Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
28. Mai 2017

Der Himmel

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Vor wenigen Tagen haben wir das Fest Christi Himmelfahrt begangen. Dieses Fest weckt in uns die Fragen: Wie steht es um den Himmel? Was müssen wir uns darunter vorstellen? Was können wir glauben? Was dürfen wir hoffen? Die Engländer haben eine bedeutsame Unterscheidung getroffen. Sie unterscheiden den Wolkenhimmel, wo die Vögel fliegen und die Flugzeuge kreisen, von dem Himmel, der Gott vorbehalten ist. Sie unterscheiden zwischen „sky“ und „heaven“. Das scheint eine grundlegende Hinweisung zu sein, was wir uns unter dem Himmel vorstellen können und was wir vom Himmel glauben müssen. Im Alten Testament wird der Himmel verstanden als Ort innerhalb des allgemeinen orientalischen Weltbildes. Der Himmel ist ein massiver Bau über der Erdscheibe (Firmament), im Himmel, d.h. über der Feste sind die Vorratskammern für Schnee und Hagel, Wind und Wasser. An der Feste haben die Gestirne ihre Bahn. Himmel umfasst auch den Luftraum zwischen der Feste und der Erde und dem Bereich oberhalb der Feste, dem höchsten Himmel. Im obersten Himmel thront nach dem Alten Testament Gott, umgeben vom Himmelsheer der Engel, als König. Er blickt auf die Erde und die Menschen herab und greift in das Geschehen auf Erden ein. Er ist der Herr der Welt und der Weltüberlegene, dessen Macht die ganze Welt umspannt und den Himmel und Erde nicht fassen. Im Neuen Testament ist Gott Schöpfer und Herr des Himmels und der Erde. Der Himmel ist der Wohnsitz der Engel und vornehmlich die Machtsphäre Gottes. Im Himmel ist der Thron Gottes. Von dort kommt die Stimme Gottes, der Geist Gottes, der Zorn Gottes. Für die Auserwählten ist der Himmel der Ort des Heils. Die himmlischen Güter sind die wahren und wirklichen. Hier wartet der Lohn für die guten Werke wie ein aufbewahrter Schatz. Darum soll das Trachten der Christen auf das gehen, was oben ist. Vom Himmel her empfangen wir unsere Berufung, im Himmel haben die Christen ihre Heimat. Hier sind ihre Namen aufgeschrieben. Christus ist vom Himmel herabgestiegen und kehrt nach Vollendung seines Heilswerkes dorthin zurück, sitzt dort zur Rechten Gottes als unser Fürsprecher, vollbringt als der wahre Hohepriester den Opferdienst, und vom Himmel her erwarten ihn die Christen zum Endgericht.

Nun müssen wir uns ja den Himmel irgendwie vorstellen, d.h. wir müssen versuchen, eine irgendwie geartete Anschauung vom Himmel zu gewinnen. Lange Zeit dachte man daran, der Himmel sei im Empyreum, also jenseits der oberen Sphäre im ptolemäischen Weltsystem. Das Empyreum hat auch Eingang gefunden in Dantes „ La divina commedia“. Nach ihm sind im Empyreum die Engel und die Seligen. Wir haben zumeist die Vorstellung vom Himmel, wie sie die Künstler der Barockzeit an die Decken der Kirchen gemalt haben. Da sehen wir die Engel und die Heiligen, einen jeden mit den Attributen, die ihnen der Lebensgang oder die fromme Verehrung zugelegt hat. Also bspw. Petrus mit dem Schlüssel, Paulus mit dem Buch und mit dem Schwert, Georg mit dem überwundenen Drachen, Hedwig mit der Klosterkirche von Trebnitz. Diese Heiligen befinden sich in einem Festsaal und sind damit beschäftigt, Gott anzubeten. Es ist allen klar: Das ist ein Bild. Es wäre töricht, dieses Bild mit der Wirklichkeit gleichzusetzen. Vielmehr müssen wir von der Wirklichkeit des Himmels, die Dogma ist, die Vorstellungen unterscheiden, die sich Menschen vom Himmel machen. Denn alle Vorstellungen, die wir uns von dem Unvorstellbaren machen, sind unzulänglich. Sie bleiben eine ganze Dimension hinter der Wirklichkeit zurück. Hier gilt das Wort: „Was kein Auge gesehen, was kein Ohr gehört, was in keines Menschen Herz gedrungen, das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben.“ Man muss also Wirklichkeit und Vorstellung unterscheiden. Das ist ein übliches Verfahren. Es gibt unanschauliche Dinge, die wirklich sind. Um sie zu erforschen und um von ihnen reden zu können, muss man sie sich vorstellen. Wir wissen, dass Wirklichkeit und Vorstellung nicht übereinstimmen, aber dennoch behalten wir diese Vorstellungen bei, weil sie uns helfen, etwas von der Wirklichkeit zu verstehen. So hat die Wissenschaft in Anlehnung an die experimentellen Befunde ein mehr oder weniger anschauliches Bild vom Atom und seinem Aufbau entworfen. Damit lassen sich Verhalten und Eigenschaften der Atome jedenfalls annäherungsweise beschreiben und physikalisch deuten. Es gibt eine Menge von Atommodellen: von Dalton, von Thomson, von Lenard, von Rutherford, von Bohr, von Sommerfeld, von de Broglie; alles Atommodelle. Alle diese Modelle sagen Richtiges aus, sind aber auch unzulänglich. Die Wirklichkeit der Atome bleibt von dem Ungenügen der Vorstellung unberührt. Ähnlich müssen wir uns den überkommenen Mitteilungen der Offenbarung nähern. Die Erzählungen und Berichte der Heiligen Schrift sind vor Jahrtausenden entstanden. Sie tragen die Spuren dieser Entstehung an sich. Die Bibel passt sich in ihren Aussagen dem Weltbild ihrer Adressaten an; anders wäre sie ja überhaupt nicht angenommen und verstanden worden. Nur durch die Anpassung konnten ihre Mitteilungen akzeptiert werden. Ich habe nichts dagegen, wenn man sagt: Der Bibel liegt das Weltbild der Antike zugrunde. Aber dieses Weltbild ist lediglich der Rahmen, die Einkleidung der darin enthaltenen Offenbarung. Wenn Jesus sagt, er sei von „oben“ gekommen, da will er keine Ortsbeschreibung geben, sondern seine von jeder irdischen Wirklichkeit unterschiedene Wesensart schildern. Wenn er dem rechten Schächer den Eingang in das Paradies verheißt, da denkt er nicht an ein Land, in dem Milch und Honig fließen, sondern an die Gefilde der Seligen. Die Bibel spricht religiös, nicht physikalisch und auch nicht astronomisch. Die Offenbarung ist vom jeweiligen Weltbild, sei es das ptolemäische, sei es das kopernikanische, die Bibel ist vom jeweiligen Weltbild der Menschen verschieden und ablösbar. Der Glaube an den Himmel ist völlig unabhängig vom Wandel des Weltbildes. Er ist mit jedem Weltbild vereinbar, weil er mit keinem Weltbild verbunden ist.

