Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
9. Dezember 2007

Ein Evangelium des Trostes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Ein Priester sagte einmal zu einem Bekannten: „Das Evangelium des heutigen Tages ist eines der schönsten.“ Der Bekannte entgegnete: „Es ist schön wie alle Evangelien, aber etwas Besonders kann ich daran nicht finden.“ Und doch ist etwas Besonderes an diesem Evangelium. Ich möchte es das große Trostevangelium nennen für alle, die Opfer bringen müssen. Es gibt eine Antwort auf viele Fragen, die uns bewegen und eine Antwort heischen.

Nehmen wir das Leben, wie es ist. Der moderne, der heutige Katholik ist gezwungen, mit dem Nichtkatholiken, mit dem Ungläubigen zusammenzuleben, zusammenzuarbeiten, im selben Haus, an derselben Arbeitsstätte, in demselben Geschäft, in demselben Büro. Und dann die Frage: Geht es dem katholischen Christen besser als dem Ungläubigen? Der eine lästert Gott, der andere verehrt Gott, und doch geht es beiden gleich. Ja, oft geht es dem Ungläubigen besser, weil er nämlich skrupellos alle Möglichkeiten, die ihm das Leben bietet, auszunützen versteht. Und Gott sieht es und schweigt. Oder nehmen wir ein anderes Beispiel. Da wohnen zwei Familien in einem Hause. Unten, in einer Parterre- oder Kellerwohnung eine Familie, die echt und gläubig katholisch ist, mit einer Schar von Kindern, in wenn nicht bitterer Armut, dann immer doch mit einem sehr bescheidenen Auskommen. Oben, im ersten Stock, da wohnt eine moderne Familie, die weiß, wie man’s macht, um unbeschwert durch das Leben zu gehen. Und Gott sieht es und schweigt. Und noch ein anderes Beispiel. Da ist ein junger Mann, da ist ein Mädchen, die genießen das Leben in vollen Zügen. Der junge Mann schreitet, wie man so sagt, von Eroberung zu Eroberung. Und da ist ein anderer junger Mann, der nimmt es ernst mit dem Leben und ernst mit der Religion und lebt ein tristes und entbehrungsreiches Leben. Und der Herrgott sieht zu und schweigt.

Ist es also vergeblich, Gott anzuhangen, um Segen zu empfangen? Bringt es wirklich Segen, Gott anzuhangen? Darauf gibt das heutige Evangelium die Antwort. Ein Satz ist es, der uns besonders in die Seele fallen soll und der uns viel geben kann, nämlich der Satz: „Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste? Was wolltet ihr da sehen? Ein Rohr, das vom Winde hin und her getrieben wird? Oder was seid ihr hinausgegangen? Was wolltet ihr da sehen? Einen Menschen, mit weichlichen Kleidern angetan? Sehr, die weichliche Kleider tragen, sind in den Palästen der Könige.“ Vielleicht werden Sie den Kopf schütteln und sagen: Das soll so erhebend sein? Das soll ein goldenes Wort sein? Ich werde es gleich zeigen, wieso es ein goldenes Wort ist.

