Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
31. Mai 2004

Pfingsten – Geist der Wahrheit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In der Stunde, da Jesus Abschied nahm von seinen Aposteln, verhieß er ihnen einen anderen Tröster. Solange er auf Erden weilte, war er der Tröster, aber jetzt, da er von der Welt schied, sollte ein anderer sie trösten. Er nannte ihn den „Geist der Wahrheit“. Und von diesem Geiste sagte er: „Er wird euch in alle Wahrheit einführen.“

Da könnte jemand fragen: „War das denn notwendig? Hat nicht der Herr selbst die Wahrheit verkündet? Hat er nicht von sich bekannt: ,Ich bin die Wahrheit’? Hat er nicht vor Pilatus das herrliche Zeugnis abgelegt: ,Dazu bin ich in die Welt gekommen, dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.’?“ Tatsächlich, der Herr hatte die Wahrheit verkündet, aber die Vollendung in der Wahrheit überließ er dem anderen, dem Tröster, dem anderen Tröster. Er sollte die Jünger in alle Wahrheit einführen, und das hat er in zweitausend Jahren getan. Wenn wir fragen: War denn die Verkündigung Jesu unvollständig, so müssen wir sagen: In gewisser Hinsicht ja. Vieles war in seiner Verkündigung enthalten, was der Entfaltung bedurfte. Die Theologie gebraucht die Ausdrücke implizit und explizit. Implizit war alles, was Gott offenbaren wollte, in der Verkündigung Jesu enthalten, aber explizit, ausgefaltet, war es noch nicht. Die Apostel beispielsweise wussten nicht, dass Maria die unbefleckt Empfangene ist. Das wurde erst im Laufe der Lehrentwicklung, die vom Heiligen Geist geleitet war, in der Kirche erkannt. Und so hat der Geist in zweitausend Jahren das Volk Gottes in die Wahrheit Gottes eingeführt, immer tiefer, immer weiter, immer glänzender und immer leuchtender.

Damit die Wahrheit nicht unterginge, hat der Herr eine Institution geschaffen. Wir nennen sie katholische Kirche. Diese Institution sollte die Trägerin und die Hüterin der Wahrheit sein. Sie sollte die Trägerin sein, das heißt sie sollte die Wahrheit in sich bergen und den Menschen künden. Sie sollte sie überallhin tragen bis an die Grenzen der Erde. Und sie sollte diese Wahrheit hüten, dass sie nicht verunstaltet wird, dass sie nicht versackt und versinkt, dass sie nicht nach Menschengelüsten geformt wird. Zweitausend Jahre hat die Kirche diese Aufgabe des Hütens ausgeübt, und es war wahrlich notwendig. Kaum war die Kirche den Katakomben entstiegen, da kamen die Irrlehrer. Die Arianer; sie leugneten die Gottheit Christi, die Monophysiten; sie leugneten die zwei Naturen in Christus, die Nestorianer; sie leugneten, dass Maria den Sohn Gottes, nicht bloß den Christus geboren hat. Es kamen die Pelagianer; sie leugneten die Erbsünde. Es stand im Abendland Berengar von Tours auf; er leugnete die Transsubstantiation, die Wesensverwandlung in der heiligen Messe. Es kamen die Albigenser; sie bestritten die soziale Ordnung, die Obrigkeit weltlicher und geistlicher Natur, den Eid, die Ehe, die Sakramente. Es kamen Luther und seine Gefolgschaft, und sie bestritten die innere Heiligung des Menschen in der heiligmachenden Gnade. Sie sagten, die Sünden werden nur zugedeckt, aber nicht durch innere Heiligung vernichtet. Sie lehrten, dass es keine konstitutive Überlieferung gibt, und sie behaupteten, es gebe keine äußere Verfassung der Kirche, die der Herr gewollt hat. Jeder soll sein eigener Papst sein. „Alles, was aus der Taufe gekrochen ist“, sagt Luther, „ist Papst und Bischof und Pfarrer.“ Es kamen die Jansenisten, und sie leugneten die Willensfreiheit. Es kam die liberale Theologie, und sie zerrte Jesus den Königsmantel der Gottheit von den Schultern. Es kam die religionswissenschaftliche Schule, und sie setzte Jesus neben Buddha und Mohammed und andere Heilsbringer der verschiedensten Religionen. Es kam Hans Küng aus der Schweiz und behauptete, Jesus sei nur der Sachwalter Gottes, nicht der wesensgleiche Sohn Gottes, nur der Sachwalter. Und es trat Gotthold Hasenhüttl in Saarbrücken auf und behauptete, die Dreifaltigkeit sei eine kulturgebundene Vorstellung, die man ohne weiteres aufgeben könne.

