Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
9. August 2009

Von Pharisäern und von Zöllnern

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben es schon oft gehört, das Evangelium vom Pharisäer und vom Zöllner. Und wir haben es heute wieder vernommen. So lebendig, so kraftvoll zeichnet der Herr diese beiden Gestalten. Unwillkürlich wird man sich bewußt: Die beiden leben noch heute! Die sterben nie aus. Man wird sie finden, solange Menschen auf dieser Erde leben, zu allen Zeiten, an allen Orten. Und da kommt die Frage: Gibt es diese Menschen auch in unserer Gemeinde, Pharisäer und Zöllner? Gehen auch sie zur Sonntagsmesse? Haben sie in den Bänken Platz genommen? Vielleicht sind sie uns näher, als wir selber glauben. Vielleicht finden wir sie auch in unserer eigenen Seele. Wir wollen einmal näher zusehen.

Der Heiland sagt: Der Pharisäer stellte sich hin und sprach: „O Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen, wie die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch nur wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich besitze.“ Der Pharisäer spricht noch heute so! Er hat heute ein anderes Gewand, das Gewand des modernen Menschen. Er redet eine andere Sprache, nicht mehr aramäisch, aber er spricht in allen Weltsprachen und leider auch sehr viel Deutsch. Der Sinn ist immer derselbe.

Lassen wir einmal die verschiedenen Stände vor uns aufmarschieren, und hören wir, was sie zu sagen haben. Da ist der Arbeitgeber. Er stellt sich vor den Herrgott hin und sagt: Was muss ich mich plagen und quälen! Tag und Nacht muss ich mich kümmern um meinen Betrieb, muss auf dem Posten sein. Meine Leute kümmern sich nur um ihre kleinen Bedürfnisse. Sie brauchen sich nicht zu sorgen; sie überlassen die Sorge mir. Und dann sind sie immer noch unzufrieden. So ist es, dieses Volk. So spricht der Arbeitgeber. Aber fragen wir ihn einmal: Möchtest du, was deine Angestellten sind, sein? Möchtest du deine Kinder das werden lassen, was deine Bediensteten sind? Und du willst den Martyrer spielen? Auf den Knien solltest du dem Herrgott danken, dass du besser gestellt bist als sie.

Dann kommt der Arbeitnehmer mit schwerem Schritt, dem man es anmerkt: Er ist gewohnt, Lasten zu tragen. Er spricht zu Gott: Das ist nun mein Leben. Nach der Fabrikpfeife, nach der Anordnung des Vorgesetzten muss ich mich richten früh und spät. Ans Alter darf ich gar nicht denken. Ja, die Reichen, die haben es gut, die haben es leicht, die haben keine Not. Warum, o Gott, schlägst du nicht drein und beseitigst die Ungerechtigkeit? Mein Freund, ist deine Erregung echt? Jagst du nicht genauso nach Geld und Gut wie die anderen? Wenn du an der Stelle des Besitzenden wärest, meinst du, dann wäre es anders? Erst mußt du dein eigenes Inneres korrigieren, dann kannst du über die anderen sprechen.

Dann kommt die Frau, die eine gute Christin sein will, vielleicht auch der Mann, der als guter Katholik gilt. Sie kommen zur Kirche, um ihre Sonntagspflicht zu erfüllen, ernst und würdig. Sie hören von der Kanzel oder vom Ambo, dass man sich des Nächsten annehmen solle, auch der Verwahrlosten, auch der Gefallenen, dass dies unsere Brüder und Schwestern sind. Da sträubt sich alles im Inneren dagegen. Eine Frau sagte mir einmal: „Diese Personen sind keine Menschen in meinen Augen.“ So etwas regt sich in den meisten Menschen: nur nicht sich beschmutzen mit den anderen. Mein lieber Christ, du magst den Glauben haben, aber die Liebe hast du nicht.

Dann kommt der laue Katholik. Das ist der Typ, der heute am häufigsten ist, oder der Abgefallene, der Abständige. Ihm imponiert nichts mehr. Lieber Gott, ich weiß, dir liegt nichts daran, was man glaubt, wenn man nur ein anständiger Kerl ist. Ich gehe zwar selten oder gar nicht in die Kirche, ich empfange keine Sakramente, aber ich bin viel anständiger als die Betbrüder und die Betschwestern. Hört ihr es klingen, meine lieben Freunde? Genau wie der Pharisäer spricht: Herr, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen. Und so könnte man sich kommen lassen aus jedem Stand, aus jedem Beruf, auch aus dem Priester- und aus dem Ordensstand. Alle sprechen: Herrgott, ich danke dir, dass ich so bin und dass ich nicht so bin wie die anderen.

