Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
7. Januar 2001

Über Christus als den Offenbarer Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Noch einmal wollen wir heute die Frage stellen: Was dünkt euch von Christus? Werden Sie bitte nicht ungeduldig und ihrer überdrüssig, denn sie ist die Frage aller Fragen. Auf diese Frage müssen wir eine Antwort finden, und zwar eine Antwort, die stichhaltig ist. Wenn Christus nicht der Grund unseres Lebens ist, dann ist vergeblich unsere Predigt, dann ist vergeblich unser Beten, dann ist vergeblich unser Gottesdienst. Was dünkt euch von Christus?

Heute wollen wir die Antwort geben: Christus ist der Offenbarer Gottes. In seinem Leben und Wirken hat zweifellos das Kreuzesopfer den ersten Rang. Aber Christus ist eben nicht nur der Priester, der sich opfert, er ist auch der Lehrer, der die Wahrheit Gottes verkündet. Er ist der Offenbarer. Die unzugängliche Wirklichkeit Gottes ist durch ihn zugänglich geworden. In ihm wendet der Vater im Himmel sein Antlitz der Menschheit zu, ja, er ist der auf Erden erschienene Gott. Wer von Christus redet und die Gottheit Christi nicht bekennt, der hat um ihn herumgeredet. Christus ist der Offenbarer Gottes, weil er Gott selber ist. Er kommt von Gott, er ist von Gott ausgegangen, und er kommt in die Welt, um die Wahrheit Gottes den Menschen zu künden. Deswegen beharrt er so auf dem Verkündigen der Wahrheit. Er ist die Wahrheit selbst, und er bringt die Wahrheit Gottes, weil er am Herzen des Vaters geruht hat. Jesus ist die offenbare Wirklichkeit Gottes. Das Wort Wahrheit besagt nämlich nicht nur, daß Jesus nichts Falsches sagt; das Wort Wahrheit besagt, daß in ihm die Wirklichkeit Gottes zugänglich ist. Er ist die offenbare Wirklichkeit Gottes in seinem Sein, in seinem Wirken und in seinem Wort. Dreifach offenbart er Gott: in seiner Persönlichkeit als der menschgewordene Gottessohn, in seinem Handeln als der Herr über die Elemente und in seinem Reden als die Wahrheit, die uns in ihm offenbar ist.

Die Zeitgenossen Jesu haben empfunden, daß er anders redet als andere Menschen. In Kapharnaum, in der Synagoge, hatte er gelehrt, und dann wird festgestellt: „Sie waren betroffen über seine Lehre, denn er lehrte sie wie einer, der Macht hat und nicht wie die Schriftgelehrten.“ Ähnlich berichtet uns der Evangelist Johannes. Die Priester hatten den Auftrag gegeben, Jesus festzunehmen, aber niemand legte Hand an ihn. Als die Diener dann zu den Oberpriestern kamen, da fragten sie: Warum habt ihr ihn nicht hergeführt? Die Diener antworteten: „Nie hat ein Mensch so geredet, wie dieser Mensch redet.“ Darin ist die Einzigartigkeit der Verkündigung Jesu ausgedrückt. Er ist die Wahrheit, weil er die offenbare Wirklichkeit Gottes ist.

Seine Verkündigung ist Weisheit. Oft und oft in der Heiligen Schrift wird uns berichtet, daß die Verkündigung der Apostel nicht eigenes Gemächte ist, sondern Weisheit, die sie von Christus empfangen haben. „Wir verkünden nicht Menschenweisheit, damit das Kreuz Christi seiner Kraft nicht beraubt werde. Denn die Lehre vom Kreuz ist denen, die verlorengehen, Torheit, uns aber, die selig werden, ist sie Gottes Kraft. Hat Gott nicht die Weisheit dieser Welt zur Torheit gemacht? Weil die Welt mit ihrer Weisheit Gott nicht in seiner Weisheit erkannte, hat es Gott gefallen, durch die Torheit der Predigt diejenigen selig zu machen, die glauben.“ Das Wort Christi ist Weisheit. Es ist eine Weisheit anderer Art, als die Menschen sie erfinden. Es ist eine Weisheit, die denen, die nicht glauben, wie Unverstand klingt. Aber es ist eine Weisheit, die denen, die gerettet werden, Kraft ist, Kraft zum ewigen Leben. Die Weisheit Christi ist der Welt unverständlich, aber sie ist der Weisheit der Welt weit überlegen, und sie wird von Christus ausgelegt. Er erklärt seine Weisheit verbindlich. In seinen Worten legt er aus, wer er ist und was er tut.

