Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
28. Januar 1990

Vollkommenheit, Unendlichkeit, Einfachheit und Einzigkeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

 

Geliebte im Herrn!

Der weise Philosoph Epiktet wurde einmal von seinen Schülern gefragt, was Gott sei. Darauf gab er die Antwort: „Wenn ich wüßte und euch sagen könnte, was Gott ist, dann wäre entweder Gott nicht Gott, oder ich wäre Gott.“ Epiktet hat mit dieser Antwort andeuten wollen, daß Gottes Wesen für den Menschen undurchdringlich ist. Es ist ausgeschlossen, daß der Mensch mit seinem Erkenntnisvermögen, mit seinen Begriffen Gott in erschöpfender, komprehensiver, umfassender Weise versteht und erkennt. Denn dann wäre er gewissermaßen der Herrgott, dann könnte er Gott in seine Gewalt bringen und in gewisser Hinsicht nachbauen, wie der Mensch viele Dinge der Natur nachmacht. Gott kann nur Gott bleiben, wenn er für den Menschen undurchdringlich ist, wenn er nicht adäquat, nicht in erschöpfender Weise vom Menschen erkannt werden kann.

Dennoch hat sich Gott nicht völlig unerkannt gelassen. Er hat uns die Möglichkeit gegeben, von der Natur aufsteigend aus den Werken den Werkmeister zu erschließen, und er hat sich in der Offenbarung durch Jesus Christus und schon im Alten Bunde als Gott zu erkennen gegeben. Wenn wir mit unserer analogen Erkenntnis, die zu Ergebnissen führt, die der Wirklichkeit mehr unähnlich sind, als ähnlich, aber immerhin doch noch wahr ist, wenn wir mit unserer analogen Erkenntnis fragen: „Welches ist denn die tiefste Wesenheit Gottes? Was unterscheidet ihn von allem Nichtgöttlichen?“, dann müssen wir sagen: Es ist sein Sich-selbst-Tragen, sein Sich-selbst-Setzen, sein eigenes Selbst-Sein. Die Geschöpfe haben das Dasein von einem anderen bekommen. Sie sind verursacht. Gott hat das Dasein nicht von einem anderen bekommen, er ist nicht verursacht, sein Seinsgrund ist er selbst. Er ist, er existiert aus sich selbst und durch sich selbst. Er ist nicht gemacht, nicht angestoßen von einem anderen, sondern er ist tatsächlich, wie Aristoteles mit einem meines Erachtens glücklichen Begriff gesagt hat, der unbewegte Beweger.

Dieses Zeugnis läßt sich aus dem Alten Testament stützen. Als Gott dem Moses erschien und ihm Aufträge für sein Volk gab, da wollte Moses wissen, wie Gott heißt. „Wenn ich zu den Israeliten komme und ihnen sage: Der Gott eurer Väter sendet mich zu euch, und wenn sie mich fragen: Wie heißt er denn?, was soll ich ihnen dann antworten?“ Gott antwortete dem Moses: „Ich bin der Ich bin! So sollst du zu den Israeliten sprechen: Der Ich bin hat mich zu euch gesandt.“

Der Ich bin! Gott gibt also sein Wesen an, indem er sagt: Ich bin der Ich bin. Was bedeutet das? Die Israeliten haben es zunächst so verstanden: Ich bin der Beständige, der immer bei euch ist, ich bin der Zuverlässige, ihr könnt euch auf mich verlassen, ich bin bei euch. Aber dieses Verständnis war noch unvollkommen und schöpfte Gottes Selbstbezeichnung nicht aus. Spätere Bücher der Heiligen Schrift, wie das Buch der Weisheit, verstehen diese Aussage als einen Hinweis auf das innerste Wesen Gottes, das eben Sein ist. „Der Seiende“ nennt das Buch der Weisheit ihn, ton onta in griechischer Sprache. Er ist das subsistierende, das in sich selbst gründende Sein. Alle anderen, die außer Gott sind, haben das Sein empfangen, er trägt es von Ewigkeit in sich selbst, er ist der Grund dafür, daß er ist. Er hat den Grund seines Seins in sich selbst.

Neben dem innersten Sein Gottes gibt es Eigenschaften Gottes, Attribute, wie wir das nennen. Diese sind notwendig anzugeben, weil Gott eben in seinen Werken nach außen hin in verschiedener Hinsicht erscheint. Das Wirken Gottes nach außen spiegelt sich in verschiedener Weise, und diese verschiedenen Weisen seines Erscheinens nennen wir Eigenschaften Gottes. In Gott ist zwar alles einfach. Aber wie er sich uns zeigt, erkennen wir nur stückweise, und die Eigenschaften Gottes sind Stücke unseres Erkennens seiner Wirklichkeit.

