Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. Mai 2007

Er sitzt zur Rechten des Vaters

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Himmelfahrt unseres Herrn Versammelte!

Wenige Feste machen den Predigern so viel Kopfzerbrechen wie das Fest Christi Himmelfahrt. Mir allerdings nicht. Aber viele tun sich damit schwer und sind in Verlegenheit, wenn sie darüber predigen sollen. Dass Gott räumlich gesehen nicht mehr oben als unten ist, das ist uns in den letzten Jahrzehnten deutlich vor Augen geführt worden, nämlich durch die Raumfahrt. Die Männer und Frauen, die mit ihren Raumschiffen das Weltall durchfurchen, haben Gott dort nicht angetroffen. Daraus ziehen die einen die Folgerung, dass Gott nicht existiert. Die anderen meinen, die Raumfahrer seien nur nicht weit genug ins Weltall vorgestoßen, um Gott zu finden. Die eine Meinung ist so falsch wie die andere. Denn Gott ist jeder menschlichen Erfahrung entzogen, er ist jedem menschlichen Zugriff unerreichbar. Er ist der Schöpfer, und der Schöpfer ist total verschieden von der Schöpfung. „Er wohnt in zugänglichem Lichte“, heißt es in der Heiligen Schrift, d.h. er transzendiert jede geschaffene Wirklichkeit, er übersteigt jede geschaffene Wirklichkeit. Er ist weder im Wolkenhimmel noch im Sternenhimmel nachweisbar. Er ist jenseits jeder erfahrbaren Wirklichkeit.

Aufgenommen in den Himmel, so bekennen wir am heutigen Tage. Gott ist überall. Er umfasst und durchdringt alles. Das haben schon die Juden gewusst; das ist im Neuen wie im Alten Testamente ausgesprochen; im Alten Testament in ganz ergreifender Weise im 139. Psalm. Dort heißt es: „Herr, du hast mich erforscht, und du kennst mich. Du umschließest mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich. Wohin könnte ich fliehen vor deinem Geist, wohin mich vor deinem Angesicht flüchten? Steige ich hinauf in den Himmel, so bist du dort. Deckte ich mich in der Unterwelt, bist du zugegen. Nehme ich die Flügel des Morgenrots und lasse mich nieder am äußersten Meer, auch dort wird deine Hand mich ergreifen und deine Rechte mich fassen.“ Hier ist ausgesprochen: Gott ist allgegenwärtig. Aufgenommen in den Himmel kann deswegen nicht bedeuten: erhoben über die Wolken und angesiedelt bei den Sternen, sondern „aufgenommen in den Himmel“ besagt: in die überirdische Existenzweise Gottes eingegangen sein. Aufgenommen werden in den Himmel bedeutet teilhaftig werden der Wirklichkeit Gottes, der Gott vorbehaltenen Wirklichkeit. Als Sieger über Tod und Sünde ist Christus Jesus der Herrlichkeit Gottes teilhaftig geworden.

Die Texte der Liturgie deuten dieses Verständnis der Himmelfahrt Jesu an. Achten Sie bitte darauf, was wir in der Pfingstnovene, die heute beginnt, beten: „O König der Glorie, Herr der Heerscharen. Als Sieger bist du heute über alle Himmel emporgestiegen.“ Also nicht in den Wolkenhimmel und auch nicht in den Sternenhimmel, sondern jenseits dieser Wirklichkeit. Da ist Jesus jetzt daheim.

Warum sprechen wir aber dann von „aufgefahren in den Himmel“? Warum gebrauchen wir eine räumliche Vorstellung? Weil wir anders überhaupt nicht von geistigen Wirklichkeiten sprechen können. Wir können geistige Wirklichkeiten nicht anders ausdrücken als mit materiellen Vorstellungen. Es ist das ein menschliches Urbedürfnis und auch eine menschliche Unfähigkeit, anders zu reden. Dass man für Gott – bei allen Völkern – die Ansiedelung „in der Höhe“ gewählt hat, ist nahe liegend, denn die Höhe bedeutet Überblick, Macht, Herrschaft, Sieg, Erfolg. Und umgekehrt: Die Position unten ist Niederlage, Unterlegenheit, Scheitern. Wir wenden ja diesen Symbolismus im täglichen Leben fortwährend an. Wir sagen, es hat jemand eine hohe Stellung bekommen. Damit ist natürlich nicht eine Raumbezeichnung ausgedrückt, sondern dass er eben über andere gestellt worden ist in seiner Befugnis. Oder wir sagen, es will einer hoch hinaus. Das bedeutet wiederum nicht räumlich gesehen, dass er einen Berg erklimmen will, sondern er will eben vor anderen Geltung gewinnen. Und schließlich sagen wir auch, dass jemand sich emporarbeitet. Auch das hat keine räumliche Bedeutung, sondern besagt, dass jemand sich aus einer niederen Position zu einer höheren emporschaffen will. Und umgekehrt sagen wir, jemand ist heruntergekommen, wenn er eben von seinem bisherigen Stande abgefallen ist. Oder, es ist jemand tief gesunken, weil er sich eben durch Laster hat verführen lassen. Das ist eine urmenschliche Erfahrung. Und anders können wir überhupt nicht reden, wenn wir reden wollen.

