Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Dezember 2010

Das Geheimnis der Jungfrauengeburt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Mein Lehrer im Neuen Testament in München, Friedrich Wilhelm Maier, war ein gelehrter Mann. Nicht alles, was er uns gelehrt hat, ist mir im Gedächtnis geblieben. Aber ein Satz hat sich mir eingeprägt, und der lautet: „Behaupten ist leicht, beweisen kann schwer, ja unmöglich sein.“ Behaupten ist leicht, beweisen kann schwer, ja unmöglich sein. Das hätten sich die Frau Käßmann, die evangelische Bischöfin, und der Herr Schneider, der oberste Repräsentant des deutschen Protestantismus, überlegen sollen, als sie beide einstimmig erklärten: Die Jungfrauengeburt hat nicht stattgefunden. Nanu. Unter den Wundern, welche die Geburt Jesu umgeben, ist ja die jungfräuliche Empfängnis von ganz besonderem Gewicht, und wer sie leugnet, verfehlt sich nach katholischer Lehre gegen ein Dogma, gegen einen Glaubenssatz, gegen eine von Gott geoffenbarte Wahrheit.

Diejenigen, welche das Dogma leugnen, versuchen ihre Meinung zu begründen. Sie sagen: 1. Die Jungfrauengeburt wird nur von Matthäus und Lukas ausgesagt, nicht von Markus, nicht von Johannes und nicht von Paulus. 2. Es gibt andere Texte im Evangelium, die der Jungfrauengeburt widersprechen. 3. Diese Legende von der Jungfrauengeburt ist entweder aus dem Weissagungsbeweis herausgesponnen oder aus Übernahme hellenistischer Anschauungen entstanden. Wir müssen uns, meine lieben Freunde, über unseren Glauben Rechenschaft geben. Wir dürfen nicht blind den Anwürfen der Gegner gegenüberstehen, sondern wir müssen sie zurückweisen, und ich hoffe, dass uns das gelingen kann.

1. Nur Matthäus und Lukas sprechen von der jungfräulichen Geburt Jesu, nicht auch Markus, nicht auch Johannes, nicht auch Paulus. Das ist richtig. Beide Evangelisten, Matthäus und Lukas, berichten aber auch, dass Maria mit Josef nur verlobt war. Sie war nicht heimgeführt, d.h. sie hatten die eheliche Gemeinschaft noch nicht aufgenommen. Die Versuche, die jungfräuliche Empfängnis Jesu zu eliminieren, stützen sich auf die Behauptung, die entscheidenden Verse im Lukasevangelium: „Wie soll dies geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ seien später eingefügt worden. Für diese Behauptung gibt es nicht den Schein eines Beweises. Man könnte sie nur dann beweisen, wenn man zwei Arten von Handschriften hätte, ältere Handschriften, wo diese Verse fehlen, und neuere, in denen sie eingefügt sind. Aber es gibt keine solchen älteren Handschriften. Alle Handschriften, die wir besitzen, enthalten diese Verse, die die Jungfräulichkeit Mariens bei der Empfängnis Jesu bezeugen. Wer diese Verse herausschneidet, handelt willkürlich, er handelt ohne Grund. Er entfernt dann auch aus dieser Begebenheit den Kern. Denn es geht ja gerade darum, dass die Empfängnis Jesu wunderbar ist, so ähnlich wunderbar, wie die Empfängnis Elisabeths war, die in ihrem Alter noch einen Sohn empfangen hat, „denn bei Gott ist kein Ding unmöglich“. Es ist auch bezeichnend, dass die Verkündigung der jungfräulichen Geburt an Maria geschieht, nicht an Joseph, denn es ist zunächst eine Sache, die zwischen ihr und dem Heiligen Geiste sich begibt. Die Ursprünglichkeit der Aussage des Evangelisten Lukas wird auch bestätigt durch Matthäus. Bei ihm dient der ganze Abschnitt im ersten Kapitel dazu, die Jungfrauengeburt nachzuweisen. Wer sie leugnet, meine lieben Freunde, um die entscheidenden Verse bei Lukas auszuscheiden, der handelt aus weltanschaulichen Vorurteilen; weil er nämlich von vorneherein überzeugt ist, so etwas könne nicht geschehen, darf es nach seiner Meinung nicht geschehen sein. Weltanschauliche Vorurteile, nicht wissenschaftliche Überzeugung führen dazu, diese Verse zu beseitigen. Dass die übrigen Schriften von der Wahrheit der jungfräulichen Geburt schweigen, ist nicht verwunderlich. Sie spielt in der Verkündigung Jesu und der Apostel keine Rolle. Sie hat ja nicht dazu gedient, etwa die Gottessohnschaft Jesu zu beweisen, sondern es ist gerade umgekehrt: Weil er der Gottessohn ist, ist er jungfräulich geboren worden. Nicht erst durch die Geburt aus einer Jungfrau ist Jesus der Sohn Gottes geworden, sondern er war es von Ewigkeit her. Und die jungfräuliche Geburt wird auch nicht verwendet, um die Messianität Jesu zu beweisen. Die Juden waren weit davon entfernt anzunehmen, der Messias müsse von einer Jungfrau geboren werden. Und das ist ja auch die Meinung Mariens, wenn sie sagt: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Sie denkt also zunächst einmal an einen ganz natürlichen Vorgang und wird erst vom Engel belehrt, dass es bei ihr anders sein soll als bei anderen Menschen.

