Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
28. Februar 2010

Die Bedeutung der Verklärung des Herrn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Kämmerer der äthiopischen Königin Kandake war nach Jerusalem gekommen, um dort anzubeten. Auf dem Rückwege saß er in seinem Wagen und las in dem Buch des Propheten Isaias. Neben dem Wagen her lief der Diakon Philippus. Er fragte den Kämmerer: „Verstehst du auch, was du liesest?“ Der Kämmerer antwortete: „Wie sollte ich es verstehen, da es mir niemand erklärt?“ Diese Begebenheit aus der Apostelgeschichte zeigt uns, dass es nicht genügt, das Evangelium vorzutragen und mit billigen Paraphrasen zu umschreiben, sondern dass eine Erklärung notwendig ist, und das gilt in einem besonderen Maße vom Evangelium des heutigen Sonntags. Ich meine, es sind acht Gegenstände, die der Erklärung bedürftig sind.

Jesus kommt mit seinen Jüngern von Cäsarea Philippi zu einem Berge, den Origenes, also ein Mann des 3. Jahrhunderts, als den Berg Tabor bezeichnet. Der Berg Tabor ist 588 Meter hoch, damit für die galiläische Ebene ein recht ansehnlicher Berg. Und er hat keine Spitze, sondern er hat ein Plateau, also eine große, ausgedehnte Fläche, 1.200 Meter lang und 400 Meter breit. Auf diese Ebene steigt Jesus, aber nicht allein. Er nimmt drei von seinen Jüngern mit, die drei, die auch dabei waren, als er das Töchterchen des Jairus erweckte, und die drei, die dabei sein werden, wenn er zu zittern und zu zagen anfängt im Ölgarten.

Der erste Gegenstand unserer Überlegung ist die Verklärung. „Jesus ward vor ihnen verklärt.“ Als die Sonne die Jünger weckte, da sahen sie neben der irdischen Sonne eine andere Sonne aufgegangen, eine Sonne, die Jesus durchdrang. Jesus stand verwandelt vor ihnen. Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider glänzten wie der Schnee. Markus, der sich auf die Handwerke seiner Heimat versteht, sagte: „Diese Kleider waren so weiß, wie kein Walker bleich machen kann.“ Das Gesicht, die Gestalt des Herrn erstrahlt in einem übernatürlichen, nicht von außen an ihn herangebrachten Licht. Dieser Lichtglanz ist die Daseins- und Erscheinungsform der himmlischen Wesen. Sie wird er nach seiner Auferstehung für immer besitzen. Jesu Verklärung ist also eine Vorwegnahme seiner Herrlichkeit, die er seit der Auferstehung besitzt. Für eine Weile erscheint er in einer Gestalt, die er als verherrlichter Menschensohn besitzen wird. Er wird vorübergehend in die eschatologische, also endgültige Daseinsweise verwandelt. Die Verklärung geschieht selbstverständlich um der Jünger willen. Sie sollen durch die Verklärung belehrt werden über das göttliche Wesen des Herrn. Sie sollen endlich begreifen, dass Jesus nicht bloß der Fremdling aus Nazareth ist, sondern der menschgewordene Sohn Gottes.

Zweitens. Jesus ist nicht allein. Zwei Gestalten tauchen neben ihm auf, zwei Gestalten, die die Jünger selbstverständlich aus der Heiligen Schrift kennen. Sie wissen zunächst nicht, wer das ist. Erst das Gespräch, das sie mit Jesus führen, macht ihnen klar, um wen es sich handelt. Der eine ist Moses, der Gesetzgeber vom Berge Sinai, der charismatische Führer seines Volkes, der Vater des Vaterlandes. Der andere ist Elias, vielleicht der größte unter allen Propheten, Elias, der das Geheimnis der religiösen Berufung Israels am besten ergriffen und begriffen hat. Moses ist der Repräsentant des Gesetzes, Elias ist der Repräsentant der Propheten. Wenn sie jetzt erscheinen, dann bedeutet das, dass sich das Gesetz und die Propheten zum Evangelium, also zu Jesus, bekennen. Die beiden sind Vorläufer des Messias. Ihr Erscheinen beweist, dass Jesus der Messias ist, dass der Messias tatsächlich erschienen ist.

