Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
31. März 1986

Verehrung der fünf Wunden

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Herr, ich küsse deine Füße, deiner heiligen Hände Mal, hast die Wunden ja empfunden auch für meiner Sünden Zahl! Voller Treue und mit Reue über meine Missetat küß' ich heute jene Seite, die man dir geöffnet hat. Und in Demut und mit Wehmut sei dein heil'ges Haupt geküßt, das verhöhnet, dorngekrönet voller Blut und Wunden ist.“

So schöne Verse findet das alte Breslauer Diözesangesangbuch für die Wunden unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus. Die Verehrung der Wunden des Herrn ist wohl so alt wie das Christentum. Denn mit den Wunden des Herrn hat es eine besondere Bewandtnis. Sie sind die pignora salutis nostrae. Sie sind die Unterpfänder unseres Heiles. Das will besagen: Weil es die Wunden Jesu gibt und weil wir die Wunden Jesu kennen, deswegen dürfen wir zuversichtlich auf unser Heil, auf unsere Rettung, auf unsere himmlische Freude rechnen. Der Herr hat uns erlöst, so weiß es jedes Kind, durch seinen Gehorsam gegen den Vater. „Er ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze.“ Deswegen, wegen des Gehorsams, hat ihm Gott einen Namen gegeben, der über alle Namen ist und ihn erhöht. Durch den Gehorsam gegen den Vater im Himmel hat uns Christus erlöst. Durch den Gehorsam – so müssen wir ergänzend sagen, der aus der Liebe kam. Es war ein liebender Gehorsam. Und es war eine gehorsame Liebe, die er dem Vater bewiesen hat.

Aber dieser Gehorsam war eben nicht nur ein innerer, seelischer Akt, sondern dieser Gehorsam vollzog sich in handgreiflichen Tatsachen. Dieser Gehorsam vollzog sich im bitteren, schmerzlichen Leiden. Die Früchte dieses Leidens, die Zeugnisse des Leidens sind die Wunden Jesu. Wir Christen hängen ja das Kreuz über unsere Altäre, bringen es in unseren Wohnungen an und stellen es an die Wegraine. Wir richten aber das Kreuz nicht leer auf, wie es die Protestanten gern tun, sondern wir befestigen am Kreuz den Gekreuzigten, den Crucifixus. Und an dem Gekreuzigten sehen wir seine Wunden, die Wunde der rechten Hand, die Wunde der linken Hand, die Wunde des rechten Fußes, die Wunde des linken Fußes und die Wunde der Seite.

Geschichtskenner belehren uns, wie Jesus die Wunden geschlagen wurden; also in der Hand nicht etwa durch den Handteller, denn wenn die Wunde da dem Herrn beigebracht worden wäre, wäre die Hand durchgerissen und der Gekreuzigte wäre herabgefallen vom Kreuz. Nein, die Wunde lag in der Handwurzel, wo das Gewicht des Körpers ohne weiteres getragen werden konnte. Auch bezüglich der Wunde der Seite hat sich eine wahrscheinlich unrichtige Betrachtungsweise eingeschlichen, nämlich die Seite wird gewöhnlich auf der Rechten als durchbohrt angegeben. Mit größter Wahrscheinlichkeit ist aber nicht die rechte Seite von der Lanze durchbohrt worden, sondern die linke; denn der Soldat wollte ja das Herz treffen. Und wenn er das Herz treffen wollte, mußte er unbedingt links hineinstechen, weil das Herz zu einem Drittel rechts, zu zwei Dritteln links von der Mittellinie liegt. Die linke Seite des Herrn wurde also mit größter Wahrscheinlichkeit von der Lanze des Soldaten durchstoßen.

Die Wunden des Herrn sind die Geburtsstunde der Kirche und der Sakramente. Denn ohne Erlösung durch sein Blut gäbe es kein Weitergehen der Sache Jesu, wie man heute sagt. Nur weil Jesus uns durch seinen schmerzhaften Tod erlöst hat, gibt es die Jüngergemeinde der Erlösten.

„Es floß Blut und Wasser heraus.“ Und das haben die Kirchenväter immer gedeutet auf zwei Sakramente – Blut auf die Eucharistie, Wasser auf die Taufe, die beiden Hauptsakramente. Wir unterscheiden ja bei den Sakramenten Haupt- und Nebensakramente. Die Hauptsakramente sind Taufe und Eucharistie. Sie sind geboren aus der Seitenwunde des Heilandes. Das heißt: Ihre geistliche Kraft kommt aus dem erlösenden Leiden des Herrn. Die Bedeutung der Wunden, die die Henker und Soldaten dem Herrn geschlagen haben, ist so groß, daß der Herr sie auch als Verklärter behalten wollte. Wenn er die Wunden nicht auch an seinem verklärten, behenden, durchdringenden, wunderbaren, schönen Leib getragen hätte, hätte er nicht zu dem Thomas sagen können: „Lege deinen Finger in die Wunden der Nägel und lege deine Hand – die ja größer ist als die Finger – in die Seitenwunde!“ Der Herr hat die Wunden, hat die Wundmale behalten. Warum denn? Aus drei Gründen:

Einmal sind die Wunden, sind die Narben der Wunden für einen siegreichen Helden Zeichen des Kampfes, der  Tapferkeit und des Triumphes. So auch für Jesus. Mit Stolz kann er darauf verweisen, was er erlitten hat, um dem Willen des Vaters gehorsam zu sein. Die Wunden sind jetzt Siegeszeichen geworden. Der zweite Grund, warum der Herr die Wunden behielt, ist darin gelegen, daß er sich unser gleichsam erinnern wollte; denn er hat uns in die Hände geschrieben durch seine kostbaren Wunden. Das ist das Erinnerungszeichen seiner unendlichen Liebe zu uns. Und schließlich noch ein dritter Grund, warum der Herr die Wunden behielt: Er wollte sie stets dem Vater im Himmel vorweisen als das Unterpfand unserer Erlösung. So hält er gewissermaßen das Kreuzesopfer im Himmel stets gegenwärtig, indem er dem Vater sagt: „Sieh, das habe ich, dein Sohn, für die Menschen getan.“ Und so hat der Vater gewissermaßen – wir sprechen menschlich, wie sollten wir anders sprechen? – stets den Lösepreis, die Unterpfänder der Erlösung, die Zeichen des Verdienstes der Erlösung vor Augen. Der Herr weist ihm seine Wundmale vor, und der Vater verzeiht daraufhin den reuigen Sündern.

Das also sind die Gründe, meine lieben Freunde, warum der Herr die Wundmale nach seiner Auferstehung behalten wollte.

Das christliche Volk hat immer die Wunden des Herrn verehrt. „Herr, ich küsse deine Füße, deiner heil'gen Wunden Mal.“ Auch wir wollen diese wunderbare Übung uns zu eigen machen, die Wunden des Herrn zu verehren. In früheren Zeiten konnte man bei Beerdigungen – auch in Mainz – erleben, wie auf dem Weg von der Leichenhalle zum Grabe die „Fünf Wunden“ gebetet wurden. Ein wunderbarer Brauch, gerade dann, wenn das Gericht für einen Menschen ansteht, die Zuflucht zu den Wunden des Heilandes zu nehmen.

Machen wir, meine lieben Freunde, diese Übung uns zu eigen! Merken wir uns in dem schönen Gebet: Seele Christi, heilige mich, das wir ja nach jeder heiligen Messe beten sollen, die ergreifende Bitte: „In deinen Wunden berge mich!“ Ja wahrhaftig, meine lieben Freunde, wer da geborgen ist, der ist für alle Ewigkeit geborgen.

Amen.

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