Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. Mai 1999

Die Einmaligkeit des menschlichen Lebens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Menschheit und der ganze Kosmos eilen auf das für sie bestimmte Ziel zu, nämlich das zweite Kommen Jesu Christi in Herrlichkeit. Innerhalb dieser Bewegung vollendet sich das Schicksal des einzelnen Menschen. Er weiß, das Leben, das irdische Leben hat ein Ende; es ist das ein unwiderrufliches Ende. Das irdische Leben ist einmalig und unwiederholbar, und es führt entweder zur ewigen Vollendung oder zur ewigen Zerrissenheit. Der Zustand, in dem wir jetzt leben, ist der Zustand der Pilgerschaft; der Zustand, dem wir entgegengehen, ist der Zustand der Vollendung – oder der ewigen Nichtvollendung.

Es ist manchen katholischen Theologen schwer geworden, daran festzuhalten, daß es eine ewige Nichterfüllung geben kann. Es hat einzelne Theologen wie Origenes und seine Anhänger gegeben, die meinten, auch die Verdammten und auch die Teufel hätten noch eine Möglichkeit, jenseits der Todesgrenze ihr Schicksal zu wenden; sie könnten von Stufe zu Stufe höhersteigen, bis sie einmal auch erlöst in ätherischen Leibern auferstehen. Sie meinten, die Erlösung wäre nicht vollkommen, wenn es noch Unerlöste und Unerlösbare gibt. Gegen diese Meinung von der Allerlösung (Apokatastasis panton) hat sich das Glaubensbewußtsein der Kirche energisch gewendet. Auf dem II., III. und IV. Konzil von Konstantinopel wurde diese Lehre abgewiesen, und das Konzil von Florenz erklärte: Es gibt jenseits der Todesgrenze keine Möglichkeit mehr zu Verdiensten oder zu Sünden.

Daß der Tod das unwiderrufliche Ende des irdischen Daseins ist, wird uns schon im Alten Testament mit aller Klarheit berichtet. Noch viel deutlicher redet das Neue Testament. In dem Gleichnis vom reichen Prasser und vom armen Lazarus schildert der Herr, daß das Schicksal des Menschen im Tode ein für allemal festgelegt wird. Der reiche Mann, der sein Leben in Selbstsucht und Selbstherrlichkeit verbrachte, wird für alle Ewigkeit in der Hölle begraben, und der arme, der in Demut und Dürftigkeit lebte, wird im Schoße Abrahams für alle Ewigkeit geborgen. Auch im Gleichnis von den törichten und klugen Jungfrauen wird die Einmaligkeit des irdischen Lebens und die Unverrückbarkeit der letzten Entscheidung deutlich gemacht. Wer, wenn der Herr kommt, wachend, vorbereitet, gerüstet befunden wird, dem gewährt der Herr Anteil an dem ewigen Hochzeitsmahl. Wer dagegen nicht bereitet ist, wer schlummert und in irdischen Dingen verfangen ist, der verliert die ewige Seligkeit. Über seinem Leben steht das furchtbare Wort: „Zu spät!“

Oft wird auf andere Weise im Neuen Testament die Endgültigkeit des menschlichen Schicksals im Tode beschrieben. Der Herr sagt: Jetzt ist der Tag, jetzt muß man arbeiten, jetzt muß man schaffen. Es kommt die Nacht, da niemand mehr wirken kann.  Nach dem Apostel Paulus ist jetzt die Saatzeit; jetzt muß man säen, und dann kommt die Ernte. Auf Erden sind wir in einem Wettlauf, und wer diesen Wettlauf besteht, der bekommt einen Kranz, einen unverwelklichen Kranz. In der Bezeichnung „unverwelklich“ wird die Ewigkeit des jenseitigen Schicksals deutlich ausgesagt. Hier leben wir in einer Zeltwohnung, die Zeltwohnung ist eine vorübergehende Aufenthaltsstätte; drüben wird uns eine ewige Wohnung bereitet. Der Herr ist vorausgegangen als Quartiermacher und bereitet die ewigen Wohnungen für uns. Der Herr ruft seine Anhänger auf, sich nicht vor denen zu fürchten, die nur den Leib töten können. Die Folterer vermögen dem Menschen in einer letzten Weise nicht zu schaden, aber einer vermag den Leib und die Seele in das Feuer der Hölle zu stoßen, wo der Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt.

