Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. August 1999

Die verschiedenen Schöpfungsmythen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es ist für den Glauben geradezu entscheidend, daß wir die Offenbarung Gottes von Erfindungen der Menschen unterscheiden; und es ist tödlich für den Glauben, wenn man diese Unterscheidung nicht trifft. Das ist ja das tückische Mittel aller Feinde des Glaubens, daß sie den reinen Glauben, wie er uns durch die Offenbarung vermittelt wird, in eins setzen mit den Gemächten der Menschen, mit den Erfindungen der menschlichen Phantasie, und auf diese Weise den Glauben zu erledigen trachten. Das gilt auch auf dem Gebiete der Weltschöpfung. Die Menschen haben sich immer Gedanken gemacht, wie die Welt entstanden sein könnte, und sie sind dabei zu erheblichen Irrtümern gelangt. Diese Irrtümer drücken sich aus in den Schöpfungsmythen, also in Phantasiegebilden, in denen die Menschen ihre Meinungen und Vorstellungen, wie sich die Schöpfung zugetragen haben könnte, niedergelegt haben.

Die Schöpfungsmythen sind sehr zahlreich; es gibt sie in fast jeder Religion. Gemeinsam ist ihnen allen, daß am Anfang ein ungeordnetes Chaos herrscht. Aber zurückfragen, was vor diesem Chaos war, tut keiner dieser Schöpfungsmythen. Sie nehmen das ungeordnete Chaos als gegeben hin, und daraus lassen sie dann die einzelnen Wirklichkeiten der Welt entstehen. Ich will an dieser Stelle nur auf einen einzigen Schöpfungsmythos eingehen, nämlich den in Babylonien verbreiteten. Es ist das das Schöpfungsepos „Enuma elisch“. In diesem Schöpfungsmythos „Enuma elisch“ ist der Ausgangspunkt wiederum ein ungeordnetes Chaos. Die Chaosmächte heißen Apsu und Tiamat, und diese gewaltigen Chaosmächte vermischen sich, das heißt: sie begegnen sich geschlechtlich, und daraus entstehen paarweise Götter. Die Götter sind Mächte der Ordnung, und so kommt es zum Streit zwischen den Chaosmächten und den Göttern als Kräften der Ordnung. Apsu wird getötet, und Tiamat sucht seinen Tod zu rächen, aber Marduk, der oberste der Götter, tötet sie. Er spaltet ihren Rumpf, und aus dem einen Teil bildet er die Erde, aus dem anderen Teil den Himmel. So erklärt das Schöpfungsepos „Enuma elisch“ die Entstehung der Welt.

Nun sagt man, das Alte Testament sei von diesem Schöpfungsmythos beeinflußt. Und in der Tat: Gewisse Begriffe und symbolische Bezeichnungen des Mythos kehren in den vielen Schöpfungsberichten, die wir im Alten Testament vorfinden, wieder. Es sind vor allem drei Elemente, die aus den Schöpfungsmythen in die primitiven Schöpfungsberichte des Alten Testamentes übernommen werden, nämlich das Tohuwabohu, also das ungeordnete Chaos, dann das flutende Urmeer „Tehom“ und schließlich die Finsternis als drittes Element. Wir können in den Psalmen Spuren solcher Redeweise finden, etwa im 74. Psalm: „Gott ist mein König von alters her, der gewaltige Werke auf Erden wirkt. Du hast gespalten mit deiner Macht das Meer, du hast zertrümmert der Drachen Haupt in den Wassern. Du hast zerschmettert die Häupter Leviathans, ihn zum Fraße gegeben dem Volk der wüsten Tiere.“ Oder im 89. Psalm: „Du beherrschest des Meeres wogenden Drang, du besänftigest seiner Wellen Brandung. Du hast Rahab (eine Chaosmacht) wie einen Erschlagenen zertreten, mit starkem Arm deine Feinde zerstreut.“ Und schließlich noch einen letzten Psalm, nämlich der Psalm 104: „Du stelltest die Erde auf ihre Pfeiler; sie wankt nicht in alle Ewigkeit. Die Urflut bedeckte sie wie ein Gewand, auf den Bergen standen die Wasser. Vor deinem Dräuen aber flohen sie und wichen vor deinem Donnerwort.“

Sie sehen an diesen Beispielen, die ich vermehren könnte, daß hier Begriffe, die auch in dem Schöpfungsepos „Enuma elisch“ vorkommen, wiederkehren, aber in einer ganz anderen Weise. Die mythischen Schöpfungsberichte setzen einen Kampf voraus zwischen den Chaosmächten und den Göttern, und zwar einen Kampf mit Gefährdung für beide Seiten. Ein Kampf kann so oder so ausgehen. Es könnten also auch die Chaosmächte obsiegen. Nicht so im Alten Testament. Nicht so in diesen primitiven Schöpfungsberichten, von denen ich einige vorgelesen habe, sondern hier ist das Kampfmotiv in der Weise umgestaltet, daß der absolut überlegene Gott die Chaosmächte durch die Gewalt seines Willens bändigt. Es ist kein Kampf mehr mit Bedrohung für beide Teile, sondern Gott ist derart überlegen, daß eine Gefährdung in diesem Kampf für ihn nicht existiert. Es ist also eine erhebliche Verschiedenheit zwischen diesem, von Babyloniern erfundenen Schöpfungsmythos und den primitiven Schöpfungsberichten des Alten Testamentes zu beobachten. Außerdem haben wir im Alten Testament sehr viel höherstehende Schöpfungsberichte als die eben genannten aus den Psalmen. Die höherstehenden sind vor allem in den ersten beiden Kapiteln der Genesis, des ersten Buches Moses‘, enthalten. Man spricht hier von dem Schöpfungsbericht der Priesterschrift und dem Schöpfungsbericht des Jahwisten. Das sind offenbar verschiedene Schichten, die hier im ersten Buche Moses‘ zusammengearbeitet sind. In diesen beiden Schöpfungsberichten der Genesis treten auch noch mythische Elemente auf. Es ist die Rede vom Chaos, vom Tohuwabohu; es ist die Rede vom Urmeer, und es ist die Rede von der Finsternis. Aber diese Elemente sind total verwandelt. Die Schöpfungsberichte in der Genesis sind nicht Aufnahme des Mythos, sondern Auseinandersetzungen mit dem Schöpfungsmythos „Enuma elisch“. In diesen beiden Schöpfungsberichten werden total verschiedene Anwendungen von den genannten mythischen Elementen gemacht. Erstens, die Elemente wie Urmeer und Finsternis sind nicht mehr gegensätzlich gegen Gott; sie sind bildsame Elemente, Aufbauelemente der Welt. Sie fügen sich in den Weltenbau ein. Gott bedient sich ihrer und verfügt über sie. Die Finsternis verbindet er mit dem Licht, um die Zeiteinheit zu begründen, den Tag, und die Wasser verteilt Gott nach oben und unten; so sind die Wasser nicht mehr dräuende, bedrohliche Mächte, sondern lebensfördernde, lebensbildende Elemente.

Die Bewältigung dieser Mächte geschieht auch nicht durch einen Kampf, sondern sie geschieht durch das Wort. Sie alle kennen noch aus Ihrer Kindheit die Aussagen der Heiligen Schrift: „Da sprach Gott: Es werde Licht... Dann sprach Gott: Es bilde sich eine Feste... Dann sprach Gott: Das Wasser unter dem Himmel sammle sich... Dann sprach Gott: Himmelsleuchten sollen am Firmament entstehen... Dann sprach Gott: Es wimmle das Wasser von lebenden Wesen... Dann sprach Gott: Die Erde bringe lebende Wesen hervor... Dann sprach Gott: Laßt uns den Menschen machen nach unserem Ebenbilde.“ Gott erschafft also durch sein Wort, durch ein geistiges Element. Das Wort steht für seinen Willen. Er bemüht sich nicht, durch kämpferische Pose die Weltmächte zu bändigen, sondern er ruft sie in freier, absoluter Überlegenheit hervor. Das Wort ist ein Zeichen dafür, daß das Kampfmotiv abgelegt ist und daß die Welt allein durch die Macht des göttlichen Willens entstanden ist.