Drittens. Das Thema der Unterredung wird uns nur von Lukas mitgeteilt, nämlich die drei sprechen über das Ende Jesu. In Cäsarea Philippi hatte Petrus im Auftrag des Jüngerkreises Jesus als den Messias bekannt: „Du bist der Sohn des lebendigen Gottes.“ Aber ihre Messias-Vorstellung blieb immer noch befangen in den Grenzen der damaligen Erklärungen, nämlich ein nationalistischer Messias, der das Volk groß und herrlich machen wird. Sie hatten noch nicht begriffen, dass der Messias auch der Gottesknecht ist, der mißhandelt am Boden liegt, der an der Geißelsäule steht und der das Kreuz auf den Golgothahügel tragen muss. Das wird ihnen jetzt durch das Gespräch klar. Jetzt begreifen sie, dass die Prophetie und das Gesetz, Moses und Elias, dass sie sich zu dem Jahwe-Knecht, zu dem Gottesknecht bekennen. Der Messias wird nicht auf einem marmornen Throne sitzen; er wird nicht in einem barocken Schloß tafeln. Der Messias wird sich als der Dornengekrönte vor der Welt zeigen. Die beiden Gestalten bestätigen, was Jesus ihnen in seinen Leidensankündigungen wiederholt gesagt hat, dass der Messias leiden müsse und so das Volk erlösen werde. Wenn jetzt das Gesetz und die Propheten das bestätigen, dann ist damit erkennbar, dass das Leidensschicksal nicht eine verunglückte Aufgabe ist, sondern dass das Leidensschicksal vom Vater im Himmel gewollt und beabsichtigt ist.

Viertens. Petrus, eifrig wie immer, Petrus glaubt, dass jetzt die messianische Herrlichkeit angebrochen ist. Er bietet sofort seine Dienste an: Hütten bauen. Sein Vorschlag entspringt dem Wunsche, diesen Augenblick festzuhalten. Sie wollen beisammen bleiben mit Moses und Elias. Die selige Stunde soll dauernd genossen werden. Petrus bedenkt nicht, dass er damit Jesus seinem Berufe entziehen würde. Er bedenkt auch nicht, dass Gestalten, die in der himmlischen Herrlichkeit leben, seiner Dienste nicht bedürfen. Nein, Petrus, bleiben kannst du in dieser herrlichen Atmosphäre nicht. Hütten darfst du nicht bauen. Du mußt vom Tabor hinuntergehen, um den Ölberg und den Golgothahügel zu besteigen.

Fünftens. Eine lichte Wolke verhüllt, umschwebt die drei Gestalten. Die Wolke ist im Alten Testament immer ein Zeichen der Nähe Gottes. Die Wolke ist eine Erscheinungsform Gottes. Sie offenbart Gott, und sie verhüllt ihn gleichzeitig. In der Wüste erscheint die Herrlichkeit des Herrn in einer Wolke. Bei der Tempelweihe, als Salomon den schönen, den herrlichen Tempel errichtet hatte, erschien wieder eine Wolke und erfüllte das Haus des Herrn. Die Wolke ist die Antwort auf das Wort des Petrus. Sie ist das Zelt Gottes. Sie ist das Symbol Gottes und die Offenbarung seiner Gegenwart.

Sechstens. Eine Stimme ertönt aus der Wolke, dieselbe Himmelsstimme, die Jesus schon bei der Taufe als den geliebten Sohn Gottes gekennzeichnet hatte. Sie wendet sich jetzt ausdrücklich an die Jünger. Gott bekennt sich zur Messianität seines Jesus. Die Himmelsstimme ist die göttliche Bestätigung des Petrusbekenntnisses. Der himmlische Vater bekennt sich zu seinem palästinensischen Sohn, und er bekennt sich zu ihm als dem Knecht Gottes. Er soll sich weigern, mit Heeresmacht in Jerusalem einzuziehen. Auf einem Esel, unpolitisch und harmlos, wird er in seine Stadt einziehen. „Ihn sollt ihr hören.“ Das bezieht sich auf die gesamte Verkündigung Jesu. Er ist der gottgesandte Offenbarer. Seine Lehre ist Gottes Lehre. Wer ihn hört, der hört Gott. Was er auf Erden verkündigt, das ist im Himmel beglaubigt. Diese Himmelsstimme, meine lieben Freunde, ist der eigentliche Kern des ganzen Geschehens. Man nennt so etwas in der theologischen Fachsprache Epiphanie. Epiphanie heißt Gotteserscheinung, historisch greifbares Eingreifen Gottes in die Geschichte. Solche Gotteserscheinungen gibt es mehrfach im Leben Jesu: bei der Taufe, jetzt bei der Verklärung, dann auch beim Wandel über den See. Ja, Johannes, der Evangelist, ist überzeugt, dass das ganze Leben Jesu eine Erscheinung Gottes sei: „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.“

