Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
21. Mai 2017

Das Bittgebet

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gott ist der Herr der Welt, ihr Schöpfer und ihr Erhalter. Die gesamte Schöpfung verdankt ihr Dasein und ihr Leben Gott. „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“, predigt der Apostel Paulus. „Jedes gute Geschenk und jede vollkommene Gabe kommt vom Vater der Lichter“, schreibt der Apostel Jakobus in seinem Briefe. Ausdruck dieser Wahrheit im religiösen Verhalten ist das Bittgebet. Das Bittgebet ist die praktische Anwendung des Verhältnisses des Geschöpfes zu Gott als seinem allmächtigen und gütigen Helfer. Das Bittgebet ist Ausfluss und Betätigung des Glaubens an den Gott der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Am heutigen Bittsonntag wollen wir darum uns nach Wesen und Inhalt des Bittgebetes erkundigen. Die erste Frage, die wir stellen wollen, lautet: Worum, um was dürfen wir beten? Wir dürfen um alles beten, was man sich wünschen kann. Inhalt und Norm für das christliche Gebet bildet die christliche Güterordnung. Freilich gibt es eine Reihenfolge der Bitten, und diese Reihenfolge soll sich nach der Rangordnung der Gegenstände richten, um die wir bitten. Und danach haben die geistlichen Güter den Vorrang vor den zeitlichen. Die Heilsgüter sind die vorzüglichen Gegenstände unseres Bittens. Die notwendigen irdischen Dinge sind nicht ausgeschlossen, stehen aber an zweiter Stelle und sind dem Heilsgut untergeordnet. Die zeitlichen Güter sind am Grundgut des Reiches Gottes zu messen; nur so lassen sie sich recht gebrauchen. Um zeitliche Güter darf man, soll man beten, aber unter der Voraussetzung der Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, insofern sie nämlich zur Ehre Gottes dienen oder uns und anderen zur Erlangung des ewigen Lebens nützlich oder jedenfalls nicht schädlich sind. All unser Bitten um Hilfe in irdischen Dingen ist eitel und eines Christen unwürdig, wenn dadurch nicht die Verbindung mit dem letzten Ziel und mit den himmlischen Gütern hergestellt wird. Die recht beten, haben auch dann, wenn sie um Abwendung der Drangsal oder um Bewahrung vor Unglück beten, die Ehre Gottes im Auge. Die Spannweite dessen, was wir erbitten dürfen, ist also nicht unbegrenzt. Im Schlussgebet der heutigen heiligen Messe bitten wir Gott, uns zu verleihen, was recht ist, zu begehren, er soll uns also selber eingeben, was wir erbitten sollen oder bitten dürfen. Und damit stimmt überein, was der Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom schreibt: „Wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen.“ Nun, der Herr hat uns im Vaterunser ein Mustergebet hinterlassen. Am Anfang stehen die drei gewaltigen Bitten um Gottes Namen, Gottes Reich und Gottes Willen. Danach kommen die Bitten um unsere Bedürfnisse, aber das sind auch fast alles geistliche Bedürfnisse: Wegnahme der Schuld, Bewahrung vor der Versuchung. Nur ein einzige Bitte gilt den irdischen Werten: Unser täglich Brot gib uns heute. Damit ist natürlich alles eingeschlossen, was wir an Bedürfnissen haben, also auch die Kleidung oder die Wohnung. Aber sie lautet wörtlich: „Unser täglich Brot gib uns heute.“

