Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
20. Februar 2011

Der Lohn der guten Werke

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Im alten Orient arbeitete man 12 Stunden, von morgens 6 bis abends 6. Das ist nicht ganz so ungewöhnlich. Ich war im Jahre 1944 in der Rüstungsfabrik Telefunken beschäftigt. Wir hatten eine Arbeitszeit von früh um 6 bis abends um 7, mit einer Stunde Mittag, also eine 72-Stunden-Woche. Ähnlich im alten Orient. Von früh um 6 bis abends um 6 wird gearbeitet, und als Lohn erhalten die Arbeiter einen Denar. Das entspricht etwa nach unserem Geld einem Euro.

Der Herr des Weinbergs dingt, also stellt ein Arbeiter für diesen Tag, Lohnarbeiter, Tagelöhner, und er schickt Leute aus, um sie zur Lese zu rufen. Er geht zur Arbeitsagentur. Die damalige Arbeitsagentur war das Stadttor. Da standen die Leute mit ihren Hacken und Spaten und wurden gedingt. Er schickt Leute aus um 6 Uhr, um 9 Uhr, um 12 Uhr, um 15 Uhr, ja noch um 17 Uhr. Eine Stunde vor Arbeitsschluß läßt er noch Leute in seinen Weinberg rufen, denn es muss heute fertig werden, die Arbeit muss heute geschafft werden. Und deswegen müssen auch noch bis in die letzte Stunde Arbeiter geworben werden.

Der Herr liebt es, für seine Belehrungen in das tägliche Leben zurückzugreifen. Er weiß, dass damit seine Lehre am besten ankommt. Er spricht von der Frau, die eine Drachme verloren hat und das ganze Haus auskehrt. Er erzählt von einem Großbauern, der seine Ochsen ausprobieren will und deswegen die Hochzeit versäumt. Er spricht von einem Schaf, das verloren geht und das sein Besitzer sucht, bis er es gefunden hat. Diese Gleichnisse sitzen; sie kommen bei den Leuten an. Das verstehen sie. Was von der Straße und vom Wirtschaftsleben genommen wird, das geht ihnen ein. Und so auch ist es mit der Arbeit in dem Weinberg. Mannschaften her, heute muss es fertig werden. Die Lese ist zu beenden.

Die Zuhörer dieses Gleichnisses waren vermutlich zwei Gruppen, einmal die Jünger Jesu, dann aber auch möglicherweise Pharisäer. Die Jünger Jesu, sie sind bedacht auf ihre künftige Löhnung. Sie sind jetzt schon so lange bei Jesus, 6 Monate, ein Jahr, anderthalb Jahre vielleicht. Und es war ja nicht immer leicht, in seinem Gefolge zu wandern. Nicht jeden Tag findet eine wunderbare Brotvermehrung statt. Die Kleider werden zerschlissen bei diesem Wandern, man hat kein Nachtquartier, das Essen fehlt manchmal. Und deswegen: Was soll uns dafür zuteil werden, dass wir alles verlassen haben und dir nachgefolgt sind? Der Herr gibt ihnen zur Antwort: „Ihr werdet auf zwölf Thronen sitzen.“ Das legen die Jünger sich nach ihrer Art aus. Auf zwölf Thronen sitzen, das heißt, sie werden Minister sein. Sie werden ein Auto haben, ein Flugzeug, Bedienstete. Sie werden Sprechstunden abhalten. Sie werden den ganzen Tag tun können, was sie wollen. So denken sie sich. Jeder kriegt einen Orden, und sie werden dicke Importzigarren rauchen. So stellen sie sich das vor.