Ich möchte heute angesicht der Komplexität des Gegenstandes wenigstens vier Eigenschaften Gottes erwähnen. An erster Stelle seine Vollkommenheit. Vollkommen ist ein Wesen, das alles besitzt, was zu seiner Natur gehört. Wenn wir sagen, Gott ist vollkommen, denn wollen wir damit ausdrücken: Es fehlt ihm nichts an Fülle des Seins. Er ist absolut vollkommen, d. h. er ist unüberbietbar vollkommen. Er besitzt alles in höchstem Maße, er ist der Vollkommenste von allem Vollkommenen. Das lesen wir im Neuen Testament, wenn der Heiland in der Bergpredigt die Jünger auffordert: „Seid vollkommen (auf eure Weise), wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!“ Die Vollkommenheit Gottes will also ausdrücken, daß er in jeder Hinsicht im höchsten Besitz aller Werte und aller Schätze ist, die überhaupt denkbar sind. Er ist der Vollkommene.

Er besitzt das alles, zweitens, in unendlicher Weise. Er ist der Unendliche. Unendlich ist, was keine Grenze kennt. Gott ist der Unendliche, d. h. er ist an jeder Eigenschaft so überragend, daß eine Schranke überhaupt nicht denkbar ist. „Unergründlich ist er, seine Weisheit ist ohne Maß.“ So heißt es in den Psalmen. „Seine Größe ist unergründlich.“ Damit soll ausgedrückt werden, daß Gott unendlich ist.

Wir können uns das nicht vorstellen. Unser Verstand versagt schon, wenn wir uns die Sternenwelt vorstellen wollen. Daß da Millionen und Milliarden Sterne sind und daß das Universum gar kein Ende zu haben scheint, daß es unermeßlich ist, das können wir uns nicht vorstellen. Oder auch bei Zahlen; wir können uns das Unendliche bei Zahlen nicht vorstellen. Denn wir kennen immer nur Wesen, die endlich sind. Aber Gott ist der Unendliche, weil er eben das subsistierende Sein ist.

Ich gebe zu, meine lieben Freunde, daß hier der Verstand aussetzt. Aber wir müssen diese Eigenschaft Gottes festhalten, wenn wir ihn als Gott gelten lassen wollen. Was der Verstand nicht fassen kann, das vermag der Glaube zu bejahen. Ein englischer Freidenker traf einmal einen Arbeiter, der zur Kirche ging. Er fragte den Mann: „Wie groß ist dein Gott?“ Natürlich, um ihn zu verspotten. Der Arbeiter gab zur Antwort: „Er ist so groß, daß Ihr Verstand ihn nicht fassen kann. Und er ist so klein, daß er in meinem Herzen wohnen kann.“ Eine weise Antwort, nicht wahr? Er ist so groß, daß Ihr Verstand ihn nicht fassen kann. Aber er ist auch so klein, daß er in meinem Herzen wohnen kann.

Die dritte Eigenschaft Gottes ist seine Einfachheit. Einfach ist, was nicht zusammengesetzt ist. Und Gott ist nicht zusammengesetzt. Er ist ja ein Geist. Ein Geist ist ein körperloses, unsterbliches Wesen mit Verstand und freiem Willen. „Gott ist ein Geist,“ heißt es im Johannesevangelium, „und die ihn anbeten wollen, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Das Alte Testament schildert zwar Gott nach menschlicher Weise, z. B. daß sich Gott im Abendwind im Garten Eden erging. Es spricht von den Händen Gottes und von seinen Augen und von seinen Ohren. Das sind Anthropomorphismen. Das heißt Aussageweisen, wie man sie von Menschen gebraucht. Und die Heilige Schrift verwendet sie für Gott, um seine Lebendigkeit auszudrücken, um zu erklären, daß er auf die Menschen achtet, daß er hört, was sie sagen, daß er sieht, was sie tun, und daß er mächtig ist – mit seinen Händen wird das angedeutet –, in ihre Geschicke einzugreifen. Gott ist also Geist. Er ist nicht zusammengesetzt, auch als Geist nicht zusammengesetzt, nicht von Potenz und Akt, nicht von Dasein und Sosein, nicht von Eigenschaften, nicht von Tätigkeiten. In ihm ist seine Weisheit seine Allmacht, und seine Allmacht ist seine Gerechtigkeit, und seine Gerechtigkeit ist seine Güte. Die Heilige Schrift deutet das an, wenn sie sagt bei Johannes: „Gott ist die Liebe.“ Von einem Menschen sagen wir: Er hat die Liebe, er beweist die Liebe, er zeigt die Liebe. Von Gott muß man sagen: Er ist die Liebe, weil Liebe sein Wesen ist; seine Tätigkeit ist nicht unterschieden von seinem Wesen. Und der Herr sagt ja selbst von sich: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Nicht: Ich zeige den Weg, nicht: Ich bringe die Wahrheit, nicht: Ich gebe das Leben; das natürlich auch. Aber: Ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit, ich bin das Leben, weil eben diese Möglichkeiten in Gott ungeteilt mit seinem Wesen identisch sind. Er ist der absolut Einfache.