Wie, auf welche Weise müssen wir bitten? Nun, das Bittgebet muss bestimmte Eigenschaften aufweisen, wenn es erhört werden soll. An erster Stelle ist es die Beharrlichkeit. Sie wird schon im Alten Testament angemahnt. Im Buche Judith heißt es: „Der Herr wird euer Gebet erhören, wenn ihr beharrlich fortfahrt mit Fasten und Beten vor dem Herrn.“ Und der Apostel Jakobus schreibt in seinem Briefe: „Viel vermag das anhaltende Gebet des Gerechten.“ Beharrlichkeit ist also verlangt, und das bedeutet Ausdauer, man muss mit Beständigkeit beten. Man darf mit dem Gebet nicht aufhören, wenn man nicht gleich erhört wird. Der bayerische Dichter Waggerl hat das schöne Wort geschrieben: „Gott hilft. Aber er kommt häufig eine Viertelstunde später, als wir meinen, um unseren Glauben zu erproben.“ Wir dürfen also Gott kein Ultimatum stellen. Wir können von Gott vieles erbitten, aber nichts erzwingen. An zweiter Stelle muss das Bittgebet vertrauensvoll sein. Im Gleichnis vom ungerechten Richter, das der Herr vorgetragen hat, stellt er die rhetorische Frage: „Gott sollte seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht Recht schaffen und großherzig gegen sie sein?“ Das Vertrauen stützt sich auf die Macht und Güte Gottes. Dieses zuversichtliche Vertrauen haben wir zu ihm, dass er auf uns hört, wenn wir nach seinem Willen um etwas bitten, „wenn wir nach seinem Willen um etwas bitten“, schreibt Johannes in seinem ersten Briefe. Wir müssen Geduld haben in unserem Beten, auch wenn die Stunden Gottes anders schlagen als die unseren. Manches wird uns nicht versagt, sondern lediglich aufgeschoben. Gott erhört die recht vorgebrachten Gebete, aber oft diametral anders, als wir es uns vorstellen, als wir es uns ausgedacht haben. Gott greift ein, aber meist auf anderen Wegen, als wir es uns ausrechnen. An dritter Stelle muss unser Bittgebet aus einem demütigen Herzen kommen. Demütig ist, wer Gott und den Menschen selbstlos unter Absehen von sich selbst dient. Demütig ist, wer seine eigene Sündhaftigkeit und Unzulänglichkeit erkennt. Demütig ist, wer sich dem anderen unterwirft um Gottes Willen. Wir müssen also Gott in Demut bitten, d.h. eingedenk unserer Unwürdigkeit und unseres Ungenügens. Wir haben in Budenheim wie in ganz Rheinhessen häufig unter andauernder Trockenheit gelitten. Wir haben zu Gott gerufen und um ergiebigen Regen gefleht. Nicht sogleich und nicht immer fanden wir Erhörung. Aber eine gläubige Frau unserer Gemeinde hat mich belehrt, welches der Grund dafür ist: „Wir sind es nicht wert“, so sagte sie, „wir sind es nicht wert, dass Gott unser Gebet erhört. Unsere Gesinnung, unser Verhalten ist der Erhörung nicht würdig.“ Die Dame hatte Recht. Wir sind es nicht wert, und darum müssen wir ja oft bitten, dass wir würdig werden der Verheißungen Christi, würdig ihrer werden. Unser Bittgebet muss viertens in Ergebung gegen den Willen Gottes vorgebracht werden. Wer Bitten an Gott richtet, muss bereit sein für ihre Erhörung und ihre Nichterhörung. Unser Ich muss zurücktreten können vor dem Willen Gottes. Der heilige Augustinus fordert uns auf: „Wenn ihr Zeitliches erbittet, bittet mit Maß, bittet mit Furcht. Überlasst es dann Gott, dass er gebe, wenn es gut ist für euch, dass er es nicht gebe, wenn er sieht, es schadet euch. Was aber nützt und was schadet, das weiß der Arzt und nicht der Kranke.“ Die Volksweisheit belehrt uns in ähnlicher Weise: „Tut dir Gott nach seinem Willen, bist du wohl versehen. Tut er dir nach deinem Willen, dann ist’s um dich geschehen.“ Jedes Bittgebet muss unweigerlich mit den Worten enden, die uns der Herr selber vorgebetet hat: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Das Bittgebet muss fünftens aus einem dankbaren Herzen kommen. Bitten und Danken gehören zusammen. Wer Gottes Gaben empfängt, muss willig und bereit sein, ihm dafür Dank abzustatten. Und Gott weiß ja von jedem, der ihn bittet, ob er für die gewährte Gabe Dank abstatten würde, er sieht die künftigen freien Handlungen des Menschen voraus. Wer Gottes Gaben empfängt, muss sich dafür erkenntlich zeigen. Dem Geber der Gaben gebührt Dank. Er ist die Anerkennung seiner Wohltätigkeit. Das Verhalten in der Vergangenheit wirkt auch auf die Empfänglichkeit in der Gegenwart ein. „Wie darf einer um Zukünftiges bitten“, fragt einmal der heilige Chrysostomus, „der für das Frühere keinen Dank abstattet?“