Da führt sie der Herr auf den Boden der Wirklichkeit zurück. Er erzählt von den Arbeitern im Weinberg. Die Jünger müssen begreifen, dass unter dem Bild des Weinbergs ihnen eine religiöse Wahrheit unterbreitet wird. Es gibt einen Lohn. Die Arbeiter im Weinberg bekommen alle einen Lohn. Die um 6 eingestellt wurden, auch die um 9 eingestellt wurden. Da kann man schon fragen: Hatten sie ein Recht? Denn nur die um 6 Eingestellten hatten einen Denar versprochen bekommen. Wie war es gar mit denen, die um 12 gekommen sind. Sollen die auch einen Denar bekommen? Und die um 15 Uhr gekommen sind, sogar die, die um 17 Uhr, eine Stunde vor Arbeitsschluß gekommen sind, die sollen alle einen Denar bekommen. Ist das gerecht? Auf Anordnung des Weinbergbesitzers zahlt der Inspektor den Lohn in umgekehrter Reihenfolge aus wie vorher die Einstellung der Arbeiter. Alle erhalten einen Denar. Die zuerst Gedungenen, die den ganzen Tag in der Hitze ausgehalten haben und damit ihren Lohn wirklich verdient haben, werden als Letzte entlohnt. Warum? Damit sie sehen, dass auch die anderen, die weniger gearbeitet haben, ebensoviel empfangen. Die zuletzt Gekommenen werden sogar zuerst ausgezahlt, in umgekehrter Reihenfolge der Arbeitsleistung, der Einstellung. Und deswegen begreifen wir, dass die, die am längsten gearbeitet haben, murren. Der Herr sieht in ihrem Murren den Neid, den Neid gegen den anderen. Sie murren, weil sie angeblich ungerecht behandelt werden. Das Unrecht, das angebliche Unrecht liegt freilich allein darin, dass alle anderen, die weniger gearbeitet haben als sie, denselben Lohn empfangen. Sie werden ja nicht benachteiligt; sie erhalten, was ihnen versprochen wurde. Nur erhalten die anderen mehr, als ihnen zusteht. Von einem wirklichen Unrecht kann man also nicht sprechen. Und warum handelt der Herr des Weinbergs so? Was ist der Grund für sein merkwürdiges Verfahren, ungleiche Leistung gleich zu belohnen? Er gibt an: Das ist sein Wille; er will es so. Man kann das vielleicht als eine Laune bezeichnen. Aber es ist keine Laune, denn der wirkliche Grund ist, dass er gütig ist. Er spricht es selber aus. Er will gütig sein und auch die großzügig entlohnen, die weniger verdient haben.

Selbstverständlich ist dieses Gleichnis in die religiöse Sphäre zu übersetzen. Der Weinbergbesitzer ist Gott. Sein Verhalten soll das mit souveräner Freiheit erfolgende Walten Gottes in seiner Vergeltung der menschlichen Arbeit für das Heil zur Anschauung bringen. Sein Verhalten ist nach menschlichen Darstellungen paradox, unbegreiflich. Aber kein Mensch darf mit ihm rechten, denn er ist der souveräne Herr. Er kann tun, was er will. Gott kann bei seiner Vergeltung so handeln, weil der Mensch sein Knecht ist und ihm nicht mit Rechtsansprüchen gegenübertreten kann. Der Lohn, den Gott dem Menschen für seine sittliche Leistung gibt, bleibt immer Gnadenlohn. Damit trifft der Herr die jüdische Lohngerechtigkeit, das falsche jüdische Lohnverständnis, das auch in den Herzen der Apostel lebte. Das Judentum hielt nämlich streng an der immanenten diesseitigen Vergeltung fest. Wer fromm ist, dem geht es gut, wer böse ist, der erfährt Unglück. So einfach, zu einfach haben sich die Juden das Verhalten Gottes vorgestellt. Sie meinten, Gott sei verpflichtet, dem Frommen für jedes verdienstliche Werk einen entsprechenden Lohn, und zwar schon hier auf Erden, zu geben. Der entscheidende Zug, der entscheidende falsche Zug am jüdischen Lohngedanken ist die behauptete Gleichwertigkeit von menschlichem Verdient und göttlichem Lohn. Das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen wurde von den Juden als ein Rechts- und Vertragsverhältnis dargestellt. Dieses Verhältnis bindet beide Partner und legt beiden Rechte und Pflichten auf. Dagegen wendet sich der Herr.

Es sind vier Wahrheiten, meine lieben Freunde, die er seinen Zuhörern und die er uns unterbreiten will, nämlich erstens: Gott verlangt von uns gute Werke. Wir müssen uns regen, wir müssen arbeiten, wir müssen Gutes tun. Der Apostel Petrus mahnt: „Seid darauf bedacht, eure Berufung und Auserwählung durch gute Werke sicherzustellen.“ Durch gute Werke sicherzustellen! Der Apostel Jakobus sagt es ganz scharf: „Glaube ohne Werke ist tot.“ Der Apostel Paulus ruft uns zu: „Laßt uns nicht müde werden, Gutes zu tun, denn wenn wir nicht ermatten, werden wir zur rechten zeit ernten.“ Und gar der Apostel Johannes von der Warte des Apokalyptikers sagt uns: „Siehe, ich komme bald, und ein Lohn ist mit mir, um einem jeden zu vergelten nach seinen Werken.“ „Selig die Toten, die im Herrn sterben, denn ihre Werke folgen ihnen nach.“ Das ist der erste Satz: Gott verlangt von uns, gute Werke zu tun.

Zweitens: Die guten Werke, die wir tun dürfen, sind ein Zusammenwirken der menschlichen Freiheit mit der göttlichen Gnade. Das ist ein eherner Satz der katholischen Gnadenlehre, der immer in der Kirche gegolten hat. Jedem Verdienst geht die Gnade voraus. Wenn Gott unsere Verdienste krönt, und das tut er, dann krönt er seine Geschenke. Seine Gnade kommt den guten Werken zuvor, geht ihnen zur Seite und folgt ihnen nach. Ohne Gottes Kraft, ohne Gottes Gnade sind unsere Werke nicht verdienstlich. Aber mit der Gnade sind sie verdienstlich. „Wenn einer sagt“, hat das Konzil von Trient feierlich verkündet, „die guten Werke des gerechtfertigten Menschen seien so die Geschenke Gottes, dass sie nicht auch zugleich Verdienste des Gerechtfertigten selber sind, oder der Gerechtfertigte verdiene durch die guten Werke nicht die Vermehrung der Gnade und das ewige Leben, der sei ausgeschlossen.“ Also: Alles tun, was man selbst tun kann, aber auch alle Kraft und alle Hilfe von Gott erwarten. Das ist der zweite Satz.

Der dritte lautet:  Die guten Werke verdienen Lohn. Christus selbst verheißt uns diesen Lohn: „Freut euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß im Himmel.“ Der Apostel Paulus erinnert die Gemeinde in Ephesus: „Ihr wisset, dass jeder für das Gute, das er tut, vom Herrn seinen Lohn empfängt.“ Und noch deutlicher spricht er im Römerbrief: „Gott wird einem jeden vergelten nach seinen Werken; mit dem ewigen Leben denen, die beharrlich Gutes tun und so nach Herrlichkeit, Ehre und Unvergänglichkeit streben, mit seinem Zorn und Grimme aber jenen, die widerspenstig sind, der Wahrheit widerstreben und sich von der Ungerechtigkeit leiten lassen.“ Die guten Werke verdienen Lohn. Die Kirchenväter und die Theologen haben diese biblische Wahrheit immer wieder unterstrichen. Der große Papst Leo hat einmal das Wort gesprochen: „Gerecht ist Gott, gerecht ist unser Richter, er betrügt niemand um den Lohn seiner Verdienste.“ Und in der Nachfolge Christi, diesem wunderbaren Buch, in dem ich jeden Tag lese, in dem Buch von der Nachfolge Christi steht das schöne Wort: „Bei Gott kann nichts, auch nicht das Geringste, wenn es für ihn erduldet wurde, ohne Verdienst bleiben.“ Das Konzil von Trient hat wieder in seiner präzisen Art hervorgehoben: „Wenn jemand sagt, die Gerechten dürften für die guten Werke, die sie in Gott getan haben, keinen Lohn erwarten, der sei ausgeschlossen.“ Wir dürfen also Lohn erwarten, wir dürfen ihn erwarten. Es ist uns von Gott sogar auferlegt.

Und der vierte Satz: Der Lohn, den Gott gibt, ist über alles Begreifen erhaben. Denn der Lohn, den Gott gibt, ist er selbst. Nicht eine beliebige Belohnung bewahrt Gott für uns auf, sondern sich selbst. Er gibt uns sich selbst, indem wir ihn schauen dürfen. Unser Glaube wird gewandelt werden in Schauen. Was wir jetzt glauben, das werden wir einst schauen. Nur durch die Teilnahme an Gottes ewigem Leben wird die Seele selig. Wir werden Gott schauen, wie er ist. Wir werden ihn schauen und dadurch leben. Ja, durch das Schauen werden wir unsterblich und tauchen unter in Gott. Also unser Lohn ist über alles Begreifen, ist über alle Maßen groß. Keiner empfängt weniger, als er verdient hat, aber alle empfangen mehr, als sie verdient haben.

Wir dürfen uns also freuen auf den Lohn für unsere Arbeit, meine lieben Freunde. Wir arbeiten nicht umsonst. Der Herr hat uns den Lohn verheißen, und er wird ihn auszahlen. „Über den Sternen“, so hat einmal ein Dichter uns gelehrt, „über den Sternen, da wird es einst tagen, da wird dein Hoffen und Sehnen gestillt. Was du gelitten und was du getragen, einst ein allmächtiger Vater vergilt.“

Amen.

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