Am Kreuze hängen neben dem Herrn zwei arme Verbrecher. Der rechte weiß, sein Leben ist zu Ende, aber er hat die Hoffnung auf ein Gedenken dessen, der in der Mitte hängt, und er weiß: Wenn der an ihn denkt, dann ist er gerettet. Und so spricht er: „Gedenke meiner, wenn du mit deinem Reiche kommst!“ Er erfährt die tröstliche Verheißung: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!“ Ich weiß nicht, warum er sagt: „Im Paradiese“, denn wer mit ihm ist, der ist im Paradiese. Deswegen sehnt sich Paulus danach, im Philipperbrief spricht er es aus, „aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein“. Das ist bei weitem das Beste, denn wer bei dem wirklichen Christus ist, ist immer bei ihm, ihn kann das Grauen des Todes nie mehr umfangen. Petrus spricht von einem unvergänglichen, unbefleckten, unverwelklichen Erbe, das im Himmel für uns aufbereitet ist. Mit diesen Ausdrücken unvergänglich, unbefleckt, unverwelklich wird die Ewigkeit dieses Zustandes im jenseitigen Bereich ausgedrückt. Die Väter sagen oft die Endgültigkeit des jenseitigen Zustandes aus, wenn sie davon sprechen, daß die Toten im Frieden ruhen. Der Friede ist ein ewiger Friede, er ist die ewige Freude und die ewige Herrlichkeit in der Gemeinschaft mit Jesus. Deswegen bezeichneten die alten Christen den Todestag der Martyrer als Geburtstag, nämlich als Geburtstag für ein neues, anderes, unvergängliches, mit dem jetzigen schwer vergleichbares Leben.

Es fällt anscheinend dem Menschen schwer, an der Endgültigkeit seines Schicksals festzuhalten. Der Mensch ist immer wieder versucht, wegen der unaufhebbaren Zeitlichkeit des irdischen Lebens an eine irgendwie geartete Veränderung auch im Leben jenseits der Todesgrenze zu glauben. Er ist in der Versuchung, das, was er an der Natur sieht, auf sich selbst zu übertragen. An der Natur beobachtet er das fortwährende Werden und Vergehen. Frühling, Sommer, Herbst und Winter lösen sich ab in unaufhörbarer Folge, und so kommt er dazu, diese Erscheinungen auf sich selbst zu übertragen. Es entsteht die Vorstellung von der Seelenwanderung. Das ist ja keine alte Mär, meine lieben Freunde, sondern diese Vorstellung von der Seelenwanderung ist in starken Teilen unseres Volkes verbreitet durch den Einfluß von östlichen Religionen. Der Hinduismus scheint die Hauptquelle dieser Vorstellung zu sein. In den nachvedischen Religionssystemen ist die Lehre von der Seelenwanderung wohl aufgekommen. Sie hat dann ihren Weg zum Buddhismus genommen, zu den Griechen. Platon, Empedokles, Posidonius haben diese Lehre vertreten, sogar Pythagoras, der Mathematiker. Von da ist sie sogar in Teile der protestantischen Theologie übergegangen, wie durch Schleiermacher. Nach dieser Vorstellung hat die individuelle Seele mehrere Verkörperungen. Sie geht in andere Körper ein, sei es von Menschen oder von Tieren oder von Göttern, und das geschieht so lange, bis sie von ihren Makeln gereinigt ist, bis sie erlöst ist. Eine Reihe von Reinkarnationen, wie man das nennt, findet statt, und der Mensch ist darin nur ein Glied.

Diese Lehre von der Wiederkehr des Gleichen hat auch in der deutschen Klassik ihren Ausdruck gefunden. Goethe war zum Beispiel ein Anhänger dieser Meinung. Aus dem Lebensgefühl, daß ein einzelnes Leben nicht ausreicht, um die Fülle des Wirklichen und die Gegensätze zu erschöpfen, kam er zu der Annahme, daß es eine Wiederkehr des Menschen in anderer Gestalt gebe. Der von ihm geschaffene „Faust“ ist ein solcher Typus. Das Leben geht aus und kehrt zurück durch Werden und Vergehen, durch Verschmachten in der Begierde und durch Freude am Erfolg, im Dualismus von Gut und Böse, von Gott und Satan. Als Wieland starb, erklärte Goethe, er hoffe, ihm einst als Stern erster Größe wiederzubegegnen. Von sich selbst sagte er, er sei schon tausendmal dagewesen und werde noch tausendmal wiederkehren. Auch Friedrich Nietzsche hat die Wiederkehr des Gleichen vertreten, und zwar deswegen, weil es notwendig ist, um den Übermenschen zu schaffen. Der Übermensch ist jener Typus des Menschen, jene Gestalt, die den Kosmos, die Wahrheit und die Sittlichkeit, die Natur und die Geschichte erschafft, und damit sie das kann, muß das Vergangene vor ihr gleichsam paradieren, an ihr vorüberziehen. Das ist für ihn ein freudiges Geschehen, weil die Wiederkehr des Gleichen die Gestalt des Übermenschen ermöglicht. Freilich kommt ihm auch manchmal –ein, daß die Wiederkehr des Gleichen nicht immer zu wünschen sei. „Ach, der Mensch kehrt ewig wieder. Der kleine Mensch kehrt ewig wieder. Nackt habe ich einst beide gesehen, den größten und den kleinsten Menschen, allzu ähnlich einander, allzu menschlich auch den größten noch, allzu klein der größte. Das war mein Überdruß an Menschen, und ewige Wiederkunft auch des kleinsten, das war mein Überdruß an allem Dasein. Ach Ekel, Ekel, Ekel!“