Jetzt wollen wir einmal von uns selber reden. Blicken wir einmal in uns selbst hinein und schauen wir nach den Spinnweben des Pharisäismus in uns selbst! Ein Kennzeichen will ich Euch verraten. Wir haben eben das Evangelium vom Pharisäer und vom Zöllner gehört. Eine Frage: Haben wir uns nicht alle mit dem Zöllner auf eine Stufe gestellt? Wer von uns hat sich mit dem Pharisäer verglichen? So schauen wir über unsere Fehler hinweg. Es ist, als ob die heiligsten Worte des Evangeliums ungehört verhallen. Wozu dieses Evangelium? Es gibt ja keine Pharisäer mehr; es gibt nur noch Zöllnerseelen. So huscht man über alle Schwächen hinweg und weiß nicht, dass der Pharisäer in uns selber wohnt. Vom heiligen Franz von Assisi wird berichtet, dass er mitten in der Nacht einen Bruder weckte und ihm sagte: „Bruder, ich glaube, ich bin der größte Sünder, den es gibt.“ Ich bin der größte Sünder, den es gibt. Man sah es ihm an, dass er es ernst meinte. Meine Lieben, vielleicht, wenn er unter uns stünde, wäre er der einzige, der sich als Pharisäer empfindet.

Wer ist der rechte Zöllner? Der sich für den Pharisäer hält. Und wer ist der eigentliche Pharisäer? Der sich für den Zöllner hält. Es gibt Menschen, die glauben weder an Gott noch an den Himmel und an die Hölle. Und das ist schlimm. Es gibt Menschen, bei denen vergeht kein Tag ohne Lieblosigkeit, und das ist noch schlimmer. Aber so leben und sich dann für einen braven Menschen halten, das ist das allerschlimmste. Es ist schrecklich, wenn der Priester an ein Sterbebett kommt, und der Sterbende hat nichts anderes zu tun, als seine Verdienste und seine Tugenden aufzuzählen. Und in einer Stunde steht er vor seinem Richter! Warum ging der Pharisäer nicht gerechtfertigt nach Hause? Welches Vergehens hat er sich schuldig gemacht? Erstens: Er hatte eitle Selbstgerechtigkeit zur Schau getragen. Er hatte eitlen Selbstruhm gepflogen. Er ging in den Tempel, um zu beten, aber er wollte nicht Gott bitten, sondern sich loben. Zweitens: Er hatte geringschätzig über die übrigen Menschen geurteilt. Er hielt sich für weit überlegen. Es ist doch so: Wenn der Mensch sich reinwäscht, klagt Gott ihn an. Wenn der Mensch sich anklagt, wäscht Gott ihn rein. Indem du dich selbst als gut lobst, bist du schlecht. Die Demut macht dich gut, die Selbstüberhebung macht dich schlecht. Solange der Mensch sich selbst gefällt, mißfällt er Gott.

Vom heiligen Augustinus stammt das ergreifende Wort: „Wer immer Gott gegenüber seine Verdienste aufzählt, der zählt damit Gottes Geschenke auf. Wenn Gott unsere Verdienste krönt, krönt er seine Geschenke.“ Was wir verdient haben, verdienen wir in seiner Kraft. Verdienst schafft nur die Gnade, und vor der Gnade gibt es kein menschliches Verdienst. Im 1. Korintherbrief schreibt der Apostel Paulus ganz ähnlich: „Was hast du, das du nicht empfangen hast? Hast du es aber empfangen, warum rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“ Vom Zöllner werden vier Demutsbezeigungen erwähnt: Er kam nicht in die Nähe, er stand von ferne; er wagte nicht, nach oben zum Himmel zu schauen, sondern er schaute nach unten; er schlug an die Brust und gab damit zu verstehen, dass er Strafe verdient hat, und er sprach das Gebet, das ergreifendste Gebet, das es vielleicht gibt: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Er wußte, dass er ein Sünder ist. Das sind Zöllnerstunden. Zöllnerstunden, die kennen wir alle, meine lieben Freunde. Wenn wir in unserem Temperament durchgegangen sind, wenn wir heftig waren, das drückt uns stundenlang. Wenn wir eine Ungerechtigkeit gegen jemanden begangen haben, und es stellt sich heraus, dass er in Wirklichkeit edel gehandelt hat, das liegt den ganzen Tag auf uns, schwer. Und du hast vielleicht eine Sünde begangen, an die du kaum zu denken wagst, bist ganz mutlos geworden. Das ist eine Gnadenstunde für dich, eine Gnadenstunde, wo der Zöllner in dir aufstehen soll. Ich habe in den Klöstern Seelen kennengelernt, die sagten mir: „Vor zehn, zwanzig Jahren, als ich ins Kloster ging, da dachte ich, welch einen Hochstand ich im Kloster erreichen könnte. Jetzt muss ich sagen: Herrgott, wenn du nicht barmherzig bist, dann war alles umsonst.“ Da habe ich Achtung bekommen vor solchen Seelen. Das sind echte Zöllnerseelen. Wenn wir das einmal gelernt haben, dann wird es ruhig in uns. Der Heiland sagt: „Lernet von mir! Ich bin demütig von Herzen.“ Wahrhaftig, die Demut bringt uns Ruhe.

