Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
9. August 1998

Über Wert und Bedeutung des Gelübdes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn man die Menschen fragt, wie sie sich die Gottesverehrung denken, dann kommen bescheidene Antworten. Die meisten wissen nichts anderes zu sagen als: „Nun ja, man muß eben beten!“ Die anderen werden noch hinzufügen: „Man muß die heilige Messe besuchen“, vielleicht auch: „Man muß die Sakramente empfangen.“ Aber damit ist bei den meisten Menschen schon Schluß. Sie wissen keine anderen Formen der Gottesverehrung anzugeben. Doch ist die Gottesverehrung viel reicher, als die angegebenen Antworten verraten.

Eine Weise der Gottesverehrung, die freilich relativ selten ist, geschieht durch das Geloben. Das Gelübde ist eine Form der Gottesverehrung. Was versteht man unter einem Gelübde? Ein Gelübde ist ein Gott gemachtes Versprechen, das mit Überlegung und Freiheit abgelegt wird und etwas sittlich Mögliches und sittlich Gutes zum Gegenstand hat. Ein Gelübde ist also ein Versprechen. Ein Versprechen unterschiedet sich vom Vorsatz. Der Vorsatz ist eine Entscheidung, die der einzelne für sich selbst trifft. Das Gelübde dagegen oder das Versprechen wird einem anderen gemacht; das Versprechen geht auf einen anderen, hier auf Gott. Das Versprechen setzt den Vorsatz voraus, aber es fällt nicht mit dem Vorsatz zusammen. Gott kann man natürlich nur etwas sittlich Wertvolles versprechen; etwas Minderwertiges oder Gleichgültiges kann man Gott nicht anbieten. Das Versprechen wird Gott gemacht, um ihn zu ehren. Das Gelübde gilt der Gottesverehrung. Es soll ihm etwas geweiht, es soll ihm etwas geschenkt werden; deswegen ist das Gelübde auch aufgrund der Tugend der Gottesverehrung zu erfüllen. Wir Priester und Beichtväter werden manchmal von Menschen, die unsicher sind, gefragt, ob sie ein Gelübde abgelegt haben oder nicht. Die Unterscheidung ist relativ einfach. Man braucht nur zu fragen: Hast du es dir allein vorgenommen, oder hast du es Gott versprochen? Nur im zweiten Falle liegt ein Gelübde vor.

Es gibt viele Arten von Gelübden, an erster Stelle die unbedingten und die bedingten. Unbedingt ist ein Gelübde, wenn man keine Einschränkung beifügt. Ein Beispiel: Im Jahre 1580 legte der zwölfjährige Aloysius von Gonzaga in der Marienkirche zu Florenz das Gelübde ständiger Jungfräulichkeit ab; das war ein unbedingtes Gelübde. Die meisten Gelübde sind bedingt. Als der König Ludwig IX. von Frankreich schwer krank war, gelobte er im Falle der Genesung einen Kreuzzug, und er hat ihn durchgeführt im Jahre 1248. Der König Ludwig I. von Ungarn gelobte, eine Kirche in Mariazell zu bauen, wenn er im Kampfe gegen die Türken siegreich bliebe. Er hat sie gebaut, und noch heute wallfahrten die Steiermärker nach Mariazell. Das sind Gelübde aus der Vergangenheit. Aber sie kommen auch in der Gegenwart vor. Dieser Tage verlor ein Mann aus Bingen-Dromersheim seine Schlüssel. Dieser fromme Mann gelobte eine Fußwallfahrt nach Marienthal, wenn er die Schlüssel wiederfände. Er fand sie wieder, und er machte die Fußwallfahrt nach Marienthal. Wir unterscheiden sodann persönliche und sachliche Gelübde. Persönliche sind solche, die auf dem freien Willen beruhen und eine Leistung, eine persönliche Leistung des Gelobenden zum Gegenstand haben. Eine persönliche Gelübdeleistung war z.B. die Wallfahrt dieses Mannes nach Marienthal. Ein sachliches Gelübde liegt vor, wenn man Gott einen sachlichen Wert verspricht. Nehmen wir etwa an, es verspricht jemand einen großen Teppich für den Altar zu kaufen im Falle, daß ihm eine bestimmte Unternehmung gelingt. Das ist ein sachliches Gelübde. Weiter unterscheiden wir amtliche und private Gelübde. Amtliche sind solche, die vor der Kirche abgelegt werden und von einem Vertreter der Kirche entgegengenommen werden. Amtliche Gelübde legen die Ordensleute ab; es sind die Gelübde der Armut, der Enthaltsamkeit und des Gehorsams. Alle anderen Gelübde sind private Gelübde. Auch wenn dabei ein Priester beteiligt ist, werden sie nicht zu den amtlichen Gelübden gezählt.