Siebtens. Die Jünger fallen auf ihr Angesicht nieder. Das Geschaute erfüllt ihre schmale Seele mit grenzenloser Ehrfurcht. Die Antwort auf eine Gotteserscheinung ist die Furcht. Die Gewalt der Herrlichkeit Gottes, die Macht seines Glanzes erzeugen in den Menschen Furcht. Sie überwältigen den Menschen. So wissen wir jetzt schon, dass im Alten Testamente, als Moses unter Blitz und Donner am Sinai das Zehn-Gebote-Gesetz empfing, da bekam das Volk Angst und zitterte und stand in der Ferne. Und schließlich in der Ferne. Sie sagten zu Moses: „Rede du mit uns. Aber Gott soll nicht mit uns reden, sonst müssen wir sterben.“ Furcht, heilige Furcht, Ehrfurcht ist die erste und richtige Reaktion auf die Erscheinung Gottes. 50 mal kommt im Alten Testament dann aber auch der Zuspruch vor: „Fürchtet euch nicht!“ Wenn Gott erscheint, dann will er auch dem Menschen die andere Seite seines Wesens offenbaren, nämlich den Lichtglanz seiner Liebe und seiner Milde. Fürchtet euch nicht! So auch jetzt auf dem Tabor. Jesus tastet an die Schulter der Männer und sagt: „Fürchtet euch nicht!“

Achtens. Als sie ihre Augen erheben, sind sie ganz allein mit Jesus. Die Begleiter sind nicht mehr da. So wandern sie den Berg hinab und reden den ganzen Nachmittag von diesem Ereignis, von diesem Thema, von dieser Offenbarung. Dann versinken sie in nachdenkliches Schweigen. Unten warten die Apostel und die Frauen auf sie. Der Herr aber sagt ihnen: „Schweiget von dieser Erscheinung, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist!“ Er verschließt ihnen den Mund bis zu der Stunde, wo das Lebenswerk Jesu abgeschlossen vor ihnen steht, wo der wahre Charakter seiner Messianität erfüllt ist. Nach Kreuzigung und Auferstehung dürfen sie reden. Man sollte meinen, nach der Auferstehung sei es nicht mehr nötig, von der Verklärung zu reden, denn da ist ja die siegreiche Macht Jesu allen offenbar geworden. Aber die Tatsache, dass sich der himmlische Vater vor seinem Leiden zu seinem Sohne bekennt, bleibt bedeutsam. Sie zeigt, dass Gott auf dem Ölberg und auf dem Kalvarienhügel genauso anwesend sein würde wie auf dem Berge Tabor. Die besondere Erscheinung vergeht, das Zeichen der zukünftigen Welt Gottes vergeht, die furchterweckende Gottesstimme schweigt. Aber Jesus, mit dem die Jünger gewandelt sind und bis zum Tode weiter wandeln werden, er bleibt.

Vielleicht ist uns erlaubt, aus diesem Geschehnis eine Folgerung zu ziehen. Die Taborstunden sollten die Jünger für das Leiden stärken. Sie sollten ihnen Mut machen. Sie sollten, wenn sie jetzt mit dem Herrn in das Leiden hineingehen, offenbar machen, dass Gott mit seinem Messias auch im Leiden ist. Damit sie nicht an ihm irre werden, hat er sich ihnen in dieser Weise zu erkennen gegeben.

Auch in unserem Leben kann es Taborstunden geben, Stunden der Erhebung, der Ergriffenheit, Stunden, wo uns die Religion Freude macht, wo wir dankbar sind, dass wir im heiligen Glauben stehen. Aber diese Stunden können vergehen. Sie sind nicht von immerwährender Dauer. Es kann der Zweifel an uns nagen. Es können Leiden über uns kommen. Es besteht immer die Gefahr, dass wir irre werden am Menschlichen in der Kirche. In solchen Stunden, meine lieben Freunde, sollen wir uns erinnern, dass unser Herr und Heiland mit uns geht, ob auf den Berg Tabor oder auf den Ölberg. Selbst am Kalvarienhügel hält er aus bis zum letzten Atemzug.

Amen.

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