Und noch ein Letztes, vielleicht das Entscheidende. Nämlich während bei den Mythen die Götter aus dem Weltverlauf entstehen – sie kommen ja hervor, wenn sich die Urwesen Apsu und Tiamat geschlechtlich vereinigen –, ist im ersten Schöpfungsbericht der Genesis Gott vor aller Schöpfung vorhanden. Er entsteht nicht, sondern er ist überzeitlich. Die Zeit beginnt mit der Erschaffung der Welt, aber vor der Zeit, vor dem Anfang, da ist Gott. Und das ist nichts anderes, als das, was wir Theologen bezeichnen als creatio a nihilo – Schöpfung aus dem Nichts. So heißt es nämlich im ersten Satz des ersten Buches der Heiligen Schrift: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Er hat also auch den Urstoff geschaffen. Er hat nicht nur das Chaos geordnet, wie die mythischen Schöpfungsberichte verkünden, nein, er hat die Urmaterie hervorgebracht. Alles geht auf ihn zurück; er ist der Schöpfer von allem.

Der zweite Schöpfungsbericht, der im zweiten Kapitel der Genesis steht, ist anders aufgebaut. Der erste teilt nämlich die Schöpfung ein in sieben Tage. Das ist ein Schema, das dem Schriftsteller erlaubt, die Werke in eine gewisse Ordnung zu bringen. Es sind zweimal drei Tage, in denen die Schöpfung entsteht. Wir brauchen nicht anzunehmen, daß die Schöpfung in der Reihenfolge, wie sie hier aufgezeichnet ist, entstanden ist. Das ist schriftstellerische Einkleidung. Wir brauchen nicht einmal anzunehmen, daß die Tage große Zeiträume sind. Die einzelnen Wirklichkeiten der Welt werden von dem Schriftsteller in das Tagesschema eingefügt, um auf diese Weise einen Rahmen für die Entstehung des Alls aus Gottes Macht zu schaffen. Daß die Reihenfolge, so wie sie da geschildert wird, nicht mit der tatsächlichen Entstehung der Welt übereinstimmen kann, erkennen wir schon daraus, daß am 1. Tage das Licht entsteht und am 4. Tage Sonne, Mond und Sterne. Die Alten dachten sich nämlich das Licht als von den Sternen verschieden. Wir aber wissen, daß das Licht von der Sonne kommt. Wie kann das Licht da sein, bevor die Sonne da ist? Also das zeigt schon, daß es sich hier nicht um eine chronologische Reihenfolge handeln kann. Das ist auch selbstverständlich. Die Bibel gibt keine Auskunft über naturwissenschaftliche Daten. Die Natur zu erforschen hat Gott dem Menschen überlassen. Dazu hat er ihm seinen Verstand gegeben. Die Heilige Schrift gibt Auskunft über das Heil, über das, was notwendig ist, um Gott zu dienen und dadurch den Himmel zu gewinnen. Naturwissenschaftliche Belehrungen empfangen wir nicht aus der Bibel, sondern aus den Lehrbüchern der Gelehrten.

