Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
20. Oktober 2002

Die dienende Liebe (6.)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

So sehr Gatten sich auch in schenkender Liebe umfangen mögen, sie können einander nicht sättigen. Menschen können sich niemals allein sättigen; es muß irgendwo die Unendlichkeit Gottes hineinkommen. Diese Unendlichkeit Gottes aber tritt in die Ehe ein durch die dienende Liebe. Ohne die dienende Liebe verwelkt die schenkende Liebe, und ohne die dienende Liebe sind die Ordnungen und Grenzen der begehrenden Liebe nicht einzuhalten.

Die dienende Liebe ist auch ein Schenken, aber ein Schenken anderer Art als die schenkende Liebe. Es ist ein Schenken, bei dem das eigene Ich überhaupt keine Rolle mehr spielt. Es ist ein Schenken, bei dem das Ich zum Schweigen gekommen ist. Es ist ein Schenken, das man besser als ein Dienen bezeichnen könnte. Das deutlichste Symbol dieses Dienens ist das Niederknien. Der Niederkniende will sagen: Alles für dich. Wenn er selbst noch sprechen würde, würde er sagen: Nichts für mich. Aber von sich selbst spricht er schon nicht mehr. Es ist also ein Schenken aus einem unverbrüchlichen Schweigen, aus einer großen Stille, aus einem Selbstverzicht und einer Selbstentäußerung. Diese Liebe ist erst durch das Christentum in die Welt gekommen. Christus selbst ist ja als Dienender erschienen. „Der Menschensohn ist gekommen, zu dienen, nicht sich bedienen zu lassen, und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für die vielen.“ Er hat seinen Jüngern die Füße gewaschen und ihnen so den niedrigsten Dienst erwiesen und sie aufgefordert, einander ebenso demütige Dienste zu leisten. Damit ist das Wesen des Christentums getroffen; denn das Wesen des Christentums ist ein Sich-selbst-Entäußern, ein Sich-selbst-Aufgeben im Dienste Gottes und der Nächsten. Ohne diese Selbstentäußerung gibt es kein vollkommenes Menschentum, gibt es natürlich erst recht kein vollkommenes Christentum. Dieser Geist der völligen Selbstentäußerung und des Selbstverzichtes ist das Kennzeichen des wahren Christentums.

Nun müssen wir fragen: Wem dienen denn die Gatten mit ihrer dienenden Liebe? Welches ist denn die Aufgabe dieser dienenden Liebe? Die Antwort lautet: Sie dienen 1. einander, sie dienen 2. ihrem Kinde und sie dienen 3. ihrem Gott.

Die Gatten dienen mit ihrer dienenden Liebe einander, weil sie sich erst in der dienenden Liebe finden, ertragen und erfüllen. Sie haben vielleicht am vorigen Sonntag gedacht, wie wäre es schön, mit dieser schenkenden Liebe zu lieben und mit ihr geliebt zu werden! Wie wäre es schön! Aber wie findet man diese schenkende Liebe? Wo ist sie in der Wirklichkeit? Es ist ja ein schönes Ideal, aber wie kann man diese schenkende Liebe denn verwirklichen? Die Antwort muß lauten: Man findet die schenkende Liebe nicht ohne die dienende Liebe. Wer nicht gelernt hat, auf sich selbst zu verzichten, der kann auch nicht, selbst wenn ihm ein Du in der schönsten Gestalt von Jugend und Anmut begegnet, dieses Geschöpf an sich nehmen. In ihm wird zwar das geschlechtliche Begehren erwachen, aber nicht die wahre schenkende Liebe. Nur der Mensch, der gelernt hat, auf sich selbst zu verzichten, der gelernt hat, Rücksicht zu üben, der gelernt hat, sich selbst zu entäußern, nur ein solcher Mensch kann das Du sprechen, das in der schenkenden Liebe gesprochen wird. Und deswegen ist die beste Vorbereitung auf die Ehe und auf die schenkende Liebe in der Ehe das Einüben in den Selbstverzicht, in die Selbstentäußerung, das Einüben in Rücksicht und Schonung, das Einüben in Schweigen und Stille. Wer das nicht vor der Ehe gelernt hat, bei dem setzen schon am Tage der Eheschließung die Verstimmungen und die Mißhelligkeiten ein.