Sein Wort ist ein Wort voll Kraft. Immer wieder erleben wir, wie der Herr nur zu sprechen braucht, und es geschieht. Ein Aussätziger bittet ihn, ihn rein zu machen: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“ Jesus antwortet: „Ich will. Sei rein!“ Der Hauptmann verzichtet darauf, daß Jesus in sein Haus kommt und seinen Knecht gesund macht. „Sprich nur ein Wort – auch aus der Ferne –, so wird mein Knecht gesund.“ Sein Wort ist Macht und Kraft. Sein Wort besitzt sakramentale Bedeutung. Was sein Wort spricht, das schafft es.

Der Inhalt seiner Botschaft ist der folgende. Christus ruft das Reich Gottes aus, und durch sein Ausrufen kommt es herbei. Er will alle Menschen in seinem Reiche versammeln. Der Weg zum Anschluß an ihn ist der Glaube; wer an ihn glaubt, den zieht er in das göttliche Leben hinein, dem gibt er Anteil an seinem Leben. Und wer an ihn glaubt, dem verleiht er als Angeld des ewigen Lebens seinen Geist, und dieser Geist wirkt in ihm und führt ihn durch die Fährnisse dieser Zeit hindurch. Der Inhalt der Botschaft Jesu ist der wahre Gott und der wahre Mensch. Durch Christi Botschaft wissen wir, wer Gott ist, und wissen wir, was der Mensch ist. Gott ist der dreipersonale; er ist Liebe, aber auch Gerechtigkeit; er ist Barmherzigkeit, aber auch Gericht; er gibt sich den Menschen mit seinem Leibe auf Erden hin, um sie in sein Leben hineinzuziehen. Durch die Verkündigung Jesu wird das Gottesbild von allem Naturhaften und Naturgebundenen befreit. Es wird auch befreit von abergläubischer Furcht und törichter Angst. Ebenso vermittelt uns Christus das wahre Bild vom Menschen. Der Mensch ist von unersetzbarem Wert. Er besitzt eine unsterbliche Seele. Er kann niemals Werkzeug und Gebrauchsgegenstand werden. Wer diese Verkündigung Jesu ernst nimmt, meine lieben Freunde, für den ist die Debatte über die Züchtung von Embryonen, um mit ihnen krankes Leben zu heilen, erledigt; denn er weiß: In diesen Embryonen lebt eine unsterbliche Seele, und diese Embryonen haben eine nicht dem Menschen verfügbare Würde. Die Debatte ist damit abgeschlossen. Christus gibt uns das wahre Bild vom Menschen. Der Mensch kommt zu sich selbst nur in der Gemeinschaft, aber er geht nicht in der Gemeinschaft auf. Das Wort ist falsch, das wir zwölf Jahre lang gehört haben: Du bist nichts, dein Volk ist alles. Nein, der Mensch hat eine unverwechselbare und unersetzbare Würde. Er ist nicht nur Atom in einer Gemeinschaft. Und er ist zur Vollendung bestimmt, die Gott ihm schenken wird. Das ist der Inhalt der Botschaft Jesu; das ist der wesentliche Inhalt.

Das Wort, das Christus spricht, enthüllt und verhüllt die Wirklichkeit Gottes. Es nimmt teil am Geheimnischarakter der Menschwerdung Christi. Daß dieser Doppelcharakter dem Worte Christi anhaftet, erkennen wir daran, wenn er in Gleichnissen spricht. Die Gleichnisse dienen einmal dazu, durch anschauliche Bilder den Menschen eine Ahnung vom Gottesreiche zu vermitteln. Doch die Gleichnisse haben noch eine andere Bedeutung. Sie sollen denen, die gläubig sind, den Weg zur Wahrheit Gottes bahnen. Aber sie sollen auch denen, die sich verschließen, unverständlich bleiben. Das Wort Christi ist ein verbindliches Wort, denn es ist das Wort des Herrn. Die Menschen sind also gehalten, es nicht nur zu hören, sondern ihm zu gehorchen. Sie sollen in diesem Worte wandeln; sie sollen nach diesem Worte handeln. Das Wort Christi ist verpflichtend für alle Menschen. Es ist nicht so, daß es gewissermaßen nur denen eingeht, die dieselbe Weise des Denkens und Empfindens haben, nein, es ist ein Wort, das für alle Menschen verbindlich ist und verbindlich bleibt. Es verliert nichts von seiner Gültigkeit durch den Zeitablauf. Seine Worte bleiben für immer bestehen; denn er ist der Offenbarer Gottes, er ist der Lehrer, der von Gott Kunde bringt. „Gott hat niemand geschaut“, heißt es im Johannesevangelium. „Der Eingeborene, der Gott ist, der im Schoße des Vaters ist, er hat uns Kunde gebracht.“ Und eine weihnachtliche Botschaft ist es, wenn im Hebräerbrief feierlich die Verkündigung anhebt: „Vielmals und mannigfach hat einst Gott zu den Vätern durch die Propheten gesprochen. Jetzt hat er am Ende der Tage zu uns durch seinen Sohn geredet, den er zum Erben über alles gesetzt hat, durch den er auch die Welten geschaffen. Er, der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens, er, der auch das Weltall trägt durch sein machtvolles Wort, hat Erlösung von den Sünden gebracht und sich dann gesetzt zur Rechten der Majestät in den Höhen, so hoch erhaben über die Engel, wie sein Name, den er als Erbteil erhielt, den ihrigen überragt.“

Es wird nicht bestritten, daß es auch andere Offenbarer gegeben hat. Die Propheten waren Träger göttlicher Offenbarung, und ihr Wort bleibt gültig. Aber sie sind konkurrenzlos überboten durch den Offenbarer, den Gott am Ende der Tage gesandt hat, durch seinen Sohn. Er bringt die letzte Offenbarung, die umfassendste, die endgültige. Es ist das letzte Wort, das Gott zur Menschheit gesprochen hat; es ist das Schlußwort. Alles andere, was danach folgt, ist nur Entfaltung dieses Schlußwortes. Es befreit uns vom Irrtum. Das ist eine der wichtigsten Funktionen, die die Verkündigung Jesu hat. Sie befreit uns vom Irrtum, vor allem in religiösen Dingen. Wir müssen uns frei machen von dem relativistischen Zug, der heute in der Gesellschaft herrscht, als ob eben Wahrheit überall zu finden sei. Bruchstücke der Wahrheit mag es hie und da geben, aber die volle Wahrheit ist nur bei Christus zu finden. Er ist der Strom, auch wenn da und dort Tümpel liegen. Er ist das Licht, auch wenn da und dort ein Flimmern entgegenscheint. Er ist die Wahrheit in Person als die offenbare Wirklichkeit Gottes.

Jetzt, meine lieben Christen, sehen wir das Geheimnis Christi. Er ist der Offenbarer des Vaters, weil er der im Menschenkleid erschienene Gottessohn ist. Wir bleiben in der Kirche nicht aus traditionalistischer Anhänglichkeit, nicht weil wir von unseren Eltern in diese Kirche eingeführt wurden, nicht weil wir Geschmack haben an gewissen religiösen Zeremonien. Wir bleiben in dieser Kirche, weil sie die Trägerin und Bürgin der Wahrheit ist.

Es war am Ölberge, als der Herr den Leidenskampf kämpfte, und seine Jünger diese Stunde verschliefen. Da trat er zu ihnen und redete: „Steht auf! Wir wollen gehen.“ Das ist ein Wort der Kraft gewesen. „Steht auf! Wir wollen gehen.“ Dieses Wort ist nie mehr verhallt. Das spricht Christus auch heute zu seiner Kirche: „Steht auf! Wir wollen gehen.“ Und da sehen wir das Geheimnis dieser Kirche. Sie ist eine Unzulänglichkeit, sie ist manchmal ein Ärgernis. Aber Christus hat zu ihr gesagt: „Steht auf! Wir wollen gehen.“ Wir wollen zusammen gehen. Er geht mit seiner Kirche. Und so wollen wir diese Kirche nicht verlassen, sondern wollen mit ihr weiterziehen auf dem Wege, bis wir angekommen sind am Ziele.

Amen.

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