Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
9. März 2008

„Warum glaubt ihr mir nicht?“

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Passionssonntag ist heute. Das heißt, wir beginnen mit ihm die Zeit des Kirchenjahres, die in besonderer Weise dem Gedächtnis des Erlöserleidens geweiht ist. Die Kirche trauert. Sie hat den Witwenschleier angelegt, das Kreuz ist verhüllt. Unser Blick soll ganz nach inner gerichtet sein auf unseren Erlöser und auf seinen Leidensweg, er, der jetzt als Lamm Gottes, als das Sühnopfer Gottes den Weg nach Golgotha nimmt. Und so tritt das Kreuz stark in unser inneres Bewusstsein. Es ist das Königsbanner, vexilla regis. „Die Königsbanner flattern voran“, so heißt es in einem wunderbaren Hymnus; und es ist der Baum der Erlösung. Ich lade Sie immer wieder ein, meine Freunde, in dieser Passionszeit das zu betrachten, was uns besonders nahe steht, nämlich das Kreuz. In der Präfation der Passionszeit heißt es: „Der am Holze gesiegt hat, (nämlich der Satan im Paradiese), der sollte auch am Holze besiegt werden“ (nämlich durch Jesus und sein bitteres Leiden). Am Holze ist Satan Sieger gewesen, am Holze hat Christus ihn besiegt.

Wir sehen den Erlöser, wie er den Weg zum Kreuze nimmt. Aber ehe die Kirche ihn uns zeigt, wie er wehrlos seinen Feinden ausgeliefert wird, bringt sie uns noch einmal zu Bewußtsein, wer das ist, der hier leidet. Ein Gerechter ist es, ein Gerechter, der unschuldig in den Tod geht, der Hohepriester des Neuen Bundes, der ewige Gottessohn. Im Eingangsgebet der heutigen Messe heißt es mit den Worten des 42. Psalms: „Schaff Recht mit Gott gegen ein unheiliges Volk. Entscheide meinen Rechtsstreit wider meine Feinde.“ Und die Epistel schildert uns den Hohenpriester: Nicht mit dem Blut von Böcken und Stieren, wie im Alten Bunde, trete er in das Zelt des Allerheiligsten ein, sondern mit seinem eigenen Blut als makelloses Opfer des Neuen Bundes. Und im Evangelium, da offenbart sich der Herr noch einmal selber: „Wer aus euch kann mich einer Sünde beschuldigen?“ Antwort: Niemand! Und: „Ehe Abraham ward, bin Ich!“ Damit ist seine Ewigkeit als der Sohn Gottes ausgesagt. Opfergabe und Priester zugleich, das ist der Herr, das ist das Thema der Passionszeit.

Die Worte des Evangeliums künden uns auch die Auseinandersetzung des Herrn mit den Juden. „Warum glaubt ihr mir nicht?“ Das ist die Frage, die er an sie richtet. Sie hätten doch allen Anlaß gehabt zu glauben. Niemals ist ein Zeuge so beglaubigt worden wie er. In ihm sind die Verheißungen der Propheten in Erfüllung gegangen. Er hat Wunder gewirkt, die kein Mensch wirken kann. Seine Lehre ist von erhabener Vollkommenheit; sein Wandel ist von äußerster Reinheit; sein sittliches Leben ist makellos. „Wer von euch kann mich einer Sünde beschuldigen?“ Niemals hat ein Bote solche Zeugnisse aufweisen können wie unser Herr und Heiland. Und doch stößt er auf eine Mauer des Unglaubens. „Warum glaubt ihr mir nicht?“ Das ist die Schicksalsfrage, die der Messias an die verblendeten Führer seines Volkes richtet. Die Antwort gibt der Herr selber: „Weil ihr nicht aus Gott seid.“ Sie glauben nicht, weil sie nicht glauben wollen. Sie verharren in ihren menschlichen Lehren, in ihren Wünschen, in ihren Ansprüchen, in ihrem Dünkel. Sie wollen sich nicht vom Throne stoßen lassen durch die Wahrheit. Sie wissen, dass im Gottesreiche kein Raum ist für Pharisäer. Deswegen darf seine Lehre nicht wahr sein, deswegen greifen sie zum letzten und niedrigsten Mittel: sie beschimpfen ihn. Sie heben Steine auf, um ihn zu töten.