Vermutlich stammt diese Redeweise aus dem Ringkampf. Derjenige im Ringkampf, der zum Schluß oben ist, ist der Sieger, und derjenige, der unten liegt, ist der Unterlegene. Er hat verloren. Vielleicht hat auch zur Ausbildung dieser Vorstellung beigetragen, dass die Sonne oben ist, und nur die Pflanzen, die sich ihr entgegenstrecken, leben, während diejenigen, die von der Sonne entfernt sind, unten bleiben und vegetieren. Wir müssen also, meine lieben Freunde, und das ist ohne jede Verlegenheit, wir müssen die Vorstellung und die Wirklichkeit unterscheiden. Sie decken sich nicht. Die Vorstellung sagt etwas aus über die Wirklichkeit, aber die Wirklichkeit ist weit davon verschieden. Dass Jesus sich nach oben bewegt, besagt also, dass er bei Gott ist, dass er Sieger ist, dass er auf immer Leben, Macht und Erfolg hat.

Er ist jetzt auch seinen Hassern, Verfolgern und Peinigern entzogen. Einmal war ihnen ja Macht gegeben über ihn. Damals waren sie die Organe, Gottes Willen über seinen Sohn zu vollstrecken. Und wir wissen, was sie ihm angetan haben. Sie haben den Heiligen und Gerechten verleugnet, sie haben ihn den Heiden ausgeliefert und sie haben ihn am Holze aufgehängt. Jetzt aber ist er für seine Feinde unerreichbar. Sie mögen toben und höhnen – Gott lacht ihrer! Wir wissen, dass Christus nach seiner Auferstehung nicht mehr stirbt, dass der Tod fürder nicht mehr über ihn herrschen wird. Insofern er starb, starb er ein für allemal, insofern er lebt, lebt er für Gott und lebt er bei Gott.

Jetzt kommen ungläubige Theologen – ja, das gibt es! – und sagen: Die Erzählung von der Himmelfahrt ist eine Erfindung der Urgemeinde. Eine Erfindung der Urgemeinde! Meine lieben Freunde, die Evangelisten sind keine Märchenerzähler, sondern Augenzeugen. Sie erfinden nicht Legenden, sondern sie berichten Erlebnisse. Die Urgemeinde entsteht nicht deswegen, weil sie Legenden folgt, sondern sie kommt zusammen, weil Tatsachen sie zusammenführen. Nicht Menschen haben die Himmelfahrt Christi erfunden, sondern Gott hat sie geschehen lassen. In Anpassung an die Vorstellungswelt der Menschen hat er einen Vorgang geschehen lassen, der zeigen soll, dass Jesus als Mensch von nun an in der verborgenen Wirklichkeit Gottes lebt. Die Himmelfahrt Christi am 40. Tage wird räumlich geschildert, um den Jüngern zu zeigen, dass nunmehr die irdische Phase des Lebens Jesu abgeschlossen ist und dass der Herr sich von seiner welthaften Seinsweise verabschiedet hat.

Das ist also die Wirklichkeit des Festes Christi Himmelfahrt. Hat dieses Fest auch uns etwas zu sagen? Oder geht es nur Jesus an? Meine lieben Freunde, die Aufnahme Jesu in den Himmel ist auch für uns von größter Bedeutung. Er ist das Haupt, wir sind die Glieder. Wo das Haupt ist, dahin gehören auch die Glieder. Christus ist bereits in den Himmel aufgefahren. Dorthin werden wir ihm folgen. Er ist unser Quartiermacher. Er bereitet uns eine Stätte. Er wartet auf uns. Wir werden zu ihm kommen nach dem Tode zunächst mit unserer Seele, und auch das ist etwas Gewaltiges, Unbegreifliches, Herrliches. Aber das ist noch nicht der Endzustand, denn, wie es in der Apostelgeschichte heißt: Die Himmel müssen ihn behalten, bis er kommt in Herrlichkeit, bis seine Wiederkunft eintritt. Dann werden auch wir mit dem verklärten Leibe in die Herrlichkeit Gottes aufgenommen werden.

Noch ist unser Auge gehalten, noch ist unser Leben in Christus verborgen. Aber wenn Christus, unser Leben, erscheint, dann werden wir in Herrlichkeit mit ihm zum Vater gelangen.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt