Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
19. Juni 1994

Gründe und Hindernisse des Bußsakramentes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Unter den Handlungen, welche der Pönitent zum Empfang des Bußsakramentes erbringen muß, hat die Reue die wichtigste Stelle. Ohne Reue sind noch niemals, solange die Erde besteht, persönliche Sünden vergeben worden. Wir haben uns am vergangenen Sonntag das Wesen der Reue vor Augen geführt und erkannt, daß sie verbunden sein muß mit dem Vorsatz und dem Willen zur Wiedergutmachung. Aber die Reue muß sich auch in Worten ausdrücken, und ein solcher Ausdruck der Reue ist das Bekenntnis. Nach einem alten deutschen Wort trägt es den Namen Beicht. Und von diesem Bekenntnis hat das ganze Sakrament seinen Namen empfangen. Wir sprechen vom Beichtsakrament oder von der heiligen Beicht. – Wir wollen am heutigen Tage drei Fragen über dieses Erfordernis beim Empfange des Bußsakramentes stellen, nämlich

1. Warum müssen wir beichten?

2. Was sollen wir beichten?

3. Welches sind die Hindernisse der Beicht?

Zunächst: Was ist die Beichte? Beichte ist die Selbstanklage des Pönitenten vor einem bevollmächtigten Priester in der Absicht, von ihm kraft der Schlüsselgewalt Vergebung der Sünden zu erlangen.

Warum müssen wir beichten? Das Bußsakrament ist, wie wir gesehen haben, vom Herrn selbst eingesetzt. Er hat den Aposteln die Gewalt, Sünden nachzulassen, aber auch zu behalten, gegeben. Wie sollen die Apostel und ihre Nachfolger diese Vollmacht ausüben, wenn sie den Seelenzustand dessen, dem sie Sünden nachlassen oder behalten sollen, nicht kennen? Sie haben ja eine richterliche Aufgabe; denn Nachlassen und Behalten sind richterliche Funktionen. Das Bußsakrament steht im Zeichen des Gerichtes. Richterliche Vollmacht kann aber immer nur in Kenntnis des Sachverhaltes ausgeübt werden. Deswegen ist mit der Übertragung der richterlichen Vollmacht, Sünden zu vergeben oder zu behalten, einschlußweise das Gebot mitgegeben, die Sünden zu bekennen. Nur wenn der Pönitent bekennt, welche Sünden er begangen hat, welches seine innere Gesinnung, seine Reue, sein Vorsatz, seine Disposition ist, nur wenn man erkennen kann, welche Gelegenheiten zur Sünde er hatte, unter welchen Gewohnheiten er steht, nur dann ist es den mit richterlicher Vollmacht begabten Spendern des Bußsakramentes möglich, entweder die Sünden zu vergeben oder die Sünden zu behalten.

Man kann in der ganzen Kirchengeschichte keinen Zeitpunkt angeben, zu dem das Sündenbekenntnis eingeführt worden wäre. Es gibt deswegen keinen Zeitpunkt, weil es immer vorhanden war. Es hat nicht etwas das IV. Laterankonzil vom Jahre 1215 die Beichtpflicht eingeführt, sondern das IV. Laterankonzil hat nur erklärt, daß man wenigstens einmal im Jahre seine Sünden beichten muß. Also die einmalige Beichtpflicht, die wurde vom IV. Laterankonzil im Jahre 1215 eingeführt. Aber von Anfang an wurden die Sünden durch Bekenntnis dem Bußrichter unterbreitet.

Wir haben Zeugnisse bei den Kirchenvätern Irenäus, Tertullian, Cyprian. Der große Kirchenschriftsteller Origenes spricht ausdrücklich und einläßlich von dem Bekenntnis der Sünden. Das Sündenbekenntnis ist also keine Erfindung der Kirche, das Sündenbekenntnis ist eine Einrichtung Gottes! Das Konzil von Trient hat deswegen gegen die Glaubensneuerer des 16. Jahrhunderts gesagt: „Wer sagt, das Bekenntnis der Sünden sei nicht durch göttliches Recht eingesetzt und zum Heile notwendig, der sei ausgeschlossen.“ Wir müssen unsere Sünden bekennen, weil Gott durch Christus es so gewollt hat. Es ist ganz ausgeschlossen, daß die Kirche kraft menschlichen Rechtes eine so schwere, eine so ernste, eine so verdemütigende Pflicht eingeführt hätte, ohne dazu von Gott legitimiert zu sein.