Nun versucht der Unglaube unter Berufung auf den Fortschritt der Erkenntnis und die Ergebnisse der Wissenschaft die Wahrheiten des Glaubens als überholt und erledigt hinzustellen. Man sagt, Jesus habe seine eschatologischen Aussagen vom Standpunkt des antiken Weltbildes gemacht. Danach ist der Himmel oben, die Hölle unten und mittendrin die Erde. Dieses antike Weltbild sei aber seit Kopernikus, dem ostpreußischen Domherrn, vernichtet, und so hätten auch jene Aussagen ihren Boden verloren. An den Orten, wo die Alten annahmen, gebe es keinen Himmel und keine Hölle. Der evangelische Theologe David Friedrich Strauss spottete, dass für Gott und die Heiligen im Himmel kein Platz mehr sei, denn der sei schon eingenommen von anderen Dingen, so von den Sternen; Gott sei gewissermaßen an Wohnungsnot gestorben. Die liberale Kritik nennt es eine peinliche Verlegenheitsfrage für die Gläubigen, den Ort des Himmels zu bestimmen. Tatsächlich wissen wir nicht, wo der Himmel ist. Es gibt keine Topographie, keine Lagebeschreibung des Jenseits. Wir sind außerstande aufgrund der Offenbarung, eine solche aufzustellen. Nach dem Glauben ist der Himmel dort, wo die Seelen ihre Glückseligkeit genießen. Diese besteht in der Anschauung Gottes und in der Teilnahme am Sein und Leben Gottes. Der Ausschluss davon ist der Zustand der Hölle. Beides sind Zustandsbegriffe, für die sich allerdings auch Ortsausdrücke wie Himmel und Hölle finden. Himmel ist das theologische Bildwort für den endgültigen Heilszustand, der durch Christus und Gott für immer vereinten, geretteten Menschen. In den Himmel kommen heißt, zu Christus kommen. Im Himmel sein heißt, mit dem erhöhten Christus zusammen sein. Der Himmel bedeutet also eine Lebensform, eine Lebensform der Teilnahme am Leben Gottes. Die Frage des Ortes des Himmels tritt demnach zurück, aber man kann sie stellen, und ich will sie stellen, heute.