Wir wollen noch einmal aus dem Evangelium schöpfen. Man hält heute den Pharisäer für einen Heuchler. Das ist er nicht! Das, was er aufzählt, hat er wirklich getan. Er hat gefastet, er hat gebetet, er hat den Zehnten abgegeben. Den Zöllner halten wir für einen braven Menschen. Das ist er nicht! Dem kam es auf eine Ungerechtigkeit nicht an. Und beide treten vor den Herrgott, und der Herrgott hält die Waage über sie. Der Pharisäer zählt seine guten Werke auf, die er wirklich verrichtet hat. Der andere steht da und hat nichts, was er hineinwerfen könnte als sein Gebetlein: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Meine lieben Christen, wir würden es für vermessen halten, wenn es der Heiland nicht selber gesagt hätte: Das kleine Gebetlein wiegt und weist mehr auf als alle Werke des Pharisäers. Tief neigt sich Waagschale herab. „Und der Zöllner ging gerechtfertigt nach Hause, jener nicht!“

Es ist etwas so Tröstliches in diesen Worten. Da bleibt keine Bangigkeit und kein Mißtrauen, wenn wir uns so verhalten wie der Zöllner. Es gibt gewiß bessere Katholiken, als wir es sind. Es gibt manche, die reiner und keuscher sind, als wir es sind. Aber wir sollten deswegen nicht denken: Mit mir ist nichts zu machen. Nein. Wir sollten die Gesinnung des Zöllners in uns erwecken. Der Zöllner ging gerechtfertigt nach Hause. Demut und Reue bezwingen Gottes Herz.

Zu den ergreifendsten Erlebnissen meines Priesterlebens gehören Demut und Reue, die ich von Beichtkindern, und auch manchmal außerhalb der Beichte empfangen habe. Das hat mich immer ergriffen und bis in die Tiefe der Seele erschüttert. Ich habe gedacht: Die sind viel, viel besser, als du es bist. Wer nichts aus sich macht, wer seine Schwäche und sein Versagen zugibt, wer seine Sünden nicht wegredet – „Ich bin schwul, und das ist gut so!“ –, wer mit Demut und Reue vor Gott kommt, der bezwingt Gottes Herz. Das ist Zöllnergesinnung: Sich nicht erheben über andere, nicht mit den eigenen Tugenden und Leistungen prahlen, nicht sich für besser halten als andere, die eigene Schuld bekennen, das eigene Versagen, daran denken, was der Herr im Evangelium sagt: „Wenn du alles getan hast, was du getan haben mußtest, dann sollst du sagen: Wir sind unnütze Knechte.“ Das ist Zöllnergesinnung.

Drei Bilder möchte ich Ihnen, meine lieben Freunde, noch vorstellen. Auf der einen Seite der moderne Mann. Auf alles Bitten und Flehen hat er nur die Antwort: Ich beichten? Ich habe nichts zu beichten. Auf der anderen Seite der Sünder. Der kommt in den Beichtstuhl mit den Worten: „Helfen Sie mir bitte. Ich habe gelebt wie ein Lump!“ So etwas gibt es. Auf wessen Seite steht Gott? Ist er mit dem, der nichts zu sagen hat, oder neigt er sich zu dem, der kein Wort scharf genug findet, um seine Vergehen zu schildern. Weiter: Auf der einen Seite der überzeugte Katholik, der sich als solcher auch fühlt und der Abstand hält von der Masse. Auf der anderen Seite der schlichte Mann, der seine Gabe in das Waisenhaus bringt und sagt: Lassen Sie die Kinder für mich beten. Ich habe es nötig! Auf wessen Seite steht Gott? Schließlich: Auf der einen Seite der moderne Mann. dem man mit Religion überhaupt nicht kommen kann: Ich mache alles mit mir aus. Ich bete unmittelbar zum Herrgott, ich brauche keine Kirche. Hunderttausendmal kann man das hören. Auf der anderen Seite der Mann, der ins Gefängnis eingeliefert wird – mit 70 Jahren. Dort wird er empfangen mit Worten: Mann, und das mit 70 Jahren? Da sagt er so schlicht und demütig: „Hochwürden, lassen Sie es gut sein. Ich habe es draußen nicht geschafft; ich bin zu schwach. Hier will ich mich auf den Tod vorbereiten.“ Auf wessen Seite steht Gott? Auf der Seite des Modernen oder auf der Seite des Sträflings?

Meine Lieben, das sind Fragen auf Leben und Tod. Es kann uns der Gedanke kommen: Wie wird es mit mir sein? Vielleicht wird es so sein, dass sie kommen aus den Fürsorgeheimen und aus den Gefängnissen und mit Abraham und Isaak zu Tische sitzen und das Fest des Jubels feiern. Wie aber wird es uns ergehen, uns Kindern des Lichtes, die wir glauben, wenn wir nicht demütig sprechen: „Herr, sei mir armen Sünder gnädig!“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt