Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. Juni 1992

Die Trägheit als Wurzelsünde

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

An den vergangenen Sonntagen haben wir sechs der sieben Hauptsünden betrachtet, Zorn, Stolz, Neid, Geiz, Unkeuschheit, Unmäßigkeit, und so bleibt uns heute die letzte dieser Hauptsünden zu überdenken, nämlich die Trägheit oder die Faulheit. Die Trägheit ist deswegen eine Hauptsünde, weil auch sie wie aus einem fruchtbaren Born immer neue Fehler, Schwächen und Sünden hervorbringt. Wer träge ist, fällt anderen zur Last. Er sucht sich auf unrechte Weise Anerkennung, Vermögen und Ehre zu verschaffen. Er verfällt in alle möglichen Versuchungen, die aus dem Müßiggang entstehen. Es kommt zum Streit, weil seine Faulheit ihn hindert, das Notwendige zu tun. Der Unfriede bricht ein, wo Faulheit herrscht. Wahrhaftig, die Trägheit ist eine Wurzelsünde. Aus ihrer vergifteten Wurzel wachsen viele andere Sünden empor. Der Träge gerät auch leicht in Armut, und am Ende steht der Verlust der Seligkeit. Denn wie sagte der Herr: „Ein jeder Baum, der keine gute Frucht bringt, wird ausgehauen und ins Feuer geworfen.“ Der träge Knecht, der sein Talent vergrub, statt mit ihm zu arbeiten, wird hinausgeworfen in die Finsternis draußen, wo Heulen und Zähneknirschen ist. Gott hat den Menschen das Gesetz der Arbeit gegeben. Die Arbeit ist eine Pflicht für den Menschen, der er sich nicht entziehen kann. Normalerweise erfüllt der Mensch seine Arbeitspflicht in seinem Berufe. Das Wort Beruf hängt mit Berufung zusammen, und jeder Beruf ist in gewisser Hinsicht eine Berufung, nämlich von Gott her. Und durch den Fleiß der Berufsarbeit soll er sich seine Seligkeit verdienen.

Die menschliche Gesellschaft ist auf die pflichtmäßige Arbeit angewiesen. Nur das gewissenhafte Zusammenwirken aller sichert das Gemeinwohl. Wir könen uns oft die Arbeit nicht aussuchen, der wir uns hingeben müssen. Aber auf jeder Arbeit liegt Segen, wenn sie in der rechten Gesinnung getan wird. Man kann sogar in dieser Hinsicht von einer sittlichen und religiösen Gleichheit der Berufe sprechen. Sittlich und religiös sind die Berufe deswegen gleich, weil es bei allen vor Gott auf den Einsatz, auf die Gesinnung ankommt, mit der sie erfüllt wird. Der Pflicht zur Arbeit unterwerfen sich auch die Ordensleute. Selbst die sogenannten beschaulichen Orden sind unermüdlich tätig. Es ist ganz verfehlt, wenn man meint, die Männer und Frauen, die  in den beschaulichen Klöstern weilen, würden nur den ganzen Tag beten. Keineswegs; auch sie wechseln sich in Gebet und Arbeit ab. Nur ist ihre Arbeit eben dem häuslichen Bereich gewidmet, dringt gewöhnlich nicht nach außen, ist nicht der Welt zugewandt, ist keine in dem Sinne apostolische Arbeit. In Amstenrat wird heute noch die selige Schwester Agnes verehrt. Sie war das ganze Leben über kränklich, aber bei jeder Arbeit war sie dabei und unermüdlich. Einmal wurde das Kloster erneuert, und die Schwestern mußten Steine tragen und Handlangerdienste verrichten. Eine Schwester sagte zu Schwester Agnes: „Dafür bin ich doch nicht ins Kloster gegangen, daß ich hier arbeite und mich im Gebet behindert sehe.“ Da gab ihr die selige Schwester Agnes zur Antwort: „Schwester, sei mir zufrieden! Es ist besser, mit Gott zu arbeiten, als ohne Gott zu beten.“

Die Arbeit, die uns aufgetragen ist, sollen wir mit Fleiß verrichten. Also keine Drückebergerei, kein Aufschieben, keine Pfuscherei bei der Arbeit! Sie soll mit Emsigkeit, mit Einsatz, mit Eifer angefaßt werden. So haben alle, die uns im Reiche des Geistes als große Menschen bekannt sind, mit Fleiß gearbeitet. Die gesammelten Werke von Johann Wolfgang von Goethe umfassen 133 Bände in der Weimarer Ausgabe. Wenn man diese 133 Bände mit der Hand abschreiben würde, so müßte man 60 Jahre lang schreiben. Das hat Goethe in seinem Leben vollbracht, obwohl er noch nebenbei Theaterdirektor und Minister war und an vielen Zeitungen und Zeitschriften mitgearbeitet hat. Johann Wolfgang von Goethe ist nicht das einzige Beispiel eines rastlosen Fleißes. Denken wir auch an Wolfgang Amadeus Mozart. In seinem kurzen Leben von 35 Jahren hat er, der immer kränklich war und sich viel auf Konzertreisen befand, ein Riesenwerk musikalischer Kunst geschaffen. Auch hier hat man ausgerechnet, daß, wenn jemand die Noten, die er geschrieben hat, abschreiben müßte, er dazu 50 Jahre brauchen würde. Es ist uns unbegreiflich, wie er in seinem kurzen Leben diese Fülle musikalischer Einfälle hat verarbeiten können. Ein gewaltiges Werki hat er seinem schwachen Kösper abgerungen.

Wir sollen auch bei der Arbeit ausdauernd sein, nicht fortwährend wechseln, auch den Beruf nicht ohne Grund wechseln, sondern beharrlich sein, aushalten bei der Arbeit, bleiben bei dem, was man sich einmal vorgenommen und beschlossen hat. Im Monat April dieses Jahres besuchte ich in München die Stätte, wo ich vor 45 Jahren gewohnt habe als Student der Theologie. Da traf ich einen alten Mann, der immer noch den Garten besorgt, den er schon damals betreut hatte. Er sagte zu mir: „Ich bin jetzt 57 Jahre an dieser Stelle. Jeden Morgen früh gehe ich in meine Kirche, und den ganzen übrigen Tag arbeite ich im Garten.“ Seit 57 Jahren! Ausdauer bei der Arbeit ist vonnöten.

Die Arbeit gilt natürlich auch dem Lebensunterhalt. Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert, und wir dürfen für unsere Arbeit irdischen Lohn erwarten. Aber die Arbeit darf nicht als Profitquelle verstanden werden. Das heißt sie herabwürdigen und erniedrigen. Es ist materialistisch gedacht, wenn man die Arbeit als Ware ansieht. Nein, wir sollen arbeiten zur Ehre Gottes, zum Wohle der Gemeinschaft und auch zu unserem eigenen Unterhalt. Selbstlosigkeit der Arbeit ist gefragt. Man muß sich der Pflicht hingeben, sachlich sein, mit reinen Motiven an die Arbeit gehen und so das aufgetragene Werk verrichten. Von dem Kaiser Hadrian wird berichtet, daß er einmal in Palästina eine Reise unternahm. Er traf einen alten Mann, der einen Feigenbaum pflanzte. Er fragte den Mann: „Wie alt bist du?“ „Hundert Jahre.“ „Denkst du, daß du von diesem Feigenbaum noch Früchte ernten wirst?“ Da gab ihm der Mann zur Antwort: „Ich pflanze diesen Baum, damit er Frucht trägt. Wenn es Gott gefällt, mich so lange leben zu lassen, daß ich sie genießen kann, so ist es recht. Wenn nicht, dann fallen die Früchte eben denen zu, die nach mir kommen, so wie ich von jenen gelebt habe, die vor mir waren.“ Das ist die rechte Haltung bei der Arbeit. Sie schaut nicht auf sich selbst, sie schaut auf die Sache, und sie tut das, was gefordert ist ohne Rücksicht auf die eigene Person.

Der treuen, zuverlässigen, ausdauernden, fleißigen Arbeit hat Gott ewigen Lohn verheißen. Der Arbeiter ist seines Lohnes wert, auch in diesem Sinne. Die Arbeit wird im Gerichte Gottes gemessen und gewogen. Wer recht arbeitet, darf darauf hoffen, daß Gott ihm die Gewissenhaftigkeit der Arbeit anrechnen wird. Der heilige Bernhard traf einmal einen Ordensbruder, der auf dem Felde arbeitete, fleißig arbeitete. Er sagte zu ihm: „Das ist recht so; so brauchst du keine Angst vor dem Fegefeuer zu haben.“ Er meinte eben, durch den Fleiß seiner Arbeit habe er seine zeitlichen Sündenstrafen schon hier auf Erden abgebüßt. Von einem König wird berichtet, daß er einem Hirten begengnete und ihn fragte: „Was bekommst du für das Hüten deiner Herde? Welchen Lohn erhältst du?“ Der Hirt antwortete: „Denselben wie du, o König.“ Der König war erstaunt. Wie soll das gehen? „Siehst du“, sagte der Hirte, „ich erwerbe mir mit meiner Arbeit entweder den Himmel oder die Hölle. Und du kannst auch dir mit deinem Regieren nichts anderes erwerben.“

So ist es, meine lieben Freunde. Mit unserer Arbeit erwerben wir uns den Himmel oder die Hölle. Entweder ist es eine gesegnete Arbeit, dann wird Gott sie lohnen; oder es ist eine ungesegnete Arbeit, dann war sie unnütz in Gottes Augen. Wir wollen also rastlos tätig sein, die Unlust und die Trägheit überwinden, uns zur Arbeit ermutigen und ermuntern, jeden Tag die Last, auch die beschwerliche Last der Arbeit auf uns nehmen, die gute Meinung machen und unser Werk verrichten zur Ehre Gottes, zum Heile der Menschen und zu unserem eigenen Wohle.  Amen.

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