Es muss ja auch nicht, meine lieben Freunde, damit eine Tatsache glaubhaft ist, jeder von allem reden. Es genügt, wenn zwei übereinstimmen und dasselbe aussagen, die beiden Evangelisten Matthäus und Lukas.

2. Man verweist dann auf andere Texte des Neuen Testamentes, die angeblich im Widerspruch zur Jungfrauengeburt stehen. Die Evangelisten berichten ganz unverblümt davon, dass Jesus für den Sohn Josephs gehalten wurde. Ja, warum auch nicht? Es war doch niemandem sonst bekannt außer ihm, dem Pflegevater Jesu, und Maria, woher dieses Kind kam. Wie hätten sie ihn anders ansehen sollen als den Sohn Josephs? An mehreren Stellen berichtet der Evangelist Lukas, dass seine Eltern – seine Eltern! – ihn suchten, und dass Maria sagt: „Dein Vater – dein Vater! – und ich, wir haben dich gesucht.“ Das stört ihn überhaupt nicht. Er sieht darin gar keinen Widerspruch zu der Jungfrauengeburt. Wenn er ein Täuscher gewesen wäre, dann hätte er die erwähnten Bezeichnungen ausgemerzt, aber er sieht in den Angaben (Eltern – Vater) keinen Widerspruch zur jungfräulichen Empfängnis und Geburt Jesu.

Matthäus ist etwas vorsichtiger. Er lässt nämlich den Engel, der Joseph auffordert, nach Ägypten zu fliehen, sprechen: „Nimm das Kind und seine Mutter!“ Nicht „deine Frau“, sondern „nimm das Kind und seine Mutter und fliehe nach Ägypten!“ 

Dann verweist man auch auf die Stammbäume. Beide Evangelisten haben ja einen Stammbaum, wo sie die Abkunft Jesu herleiten aus alttestamentlichen Persönlichkeiten. Aber beide betonen mit dem Stammbaum, dass Jesus jungfräulich geboren wurde. Also der Stammbaum soll nicht bedeuten, dass das Blut der Vorfahren in Jesus rollte, weil Joseph ihn gezeugt hat, sondern dass Joseph der gesetzliche Vater ist und dass der Stammbaum auch dann seine Bedeutung behält, wenn Joseph nicht der biologische Vater Jesu ist.

