Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. Januar 2011

Keine Rechtfertigung ohne Mitwirkung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Während der heiligen Beicht fragte mich einmal ein Herr: „Wenn uns Jesus erlöst hat, warum muss ich dann noch beichten? Bekennen wir nicht: Wir preisen dich, Herr Jesus Christus und benedeien dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die ganze Welt erlöst. Warum dann noch beichten?“ Ich gab ihm zur Antwort: „Sie müssen die Erlösung im objektiven und die Erlösung im subjektiven Sinne unterscheiden. Jesus hat durch sein Erlösungswerk, durch seine Menschwerdung, durch sein ganzes gottmenschliches Leben, Leiden und Sterben und Auferstehen tatsächlich die Erlösungsgnade für die gesamte Menschheit beschafft. Durch seine stellvertretende Genugtuung und sein Erlösungsverdienst hat er die Wiederversöhnung der Menschheit mit Gott prinzipiell und objektiv bewirkt. Aber die objektive Erlösung muss vom Menschen angeeignet werden. Der Mensch muss sie in der subjektiven Erlösung ergreifen. Die Verwirklichung der Erlösung im Einzelmenschen geschieht durch die Zuwendung des Erlösungsverdienstes Jesu im einzelnen Menschen.“

Das soeben Gesagte ist leicht zu verstehen, meine lieben Freunde Wenn jemand eine Dusche in sein Haus einbaut, dann wird er davon nicht rein. Er muss sich unter die Dusche stellen. Ähnlich-unähnlich ist es mit der objektiven und subjektiven Erlösung. Der Strom der Gnade fließt, aber man muss sich zu ihm begeben. Die objektive Erlösung ist ohne uns geschehen, die subjektive Erlösung geschieht nicht ohne uns. „Der dich ohne dich geschaffen hat, rechtfertigt dich nicht ohne dich.“ Ein ehernes Wort des heiligen Augustinus. Der dich ohne dich geschaffen hat, rechtfertigt dich nicht ohne dich. Das heißt, bei Erwachsenen erfordert die Rechtfertigung, also die Erlösung, die Heilung von der Sünde, die Begnadigung die eigene freie Tätigkeit. Unser schlesischer Dichter Scheffler drückt es auf seine Art aus: „Es ist zwar wahr, dass Gott dich selig machen will. Glaubst du, er will’s ohne dich, so glaubest  du zuviel.“

Die Erlösung des Einzelmenschen ist eben kein naturhafter Vorgang. Die Sonne geht auf über Gute und Böse, der Regen fällt über Gerechte und Ungerechte. Die Erlösung ist anders. Erlöst wird nur, wer erlöst werden will. Das versuchte ich diesem Herrn zu erklären. Wir wollen heute die Vorbereitung auf die Erlösung, auf die Rechtfertigung und den Vollzug und das Wesen der Erlösung, der Rechtfertigung bedenken.

An erster Stelle die Vorbereitung auf die Erlösung. Es ist ein eherner Satz der katholischen Gnadenlehre: Der Sünder muss sich mit Hilfe der aktuellen Gnade auf die Rechtfertigung in freier Entscheidung vorbereiten. Dieser Satz hat immer in der Kirche gegolten. Aber er wurde bestritten von einem Herrn namens Martin Luther. Dieser erklärte: Die Kräfte im Menschen sind völlig erstorben, und deswegen ist es unmöglich, dass er sich sittlich vorbereitet auf die Rechtfertigung, auf die Erlösung. Dagegen hat das Konzil von Trient die lebendige, freie Zustimmung des Menschen zur erweckenden Gnade Gottes sowie eine Reihe sittlich-religiöser Akte, Handlungen, gefordert, die die seelische Abkehr von der Sünde und die Hinwendung zu Gott bedeuten. Das alles in der Kraft der ersten Gnade. Gott erlöst uns allein, aber er erlöst uns nicht ohne uns. Wir brauchen eine Disposition, d.h. eine Vorbereitung und Öffnung für die von Gott dargebotene Versöhnung und Begnadigung. Welche Erfordernisse sind zu dieser Disposition notwendig? An erster Stelle der Glaube.

„Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen.“ Ein eherner Satz aus dem Brief an die Hebräer. Der Glaube an die für alle geltende Wahrheit gibt uns das Licht, ohne das der Wille das christliche Ziel nicht erreichen kann. Der heilige Paulus ist ja in besonderer Weise der Herold des Glaubens, und deswegen betont er in seinen Briefen immer wieder: Die Rechtfertigung entsteht aus dem Glauben. Sie geschieht mittels des Glaubens. Sie ruht auf dem Glauben. Im Römerbrief steht der wunderbare Satz: „Wenn du mit dem Munde den Herrn Jesus bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten erweckt hat, wirst du selig werden.“ Mit der Glaubenshaltung muss sich die Furcht verbinden, die Furcht vor dem strafenden, vor dem gerechten, vor dem heiligen Gott. Die Furcht ist notwendig, um uns erbärmliche Wesen aus der Unseligkeit zur Seligkeit, zur Besinnung zu führen. Es muss die rechte Furcht sein, nicht die knechtische Furcht, die sich zwar auch von der Sünde abwendet, aber ohne die Sünde innerlich zu überwinden. Nein, es muss eine Furcht sein, die vor der Strafe Gottes zittert, die aber den Willen auch innerlich umstimmt und ihn von der Sünde abkehrt. Mit der Furcht verbindet sich die Hoffnung, das Verlangen nach dem jenseitigen Heil, nach der Befreiung von der Schuld, das Vertrauen auf Gottes Güte und Barmherzigkeit. Denn er ist ja dazu erschienen, um die Bollwerke des Satans zu zerstören, wie Johannes, der ihm an nächsten gestanden hat, uns erklärt.

Im Mittelpunkt der Vorbereitung steht der Anfang der Liebe, also diejenige Hingabe an Gott, die Gott selbst ehrt und schätzt, die mit kindlicher Ehrfurcht verbunden ist; der Anfang der Liebe. Wiederum erklärt uns der Apostel Paulus: „Hätte der Mensch auch allen Glauben, dass er Berge versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, dann wäre er nichts.“ Es muss zur Liebe selbstverständlich hinzutreten die Reue. Wer einen liebt, bereut, bedauert, dass er den Geliebten gekränkt, betrübt hat. Also es muss das Mißfallen über die Sünde, der Schmerz über die Sünde, die Abwendung von der Sünde in der Reue hinzutreten, die tätige Bußgesinnung, die den Sünder befähigt, der Sünde zu entsagen und Gottes Huld wieder zu gewinnen. Untrennbar von der Reue ist der Vorsatz. Wer die Sünde bereut, wer bedauert, sie begangen zu haben, der muss auch den Willen haben, sie künftig zu meiden. Die Seele, die einmal begriffen hat, wie heilig Gott ist, ist gedrängt, Gottes Gebote zu halten. Und das Vertrauen auf Gott gibt der Seele auch den Mut, die sittliche Lebensaufgabe durchzuführen. Das, meine lieben Freunde, ist die Vorbereitung auf die Erlösung durch die Rechtfertigung, die uns geschenkt wird. Ohne sie gibt es keine Rechtfertigung. Mit ihr rechtfertigt Gott den Sünder, das heißt schenkt er ihm Vergebung der Sünden und Heiligung der Seele.

Das ist der zweite Gegenstand unserer heutigen Betrachtung, nämlich wie vollzieht sich die Rechtfertigung und welches ist ihr Wesen? Nun, sie vollzieht sich durch das Sakrament der Taufe oder der Buße. Der Ungetaufte wird durch das Taufsakrament von allem, was mißfällig ist an ihm, gereinigt, also von der Erbsünde, von den persönlichen Sünden. Deswegen haben im Altertum viele Menschen die Taufe aufgeschoben, aufgeschoben bis zum letzten Augenblick manchmal, weil sie sich sagten: Durch die Taufe wird alles vergeben, Erbsünde, persönliche Sünden, und dann kann ich gleich, gereinigt, frei auch von Strafe, in den Himmel eingehen. Nun, wir taufen die Kinder im frühen Alter, weil wir sagen: Wenn jemand im Kindesalter in die Gnade hineingetaucht wird, dann vermag er auch mit der Gnade sein Leben zu bewältigen. Wer einmal von der Gnade berührt ist, dem fällt es leichter, das Böse zu meiden und das Gute zu tun, wenn immer er will.