Da lebte ein Mann in der Wüste, Johannes. Er hatte seine Eltern, seine Verwandtschaft verlassen, hauste wahrscheinlich in einer Höhle. Er trug ein Kleid aus Kamelhaaren, er lebte von Heuschrecken und wildem Hönig. Er hatte keine Freundschaft, er hatte keine Verwandtschaft, eine Lebensweise, die uns mit Schaudern erfüllen kann. Er hatte alles verlassen um der Ehre Gottes willen, denn er war ein Prediger Gottes, ein Herold Gottes; er war ein Bote Gottes. Die halbe Welt hat er sich zum Feind gemacht, weil er gegen das Laster anging – alles für Gottes Ehre. Und jetzt kommt Jesus in die Wüste. Jetzt sieht er den Mann, jetzt beobachtet er ihn. Jetzt schaut er, welche Lebensweise er sich zugelegt hat. Er sieht alles, und er schweigt. Noch mehr: Er zieht die Jünger des Johannes von diesem ab und gesellt sie sich selbst zu. Und als er bei der Wahl der Apostel überlegt, wen er nehmen soll, da lässt er den Johannes aus, dafür erwählt er den Judas. Da könnte nun jemand sagen: Ja, hatte der Herr kein Herz für den Johannes? Hat er denn seine Opfer nicht gesehen? Ist er teilnahmslos? Das heutige Evangelium gibt die Antwort: Jesus ist nicht teilnahmslos. Er hat den Johannes genau beobachtet. Er hat alles gesehen und nichts vergessen. Die Jünger des Johannes kommen mit einer Frage zu ihm, und Jesus beantwortet die Frage und schickt sie wieder zurück, nachdem sie gegangen sind – nachdem sie gegangen sind! – also so, dass sie es dem Johannes nicht berichten können. Dann spricht er zu ihnen: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste, zu sehen? Ein Rohr, das vom Winde hin und her getrieben wird? Diese Frage ist natürlich rhetorisch. Das Gegenteil ist der Fall: Johannes ist nicht ein Rohr, sondern eine Eiche. Und damals, so fügt der Herr zu, als ich mich taufen ließ, da sah ich sein Gewand von Kamelhaaren, da beobachtete ich seine ärmliche Lebensweise, tat, als sähe ich es nicht, aber ich habe es gesehen, und ich habe alles in meinem Herzen aufbewahrt. Dann kommt der große Ausspruch Jesu, den das heutige Evangelium nicht enthält: „Johannes ist der Größte unter den von der Frau Geborenen.“ Mehr als ein Prophet, der Vorläufer des Messias.

Da bekommen wir einen Blick in die Seele des Heilandes. Der Heiland geht auch heute durch die Straßen und durch die Wohnungen. Teilnahmslos? So scheint es. So teilnahmslos, wie er bei Johannes in der Wüste schien, aber er sieht alles, er beobachtet alles, und er vergisst nichts. Und wie für Johannes, so kommt auch für uns einmal die Stunde, wo der Herr uns die Antwort auf das geben wird, was er beobachtet und gesehen hat. Die glückliche Stunde kommt; wahrscheinlich erst im Jenseits, aber sie kommt. Aus diesem Blickwinkel müssen wir, meine Freunde, das Weltgericht betrachten. Wir haben begreiflicherweise Furcht davor, dass uns der Herr unsere Fehler, Sünden und Schwächen vorhalten wird, jeder unüberlegte Wort, was wir gesprochen haben. Aber wir sollen und wir dürfen auch an das andere denken: Der Herr wird uns nicht nur das Böse vorhalten, er wird uns auch das Gute vor Augen führen, das wir getan haben. „Ich war hungrig, und ihr habt mich gespeist. Ich war durstig, und ihr habt mich getränkt.“ Er wird uns hinweisen auf jedes liebe Wort, das wir gesprochen haben, auf jeden freundlichen Gruß, auf jede Gefälligkeit, die wir erwiesen haben. Am heutigen Evangelium gewinnt das Weltgericht einen ganz anderen Aspekt.