In diesen zweitausend Jahren hat sich die Kirche mit eiserner Konsequenz und mit höchster Ehrfurcht vor die Wahrheit gestellt und die Irrtümer abgewiesen. Es hat in der Kirche Ärgernisse ohne Zahl gegeben, es hat Zeiten sittlichen Niederganges gegeben, es haben Päpste versagt, aber niemals, nicht ein einziges Mal hat ein Papst eine falsche Lehre verkündet und auf ihr bestanden. Das ist die Wirkung des Heiligen Geistes. Er wird die Kirche, er wird die Jünger Jesu in alle Wahrheit einführen und sie darin erhalten. Er wird dafür sorgen, dass die Wahrheit nicht untergeht.

Das, meine lieben Freunde, ist ja eigentlich der einzige und der letzte Grund, warum wir in dieser Kirche bleiben, nicht aus traditionalistischer Anhänglichkeit, nicht aus emotionaler Behaglichkeit, sondern weil wir überzeugt sind: Sie ist die Trägerin und die Hüterin der Wahrheit.

Die Wahrheit kann ausgesagt werden. Man kann sie in Sätze fassen, und man kann diese Sätze verbindlich machen; dann wird aus dem Glaubenssatz das Glaubensgesetz. Und diese Glaubenssätze und Glaubensgesetze nennen wir Dogmen. Dogma ist eine Wirklichkeit, die in der Offenbarung enthalten ist und von der Kirche verbindlich und verpflichtend vorgelegt wird zur Annahme. Es ist ganz selbstverständlich, dass die Wahrheit nicht in Emotionen bestehen kann und dass die Religion nicht in Gefühlen aufgehen kann, sondern die Wahrheit ist satzhaft, und sie ist gesetzhaft. Und eben das geschieht, wenn die Kirche feierlich ein Dogma verkündet. Das Dogma ist die tragfähige Grundlage der Religion. Das Dogma ist die innere Kraft der Religion. Das Dogma ist die verpflichtende Autorität der Religion. Ohne Dogmen zerfasert eine Religion, löst sich auf in tausend Meinungen. Der Modernismus, dieses Sammelbecken der Irrtümer, das Papst Pius X., der heilige, verurteilt hat, wollte eine Gefühlsreligion aufrichten. Die Lehren, so sagt der Modernismus, sind lediglich Chiffren für das, was dahinter steht. Sie sagen nichts wirklich Zutreffendes aus. Nein, meine lieben Freunde, die Dogmen sagen Zutreffendes aus, auch wenn sie die Wahrheit nicht erschöpfen. Die Wahrheit ist unerschöpflich, weil sie göttlich ist. Aber die Dogmen sind die notwendigen Weisen, wie die Wahrheit uns gegenwärtig bleibt. Sie geben uns die Gewissheit, dass unser Glaube stimmt, dass wir uns darauf verlassen können, dass wir unser Leben nach diesem Glauben einrichten können.

Die Dogmen sind keine Gewissenssklaverei; sie sind kein Gewissenszwang. Sie sind das notwendige Gerüst unserer heiligen Religion. Ein Wegweiser, der dem Wanderer das Ziel angibt, vergewaltigt den Wanderer nicht, und die biologischen und physikalischen Gesetze hindern den Forscher nicht; sie sind die Grundlagen, auf denen er aufbaut. Sie wissen, daß beim Bau des französischen Flughafens De Gaulle in Paris Fehler gemacht worden sind. Weil die physikalischen Gesetze nicht beachtet worden sind, ist das Gebäude eingestürzt. Nein, die Dogmen sind notwendige und unentbehrliche Wegweiser zum Himmel. Auf die Dogmen können wir unser Leben bauen. Sie geben uns die freudige, unerschütterliche Gewissheit, dass wir auf dem rechten Wege sind.

Der Herr hat sich selbst als die Wahrheit bezeichnet und verlangt, dass die Jünger an seiner Wahrheit festhalten. „Wenn ihr euch an meine Worte haltet, dann seid ihr wahrhaft meine Jünger. Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Genau das ist es: Die Wahrheit ist kein Prokrustesbett, was uns in eine unerträgliche Lage zwingt, die Wahrheit ist das Element, das uns zur Freiheit führt, Freiheit vom Irrtum, Freiheit von der Sünde, Freiheit vom Laster. „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“

Amen.

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