„Warum glaubt ihr mir nicht?“ Diese Frage, meine Freunde, ist stehen geblieben. Sie ist die Frage, die Christus an alle Zeiten richtet: „Warum glaubt ihr mir nicht?“ Am Glauben hängt alles, und ohne Glauben ist alles nichts. „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen, denn wer Gott naht, muss glauben, dass er ist und dass er denen, die ihn suchen, ein Vergelter wird.“ So fasst der Hebräerbrief den Inhalt des Glaubens zusammen: „Er muss glauben, dass Gott ist und dass er denen, die ihn suchen, ein Vergelter ist.“ An einer anderen Stelle heißt es: „Nur wenn wir glauben, gehen wir in die Ruhe ein.“ Und wieder an einer anderen Stelle: „Das ist der Sieg, der die Welt überwindet: unser Glaube.“

Wenn auch die äußeren Verhältnisse heute andere sind als zur Zeit Jesu, das Menschenherz hat sich nicht geändert. Immer aufs neue wiederholt sich, was der Apostel Johannes schrieb: „Das Licht leuchtete in der Finsternis, aber die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse.“ Das Licht leuchtete in der Finsternis, aber die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. So schreibt der Apostel Johannes vor 2000 Jahren. Und in unserer Zeit hat ein englischer Schriftsteller, Bruce Marshall, sich in einem Roman ähnlich ausgedrückt. Da unterhalten sich ein Geistlicher und ein anderer über die Glaubensunwilligkeit des Menschen. Es werden Gedanken ausgetauscht zwischen ihnen, aber schließlich sagt der Geistliche zu dem Gegenüber: „Die Menschen glauben nicht, weil sie sich nicht wollen in ihren Vergnügungen stören lassen.“ O wie recht hat er! Sie glauben nicht, weil sie sich nicht wollen in ihren Vergnügungen stören lassen.

Der Glaube ist eine Gnade, aber er ist auch zugleich eine Tugend, ein Werk des Willens. Fast stets entspringt der Unglaube nicht dem Verstande, sondern dem Willen, dem Herzen. Da hat er seinen Ursprung. Der Menschengeist, der viele Geheimnisse der Natur durchforscht hat, will sich nicht beugen vor jenen Wahrheiten, die immer ein Geheimnis bleiben. Man ruft, meine lieben Freunde, die Wissenschaft an, eine Scheinrechtfertigung für den Unglauben. Man missbraucht die Wissenschaft zu diesem Zweck. Man spricht davon, dass die Wissenschaft, die Naturwissenschaft, gegen den Glauben stehe. Selbstverständlich gibt es ungläubige Wissenschaftler, aber es gibt ebenso viele gläubige. Ich hatte in meiner Schulzeit zwei Lehrer in Physik, also in Naturwissenschaft. Der eine war untüchtig, er war Atheist. Der andere war tüchtig, er war jeden Sonntag um 8 Uhr in der heiligen Messe. So also sieht es mit dem Glauben und mit dem Unglauben der Wissenschaftler aus. Es ist lächerlich, die Wissenschaft für den Unglauben in Anspruch zu nehmen. Der Glaube ist nicht wider die Vernunft, er ist über der Vernunft. Er klärt uns das, was die Wissenschaft nicht klären kann. Wer glaubt, braucht nicht der Wissenschaft den Abschied zu geben, er schreitet vielmehr weiter in Gefilde, die der Wissenschaft nicht zugänglich sind. Der Glaube ist nicht dagegen, er ist darüber. Glaube ist dem Wesen nach die Annahme einer Wahrheit, die unsere Vernunft nicht erreichen kann, einfach auf das Zeugnis hin. Noch einmal der Hebräerbrief: „Der Glaube ist das feste Vertrauen auf das, was man erhofft, das Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht.“ Der Glaube ist das feste Vertrauen auf das, was man erhofft, das Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht.

In der letzten Zeit wird häufig die Evolutionstheorie, die Entwicklungstheorie gegen den Glauben angeführt. Es gebe eine Entwicklung vom Einzeller bis zum Menschen über verschiedene Stufen in überaus langen Zeiten. Im Laufe von Jahrmillionen habe sich das Leben von einfachsten Formen über zahllose Zwischenstadien zu der heutigen Höhe emporgeschwungen, und deswegen sei die Lehre von der Schöpfung überholt. Es brauche keinen Gott, um das Leben und seine Entwicklung zu erklären. Ich gebe darauf eine doppelte Antwort: 1. Der Beweis für die behauptete Entwicklung fehlt. Niemand hat erlebt, wie eine Art aus der anderen hervorginge. Die behauptete Entwicklung beruht nur auf Rückschlüssen aus fragmentarischen Funden. Diese Rückschlüsse gehen außerordentlich weit auseinander. Was der eine Forscher vor 5 Millionen Jahren verlegt, für das braucht der andere 7 Millionen. Die Gelehrten sind sich nicht einig; und wo sie einig sind, spricht der eine dem anderen nach. Der Konsens der Gelehrten ist kein Beweis für die Wahrheit. Wir wissen, wie solche Einigkeiten zustande kommen. 2. Selbst angenommen, es habe eine solche Entwicklung gegeben, dadurch wird Gott nicht überflüssig. Es muss doch erst einmal etwas da sein, was sich entwickeln kann. Es muss eine Wirklichkeit geben, die etwas aus dem Nichts schafft, das sich dann entwickeln kann. Es muss eine übermächtige, unendlich mächtige Wirklichkeit geben, die aus dem Nichts etwas hervorbringt. Wir nennen sie Gott. Es muss auch jemand leben, der die Entwicklung lenkt. Die Gesetze entstehen ja nicht von selbst. Von selbst entsteht überhaupt nichts. Es muss jemand da sein, der diese Gesetze gibt. Es muss einen Gesetzgeber geben. Wir nennen ihn Gott. Die Entwicklungstheorie, meine lieben Freunde, die ich schon als Kind in der Schule gelernt habe, zerstört nicht den Glauben, sie bestätigt ihn. Die Vernunft steht nicht wider den Glauben, sie ist über dem Glauben. Und deswegen kann man auch die Vernunft nicht anrufen gegen den Glauben.