Die entscheidende Bedingung für ein erhörungswürdiges Bittgebet hat unser Herr genannt. Es muss sechstens im Namen Jesu vorgebracht werden, im Namen Jesu. D.h. unser Gebet hat nur dann Zugang zum Vater, wenn wir im Namen Jesu beten. Die heilige Menschheit Jesu ist der Weg, durch den der Heilige Geist uns zu Gott, unserem Vater, beten lehrt. Im Namen Jesu beten, heißt erstens: Unter Berufung auf Jesus beten. Jesus fordert ja die Jünger auf: „Wenn ihr mich um etwas bitten werdet in meinem Namen, werde ich es tun. Der Vater wird euch geben, was immer ihr in meinem Namen erbitten werdet.“ Wir müssen uns also im Bittgebet auf Jesus, unseren Herrn und Erlöser, berufen. Der Vater im Himmel muss in unseren Gebeten gleichsam die Stimme seines Sohnes hören. Im Namen Jesu beten, besagt zweitens: Unter Berufung auf die Zugehörigkeit zu Jesus beten. „Wenn ihr in mir bleibet, und meine Worte in euch bleiben, so mögt ihr bitten, um was ihr wollt, es wird euch zuteil werden.“ „Wenn ihr in mir bleibet“, d.h. wir dürfen nicht aus der gnadenhaften Gemeinschaft mit Jesus herausfallen. Ein fruchtbares Bittgebet im Namen Jesu setzt die bleibende Verbundenheit der Jünger mit Christus im Glauben und Leben voraus. Die Erhörung des Bittgebetes ist nicht durch die menschliche Leistung, sondern durch die Einheit des Betenden mit Christus gesichert. Die gnadenmäßige Einheit in Christus soll das Gebet im Namen Jesu existentiell begründen. Zu dieser Einheit gehört auch der wahre Glaube. Und deswegen heißt in Vereinigung mit Christus beten, drittens: Im Vertrauen, unter Berufung auf seine Verdienste und Mittlerschaft und in Übereinstimmung mit seinen Absichten beten. Das Gebet im Namen Jesu verlangt, dass wir willenskonform mit Gott, dem Vater, sind – willenskonform. In dem Maße, wie das Bittgebet wirklich in den Dienst Christi vor dem Vater eingefügt ist, ist es der Erhörung sicher. Aber hier liegt der Grund des tatsächlichen Nichterhörens, der tatsächlichen Unsicherheit. Der Mensch weiß nie sicher, wie weit seine Anliegen mit denen des Herrn identisch sind, eins sind. Das Bittgebet ist viertens wie jedes Gebet an das Dogma, an den Glauben gebunden. Kein Mensch darf es unternehmen, etwas von Gott zu erbitten, was der Offenbarung, dem Worte Gottes, dem sicheren Glauben der Kirche widerspricht. Alle Bittgebete müssen in der Ordnung des Heiles vorgebracht werden. Man bittet nicht im Namen des Erlösers, wenn man etwas erbittet „contra ordinem salutis“, gegen, entgegen der Ordnung des Heiles.

Für wen sollen wir beten und bitten, meine lieben Freunde, für wen? Damit ist das Bittgebet angesprochen, das Bittgebet für andere, das Fürbittgebet. Das Fürbittgebet ist den Gläubigen im Alten und Neuen Testament immer wieder empfohlen worden. Im Alten Testament wird berichtet, dass Abraham Fürbitte einlegte für das verdorbene Sodoma. Es wird berichtet, dass Moses wiederholt für sein Volk bat, das den Zorn Gottes erregt hatte. Im Neuen Testament ergehen häufig Mahnungen zum gegenseitigen Fürbittgebet, und die Kirche hat es von Anfang an gepflegt. Der König Herodes Agrippa ließ bekanntlich Petrus verhaften, ins Gefängnis bringen. Nach Ostern wollte er ihn dem Volke vorführen. Aber was tat die Gemeinde? Die Gemeinde betete ohne Unterlass für ihn, bis der Engel ihn befreite. Das allgemeine Kirchengebet, wie die Fürbitten ja früher genannt wurden, wird bezeugt vom Martyrer Justin und vom Kirchenschriftsteller Tertullian aus dem 2. Jahrhundert. Es umfasste drei Gruppen von Anliegen:

1.      für die Kirche,

2.      für die weltliche Obrigkeit,

3.      für allgemeine Bedürfnisse und Notstände.