Die Lehren von der Seelenwanderung und von der Wiederkunft des Gleichen sind Phantasie. Sie haben in der Wirklichkeit keine Stütze. Sie sind auch von äußerster Bedenklichkeit und Gefahr. Wenn der Mensch mannigfache Verkörperungen erlebt, dann wird dadurch der Tod verharmlost, denn nach einem Tode folgt ja ein neues Leben. Wenn der eine Körper aufgelöst wird, wird ihm ein anderer verliehen. Es wird also der Tod verharmlost. Es wird auch die menschliche Personhaftigkeit aufgelöst, denn sie besteht eben darin, daß einer Seele ein Körper zugeordnet ist, und diese Einheit von Leib und Seele macht die menschliche Person aus. Wenn eine Seele viele Körper annimmt, wird die Personhaftigkeit gleichsam verflüssigt und zerrissen. Diese Lehre von der Seelenwanderung oder von der Wiederkehr nimmt auch dem Leben seinen Ernst; denn wenn es fortwährende Wiederkehr gibt, Tausende von Inkarnationen, von Reinkarnationen, dann ist es gleichgültig, ob der Mensch seine Anstrengungen und seine sittlichen Bemühungen jetzt beginnt oder in tausend Jahren oder überhaupt nicht. Es ist auch ganz falsch, wenn ein Leben, ein Inkarnationsleben als Sühne für ein früheres Leben ausgegeben wird. Davon fehlt uns jedes Bewußtsein. Man kann nur für etwas sühnen, dessen man sich schuldhaft bewußt ist. Insofern ist diese Lehre absolut untauglich, dem Menschen eine Auskunft über sein jenseitiges Schicksal zu geben.

Ähnlich ist es mit den Vorstellungen, die der deutsche Idealismus entwickelt hat, etwa Hegel. Nach Hegel ist die Geschichte nichts anderes als die Selbstentfaltung des absoluten Geistes. In dieser Selbstentfaltung des absoluten Geistes ist der einzelne Mensch nur eine Durchgangsstufe. Wenn diese Durchgangsstufe durchschritten ist, dann ist das Leben des Menschen sinnlos geworden, und er versinkt wieder in das Allgemeine. In dieser Lehre von Hegel, die viele Anhänger gefunden hat, wird die Personhaftigkeit des Menschen ebenfalls zerstört, wird auch dem Tode die Bedeutung und der Ernst genommen. Ähnliches gilt für die Existenzphilosophie, die in den letzten Jahrzehnten in Deutschland und weit darüber hinaus viele Anhänger gefunden hat. Der bedeutendste Vertreter ist wahrscheinlich Karl Jaspers, der in Heidelberg gelehrt hat. Nach Jaspers findet der Mensch seine Vollendung im Tode. Die Erfüllung des Lebens geschieht im Sterben. Offensichtlich ist das ein massiver Irrtum. Das Sterben ist keine Erfüllung, sondern das Sterben ist ein Übergang, der Tod ist eine Verwandlung. Erst wenn Gott eintritt in das Schicksal des Menschen, dann kann es eine Erfüllung geben – und wie viele Menschen sterben unerfüllt! Selbst der Mensch, der das einsatzbereiteste Leben hinter sich gebracht hat, wird nicht sagen können, daß er alles verwirklicht hat, was ihm an Möglichkeiten offengestanden ist. So ist auch die Existenzphilosophie in dieser Hinsicht ein Irrweg, der uns von dem Ernstnehmen des Todes und von der Bedeutung der jenseitigen Entscheidung abführt.

Nein, das Leben ist einmalig und unwiederholbar. „Wenn wir diese Welt verlassen“, heißt es im 2. Clemensbrief, „dann haben wir in der anderen Welt keine Möglichkeit, ein Bekenntnis abzulegen oder eine Entscheidung zu vollziehen.“ Hier ist der Ort des Kampfes und der Arbeit, hier müssen wir uns bewähren, damit das Urteil Gottes zu unseren Gunsten ausfällt. „Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewalt brauchen, reißen es an sich.“

Amen.

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