Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. Februar 2005

Die Unabhängigkeit der Seele vom Leib

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Den König, dem alles lebt, kommt, lasst ihn uns anbeten!“ So beten wir Priester im Brevier am Tage Allerseelen. „Den König, dem alles lebt, kommt, lasst ihn uns anbeten!“ Wir beten diesen Vers an dem Tage, wo wir der Verstorbenen gedenken, also derer, deren Leiber in den Gräbern ruhen. Und wenn uns die Kirche heißt, zu beten: „Den König, dem alles lebt, kommt, lasst ihn uns anbeten“, dann ist selbstverständlich damit gemeint: Der König, der allmächtige König ist Herr nicht nur der Lebenden, auch der Verstorbenen. So nur kann verstanden werden das Wort: „Den König, dem alles lebt, kommt, lasst ihn uns anbeten!“

Nun stirbt aber der Mensch. Es ist ein unausweichliches Schicksal, dass der Mensch dem Tode verfallen ist. Es gibt keinen Menschen, der nicht dem Todesgesetz unterliegen würde. Wenngleich sich die Natur ständig erneuert, das einzelne Lebewesen ist dem Gesetz des Todes unterworfen. Der Tod hat ja seine Aufgabe. Er macht nämlich Platz frei für andere Lebewesen. Damit sich immer wieder die Art erneuert, deswegen müssen die einzelnen Individuen dem Tode entgegengehen. Der Untergang des einen dient dem Leben der anderen. Trotz aller Rätsel, die der Tod aufgibt, ist er eine Tatsache, die im Naturbereich feststeht. Diesem Naturgesetz unterliegt auch der Mensch. Er stirbt, und das Sichtbare an ihm, sein im Naturverbande stehender Körper zerfällt und vergeht. Aber da erhebt sich die Frage: Zieht der Tod des Leibes auch notwendig die Seele in das Todesverhängnis hinein? Ich erinnere mich, dass ich im Jahre 1947 in Fulda mit einem Arzt sprach. Wir redeten auch über die Seele. Der Arzt gab die Existenz der Seele zu, aber er sagte: „Sie kann nicht bestehen bleiben, wenn der Leib stirbt. Sie wird in den Tod des Leibes mit hineingerissen:“

Ist diese Ansicht richtig? Hat der Arzt recht, wenn er sagte: Nicht nur der Leib stirbt, sondern auch die Seele? Eine solche Schicksalsverknüpfung von Leib und Seele müsste angenommen werden, wenn die Seele ihre Existenz, ihr Dasein dem Leibe verdankte und wenn sie für ihr ganzes Wirken auf den Leib angewiesen wäre. Wenn ihr Sein und ihr Wirken vom Leibe unabänderlich und in der ganzen Breite abhängig wäre, dann müsste die Zerstörung des Leibes auch den Untergang der Seele nach sich ziehen.

Es ist aber nicht so, dass die Seele ihre Existenz dem Leibe, dem biologischen Bestand des Menschen verdankt, und es ist auch nicht so, dass die Seele ihre ganze Tätigkeit nur mit dem Leibe und in der Kraft des Leibes vollziehen kann. Wohl sind im konkreten Menschen Leib und Seele zu einer innigen Gemeinschaft verbunden, aber die Menschenseele verdankt ihre Existenz nicht der organischen Aktivität, und die Menschenseele braucht den Leib nicht als notwendiges Mitprinzip für die ganze Tätigkeit, die sie auszuüben imstande ist. Also zwei Punkte sind es, denen wir uns zuwenden, nämlich erstens: Die Seele verdankt ihre Existenz nicht den biologischen Vorgängen, und zweitens: Die Seele ist nicht im ganzen Bereich ihres Wirkens auf den Körper angewiesen.

