Jesu geschrieben. Ich habe es gelesen, meine lieben Freunde, von Deckel zu Deckel. Dieses „Leben Jesu“ nach Strauß geht von der Annahme aus, dass in den Evangelien keine Geschichte berichtet wird, und wenn Geschichte, dann ist sie entstellt. Die Evangelien sind nach Strauß Erfindungen. Sie sind Erfindungen der urchristlichen Gemeinde, der Apostel oder der Jünger oder der Schriftsteller. Sie hatten eine Idee, sie hatten eine Idee vom Messias, und aus dieser Idee haben sie alle die wunderbaren Begebnisse, die in der Heiligen Schrift stehen, „herausgesponnen“. Sie meinten, wenn einer der Messias war, dann müsse er das getan haben, was sie schrieben, auch wenn er es nicht getan hat. Er erklärt also das gesamte Christentum psychologisch. Alles, was Jesus über das Niveau des bloß Menschlichen hinaushebt, ist im Interesse des Glaubens erfunden worden, hat seinen Ursprung in der Sage.

Sie werden begreifen, dass diese Thesen grundstürzend sind. Sie haben auch tatsächlich den Ungauben des 19. Jahrhunderts zum großen Teil verschuldet. Strauß selbst ist dann weitergeschritten zum völligen Unglauben. Er leugnete Gott und die Unsterblichkeit. Er hat sich dem Darwinismus und dem Naturalismus und dem Materialismus verschrieben. Sein letztes Buch lautete: „Der alte und der neue Glaube“. In diesem Buche beschreibt er, wie ein evangelischer Pfarrer sich verhalten soll, der auf dem Boden – so sagt er – „der heutigen Wissenschaft“ steht. Ich habe hier Auszüge aus diesem Buch. „Wie also wird der Mann oder wie werden wir selbst, wenn wir an seine Stelle treten, zu Werke gehen? Was wird jedes Mal, wenn er auch nicht alles aussprechen mag, doch für sich sein Gedankengang sein müssen im Kirchenjahr?“ Und jetzt kommt es: „Am Weihnachtsfest wird er sich sagen, dass von einer Geburt aus der Jungfrau keine Rede sein könne, dass mit der Krippe auch die Hirten und mit den Hirten auch die Engel wegfallen, kurz, dass wir an diesem Tage zwar gewiß die Geburt eines bedeutenden Menschen, aber doch eben nur eines Menschen feiern, der an dem Fortschritt der Menschheit Mitarbeiter vieler anderer gewesen ist.“ Am Fest der Erscheinung hätte ein solcher Geistlicher abermals reinen Tisch zu machen, d.h. die evangelische Erzählung als einen „messianischen Mythos“ auszuräumen. Der wandernde Stern ist kein anderer als der Stern aus Jakob, von dem im Alten Testament die Rede ist. Die Weisen aus dem Morgenland sind nur für den Stern zurechtgemacht. Das Jesuskind hat unbeachtet von weiteren Kreisen in der Krippe gelegen wie zu jeder Zeit Kinder einfacher Bürgersleute pflegen. Wie am Christfeste den Jungfrauensohn, so hätte am Karfreitag unser Geistlicher vor allem den Opfertod und den Erlöser zu beseitigen. Noch misslicher wird die Aufgabe am Osterfeste. „Hier ist es kaum möglich, in einer christlichen Kirche das Ding beim rechten Namen zu nennen, und tut man das nicht, so ist alles Reden darüber nur Wortmacherei. Endlich am Himmelfahrtstage von dem Vorgang zu sprechen als einem tatsächlichen, ist gebildeten Menschen gegenüber geradezu eine Beleidigung.“ „Die Reformatoren“, so fährt er dann fort, „haben uns das Recht erkämpft, frei in der Schrift zu forschen. Aber die neuere Wissenschaft hat sich das Recht erobert, frei über die Schrift zu forschen. Das heißt, die Schrift hat aufgehört, höchste religiöse Erkenntnisquelle für uns zu sein.“ Er schließt seine Auffassung mit folgenden Worten: „Wenn wir nicht Ausflüchte suchen wollen, wenn wir nicht drehen und deuteln wollen, wenn wir ja ja und nein nein bleiben lassen wollen, kurz: Wenn wir als ehrliche, aufrichtige Menschen sprechen wollen, so müssen wir bekennen: Wir sind keine Christen mehr.“

Hier, meine lieben Freunde, haben Sie die Wurzel des Unglaubens unserer Tage. Da fragen Sie vielleicht: Haben diese Männer nicht vor Jahrhunderten gelebt? Ja, natürlich. Aber ihre Gedanken sind aufgenommen worden, weitergetragen worden, plattgewalzt worden, ins Volk getragen worden. Und das Ergebnis ist die heutige Lage des Christentums in unserem Land.