Nur in der dienenden Liebe finden sich die Gatten. Nur in der dienenden Liebe ertragen sie sich auch. Es ist merkwürdig, meine lieben Freunde, daß jeder Mensch ertragen werden will. Ja, ich sage sogar, jeder Mensch hat etwas Unerträgliches an sich. Das gilt auch für die Ehe. Es gibt da Unterschiede des Charakters und des Wollens. Es gibt Gegensätze des Fühlens und des Denkens. Es gibt Mißhelligkeiten und Entfremdungen. In jeder Ehe sind solche Mißhelligkeiten und Entfremdungen zu beobachten. Menschen können nicht auf die Dauer in völliger Übereinstimmung miteinander leben; es wird überall und stets zu Schwierigkeiten, zu Abweichungen des Denkens und des Geschmackes kommen. Um über diese zahllosen Verstimmungen und Mißhelligkeiten, Entzweiungen und Entfremdungen hinwegzukommen, genügt nicht die schenkende Liebe. Sie werden nur überwunden in der dienenden Liebe, in jener Liebe, die sich nicht mehr wichtig nimmt, sondern die darauf verzichtet, ihre Ansprüche und ihre Rechte geltend zu machen. Diese Liebe ist immer gleich, ob sie vom Ich gerufen wird oder nicht. Diese Liebe bleibt sich immer gleich, weil sie eben auf sich selbst Verzicht geleistet hat. Ohne die dienende Liebe können sich die Gatten auf die Dauer nicht ertragen.

Sie können sich aber auch ohne die dienende Liebe nicht erfüllen. Gewiß, die schenkende Liebe ist eine Erfüllung, aber diese Erfüllung kann sich auf die Dauer nur behaupten, wenn ihr der Tropfen, der bittere Tropfen täglicher Selbstüberwindung und Selbstentäußerung beigemischt ist. Es ist nicht möglich, eine schenkende Liebe frisch und unversehrt zu bewahren, wenn sie nicht verbunden ist mit den täglichen Opfern und mit dem täglichen Zurücktreten, das Sache der dienenden Liebe ist. Nur wer bereit ist, sich selbst auszulöschen, wird auf die Dauer in der schenkenden Liebe verharren können.

Die Gatten dienen in der dienenden Liebe einander. Sie dienen aber zweitens auch ihrem Kinde. Das ist leicht einzusehen. Wenn sich Gatten vereinigen in Liebe und Zuneigung, dann ist die Frucht dieser Liebe das Kind. Wenn sie sich also am meisten selbst gehören wollen, kommt etwas hinein, was ihnen nicht mehr angehört, was über sie hinauswächst, was die Frucht ihrer Liebe ist, nämlich das Kind. Rein natürlich schon gesehen also, führt das Sich-Angehören zum Nicht-mehr-sich-Gehören, und das Kind ist bei seinem Kommen, bei seinem Verweilen und bei seinem Gehen etwas, was aus ihrer Mitte sich immer mehr entfernt. Je mehr ein Kind von den Eltern aufnimmt, je selbständiger es wird, um so näher rückt der Zeitpunkt, wo es sich von den Eltern entfernt. Die Eltern schaffen also etwas zum Hergeben. Das Kind ist die lebendige Verkörperung des Opferwillens in der Ehe. Die Eltern bauen mit ihrer Lebens- und Liebeskraft etwas zum Hergeben. Das zeigt, daß sie notwendig dienende Liebe besitzen müssen. Und wo diese dienende Liebe fehlt, da  gibt es zwei Fehlformen, nämlich einmal die gewollte und beabsichtigte und herbeigeführte Unfruchtbarkeit des Leibes und die gewollte Flucht aus der Verantwortung, wenn der Leib doch fruchtbar geworden ist. Diese beiden Fehlformen sind auf den Mangel der dienenden Liebe zurückzuführen. Die gewollte und herbeigeführte, die aus nichtigen Gründen gewollte und herbeigeführte Unfruchtbarkeit des Leibes ist nur ein erschreckendes Gleichnis der Unfruchtbarkeit der Seele. Und auch wo der Leib fruchtbar wird, wo aber die Verantwortung für das Kind nicht wahrgenommen wird, da haben die Gatten ein Lebewesen ins Leben gestoßen, aber sie haben ihm nicht gegeben, wessen dieses Kind, wessen dieses Lebewesen bedarf, nämlich die Betreuung und die Führung und die Fürsorge, auf die es Anspruch besitzt. Die Eltern dienen dem Kinde mit ihrer dienenden Liebe.