Auch daß der erste Schöpfungsbericht und der zweite auseinandergehen, zeigt, daß es sich hier um Formen der Aussage handelt, nicht um den Inhalt. Im zweiten Schöpfungsbericht wird nämlich die Reihenfolge umgestellt. Da wird zuerst der Mensch geschaffen und dann das Paradies. Da kann man sagen: Ja, der Mensch muß zuerst etwas haben, wovon er leben kann. Das macht dem Schriftsteller gar keine Sorgen, sondern er schildert eben, wie man kindlichen Menschen die Entstehung des Alls aus Gott erzählt. Und wie Kinder im Winter einen Schneemann bauen, so ähnlich schildert er die Entstehung des Menschen: Gott nahm Staub der Erde und hauchte ihm den Odem ein. Auf diese Weise wird gewissermaßen die schöpferische Tätigkeit des Menschen auf Gott übertragen, das nennt man Anthropomorphismen, also eine Redeweise, die menschliches Verhalten auf Gott überträgt – Anthropomorphismen. Solche Anthropomorphismen finden sich in großer Zahl im zweiten Schöpfungsbericht. Gott bildet den Menschen aus dem Staub der Erde. Er legt einen Garten an. Er läßt aus dem Garten eine Quelle sprudeln. Er entnimmt aus dem Adam eine Rippe. Das alles sind Bilder und Symbole für religiöse Wahrheiten. Es soll dadurch ausgedrückt werden, welcher Natur der Mensch ist, nämlich aus Leib und Seele zusammengesetzt, welcher Natur die Frau ist, nämlich als die Gefährtin des Mannes, die eng mit ihm zusammengehört, so eng, daß der Mann – der Mann! – Vater und Mutter verläßt, um der Frau anzuhangen. Es sollen weiter erklärt werden die Stellung des Menschen in der Welt und seine Beziehung zu Gott. Das alles geschieht mit Darstellungsmitteln, wie sie einer naiven Generation angemessen waren. Das Wort Gottes muß sich entäußern, wenn es verstanden werden will. Wenn man zu Menschen sprechen wollte, die vor Tausenden von Jahren gelebt haben und welche die modernen Erkenntnisse über Erde und Mensch nicht besaßen, mußte man so reden, wie sie es verstanden. Und so haben eben die Schriftsteller der Heiligen Schrift ihre Schriften abgefaßt, die Priesterschrift, welche die Entstehung der ganzen Welt schildert und deren Darstellung im Sabbath kulminiert, und den Jahwisten, diese Schrift, wo die Darstellung auf die Erde konzentriert ist und die Entstehung des Menschen geschildert wird, und zwar als ein Heilszustand, der sich durch die Sünde des Menschen zum Unheilszustand wandelt.

Wir haben keinen Grund, die Erkenntnisse der Naturwissenschaft zu fürchten. Im Gegenteil. Sie erklären uns, was die Heilige Schrift unerklärt läßt. Die Heilige Schrift sagt uns, wie der Mensch, wie die Welt entstanden ist, nämlich durch die Macht Gottes. Die Einzelheiten, die Details, die Aufeinanderfolge, das zu erforschen ist Sache der Naturwissenschaft. Daß die Naturwissenschaft dabei von vielen Unsicherheiten begleitet ist, wissen wir alle. Die Paläontologie setzt die verschiedenen Funde von Menschen in sehr verschiedenen Zeiten an. Da kommt es auf eine Million Jahre gewöhnlich gar nicht an. Das alles sind erhebliche Unsicherheiten, die uns etwas mißtrauisch machen gegen diese Weise, Naturwissenschaft zu betreiben. Aber eine Gefährdung für die biblische Aussage geht von ihr nicht aus. Das Weltbild der Alten ist vergangen, aber das Zeugnis von der Allschöpfertätigkeit Gottes, das bleibt bestehen.

Das größte aller Wesen, die wir sehen, ist die Welt. Das größte aller Wesen, die wir nicht sehen, ist Gott. Gott hat die Welt geschaffen. Er bezeugt es uns durch seine Offenbarung. Und so dürfen wir beten: „Gelobt und gepriesen sei die heilige und ungeteilte Dreieinigkeit, weil sie alles erschuf und alles erhält. Sie sei gepriesen immerdar und in Ewigkeit.“

Amen.

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