3. Die Ungläubigen müssen versuchen zu erklären, wie diese angebliche Legende entstanden sein soll. Da gibt es zwei Wege, auf denen sie diese Behauptung zu stützen versuchen. Die einen verweisen darauf, dass im Buch des Propheten Isaias die Weissagung steht: „Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären. Du sollst ihm den Namen Emmanuel geben.“ Das sei die schöpferische Schriftstelle des Dogmas. Aus dieser Weissagung habe man postuliert, Jesus sei von einer Jungfrau empfangen. Meine lieben Freunde, die Unhaltbarkeit dieses Erklärungsversuches ergibt sich aus dem Matthäustext selbst. Matthäus will nämlich gar nicht durch das Weissagungsorakel, er will gar nicht durch das Isaiaswort die jungfräuliche Empfängnis Jesu beweisen, sondern umgekehrt: Die Erfüllung dieser Weissagung durch die als Tatsache vorausgesetzte jungfräuliche, wunderbare Empfängnis, das ist sein Ziel seines Beweises. Weil Jesus jungfräulich geboren wurde, deswegen konnte man im Alten Testament eine Stelle finden, die diese Empfängnis voraussagte. Also der Hinweis auf das Schriftwort ist nur der apologetische Zaun um das bereits geschehene Wunder, um das bereits angenommene Dogma.

Außerdem fehlt bei Lukas der Weissagungsbeweise. Er steht nur bei Matthäus. Und er will nicht durch das Isaiaswort die jungfräuliche Empfängnis Jesu beweisen, sondern umgekehrt die Erfüllung der Weissagung durch die als Tatsache vorausgesetzte wunderbare Empfängnis hervorheben.

Außerdem hat das Judentum keinen von einer Jungfrau erwarteten Messias erwartet. Für das Judentum war es kein Problem, dass der Messias normalerweise wie alle Kinder geboren würde. Die messianische Deutung der Isaiasstelle war dem Judentum vollkommen fremd. Auch das Wort Mariens: „Wie wird dies geschehen, da ich keine Mann erkenne“, bezeugt diese Auffassung, dass der Messias eben ganz normal wie alle Kinder geboren wird. Diese Deutung der Isaias-Stelle auf Jesus war vollkommen neu. Sie erklärt sich nur aus der Tatsache, dass geschehen ist, was dort in dunkler Weise angekündigt wurde. Erst die Erfüllung des Wortes hat die Christen auf dieses Wort geführt.

Wegen der Unbrauchbarkeit der Herleitung des Dogmas aus dem Weissagungsbeweis greift man zu einem anderen Mittel, nämlich man verweist auf den Einfluss heidnischer, babylonischer, hellenistischer, ägyptischer mythologischer Vorstellungen, auch auf die 4. Ekloge Vergils. Dort ist die Rede, dass Götter mit menschlichen Frauen verkehren. Die Götter der Heiden werden ja vermenschlicht dargestellt, und so erzählt die griechische Mythologie eine lange Reihe solcher Szenen. Der Zeus soll den Pythagoras gezeugt haben, den Platon, den Alexander, den Augustus. Auch in Ägypten betrachtete man die Könige als Produkte des Verkehrs eines Gottes mit der Königin. Aus diesen Vorstellungen, so behauptet man, habe das Christentum die Jungfrauengeburt Jesu hergeleitet.

Meine lieben Freunde, gegen diese Herleitung spricht erstens, dass die Heiden diese mythologischen Vorstellungen selbst nicht als Geschichte ansahen. Kein einziger Heide war überzeugt, dass, was diese Mythen erzählten, sich tatsächlich zugetragen hatte. Alle wussten, dass dies nur eine Form der Schmeichelei ist, mit der man die Könige und große Männer verherrlichte. Wie sollten die Christen für Geschichte halten, was die Heiden selbst nicht als Geschichte ansahen? Das ist ein ganz entscheidender Einwand. Nicht das theologische Denken hat diese Mythen hervorgebracht, sondern die hündische Schmeichelei, wie sie im Orient zu Hause ist.

Außerdem ist die Geschichte von der Empfängnis und Geburt Jesu in ihrem ganzen Charakter palästinensisch, judenchristlich. Der Hintergrund ist nicht hellenistisch, also aus dem Griechentum bezogen, sondern er ist altjüdisch.