Was sollen wir bekennen? Wir sollen bekennen alle schweren Sünden nach Art, Zahl und Umständen. Die läßlichen Sünden sind nicht notwendig im Bekenntnis zu nennen. Aber es ist nützlich, erlaubt und heilsam, auch die läßlichen Sünden zu bekennen, denn, meine lieben Freunde, wer von uns kann mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, wo die läßliche Sünde aufhört und wo die schwere Sünde beginnt? Weil aber läßliche Sünden und schwere Sünden nicht leicht zu trennen sind, deswegen empfiehlt es sich, auch die läßlichen Sünden zu beichten. Außerdem ist die Unterbreitung aller Sünden unter das Bußgericht das wirksamste Mittel zu ihrer Überwindung. Wer kleine Sünden nicht ernst nimmt, der wird bald in großen Sünden enden.

Die schwere Sünde ist bekanntlich dadurch gekennzeichnet, daß es sich um eine wichtige Sache handelt, wo wir mit freiem Willen und klarer Erkenntnis gegen Gottes Gebot verstoßen haben. Die schweren Sünden unterscheiden sich der Art nach. Es ist ein Unterschied, ob jemand heimlich etwas entwendet, was man Diebstahl nennt, oder ob jemand mit Gewalt einem anderen etwas entzieht, was Raub genannt wird. Die Beschaffenheit des Verhaltens verändert die Sünde, macht sie leichter oder schwerer. In jedem Falle ist die Kenntnis der Art notwendig, damit man die Sünde richtig erkennen und wirksam bekämpfen kann. Auch die Zahl ist wichtig, ob einer einmal einen Diebstahl begangen hat oder eine Serie von Diebstählen, wie jener Mann, der jetzt in Mainz vor Gericht steht wegen Entwendungen aus dem Stadtarchiv. Das ist ein erheblicher Unterschied. Auch die Umstände können von Wichtigkeit sein. In großer Not etwas entwenden ist keine so schwere Sünde, wie aus dem Überfluß oder aus Übermut einem anderen Werte und Güter entziehen. Wer einem armen Manne das einzige Schaf wegnimmt, das er besitzt, der begeht eine viel größere Sünde, als wer aus einer Herde von Tausenden sich einen Hammel greift, um ihn sich anzueignen. Die Umstände können sich auch nach der Person wandeln. Es ist ein schwereres Vergehen, wenn ein Priester bestimmte Sünden tut, als wenn ein Laie sie begeht. Auf dem Priester liegt eine höhere Verantwortung, und bei ihm gibt es spezifische Verfehlungen. Deswegen beginnt jeder Priester sein eigenes Sündenbekenntnis mit dem Satz: „Ich bin Priester“, damit der Beichtvater weiß, wen er vor sich hat.

Die Sünden sind also nach Art, Zahl und artändernden Umständen zu bekennen. Natürlich muß der Pönitent durch sein Bekenntnis dem Beichtvater die Gewißheit verschaffen, daß er disponiert, d.h. vorbereitet ist, um die Sünden recht zu erkennen, recht zu verabscheuen und recht zu bekämpfen. Zur Disposition gehören die Reue, der Vorsatz und der Wiedergutmachungswille. Um die Sünden recht zu erkennen, sind manchmal Beichtspiegel hilfreich. Beichtspiegel sind Sündenverzeichnisse, die in den Gebetbüchern abgedruckt sind. Es gibt gute und weniger gute Beichtspiegel. Der Beichtspiegel im „Gotteslob“ gehört zu den weniger guten, weil da wichtige Sünden fehlen. Man kann sich nach den zehn Geboten oder auch in anderer Weise erforschen, etwa, indem man die Sünden gegen Gott, gegen den Nächsten und gegen sich selbst in dreifacher Weise gruppiert.

Vor einiger Zeit hat ein unwissender Geistlicher an der Mosel gesagt, man brauche nur Mord, Ehebruch und Glaubensabfall zu beichten, so sei es in der Urzeit auch gewesen. Da seien nur die drei Kapitalsünden Mord, Ehebruch und Glaubensabfall gebeichtet worden. Eine solche Äußerung kommt aus der Unkenntnis der Geschichte. Es gab dieser Trias, diese Dreiheit von schweren Sünden, Mord, Ehebruch und Glaubensabfall, aber diese drei eben genannten Sünden schlossen jeweils eine ganze Gruppe von Verfehlungen ein. Man hat unter dieser Überschrift ganze Reihen von Sünden zusammengefaßt, also meinetwegen unter Ehebruch auch die vielen anderen Vergehen gegen die geschlechtliche Sittlichkeit. Niemals – niemals! – sind nur diese drei genannten Sünden dem Bußgericht in der Kirche unterbreitet worden. Es sind das Formationen von vielen, vielen Einzelsünden, die hier zusammengefaßt worden sind.

Nun die dritte Frage: Welche Hindernisse, welche Widerstände gibt es gegen das Beichten? Welche Schwierigkeiten erheben sich dagegen? An erster Stelle erwähne ich die protestantische Polemik. Seit über vierhundert Jahren rennt der Protestantismus gegen das Bußsakrament an. Er hat ja die verpflichtende Einzelbeichte abgeschafft und sucht sie jetzt auch den Katholiken zu verleiden, vor allem, wo Katholiken mit Protestanten zusammenleben, etwa in einer Mischehe, da suchen viele Protestanten ihrem katholischen Gatten das Beichtinstitut madig zu machen. Das ist einer der Gründe, weswegen dem Bußsakrament Schwierigkeiten entgegenstehen. Ein zweiter Grund ist falsche Erziehung. Man darf niemals – niemals! – einem Kinde, das einen Fehler macht, sagen: „Das mußt du beichten!“ Das ist ein ganz schwerer Fehler, wenn man das einem Kinde sagt. Das Beichtinstitut ist kein Erziehungsmittel für das Wohlverhalten in der Familie. Das ist eine heilige und geheime Sache zwischen Gott und seinem Vertreter auf der einen Seite und dem Kind auf der anderen Seite, aber nicht ein Drohmittel, um ein Kind zum Gehorsam zu bringen. Falsche Erziehung kann hier verheerende Auswirkungen haben.

Es gibt auch Ungeschicklichkeiten bei der Darstellung des Bußsakramentes. Nicht jeder Priester, nicht jeder Religionslehrer ist ein guter Pädagoge. Da kann es schon vorkommen, daß einem Kinde in der Darbietung des Bußsakramentes Angst eingejagt wird oder eine falsche Scham erzeugt wird. Es wäre fatal, wenn so etwas geschähe. Natürlich liegt im Bußsakrament, im Beichten selbst eine Verdemütigung. Es ist ja nicht zu bestreiten, daß man seine Sünden einem Menschen bekennt, allerdings einem Menschen, der von Gott beauftragt ist, dieses Bekenntnis entgegenzunehmen. Und das ist eine Verdemütigung, da gibt es nichts zu rütteln. Aber um diese Verdemütigung zu verstehen, läßt sich mehrerlei sagen. Einmal, meine lieben Freunde, brauchen wir doch alle jemanden, dem wir unsere Sorgen, Verfehlungen, Nöte und Schwächen anvertrauen. Die meisten Menschen haben zum Glück einen Vertrauten, einen Freund, eine Freundin, denen sie ihre offenen oder geheimen Nöte und Ängste anvertrauen. Und das ist richtig so. Der Mensch soll aussprechen, was ihn bewegt und bedrückt. Damit wird es ihm leichter. Der Freund und die Freundin nimmt teil an seinen Sorgen, an seinen Schwächen, an seinen Kämpfen, an seinen Niederlagen.

Im Bußsakrament geschieht dasselbe. Da ist ein Mensch, von dem von vorneherein feststeht, daß er uns geneigt ist, daß er uns wohlwollend gegenübertritt. Ihm vertrauen wir unsere Schwächen, unsere Erbärmlichkeiten an. „Es ist die tiefste Nützlichkeit des katholischen Priesters“, hat einmal Friedrich Nietzsche gesagt, „ein heiliges Ohr, ein tiefer Brunnen, ein Grab für Geheimnisse zu sein.“ Der das sagte, war der Sohn eines evangelischen Pfarrers.

Außerdem ist zu bedenken: Der Priester ist in derselben Lage. Auch der Priester, auch der Bischof, auch der Papst muß beichten. Und sie alle beichten öfter als die meisten ihrer Beichtkinder. Wir Priester sind gehalten, frequenter zu beichten, häufig, und das ist dahin zu verstehen: wenigstens alle vier Wochen. Und ein Priester, der seinen Beruf ernst nimmt, tut das. Es gibt auch Priester, die noch häufiger beichten. In den Klöstern der Kartäuser ist es mir begegnet, daß es dort Mönche gibt, die jeden Tag beichten. Der Priester ist also in derselben Lage wie die Pönitenten. Er kann genausowenig etwas verheimlichen wie seine Beichtkinder, und seine Sünden sind schmerzlicher, weil eine höhere Verantwortung auf ihm liegt.

Die Scham vor dem Bekenntnis ist völlig unbegründet, meine lieben Freunde. Lassen Sie das einen Priester, der seit 43 Jahren als Beichtvater tätig ist, sagen! Der Priester hat noch nie im Beichtstuhl einen schlechten Menschen getroffen. Die schlechten Menschen gehen nicht beichten. Die in den Beichtstuhl kommen, sind reuige Menschen. Das sind keine schlechten Menschen. Es ist keine Schande, die Sünden zu bekennen. Eine Schande ist es, die Sünden zu begehen! Aber die Sünden zu bekennen, das ist keine Schande. Der weise Sokrates sah einmal einen seiner Schüler aus einem Bordell kommen. Der Schüler wollte sich eilig vor ihm verstecken. „Nein,“ sagte Sokrates, „es ist keine Schande aus dem Hause herauszukommen, sondern in es hineinzugehen!“ Ganz richtig. So ist es auch mit dem Beichtinstitut. Die Sünden zu begehen, das ist eine Schande, aber sie zu bekennen, das ist rühmenswert.

Die Meinung, der Priester denke über die ihm bekannten Sünden nach, ist ganz falsch. Was Gott in den Abgrund des Vergessens geworfen hat, das ist für den Priester erledigt. Wie soll er sich mit etwas beschäftigen, was vor Gott vernichtet ist? Er freut sich über jeden Sünder, und wenn ich das – menschlich gesprochen – sagen kann: Er freut sich über das Bekenntnis eines großen Sünders mehr als über das Bekenntnis eines kleinen Sünders. Warum? Weil der Sieg der Gnade größer ist, weil das Glück, einen Menschen wieder in den Stand der Gnade zu versetzen, ein unermeßlich größeres ist, wenn einer kommt, der sich nach langer Zeit wieder bekehrt und zum Bekenntnis entschlossen hat. Es ist also eine große Freude für den Priester, wenn er im Beichtstuhl sehen und wirken kann, wenn er seine Hand erheben und sprechen kann: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ Ich zögere nicht, meine lieben Freunde, zu sagen: Die fruchtbarsten Stunden meines Priesterlebens waren die Stunden, die ich im Beichtstuhl verbracht habe. Es waren die wertvollsten, die kostbarsten Stunden meines Lebens. Menschen mit Gott versöhnen, Menschen den Frieden geben, Menschen mit der Gnade beschenken, ja, was kann es Herrlicheres, Beglückenderes geben als dieses priesterliche Tun?

Und vergessen Sie eines nicht: Der Priester ist an das Beichtsiegel gebunden. Er muß das Beichtsiegel halten, und wenn es ihn das Leben kostet. In der Französischen Revolution haben unter dem Zwang und Terror so manche Priester ihren heiligen Beruf aufgegeben. Andere sind in den Ehestand getreten, haben eine Zivilehe geschlossen. Aber, so schreibt der französische Bischof Grégoire von Blois, man hat niemals auch nur einen Priester gesehen, der das Beichtsiegel gebrochen hätte.

Und kommen Sie mit mir, meine lieben Freunde, nach Glatz in Schlesien! In der Pfarrkirche dieser Stadt liegt der Priester Andreas Faulhaber begraben. Andreas Fauhaber war Feldprediger der preußischen Armee. Ein Soldat beging Fahnenflucht und bezichtigte den Priester, ihm dazu geraten zu haben. Obwohl andere Soldaten bezeugten, daß er sie immer zur Pflicht ermahnt habe, der Priester konnte sich nicht verteidigen, er durfte aus dem Bußsakrament nichts herausplaudern. Er wurde zum Tode verurteilt und gehenkt und ist begraben in der Pfarrkirche zu Glatz in Schlesien.

Sie alle wissen, daß das Beichtinstitut in den vergangenen Jahren in unserer Kirche Schaden gelitten hat. Im Rahmen des allgemeinen Zusammenbruchs, im Rahmen der Protestantisierung unserer Kirche (Bußandachten!), in diesem Rahmen sind Spendung und Empfang des Bußsakramentes immer mehr zurückgegangen. Ein Bischof sprach davon, es sei ein verlorenes Sakrament. Das ist von ungeheuerer Tragweite! Wenn die Seelen nicht mehr von Sünden gereinigt werden, dann nimmt die Kirche eine ihrer wichtigsten Aufgaben nicht mehr wahr; dann wächst das Unheil unabsehbar heran. Für mich ist das eines der erschreckendsten Kennzeichen des nachkonziliaren Zusammenbruchs, daß das Beichten enorm zurückgegangen ist. Wenn es in unserer Kirche einen Wiederaufstieg geben soll, wenn es noch einmal eine Blüte geben soll, dann muß das Beichtinstitut wieder in seine frühere Rolle eingesetzt werden, dann müssen wir wieder lernen, gut, aufrichtig, reuig und mit echtem Vorsatz zu beichten und den Herrn zu preisen ob seiner Barmherzigkeit.

Amen.

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