Fürbittgebet ist notwendig, ja unerlässlich. Wir müssen für andere eintreten. „Es muss Menschen geben, die auch für solche beten, die niemals beten“, hat einmal der französische Schriftsteller Victor Hugo geschrieben. Es muss Menschen geben, die auch für solche beten, die niemals beten. Die Fürbitte muss natürlich in Verbindung und Willenseinigung mit Christus geschehen. Die Christen wissen, dass sie einen einmaligen Fürsprecher bei Gott haben, nämlich unseren Heiland Jesus Christus. Er tritt beim Vater unaufhörlich für uns ein, und er hat eine wirksame Unterstützung seiner Bitten: Er zeigt auf seine Wunden hin, die er für uns gelitten hat.

Das Bittgebet muss gegen Missverständnisse verteidigt werden. Man betet nicht, um Gott zu informieren, sondern um sich selbst der Erhörung würdig zu machen. Gott braucht nicht informiert zu werden, er weiß, wessen wir bedürfen, noch bevor wir ihn bitten. Aber er erwartet unsere Bitte, weil die Würde des Menschen in seiner Freiheit liegt. Er soll sich in Freiheit an seinen Gott wenden, um seine Bedürfnisse befriedigt zu sehen. Nicht Gott bedarf des Bittgebetes, sondern wir. Gott will geben, aber er gibt nur den Bittenden, damit er nicht einem gebe, der das Geschenk gar nicht fasst. Man wendet weiter ein, es sei unmöglich, dass Gott seine einmal gefassten Entschlüsse ändert, und überhaupt, dass er von außen ursächlich beeinflusst wird. Aber das ist auch gar nicht der Sinn des Bittgebetes. Durch das Gebet sollen nicht die göttlichen Beschlüsse abgeändert werden, sondern die Menschen sollen durch Beten zu erhalten verdienen, was Gott von Ewigkeit her beschlossen hat. Das Bittgebet macht uns würdig seiner Gnadenerfahrung. Gott bleibt auch bei Erhörung eines Gebetes unveränderlich. Jede konkrete Erhörung ist in seine ewigen Ratschlüsse einbezogen. Was Gott aufgrund des Bittgebetes tut, bedeutet weder ein Veränderung Gottes noch ein ursächliches Einwirken des Geschöpfes auf Gott. Das Bittgebet ist vielmehr Ausdruck der von Gottes Gnade gewirkten Disposition (Empfänglichkeit), in der sich der Mensch dem Wirken Gottes gegenüber erschließen muss. Der Mensch bejaht im Bittgebet seine konkrete Situation, nämlich als ein hilfsbedürftiges, auf Gott angewiesenes Wesen. Ein weiterer Einwand gegen das Bittgebet stellt auf die Souveränität Gottes ab. Er ist der höchste Herr, und der Mensch ist ihm unterworfen. Der Mensch, sagt man, dürfe ihn nicht benutzen, dürfte sich nicht seiner bedienen, um seine Wünsche erfüllt zu bekommen. Der Einwand trägt nicht, meine lieben Freunde. Gott wird im Bittgebet nicht instrumentalisiert und menschlichen Bedürfnissen dienstbar gemacht, es ist Gottes Herablassung, die den Menschen auffordert, ihm seine Bitten vorzutragen. Gott will gebeten sein. Das Bittgebet ist bezeugte Gnade. Die Verheißungsformel: „Bittet, und es wird euch geben werden“, darf nicht magisch verstanden werden, d.h. Gott kann durch kein Bittgebet gezwungen werden. Gott handelt nicht so, dass wir es vorausberechnen können. Er ist kein Automat, in dem man oben ein Gebet einwirft und unten die Erhörung herauskommt. Es gibt im Leben vieler Christen die überwältigende Erfahrung, wie genau und überreich Gott Gebete erhört. Daneben aber steht die Erfahrung, dass Gott schweigt, dass er offenbar nicht eingreift, ja dass er scheinbar das Gegenteil des Erbetenen tut. Der Herr hat am Kreuz den Psalm 21 gebetet. Im Psalm 21 heißt es: „Ich rufe bei Tag, und du erhörst mich nicht, und bei Nacht, und du achtest meiner nicht.“ Ach, meine lieben Freunde, dass wir doch beten lernen möchten, wie Gott gebeten werden will. Dass wir beten könnten, wie Theresia von Lisieux gebetet hat: „Ich bitte um nichts mehr mit Ungestüm, außer darum, dass der Wille Gottes sich an meiner Seele erfülle.“

Amen.

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