Der zweite Grund, warum die Menschen nicht glauben, liegt in ihren unbeherrschten Trieben und Begierden. Sie wollen nicht Wahrheiten annehmen, die ihnen schwere Pflichten auferlegen. Die Selbstüberwindung, der beharrliche Kampf, das Opfer, das wollen sie fliehen, und deswegen nehmen sie den Glauben nicht an. Jeder echte Glaube muss die Wiedergeburt des Lebens bewirken. Und davor versuchen sich die Menschen zu drücken. Sie leben weiter in ihrer Fäulnis, in ihrem Schlamme; sie wollen nicht ablassen von ihren Begierden und Leidenschaften. Die Welt will weiter in ihren Vergnügungen bleiben, die gegen die Religion gerichtet sind. Der unvergessliche Münchener Erzbischof Faulhaber hat einmal den schönen Satz geschrieben: „Wenn das Einmaleins und der pythagoräische Lehrsatz die gleichen Forderungen an das sittliche Leben stellten wie die Artikel des Glaubensbekenntnisses, sie würden ebenso ungläubig wie diese aufgenommen werden.“ Wie wahr! Wenn das Einmaleins und der pythagoräische Lehrsatz die gleichen Forderungen an das sittliche Leben stellten wie die Artikel des Glaubensbekenntnisses, sie würden ebenso ungläubig wie diese aufgenommen werden. Schon die edlen Denker des Heidentums wussten um den Zusammenhang von Unglauben und Unsittlichkeit. Cicero schreibt einmal: „Viele denken schlecht von den Göttern, das bewirken ihre schlechten Sitten.“ Und der große Plato hat den schönen Satz geschrieben: „Wer ungerecht ist, ist immer Gott feind. Der Gerechte kommt leicht mit ihm zurecht.“

Der häufigste Grund, weshalb Gläubige vom Glauben lassen, ist der Aufstand gegen die geschlechtliche Sittlichkeit. „Die Welt wäre nicht ungläubig, wenn sie nicht unkeusch wäre!“ Dieses Wort des heiligen Augustinus hat bis heute seine Gültigkeit behalten. Die Welt wäre nicht ungläubig, wenn sie nicht unkeusch wäre! Wir dürfen die Religion nicht nach unseren sittlichen Maßstäben formen. Wir dürfen sie nicht nach unserem sittlichen oder unsittlichen Verhalten formen, sondern wir müssen unser sittliches Verhalten nach der Religion formen. Und wenn wir daran schuldig werden, dann müssen wir eben bereuen. Aber wir dürfen nicht die sittlichen Normen nach unserem Versagen formen wollen.

„Warum glaubt ihr mir nicht?“ fragt der Herr, fragt er die Juden seiner Zeit, fragt er auch unser Volk, fragt er auch uns heute. „Warum glaubt ihr mir nicht?“ Am Glauben hängt alles, meine lieben Freunde. Ohne Glauben ist alles nichts. Unser Glaube muss vollständig sein, keine Abstriche, keine Verkürzungen. Nein, keine Auswahl; ganz integral muss der Glaube sein. Unser Glaube muss fest sein, unerschütterlich, wahrhaftig, ohne Schwanken, ohne Zweifel. Und unser Glaube muss lebendig sein. Er muss Taten aufweisen. Wenn man nämlich das tut, was der Glaube sagt, dann wird man auch inne, dass er stimmt. Taten der Gottesliebe, Taten der Nächstenliebe befestigen unseren Glauben. Beten wir um die Kraft, zu glauben, für uns und für unsere ungläubigen Mitmenschen. Wir wollen nicht über sie richten. Wir wollen sie bedauern. Es muss uns schmerzen, dass sie den Glauben nicht finden, dass sie ihn noch nicht gefunden haben. Beten wir für die, denen der Herr heute die Frage entgegenhalten muss: „Warum glaubt ihr mir nicht?“

Beten wir für sie, dass sie die Kraft und den Mut zum Glauben finden, denn dazu braucht es Kraft und Mut. Beten wir, dass der Herr sich nicht vor ihnen verbirgt, wie er sich vor seinen Feinden verborgen hat, sondern dass er sich ihnen mit seiner Wahrheit und mit seiner Gnade offenbart, dass er Wohnung in ihnen nimmt und dass sich an ihnen erfüllt das Wort: „Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben.“

Amen.

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