Und schließlich die letzte, die vierte Eigenschaft: Gott ist der Einzige. Nun, das macht uns verhältnismäßig wenig Schwierigkeiten. Wir bekennen es ja immer im Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an den einen Gott.“ Es gibt nur einen, einen einzigen Gott. Die Heiden haben einen Viel-Gott-Glauben gehabt, weil sie die Naturgewalten, in denen sich Gott offenbart, als Götter ansahen, also meinetwegen das Feuer, den Blitz, die Sonne, diese mächtigen Naturerscheinungen, das Meer; da haben sie etwas gespürt von der Gewalt Gottes und haben das dann selbst vergöttlicht. Aber die Religionsgeschichte weist nach, daß der Weg nicht vom Viel-Gott-Glauben zum Ein-Gott-Glauben geht, sondern umgekehrt, daß der Ein-Gott-Glaube am Anfang steht und daß die Völker davon abgefallen, abgewichen sind zum Viel-Gott-Glauben. Daß es nur einen Gott geben kann, ergibt sich schon aus der Tatsache, daß er der Höchste ist. Wenn es mehrere Götter gäbe, dann wäre er nicht der Höchste. Gott ist der Höchste. Aus der Fülle seines Seins ergibt sich, daß er der einzige, der einzig wahre Gott ist. Die Götter sind Nichtse, wie die Heilige Schrift sagt, Nichtigkeiten, d.h. sie existieren gar nicht. „Sie haben einen Mund,“ spotten die Psalmen, „und können nicht sprechen. Sie haben Hände und können nicht greifen. Sie haben Ohren und können nicht hören. Sie haben Füße und können nicht gehen.“ So verspotten die Psalmen den törichten Götterglauben der heidnischen Umwelt.

Es gibt nur einen Gott, und dieser einzige Gott ist der Gott des Alten Testamentes, der Vater Jesu Christi, der Gott, an den wir glauben, auf den wir hoffen und den wir zu lieben uns bemühen.

Vier Eigenschaften, meine lieben Freunde, habe ich versucht, andeutungsweise vor Ihnen zu entfalten, die Vollkommenheit Gottes, die Unendlichkeit Gottes, die Einfachheit Gottes und die Einzigkeit Gottes. Sie sollen eine Ahnung davon vermitteln, daß Gott der ganz andere ist, daß er der ganz andere sein muß, daß man ihn sich nicht wie einen Menschen vorstellen darf, ohne seiner Göttlichkeit zu nahe zu treten. Er ist absolut weltüberlegen, menschenüberlegen, und gerade das macht seine göttliche Würde aus. Wir sind glücklich und dankbar, daß er sich uns geoffenbart hat, daß wir ihn so, wie er uns kundgemacht wurde, anbeten dürfen. Im Gloria der heiligen Messe sagen wir immer: „Wir danken dir ob deiner großen Herrlichkeit.“ Ja, das ist ein Anlaß zum Danken, daß Gott so schrecklich herrlich ist.

Über der Pforte des Franziskanerklosters in Fiesole in Italien steht ein schöner, sinnreicher Spruch: „Ein einziger Gott. Wenn er mein Feind ist, wer will mich retten? Eine einzige Seele. Wenn ich sie verliere, was bleibt mir noch?“ Wahrhaftig, meine lieben Freunde, ein einziger Gott. Wenn er mein Feind ist, wer will mich retten? Eine einzige Seele. Wenn ich sie verliere, was bleibt mir noch?

Amen.

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