Wir klagen oft über die Menschen, über ihre Undankbarkeit, über ihre Unzuverlässigkeit, auch über ihre Bosheit. Das mag ja manchmal berechtigt sein. Aber das ist nicht alles. Es gibt keinen Menschen, der nicht auch Gutes getan hätte. Es ist nicht wahr, dass an einem Menschen alles schlecht ist. Nein, ein jeder hat auch gute Seiten, und ein jeder hat auch Gutes getan. Und Jesus hat es gesehen und aufbewahrt. Auch manches, was wir selbst vergessen haben, das wird der Heiland hervorholen aus dem Dunkel und uns leuchtend vor die Seele stellen. Wie sagt die Schrift: „Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen? Wann haben wir dich durstig gesehen? Wann warst du krank, oder wann haben wir dich im Gefängnis besucht?“ Man vergisst alles Schwere, und das ist ja auch eine Gnade, es vergessen zu können. Wenn wir einmal draußen auf dem Friedhof schlafen, haben wir das alles, was uns schwer war im Leben, vergessen. Und auch denen, für die wir die Opfer gebracht haben, entschwindet es oft schneller als für uns, und wenn es der eigene Sohn wäre. Wer denkt noch an das, was die Eltern für ihn getan haben? Aber es lebt einer, der hat es nicht vergessen, Christus. Zart wie ein Mutterherz ist sein Herz, und in jener glücklichen Stunde wird er alles hervorholen, was wir an Gutem getan haben. Er wird es wie Perlen vor uns ausbreiten und sagen: Das alles ist dein. Dem Vater wird er sagen: Ich habe deine Mühe und deine Sorge gesehen, damals, als du in Kummer und Angst warst um Brot und Stellung und jeden Morgen mit der Furcht aufwachtest, was der heutige Tag bringen werde. Da stand ich mitten in deiner schlichten Wohnung. Zu dem Kranken, der wochen- oder monatelang auf seinem Lager liegt, der kaum eine Zukunft sich zu denken wagt, der bittere Tränen in seine Kissen weint, dem wird der Herr sagen: Ich stand damals bei dir, als du auf deinem Krankenlager warst. Ich habe alles gesehen, und ich habe nichts vergessen. Jeden deiner Schritte habe ich gezählt, und jede Nacht, die du gewacht hast, war ich bei dir. Ihr habt vergessen, aber ich nicht. Ich denke mehr an euch, als ihr selbst an euch denkt.

Unwillkürlich falten wir die Hände und werden sprechen: Herr, hast du nicht in deiner Schatzkammer, in deiner verborgenen Schatzkammer, auch etwas für mich? Hast du etwas Gutes, woran du mich erinnern wirst am Jüngsten Tage?

Meine lieben Freunde, der Heiland weiß alles und vergisst nichts. Es ist ein Gedanke, so einfach, dass ich überlegt habe, ob ich ihn euch vortragen darf. Aber der Heiland liebt es ja, einfach zu sein. Und vielleicht nützt euch der Gedanke ein wenig, hilft euch zu dem Vertrauen, das wir zum Heiland haben sollen: Er wird mich schon recht führen. Wie es im Psalm so schön heißt: „Ipse faciet“ – Er wird es schon recht machen. Wir sind es gewohnt, einen guten Vorsatz aus der Predigt mitzunehmen. Nehmen wir heute das Eine mit: Gott lebt, um zu vergelten, uns zu lohnen. Ich las einmal von einer einfachen alten Bauersfrau, die es sehr schwer im Leben hatte. Eines Tages klagte sie ein Leid vor lieben Bekannten. Aber plötzlich richtete sie sich auf, und über ihr Gesicht ging ein mutiger, entschiedener Zug: „Nein, nein“, sagte sie, „ich will nicht mehr klagen. Wenn ich einmal höre, dass Gott gestorben ist, dann ist immer noch Zeit zu verzagen.“ Ein prächtiges Wort! Wenn wir einmal hören, dass es keine Ewigkeit mehr gibt, dann müssen wir verzagen. Wenn wir einmal hören, dass es keinen Heiland im Himmel gibt, dann ist es Zeit, zu jammern. Wenn wir einmal hören, dass es kein Herz Jesu mehr gibt, dann wollen wir verzweifeln. Aber erst dann, und nicht vorher. Und das wird nie geschehen.

Johannes der Täufer, der Heiland ging einst an ihm vorüber, als hätte er keine Liebe zu ihm. Und heute erheben sich auf dem ganzen Erdkreis Kirchen und Dome zu Ehren des heiligen Johannes. Der Heiland ist in ihre Tabernakel eingezogen, und jetzt sind sie zusammen, Johannes und der Herr.

So wollen auch wir heute unsere Zuflucht zu Johannes dem Täufer nehmen und ihm sagen: Gib uns, du großer Heiliger, die Kraft, dass wir ertragen, wenn der Heiland an uns vorübergeht. Laß uns harren auf die Stunde, da er uns alles lohnt, was wir für ihn getragen und gelitten haben.

Amen.

 

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