Die Vorstellungen dieser genannten Denker sind in das christliche Volk abgesunken, und das Erregende daran ist, dass sie auch in unsere Kirche eingedrungen sind. Bisher war das immer das Vorrecht des Protestantismus, ungläubige Theologen zu besitzen, jetzt haben wir dieses Vorrecht auch für uns übernommen. Ein mündiger Laie hat vor einiger Zeit die Feststellung getroffen: „Ich werde und werde den Verdacht nicht los, dass heute gewaltige und tiefernste Aspekte und Dimensionen unseres Glaubens systematisch vorenthalten, ausgespart, umgangen, totgeschwiegen werden und das nicht nur von einigen wenigen übereifrigen Konzilsanhängern, nein, ausnahmslos, methodisch, allgemein, immer und in jeder Situation.“ Damit Sie nicht denken, dass das nur das Urteil eines Laien ist, füge ich eine Äußerung eines großen, eines bedeutenden Theologen an, nämlich des Theologen Joseph Lortz, der unbestritten ein Meister seines Faches war. Und Lortz sprach von dem „Klima einer geistig-geistlichen Verunsicherung in der katholischen Kirche“. Gewisse theologische Thesen hätten in der Öffentlichkeit die Oberhand, die nicht mit den offiziellen Lehraussagen der Kirche in Einklang stehen. „Fehldeutungen oder Unklarheiten über die zentralen Glaubensartikel haben sich auf breiter Front in der Literatur, der Predigt und der Katechese durchgesetzt.“ Und erschließt mit den Worten: „Es besteht eine lebensbedrohende Krise, in die wir mit der Kirche seit einigen Jahren geraten sind.“

Das also, meine lieben Freunde, ist die Lage. Und diese Lage müssen Sie kennen, damit Sie sich dagegen zur Wehr setzen können. Der Grundirrtum der genannten drei Denker Reimarus, Kant und Strauß besteht darin, dass sie von dem falschen Dogma, von dem irrigen Dogma ausgehen: In der gesamten Geschichte der Menschheit kann es nicht und niemals anders zugehen als heute. Was jetzt und hier nicht zu beobachten ist, das ist auch früher, damals und dort, nicht möglich gewesen. Das ist der Grundirrtum dieser genannten Personen. Das Christentum ist aber nun gerade deswegen entstanden, weil etwas Unerhörtes, Einmaliges, noch nie Dagewesenes sich zugetragen hat. Es gäbe kein Christentum, wenn nicht Gott gehandelt hätte in seinem Christus, wenn Jesus nicht Mensch geworden wäre, auf Erden gelehrt, gestorben und auferstanden wäre. Was die Evangelien berichten, ist nicht das Produkt einer überreizten Phantasie, sondern was in den Evangelien steht, das sind wirkliche Tatsachen. Sie lehren uns zuverlässig, was Jesus getan und gelehrt hat. Die Evangelien sind keine Märchenerzählungen, sondern sie sind Tatsachenberichte. Die gesamte Jesus-Bewegung lässt sich nur erklären, wenn die wunderbaren Geschehnisse, vom Stern der Weisen angefangen bis zur Sonnenfinsternis beim Tode des Menschensohnes, wirklich geschehen sind.

Einer dieser ungläubigen Theologen hat das Wort geprägt: „Ein toter Leib kann nicht lebendig werden.“ Ja, meine lieben Freunde, das sagen die Fleischer auch. Weil das einmal geschehen ist, deswegen gibt es das Christentum. Weil der Leib Jesu, der entseelte Leib, einmal lebendig gemacht worden ist durch die Allmacht des Vaters, deswegen sind wir Christen und bleiben wir Christen. „Ein toter Leib kann nicht lebendig werden.“ Ein Satz von abgründiger Dummheit! Das Christentum ist nur deswegen entstanden, weil die Begebnisse, die uns im Neuen Testament berichtet werden, wirklich geschehen sind. „Wäre das Christentum nur die Erfindung eines Literaten, dann wäre der Erfinder ein größeres Wunder als der Heiland“, hat einmal Jean Jacques Rousseau gesagt. Nein, lassen wir uns, meine lieben Freunde, von den Irrlehrern der Vergangenheit und der Gegenwart nicht irremachen! Halten wir fest an unserem Glauben! Wir haben nicht nur die Evangelien für uns. Wir haben auch die Vernunft für uns. Alle diese Aufstellungen der Ungläubigen lassen sich als widersprüchlich erweisen. Einige Beispiele! Die einen erklären, die Heilungswunder Jesu seien geschehen, ja, aber sie seien natürlich zu erklären. Jesus habe eben von Lukas, dem Arzt, medizinische Kenntnisse erworben, und so habe er die Kranken geheilt. Andere sagen: Nein, nein, die Heilungswunder sind alle erfunden. Widerspruch. Die Naturwunder: Die einen sagen, die Naturwunder sind geschehen, aber nicht weil Jesus sie gewirkt hat, sondern er hat sie nur beobachtet. Er kannte die Naturkräfte und hat sie deswegen vorausgesagt. Wieder andere: Nein, nein, die Naturwunder sind niemals geschehen. Sie sind Produkte der wuchernden Phantasie der Anhänger Jesu. Die Auferstehung Jesu erklären die einen so, dass sie sagen. Jesus ist nur scheintot gewesen. Als er in die Kühle des Grabes kam, ist er wieder lebendig geworden. Andere dagegen: Nein, die Auferstehung Jesu ist, wie es Reimarus ja vorgegeben hat, eine Erfindung der Jünger. Er ist fünfzig Tage lang der Verwesung überlassen worden, und dann sind die Jünger aufgestanden und haben gesagt: Er ist auferstanden. Ich habe Ihnen an diesen drei Beispiel nur gezeigt, wie widersprüchlich diese ungläubigen Theologen untereinander sind. Was der eine behauptet, das bestreitet der andere. Und deswegen: Lassen Sie sich davon nicht irre machen! Es lassen sich diese Widersprüche aufzeigen und ihre Aufstellungen als völlig grundlos und ohne Gefährdung für unseren Glauben dartun. Wir wollen festhalten an dem, was uns die Apostel übermittelt und was die Kirche uns immer gelehrt hat, dass die Evangelien wirklich berichten, was Jesus gelehrt und getan hat, dass der Vater seinen Sohn gesandt hat und dass wir seine Kraft und seine Herrlichkeit gesehen haben.

Amen.

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