Sie dienen aber drittens auch mit ihrer dienenden Liebe Gott. In die Liebe der Menschen muß die Liebe Gottes einbezogen werden. Ohne diese letzte Einmündung in Gott wäre auch jede andere Liebe sinnlos, ja unmöglich. Die dienende Liebe ist ein Dienst an Gott, indem sie die Ehe, das eheliche Leben Gott weiht. Auch eine unglückliche Ehe, also eine leidvolle Ehe, ist noch ein Dienst Gottes. Was Gott einmal in die Hand genommen hat, das darf der Mensch ihm nicht aus der Hand schlagen. Auch in der leidvollen Ehe, wo ein Mensch vom anderen kein Glück erfährt, aber alles an Aufopferung von ihm verlangt wird, auch in der leidvollen Ehe ist Gottes Wort wirksam: „Was Gott gebunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ Auch in der leidvollen Ehe ist der Kelch Gottes noch gefüllt mit heiligem Gnadensegen.

Jeder Dienst, den wir Menschen Gott erweisen, ist aber auch ein Gnadensegen für uns selbst. Wenn Menschen in der Ehe einander dienen, dann treten sie in eine Schule der Selbstüberwindung, der Geduld, der inneren Freiheit ein. Auch in einer leidvollen und täglich durchlittenen Ehe ist die Gemeinschaft mit Gott gewährleistet und hilft diese Gemeinschaft, das schwere Leben einer solchen Ehe zu ertragen. Hier wird die Reinheit und Lauterkeit der Liebe erprobt in einer solchen Ehe, und hier wird wahrhaftig Gott die Möglichkeit gegeben, auch auf einer so leidvollen Fessel noch etwas Großes und Heiliges und Ewiges zu schaffen.

Die Ehe dient Gott, und Gott hat die Ehe als ein heiliges Sakrament gestiftet. Das Sakrament ist niemals leer; es ist immer gefüllt mit Gottes Gnade und mit Gottes Kraft. Und so wird eine jede Ehe, wenn sie recht geführt wird, zu einem Segen nicht nur für die Gatten, sondern auch für die ganze Umwelt. Sie ist gewissermaßen ein Lichtzeichen auf einem Berge, ein Panier, ein wahrhaft aufgerichtetes Gnadenzeichen Gottes. In einer solchen Ehe wird Gott gepriesen, und in einer solchen Ehe wird das Reich Gottes aufgebaut. Die Kirche ist angewiesen auf solche Ehen. Es ist eine Erfahrung, daß, wenn die Ehen zerrüttet sind, der Kirche auch die Heiligen fehlen. Aus zerrütteten Ehen können nur durch ein außergewöhnliches Wunder Gottes Heilige emporwachsen. Die Ehe aber wird zerrüttet, wenn die dienende Liebe erkaltet. Die dienende Liebe ist der Engel, der Schutzengel der Ehe. Sie kommt von Gott, und sie führt zu Gott, und sie könnte auch die Ehe zu einem Paradies auf Eden machen. Die dienende Liebe ist der flammende Cherub, der das Begehren der Natur in seine Schranken verweist. Die dienende Liebe ist aber auch der holde Engel, der die schenkende Liebe in den Gatten aufweckt.

Nicht die wirtschaftliche Not zerreißt unsere Ehene, denn der wahren Liebe ist auch die ärmste Kammer noch eine Insel der Seligkeit. Nicht die geschlechtlichen Triebe zerstören an sich die Ehe, denn sie werden in Schranken gehalten von wahrhaft liebenden Gatten. Aber das Erkalten der dienenden Liebe, das zerreißt unsere Ehen. Die dienende Liebe ist eine Lebensbedingung der Ehe; in ihrem Mangel ist jede Krise der Ehe enthalten. Das Erkalten der dienenden Liebe läßt die schenkende Liebe verwelken, und das Erkalten der dienenden Liebe raubt der begehrenden Liebe jede Schranke und jede Ordnung. Die tiefste Quelle der dienenden Liebe ist die dienende Religion, die dienende Gottesliebe. Die dienende Liebe wird dort gefunden, wo Menschen sich der dienenden Religion erschließen, also wenn Menschen sich entschließen, ein Kreuz zu tragen und eine Dornenkrone und einen Mantel der Einsamkeit, wie unser Herr dies alles getragen hat.

Amen.

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