Wir hatten an den vergangenen Sonntagen erkannt, dass die Seele einfach und geistig ist. Eine geistige Wirklichkeit kann nicht in ihrer Entstehung auf organische Prozesse zurückgeführt werden. Geistiges duldet keine materielle Verursachung. Nur unmittelbar göttliche Kausalität, nur ein Ursprung aus der schöpferischen Kraft des absoluten Geistes vermag den Ursprung der Seele zu erklären. Deswegen steht die menschliche Seele trotz aller Wesenseinigung mit dem Leibe in einem durchaus anderen Verhältnis als meinetwegen das Tier zu seinem Leibe. Sie hat nicht – wie das Tier – eine notwendige Bindung an den Leib; sie kommt vielmehr, wie schon Aristoteles erkannte hatte, von außen her, thyra then, so heißt das griechische Wort, das er gebraucht. Sie kommt von außen her, thyra then, dem Leibe zu und steht deshalb nur in einer tatsächlichen, nicht in einer metaphysisch notwendigen Verbindung mit dem Leibe. Und weil die Seele eben nicht durch organische Prozesse entstanden ist, kann die geistige Menschenseele auch trotz des Versagens des Organismus, trotz des Stillstands der Organe nicht notwendig zum Untergang und zum Zerfall mit dem Leibe verurteilt sein. Also das ist die Antwort auf die erste Frage: Weil der Menschenleib und seine Organisation nicht schöpferisch beteiligt ist an der Entstehung der Menschenseele, deswegen hat er auch keine Macht über sie, wenn er selbst im Tode zerfällt.

Dazu kommt zweitens ein weiteres, nämlich: Die leib-seelische Verbindung, um die wir ja wissen, ist nicht eine unentbehrliche Bedingung und Grundlage für den ganzen Bereich der seelischen Tätigkeit. Der Leib ist unentbehrliches Mitprinzip nur für die Tätigkeiten der Seele, die im Bereich des Vegetativen und des Sensitiven liegen, also für die biologischen Lebensfunktionen, für unser Wahrnehmen, für unser sinnliches Vorstellen, für die sinnlichen Gefühle, für die sinnlichen Begehrungen. Dafür ist der Leib notwendig. Diese menschlichen und seelischen Tätigkeiten sind mit den Schwankungen und Verhältnissen des leiblichen Lebens eng verknüpft und müssen aufhören, wenn der Leib im Tode zerfällt. Aber damit ist nicht das ganze Seelenleben erschöpft. Es gibt Tätigkeiten der Seele, die rein geistig sind. Das ist vor allem das abstrakte Denken und das reine Wollen. Diese Tätigkeiten mögen mit den nervösen Grundlagen im Gehirn verknüpft sein, aber nicht in dem Sinne, dass sie metaphysisch notwendig davon abhängig sind. Nur tatsächlich und infolge der weitreichenden Verknüpfung des Denkens und Wollens mit der Einbildungskraft, nur tatsächlich ist also der Leib auch an diesen höheren Tätigkeiten des Menschen mitbeteiligt. Aber gerade in den Höchstleistungen des seelischen Lebens macht sich die Seele frei von den materiell-körperlichen Bindungen, so dass sie auch im Tode noch eine eigene, ja die herrlichste Sphäre ihres Lebens und Tätigseins besitzt, nämlich in den rein geistigen Tätigkeiten, in den rein geistigen Funktionen des Denkens und des Wollens.

Mit dem Denken verhält es sich nämlich auch wie mit dem Wollen. Der Mensch besitzt die Fähigkeit zum freien Tugendstreben. Er kann sein ethisches oder religiöses Ideal unter Verachtung des Materiellen erstreben, ja, er kann zur Bewahrung der Tugend selbst den Tod auf sich nehmen. Das sind solche sublimierte Willensleistungen, die frei sein müssen von allem Körperlichen und ohne körperliche Vermittlung vollzogen werden. Denn der Leib drängt doch danach, dass er erhalten bleibt und sucht nicht den Tod. Nein. „Derjenige, der Gott nur einen Augenblick gedacht hat und der nach Gott auch nur mit einem Atemzug gestrebt hat, der muss unsterblich sein“, hat einmal der große Klopstock erklärt. Und schon ein Kirchenvater der ersten Jahrhunderte, Lactantius, schreibt: „Die Seele wünscht von sich aus vieles, was nicht zum Dienst und Nutzen des Körpers dient, und zwar nicht vergängliche Dinge, sondern Ewiges wie den Ruf der Tugend und das Andenken des Namens. Die Verehrung Gottes dient der Enthaltsamkeit von Begierden, die in Geduld, im Schmerz oder in Todesverachtung besteht, sie begehrt die Seele selbst gegen den Körper.“ Selbst gegen den Körper.