Die Rechtfertigung ist das Werk Gottes. Aber er hat sie an bestimmte äußere Zeichen geknüpft. Das Taufwasser, die Lossprechung im Bußsakrament, das sind äußere Zeichen, die uns das Erlösungsverdienst Jesu Christi zuwenden. Dadurch gewinnen wir den Anschluß an das historische Erlösungswerk Christi. Nun gibt es, wie Sie wissen, Menschen, die nicht zum Taufsakrament finden, und es gibt Menschen, denen es versagt ist, rechtzeitig das Bußsakrament zu empfangen. Können sie auch gerechtfertigt werden? Was zunächst einmal diejenigen angeht, die die Taufe nicht empfangen können, weil kein Taufspender da ist, ja weil sie vielleicht gar nicht um das Taufsakrament wissen. Können sie auch gerechtfertigt werden? Können sie auch gerettet werden? Die Kirche hat immer gesagt: Ja, sie können es durch die Begierdetaufe. Wenn sie das Verlangen haben, mit Gott in Berührung zu treten, wenn sie den Willen haben, die Sünde zu meiden, wenn sie die Liebe zu Gott empfinden, die über alles stark ist, die vollkommene Liebe, die nicht auf sich selbst schaut, sondern auf den Geliebten, dann können auch diese Menschen, auch ohne Taufe, gerettet werden. Denn in ihrem Verlangen, zu Gott zu kommen, Gott zu dienen, Gott zu lieben, ist das Verlangen nach der Taufe eingeschlossen. „Implicit“ nennt das die Theologie. Sie würden nämlich, wenn sie wüßten, dass Gott das Taufsakrament vorgeschrieben hat und wenn ein Taufspender zur Hand wäre, das Taufsakrament empfangen. Es gibt also eine Rettung auch ohne die Taufe in der Begierdetaufe.

Etwas anders ist es bei dem, der getauft ist und der als Getaufter keinen Priester findet, der ihm die Lossprechung von den Sünden geben kann. Auch ein solcher kann gerettet werden. Wodurch? Durch die vollkommene Reue. Die vollkommene Reue ist jene Abwendung von der Sünde und Zuwendung zu Gott, die allein aus Liebe zu Gott die Sünde verabscheut. Allein aus Liebe zu Gott. Das macht die vollkommene Reue so schwer. Ich bin nicht überzeugt, dass ein jeder ohne weiteres fähig ist, vollkommene Reue zu erwecken, wenn er nicht geübt ist. Wir Gläubigen sind ja in der Reue geübt, und wir üben sie jeden Abend und in jeder Nacht. Die vollkommene Reue ist eine wunderbare Einrichtung. Sie gestattet nämlich in einem Augenblick, in einem Nu, die Wiederversöhnung mit Gott, verbunden mit dem Vorsatz, sobald wie möglich das Bußsakrament zu empfangen. Das muss in der vollkommenen Reue eingeschlossen sein, sobald wie möglich das Bußsakrament zu empfangen.

Wir Priester, die wir ja besonders gefordert sind, was die Gottesliebe angeht, haben einen eigenen Kanon, ein eigenes Gesetz, wonach wir gehalten sind, wenn wir die heilige Messe feiern müssen, ohne vorher beichten zu können, vollkommene Reue zu erwecken und sobald wie möglich den Beichtvater aufzusuchen. Das gilt aber auch für die anderen Gläubigen. Die vollkommene Reue ist nur vollständig, wenn sie mit dem Wunsch und mit dem Vorsatz verbunden ist, sobald wie möglich zu beichten.

Das ist der Vollzug der Rechtfertigung: durch Wassertaufe, durch Bußsakrament, durch Begierdetaufe, durch vollkommene Reue. Das Wesen der Rechtfertigung ist die wirkliche Nachlassung der Sündenschuld und die übernatürliche Erneuerung und Heiligung der Seele. Beide Wirkungen fallen sachlich zusammen. Wenn die Gnade eingegossen wird, wird die Sünde getilgt, und die Sünde kann nicht getilgt werden, wenn nicht die Gnade eingegossen wird. Also beides ist sachlich dasselbe, Verzeihung der Sünden, Eingießung der Gnade. Die Eingießung der Gnade, der Sündennachlaß, bedeutet die wirkliche Beseitigung der Sünde. Die Sünde wird vernichtet. Die Mißfälligkeit und die Strafwürdigkeit vor Gott hören auf, das Erstorbensein für die übernatürliche Welt ist zu Ende. Das ist deswegen so deutlich zu sagen, weil Luther das Gegenteil lehrt. Nach Luther wird die Sünde nicht weggenommen, sie wird zugedeckt. Sie ist also noch da. Sie wird nicht angerechnet, sie wird also nicht beseitigt. Das ist ein fundamentaler Unterschied zur katholischen Rechtfertigungslehre, ein fundamentaler Unterschied. Deswegen gibt es auch bei den Protestanten kein Beichtsakrament. Nein, durch die Rechtfertigung wird die Sündenschuld weggenommen und die Seele erneuert. Es ereignet sich eine übernatürliche Belebung der Seele, wir erhalten ein neues Gewand, wie immer man es ausdrücken will, eine neue Qualität, ein neuer Habitus wird der Seele gegeben, und das ist aus der Heiligen Schrift zu begründen. Das deutlichste Wort hat der heilige Paulus gesagt. Er spricht im Galaterbrief von einer „neuen Schöpfung“. Der begnadigte, der gerechtfertigte Sünder ist eine neue Schöpfung. Das ist keine isolierte Meinung des heiligen Paulus, das haben die anderen Apostel genauso gelehrt. Johannes spricht von der „Wiedergeburt“. Das ist ja dasselbe. Er spricht von der Wiedergeburt aus dem Wasser und dem Geiste. Und der heilige Petrus sagt es noch schöner, möchte ich sagen: Wir werden „göttlicher Natur teilhaftig“. Wir werden göttlicher Natur teilhaftig, eine theiosis, wie das griechische Wort heißt, eine Vergöttlichung vollzieht sich im Menschen.

Unser Heil, meine lieben Freunde, unsere Rechtfertigung, unsere Heiligung kommt von Gott durch Jesus Christus. Es ist kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, in dem wir selig werden können. „Um unserer Sünden willen ward er dahingegeben, um unserer Rechtfertigung willen auferweckt.“ Ein wunderbares Wort aus dem Römerbrief. Um unserer Sünden willen ward er dahingegeben, um unserer Rechtfertigung willen auferweckt. Die Erlösung ist geschehen. Wir beten richtig: „Wir preisen dich, Herr Jesus Christus und benedeien dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die ganze Welt erlöst.“

Aber der Mensch muss mitwirken mit der Gnade. Er muss sich disponieren, er muss sich vorbereiten, er muss sich öffnen für das Wirken der Gnade. Gott allein wirkt die Erlösung, aber er wirkt sie nur an dem, der sich für sein Wirken öffnet. Diese Öffnung geschieht, wie eben dargelegt, durch Glaube, Hoffnung, Liebe, Reue, Furcht. Wir erwarten im Geist aufgrund des Glaubens die erhoffte Rechtfertigung. In Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein, sondern nur der Glaube, der durch die Liebe wirksam ist – der Glaube, der durch die Liebe wirksam ist.

Wenn die Rechtfertigung geschehen ist, soll der Mensch fortschreiten in der Gnade. Im Gottesreich, meine lieben Freunde, gilt nie das Wort „genug“, sondern immer nur: „Genug ist nicht genug!“ Die Erlösung wird geschenkt, damit der gerechtfertigte Mensch Früchte der Buße bringt. Wir sollen wirken in der Gnade. Wir sollen würdige Früchte unserer Bekehrung bringen. Wiederum schreibt Paulus: „Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin, verdanke alles der Gnade. Aber seine Gnade ist in mir nicht unwirksam gewesen, denn ich habe mehr gearbeitet als sie alle.“ Das ist die rechte Gesinnung. Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin, aber seine Gnade ist in mir nicht unwirksam gewesen. Ich habe mehr gearbeitet als sie alle. „Doch nicht ich, sondern die Gnade Gottes in mir“, wehrt er sogleich jedes selbstgerechte Rühmen ab.

So ergeht auch an uns heute, meine lieben Freunde, der Appell des Apostels Paulus: „Wir ermahnen euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfanget.“ Vergeblich hätten wir sie empfangen, wenn wir uns nicht mühen würden, in der Kraft der Gnade Früchte der Bekehrung zu bringen. Und deswegen mahnt der Apostel Paulus zuerst uns Priester, aber auch alle anderen. „Vernachlässige nicht die Gnadengabe, die in dir ist“, schreibt er seinem Schüler Timotheus. „Vernachlässige nicht die Gnadengabe, die in dir ist.“ Wir wollen also in der Gnade arbeiten, wirken, fortschreiten. Laßt uns, meine lieben Freunde, laßt uns wirken, solange es Tag ist. Nützen wir die geschenkte Zeit aus. Kaufen wir die Zeit aus, denn die Tage sind böse. „Wenn du nur willst, so ist der Himmel dein. Wie unermeßlich reich kann auch der Ärmste sein“, hat wiederum Johannes Scheffler uns gesagt. Wenn du nur willst, so ist der Himmel dein. Wie unermeßlich reich kann auch der Ärmste sein!

Amen.

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