Nach unserer begrenzten Einsicht müssen sich die Seelen der Abgeschiedenen irgendwo befinden. Sie haben sich nicht aufgelöst, sie sind aber auch nicht überall. Ähnliches gilt für die menschliche Natur Jesu; auch sie muss irgendwo sein. Und die in den Himmel aufgenommene Gottesmutter Maria muss ebenfalls irgendwo sein. Um die Frage nach dem Ort des Himmels anzugehen, kann man von der Allgegenwart Gottes ausgehen. Gottes Allgegenwart ist deutlich ausgesprochen in der Heiligen Schrift: „Wo soll ich hingehen vor deinem Geist, wohin fliehen vor deinem Angesicht? Stiege ich gen Himmel, so bist du da. Stiege ich in die Hölle, so bist du da. Nähme ich die Flügel der Morgenröte und wohnte ich am äußersten Ende des Meeres (Gibraltar), so würde auch dahin deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“ Also die Allgegenwart Gottes ist ein Dogma unseres Glaubens. Als absolut vollkommenes Wesen kann Gott nicht in seiner Gegenwart beschränkt, kann er nicht wie ein Körper vom Raum gemessen, kann er nicht nach Art der endlichen Geister an den Raum gebunden sein. Gott erschafft jeden Raum und erfüllt jeden Raum, ohne vom Raum begrenzt zu sein. Gott ist an jedem Ort, d.h. er ist überall. Da der Himmel die Gegenwart Gottes ist, kann der Himmel auch theoretisch überall sein, wo Gott ist. Ja, man muss den Mut haben, es auszusprechen: Gott könnte seine Seligkeit einem Menschen dort schenken, wo er gelebt und gearbeitet hat. Aber wir vermögen keinen Ort im Weltall anzugeben, der für den Aufenthalt der Vollendeten besser geeignet wäre als ein anderer. Jeder Bereich innerhalb der Schöpfung – jeder Bereich! – ist geeignet für die Begegnung des Menschen mit Gott. Es hat kein Raum einen Vorzug vor einem anderen, und es ist dazu auch keine bestimmte Weltgestalt erforderlich.

Freilich derjenige, der der himmlischen Herrlichkeit teilhaftig ist, ist an den Raum gebunden, denn die Seele des Menschen ist nicht allgegenwärtig. Der vollendete Mensch der himmlischen Existenzweise unterliegt zwar nicht mehr, wie der Mensch im Pilgerleben, den Gesetzen des Raumes und der Zeit – wir haben ja ein Beispiel dafür: den verklärten, den auferstandenen Heiland, der durch geschlossene Türen ging – der vollendete Mensch also unterliegt nicht mehr den Gesetzen des Raumes und der Zeit, aber er ist auf einen bestimmten Raum beschränkt, er kann nicht überall sein. Die Art dieser Raumgebundenheit ist schwer zu begreifen. Man darf vielleicht sagen, dass die Geister der Abgeschiedenen von Gott einen bestimmten Raum zum Vollzug ihrer Lebensweise zugewiesen bekommen. Man kann auch daran denken, dass die Gemeinschaft der Seligen für ihr gemeinschaftliches Leben an einen Ort, gewissermaßen an ein Aufenthalts- und Wirkfeld, gebunden ist. Aber das ist eine Ansicht, die man nicht beweisen kann. Und vor allem gilt: Wo immer sich die verklärten Menschen befinden mögen, der Zugang zu ihnen steht uns nicht offen. Himmel bezeichnet eine Dimension der Schöpfung, die dem Menschen unverfügbar ist. Der jenseitige Zustand ist jeder Empirie, also jeder Erfahrung enthoben, er ist unerfahrbar. Er lässt sich weder durch astronomische Erkundung noch durch terrestrische Grabungen finden. Der Himmel ist durch irdische, menschliche Mittel nicht erreichbar. So muss es sein, damit die Menschen nicht übermütig werden, damit sie sich nicht zu der Versuchung gedrängt fühlen, in den Himmel einzudringen. Der Himmel ist eine Wirklichkeit anderer Art als alles, was unserer Erfahrung zugänglich ist.

Ich habe mich bemüht, meine lieben Freunde, mit langem Nachdenken und Studieren, eine Antwort auf die Frage zu finden, wo sich der Himmel befindet. Die Orthaftigkeit des Himmels ist nicht auszuschließen, aber eine Lagebeschreibung des Himmels zu liefern, übersteigt menschliche Kraft. Der Himmel ist dort, wo sich Gott befindet und offenbart. Zwischen Gott und Welt aber besteht eine wesentliche Verschiedenheit. Gott ist überall gegenwärtig, ohne dass seine Wirklichkeit der Wirklichkeit der Welt im Wege stünde, oder dass die Welt gewissermaßen Gott im Wege stünde. Ebenso ist jeder Bereich der Schöpfung geeignet, der Begegnung des Menschen mit Gott zugeordnet zu werden. Es hat hierbei kein Raum einen Vorzug vor einem anderen, und es ist dafür auch keine bestimmte Weltgestalt erforderlich. Im Himmel besteht kein Platzmangel, denn die Seelen und die Leiber der Verklärten sind nicht ausgedehnt. Sie benötigen keinen Raum, sie sind sich gegenseitig nicht im Wege. Das wissen wir, seitdem wir den verklärten Christus kennen. Das Wissen um den Ort des Himmels ist nicht heilsnotwendig. Der Glaube verbürgt uns seine Existenz. Die Hoffnung erweckt die Sehnsucht nach ihm. Der ernste Glaube wird beim Himmel nicht den Ort, sondern den Weg dorthin im Auge behalten, und bei der Hölle nicht den lokalen Abgrund, sondern die Gefahr, hineinzustürzen. „Das hab ich mir vorgenommen: In den Himmel will ich kommen. Mag es kosten, was es will, für den Himmel ist nichts zu viel.“

Amen.

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