Der wichtigste Einwand gegen diese Ableitung ist aber die Verschiedenheit des Gottesbegriffes. Die Götter der Heiden sind hochstilisierte Menschen. Sie haben alle Laster und Fehler der Menschen, und sie sind in keiner Weise transzendente Wirklichkeiten, über die menschliche Sphäre erhaben. Es besteht ein grundlegender Unterschied des Gottesbegriffes des Christentums und des Judentums und der Heidenwelt. Hier, im Christentum und im Judentum, ist Gott der über alles Irdische unendlich erhabene Geist. Nichts Geschlechtliches ist an ihm, keine geschlechtliche Beziehung kann von ihm ausgesagt werden. Der Heilige Geist, der die Empfängnis Mariens bewirkt hat, ist nicht der Liebhaber Mariens, sondern er ist die über alle irdischen Möglichkeiten hinausgehende Ursache einer wunderbaren Empfängnis. Er ist schon deswegen nicht der Liebhaber Mariens, weil der Geist im Semitischen weiblich ist- ruach. Das hebräische Wort ruach ist weiblich. Man kann auch nicht sagen, dass der Heilige Geist wie ein Dämon sich Maria genaht hat. Alle diese geschlechtlichen Kategorien sind weit, weit entfernt von dem Vorgang der Entstehung Jesu. Er wird ja auch gar nicht geschildert, sondern er wird nur sanft angedeutet: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten.“

Außerdem kennen die Heiden gar nicht die Jungfrauengeburt. Die Göttinnen oder Götter der Heiden sind nicht vergleichbar mit dem Gott des Christentums. Die babylonische Liebesgöttin Ischtar, die besonders gern als Vorbild für die neutestamentlichen Berichte gewählt wird, ist keine Jungfrau. Und wenn manchmal die heidnischen Göttinnen wie Aphrodite oder Isis in einem übertragenen Sinne als Jungfrau bezeichnet werden, dann ist damit gemeint, dass sie nicht einem einzigen Gotte angehören, sondern allen Göttern zur Verfügung stehen. Sie sind Hierodulen, also Frauen, die sich geschlechtlich mit jedem verbinden, der sie haben will. Daran scheitert die Ableitung der Jungfrauengeburt aus dem Heidentum.

Es ist aber auch die jungfräuliche Empfängnis Jesu nicht durch dogmatische Spekulationen entstanden. Sie stammt nicht aus der Überlegung: Nun ja, wenn Jesus der Sohn Gottes ist, dann muss er ja irgendwie auf andere Weise entstanden sein als andere Menschen. Nirgendwo werden die Gottessohnschaft Jesu und sein Erlösungswerk davon abhängig gemacht, dass er jungfräulich empfangen wurde. Ich wiederhole noch einmal diesen wichtigen Satz: Nirgendwo werden die Gottessohnschaft Jesu und sein Erlösungswerk von seiner wunderbaren Empfängnis und Geburt abhängig gemacht. Nicht weil Jesus wunderbar empfangen wurde, ist er der Sohn Gottes, sondern weil er der Sohn Gottes ist, hat der Vater im Himmel beschlossen, ihn wunderbar empfangen zu lassen. Die jungfräuliche Empfängnis ist auch keine Erfindung, um die Sünde von Jesus fernzuhalten, wie es Karl Barth, dieser evangelische Theologe, meint. Die Sündenlosigkeit Jesu hängt nicht mit seiner jungfräulichen Geburt zusammen. Die Ehe stand im Judentum so hoch, dass eine Erzeugung des Messias auf normale Weise in keiner Weise seine Sündenlosigkeit hätte beeinträchtigen können.

Das Geschehen von Bethlehem, das Geschehen von Nazareth, die jungfräuliche Empfängnis und die jungfräuliche Geburt Jesu sind Wahrheiten, die durch keine von außen herangezogene Begründung aus den Angeln gehoben werden können. Wir haben keinen Anlass, meine lieben Freunde, unsicher zu werden und zu zweifeln, wenn wir im Glaubensbekenntnis beten: „Geboren aus der Jungfrau Maria.“ Wir bekennen eine Tatsache, nicht eine Legende. Der Gott, bei dem kein Ding unmöglich ist, hat den Eintritt seines Sohnes in die Welt durch eine wunderbare Tatsache auszeichnen wollen. Von diesem Jesus sagt der himmlische Vater. „Ihn sollt ihr hören. Dieser ist mein geliebter Sohn.“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt