Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. April 1993

Der Herr ist auferstanden

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

 

Geliebte, in heiliger Osterfreude Versammelte!

Die älteste Osterbotschaft der ältesten Gemeinde lautet: Der Herr ist auferstanden. Die Terminologie „auferstanden“ ist im Semitischen und im Griechischen von einem ganz alltäglichen Ereignis genommen. Sie besagt, daß einer, der schlafen gegangen ist, auferweckt wurde, daß er sich aufgerichtet hat, von seinem Lager aufgestanden ist und seine Schlafkammer verlassen hat. Dieser Ausdruck wurde schon von dem Buch des Propheten Daniel für die Auferstehung von den Toten verwendet, und diesen selben Ausdruck benutzt die Urgemeinde, um das Geschehen des Ostertages zu bezeichnen. Es bedeutet also der Satz „Der Herr ist auferstanden“: Er hat sich von seiner Grabnische erhoben, er ist auferweckt worden und hat die Grabkammer verlassen.

Die Auferstehung Jesu setzt das leere Grab voraus. Wenn Jesus auferstanden ist, dann muß die Grabkammer leer sein, und das ist auch die Botschaft aller Evangelisten: Das Grab ist leer. In diesem Punkte sind sich die gläubigen Anhänger Jesu und seine Feinde völlig einig. An der Leerheit des Grabes haben weder die jüdischen Gegner der damaligen Zeit noch die Jesus-Polemiker des Mittelalters je gezweifelt. Die jüdischen Gegner Jesu hätten es dringend nötig gehabt, das Besetztsein des Grabes zu beweisen. Sie hätten ein großes Interesse daran gehabt, eine Kommission einzusetzen, die sich zu dem Grabe begab und feststellte, der Leichnam ist noch da. Und dann wäre der Verkündigung von der Auferstehung, dann wäre dem Entstehen der Jesus-Gemeinde jeder Boden entzogen gewesen. Es wäre also für sie ein leichtes gewesen, das Besetztsein des Grabes nachzuweisen. Aber es war ihnen unmöglich, denn das Grab war leer. Und weil sie in ihrer Verlegenheit irgendeine Erklärung finden mußten, so sagten sie, der Leichnam ist gestohlen worden.

Die Leerheit des Grabes hat allein nicht genügt, um den Osterglauben zu begründen. Ein einziger ist schon angesichts des leeren Grabes zum Glauben gekommen, nämlich Johannes. Er ging in die Grabkammer hinein und glaubte. Aber er war der einzige; alle anderen waren ratlos. Petrus war ratlos, die Elf waren unschlüssig, die Frauen waren entsetzt; sie waren bestürzt und nicht begeistert, als sie vom leeren Grabe Kenntnis nahmen. Es mußte etwas dazu kommen, um von dem leeren Grabe zum Osterglauben zu finden. Man kann um das leere Grab wissen, und das ist eine empirische Tatsache, das ist kein Glaubensgegenstand, das ist eine Tatsache, die historischer Forschung offensteht. Man kann um das leere Grab wissen und doch nicht zum Osterglauben kommen. Was die Jünger zum Osterglauben geführt hat, das waren die Christophanien, die Erscheinungen des Auferstandenen. „Der Herr ist auferstanden und dem Simon erschienen.“ Erst als der Herr sich den Seinen zeigte, war es möglich, das richtige Verständnis zu gewinnen für das leere Grab. Erst jetzt begriffen sie, was es bedeutet, daß die Grabkammer von dem Leichnam entblößt war. Die Erscheinungen des Auferstandenen haben in ihnen den Osterglauben begründet. Deswegen legt der Apostel Paulus, der durch eine solche Erscheinung für Christus gewonnen wurde, eine Zeugenliste vor. Im 1. Korintherbrief, 15. Kapitel zählt er auf, wer alles den Auferstandenen gesehen hat, und diese Zeugenliste wird mit dem Anspruch einer juristischen Qualität vorgelegt. Da heißt es: „Ich habe euch vorgetragen, was ich auch selber überkommen habe, nämlich daß Christus für unsere Sünden gestorben ist gemäß der Schrift, daß er begraben worden und am dritten Tage wieder auferstanden ist gemäß der Schrift, daß er dem Kephas (das ist der ursprüngliche Name des Petrus) erschienen ist und danach den Zwölfen. Hierauf ist er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal erschienen, von denen die Mehrzahl jetzt noch am Leben ist, während einige entschlafen sind. Weiter ist er dem Jakobus erschienen, dann sämtlichen Aposteln. Zuletzt von allen auch mir, der ich doch gleichsam eine Mißgeburt bin.“ Also die Erscheinungen des Auferstandenen haben die theologische Deutung des leeren Grabes geliefert. Jetzt erst wissen die Apostel, was es bedeutet, daß das Grab leer ist. Der Herr ist auferstanden, er ist in der Verklärung verwandelt worden und in die himmlische Herrlichkeit zurückgekehrt.

Gegen diese Osterbotschaft erheben sich Einwände, werden Zweifel wachgerufen. In der von den Jesuiten herausgegebenen Zeitschrift „Orientierung“ schreibt ein Herr Brendle, der Leichnam Jesu habe verwesen können, und trotzdem sei die Auferstehung wirklich. Jeder, der einigermaßen mit dem christlichen Glauben vertraut ist und der sich das Denkvermögen bewahrt hat, wird sich fragen: Wie soll so etwas möglich sein, daß der Leichnam Jesu verwest und er trotzdem auferstanden ist? Was ist denn das für ein Jesus, dessen Leib verwest und der auch auferweckt wird? Sind das zwei Wesen, der eine der Jesus und der andere der Christus? Ist das nicht die Erneuerung des Doketismus, jener Irrlehre, gegen die schon der Apostel Johannes gekämpft hat? Nein, das „etaphe“ – er wurde begraben – das bindet den Satz „Er ist gestorben“ und den Satz „Er ist auferweckt worden“ zusammen. Der Gestorbene ist begraben worden, und der Begrabene ist auferstanden. Es besteht Personalidentität zwischen dem, der am Kreuze gehangen ist und gestorben ist, und dem, der auferstanden ist. Es besteht personale Gleichheit. Nur so ist das Geheimnis der Erlösung gesichert; nur so sind wir wahrhaft von unseren Sünden befreit.

Die Juden der damaligen Zeit, auch späterer Perioden, haben das Gerücht ausgestreut, der Leichnam Jesu sei gestohlen worden. Sie haben das leere Grab nicht bestritten, aber sie haben eine, wie sie meinen, natürliche Erklärung für das Leersein des Grabes gesucht und gefunden. Er ist gestohlen worden. Wer kommt denn für den Diebstahl in Frage? Pilatus sicher nicht, denn er hatte nur ein hoheitliches Interesse daran, daß das Grab in ordnungsgemäßem Zustand erhalten wurde. Auf Grabfrevel und Leichenentwendung standen immer, zu allen Zeiten, schwerste Strafen. Und die Wache, die er gegeben hatte, sollte dafür sorgen, daß das Grab unbeschädigt und unversehrt blieb. Die Soldaten hatten keinen anderen Auftrag, als das Grab zu bewachen, und sie hatten kein Interesse, ihrem Befehl zuwiderzuhandeln. Die jüdischen Gegner Jesu waren noch weniger daran interessiert, den Leichnam zu entfernen, denn sie wußten, daß der tote Leichnam für sie viel lauter sprach, als wenn er verschwunden gewesen wäre. Die Jünger Jesu aber waren verstört und verzweifelt. Außerdem hätten sie eine beträchtliche verbrecherische Energie entwickeln müssen, um den Leichnam Jesu zu stehlen und zu entfernen. Wo ist er dann geblieben? Ein Leichnam eines Menschen, der von Tausenden geliebt und von ebenso vielen Tausenden fanatisch gehaßt wurde, ein solcher Leichnam kann nicht spurlos verschwinden. Der Leichnam Stalins oder der Leichnam Lenins kann nicht verschwinden. Es ist unmöglich, daß ein solcher Leichnam unbemerkt irgendwohin verbracht wird.

Vor einigen Jahrzehnten starb die Frau des argentinischen Präsidenten Juan Perón. Sie wurde einbalsamiert, und die Argentinier, Millionen von diesem Volke, haben mit einer überschwenglichen Liebe an dieser Frau gehangen. Eines Tages war der Sarg mit der Leiche verschwunden. Aber er tauchte wieder auf, und niemand hat angenommen, daß Evita Perón inzwischen auferstanden sei. Dieses Beispiel mag zeigen, wie an den Haaren herbeigezogen die Diebstahlshypothese ist.

„Sagt: Die Jünger sind in der Nacht gekommen und haben den Leichnam Jesu gestohlen.“ So haben die Juden den Wächtern am Grabe gesagt. O welcher Widerspruch,  meine lieben Freunde! Sie haben geschlafen und wollen gleichzeitig beobachtet haben, daß andere ihn gestohlen haben. Wie paßt das zusammen? Schlafende Wächter können nicht beobachten. Welche Torheit in diesem Versuch, das große Geheimnis der Auferstehung zu entwerten!

„Der Herr ist auferstanden und dem Simon erschienen.“ Das ist die Botschaft der ältesten Gemeinde in Jerusalem. Das ist auch unsere Botschaft, und die Kirche weiß, warum sie zu dieser Botschaft hinzufügt: „Der Herr ist wahrhaft auferstanden.“ Das Wort wahrhaft will jeder Spiritualisierung, jeder Subjektivierung, jeder Entmythologisierung des Auferstehungswunders entgegenwirken. Wahrhaft, das heißt eben dem Leibe nach, fleischlich ist er auferstanden. Was da in den Jüngern vorging, das war nicht eine Halluzination, die ihnen durch Angst oder Hoffnung, je nachdem, wie man meint, vorgehen zu können, eingekommen ist, sondern was ihnen da widerfahren ist, das ging von außen auf sie zu, das trat von außen an sie heran. Sie haben ein Widerfahrnis gehabt, dem sie sich nicht widersetzen konnten. Auch wenn sie gewollt hätten, hätten sie den Auferstandenen sehen müssen.

So ist also,  meine lieben Freunde, die Christuserscheinung die Deutung des leeren Grabes. Aber das leere Grab ist die Bürgschaft dafür, daß die Christuserscheinung wirklich das Sichtbarwerden des Gekreuzigten und Begrabenen war. Leeres Grab und Christuserscheinung gehören zusammen und lassen sich nicht trennen.

Da sieht man seiner Gottheit Macht, sie macht den Tod zuschanden.

Amen.

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