So weist also die Tätigkeit der Seele, namentlich in ihrer Zielstellung über das Materielle und Körperliche hinaus. Und so ist es verständlich, dass die Seele nicht zugrunde geht, sondern sich nur vom Körper trennt, wenn der Körper nichts mehr zu leisten vermag, wenn er dem allgemeinen Gesetz des Todes sich unterwirft. Die Seele ist metaphysisch in ihrem Sein und in ihrer Existenz nicht abhängig vom Körper. Sie braucht nicht metaphysisch notwendig den Leib, um tätig zu sein in ihren höchsten Funktionen. Alles Sein zeugt sich aus im Tätigsein, und alles Tätigsein ist ein Ausfluß des Seins. Und deswegen kann keine metaphysische Notwendigkeit bestehen, dass die Auflösung der leib-seelischen Einheit des konkreten Menschen im Tode und der folgende Zerfall des Leibes auch den Untergang und die Vernichtung der Seele nach sich ziehen muss.

Wir gläubigen Menschen stehen mit unserer Überzeugung nicht allein. Auch ausgewiesene Naturwissenschaftler bestreiten nicht, dass es eine Existenz der Seele auch nach dem Zerfall des Leibes gibt. Ich zitiere die Äußerung eines Gelehrten, der den Lehrstuhl von Haeckel in Jena innehatte. Er schreibt: „Wie die Materie nur ihre Form wechseln, aber nicht verschwinden kann, und wie dasselbe Erhaltungsgesetz für die Energie gilt, so müssen wir es auch für den Geist fordern. Der Unsterblichkeitsgedanke ist naturwissenschaftlich berechtigt.“

Meine lieben Freunde, wir sind nicht auf Äußerungen von Professoren angewiesen, wenn wir an dem Glauben festhalten, dass die Seele unsterblich ist. Wir lassen uns darin auch nicht irremachen durch Äußerungen des Herrn Kamphaus in Limburg, sondern wir halten uns an das Wort der Wahrheit, das schon im Alten Testamente uns zugesprochen worden ist im Buche der Weisheit, dass nämlich die Seele eine Existenz besitzt, auch wenn der Körper zerfällt, und wir halten uns an das Wort Jesu. Das macht uns hoffnungsvoll und gibt uns eine letzte Sicherheit, macht uns in einem bestimmten Sinne unerschütterlich. „Fürchtet nicht die, die den Leib töten können, fürchtet vielmehr den, der die Macht hat, Leib und Seele in das Feuer der Hölle zu stoßen. Ja, den, sage ich euch, den sollt ihr fürchten!“

Der heilige Carl Borromäo beauftragte einmal einen Maler, ein Bild des Todes zu schaffen. Der Maler stellte den Tod als Skelett dar, der eine Sense in der Hand hielt. „Wie?“ rief Carl Borromäo als er das Bild sah. „Ein Skelett? Eine Sense? Nein, malen Sie ihn als Engel und geben Sie ihm einen goldenen Schlüssel in die Hand!“ Das ist der Tod für den Christen: ein Engel, der einen goldenen Schlüssel in der Hand trägt. Wenige Stunden vor dem Tode sprach meine liebe Mutter: „Lieber Tod, komm und hol mich doch!“ Sie wusste, dass der Tod ein Segensbringer ist, ein Engel Gottes, der den Menschen in die Heimat führt. „Ich sage, weil der Tod allein mich machet frei, dass er das beste Ding von allen Dingen sei“, hat einmal der schlesische Dichter Angelus Silesius geschrieben. „Ich sage, weil der Tod allein mich machet frei, dass er das beste Ding von allen Dingen sei.“ Dieser Glaube ist ausgedrückt auf dem Grabstein des Professors Leo Just, der auf dem Mainzer Hauptfriedhof zu sehen ist. Auf diesem Grabstein von Leo Just ist eingemeißelt: „Mors utriusque vitae medium“ – Der Tod ist die Mitte zwischen zwei Leben.

Amen.

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