Die Begründung der Gelübde liegt im Folgenden. Einmal wird durch das Gelübde ein sittlich wertvoller Akt noch wertvoller gemacht, weil ich mich verpflichte, ihn zur Verehrung Gottes zu verrichten. Sittlich gebotene Akte sind ja schon aufgrund des Gebotes zu erfüllen; aber wenn ich jetzt zusätzlich ein Gelübde mache, dann erfülle ich diesen sittlich wertvollen Akt auch noch aufgrund der Tugend der Gottesverehrung. Was schon sittlich wertvoll war, wird dadurch noch wertvoller. Sodann wird durch ein Gelübde ein sittlich wertvoller Akt nicht nur auf Gott bezogen, sondern es wird die ganze sittliche Potenz Gott geweiht. Ich beschränke mich beim Gelübde ja nicht auf den Akt, sondern ich nehme mir vor, meinen Willen in eine bestimmte Richtung zu lenken, vor allem, wenn das Gelübde einen Zug in der Zeit hat. Die Ordensgelübde besagen eben, daß der Mensch sein ganzes Leben lang arm, keusch und gehorsam leben will. Er weiht nicht nur den einzelnen Akt, er weiht sein ganzes Willensvermögen, und darin liegt wiederum eine vollkommenere Unterwerfung unter Gott. Wer gelobt, unterwirft sich Gott in vollkommenerer Weise als derjenige, der nicht gelobt. Ursprünglich wurden Gelübde nur hinsichtlich von Handlungen abgelegt, die nicht geboten waren. Der Gegenstand des Gelübdes war also das Supererogatorische, das, was man nicht tun mußte, sondern was nur geraten oder empfohlen war, was man tun konnte. Aber seit dem Mittelalter hat sich eine Wende vollzogen, nämlich man hat auch das Gebotene als möglichen Gegenstand des Gelübdes angesehen. Ein supererogatorischer Gegenstand ist meinetwegen, wenn ich das Gelübde mache, täglich den Rosenkranz zu beten. Niemand ist verpflichtet, täglich den Rosenkranz zu beten. Ich tue es aus freiem Willen, aus freien Stücken; ich tue es, um Gott damit zu ehren, daß ich mich freiwillig verpflichte, dieses Gebet jeden Tag zu verrichten. Ein Priester ist durch ein Gesetz zur völligen geschlechtlichen Enthaltsamkeit verpflichtet. Dieses Gesetz nennen wir den Zölibat. Er kann sich aber außerdem, obwohl ihm das geboten ist, noch freiwillig dazu verbindlich machen, indem er ein Gelübde ablegt. Er kann das Gesetz gleichsam verstärken, indem er gelobt, das, was ihm kraft Gesetzes auferlegt ist, auch mit seinem freien Willen und aus freien Stücken zu erfüllen. Es besteht die Möglichkeit, gebotene Handlungen durch Gelübde auf ein höheres Niveau zu führen.

Gelübde müssen überlegt und freiwillig abgelegt werden. Man muß erkennen, worum es geht, und man muß frei sein bei der Gelübdeablegung; erzwungene Gelübde wären ungültig. Man kann sich durch Gelübde immer nur selbst verpflichten. Eltern können nicht ihre Kinder verpflichten. Wenn eine Mutter das Gelübde macht, ihr Sohn solle Priester werden, so ist dieses Gelübde, was den Sohn betrifft, unverbindlich. Die Mutter kann ihren Sohn nicht verpflichten, Priester zu werden; es muß seine eigene Entscheidung sein. Freilich wird bei sachlichen Gelübden angenommen, daß die Verpflichtung auf jene übergeht, welche die Sachwerte von einem anderen erben. Wenn also ein Gelobender stirbt, und er hätte sein Gelübde, ein großes Geschenk zu machen, noch nicht erfüllt, dann wären die Erben verpflichtet, aus der Erbmasse den Betrag auszuscheiden und ihn zu benutzen, um das Gelübde zu erfüllen.

Der einzelne kann sich nur selbst verpflichten, aber eine Gemeinschaft kann sich als solche binden. Eine Gemeinschaft kann sich als moralische Persönlichkeit, als juristische Person binden, und dann sind auch alle, die zu dieser Gemeinschaft gehören, mitgebunden. Das wird wohl anzunehmen sein bei dem Gelübde, das die Bewohner von Oberammergau im Jahre 1633 abgelegt haben. Damals wütete die Pest an dem Orte, und die frommen Einwohner gelobten, künftig alle zehn Jahre das Spiel vom Leiden und Sterben des Heilandes aufzuführen, wenn die Pest vorüberginge. Als das Gelübde feierlich abgelegt war, ist kein einziger Oberammergauer mehr gestorben. Man wird annehmen müssen, daß dieser Gelübde die Gemeinschaft bindet und auf die nachfolgenden Generationen übergegangen ist.

Man soll ein Gelübde nur ablegen nach Beratung mit einem Priester, einem Beichtvater. Man soll es zunächst probeweise ablegen und auf bestimmte Zeit, und erst wenn sich die Gelübdebindung bewährt hat, dann soll man es für immer und unbeschränkt ablegen. Es können Umstände eintreten, die verbieten, ein Gelübde abzulegen. Kinder können kein Gelübde ablegen, welches die elterliche Gewalt beschränkt; hier geht die elterliche Gewalt vor. Man muß über den Gegenstand des Gelübdes Verfügungsmacht haben, und die Verfügungsmacht der Kinder ist beschränkt, nämlich durch die elterliche Gewalt.

Gelübde muß man erfüllen, und zwar aus einer doppelten Verpflichtung, einmal aus der Verpflichtung der Gottesverehrung und zum anderen aus der Verpflichtung der Treue. Wir haben uns ja aufgrund der Tugend der Gottesverehrung verpflichtet, etwas zu tun. Wir haben ein Versprechen abgegeben, das wirksam sein sollte zur Ehre Gottes. Also muß ich es auch zur Ehre Gottes erfüllen, und ich mindere seine Ehre, wenn ich es an der Erfüllung fehlen lasse. Ich bin aber auch verpflichtet, das Gelübde zu erfüllen aufgrund der Treue. Was man versprochen hat, muß man halten. Die Tugend, die dieses fordert, nennt man die Treue. Die Treue verlangt, daß wir zu dem Gelübde stehen, das wir gemacht haben. Im Alten Testament ist wiederholt von Gelübden die Rede. Die greise Anna gelobte, den Samuel dem Dienste Gottes zu weihen, wenn ihr noch ein Kind beschert sein würde. Sie bekam einen Sohn, den Samuel, und er wurde Gott geweiht. Auch im Neuen Testament ist von Gelübden die Rede. Paulus legte wiederholt Gelübde ab, die Nasiräatsgelübde. Sie bestanden darin, daß man auf bestimmte Speisen und Getränke wie Wein verzichtete und sich das Haupthaar wachsen ließ, bis ein bestimmtes Ziel erreicht war.

Nicht immer können Gelübde erfüllt werden. Ein Gelübde erlischt, wenn die Zeit abgelaufen ist, für die es gemacht ist. Wenn ich mich verpflichte, für ein Jahr lang jeden Monat 10 Prozent meines Gehaltes den Notleidenden zu spenden, dann ist das Gelübde erfüllt, wenn die Zeit vorüber ist. Gelübde hören aber auch auf, wenn es moralisch unmöglich ist, sie zu erfüllen, wenn also die Kraft nicht ausreicht, um dem Gelübde nachzukommen. Ich habe folgenden Fall erlebt. Eine Dame erlebte einen Autounfall. Sie war in dem Auto eingeklemmt und kam nicht heraus. In dieser Not machte sie das Gelübde, sie werde jeden Tag ihres künftigen Lebens die heilige Messe besuchen, wenn sie aus dieser mißlichen Lage befreit werde. Sie wurde befreit, und sie begann, ihr Gelübde zu erfüllen. Aber es stellte sich heraus, daß ihre physischen Kräfte nicht ausreichten. Es war zu viel, einen Beruf auszuüben, einen anstrengenden Beruf auszuüben und täglich die heilige Messe zu besuchen. Es war, wie man sagt, moralisch unmöglich, daß sie diese Gelübdebindung auf die Dauer beobachtete. Ein Gelübde entfällt auch, wenn der Hauptzweck des Gelübdes wegfällt oder die sittliche Gutheit aufhört. Wenn ein reicher Onkel seinem Neffen versprochen hat, er werde ihm zur Gottesverehrung das Studium ermöglichen, und wenn er das als ein Gelübde aufgefaßt hat, aber jetzt sich herausstellt, daß der arme Neffe durch eine große Erbschaft ein reicher Mann geworden ist, dann entfällt der Hauptzweck des Gelübdes, nämlich dem armen Neffen das Studium zu ermöglichen. Es kann auch die sittliche Gutheit des Gelübdes wegfallen. Wenn jemand gelobt hat, einen beträchtlichen Teil seines Einkommens den Notleidenden zu spenden, wenn sich aber jetzt herausstellt, daß seine nächsten Angehörigen dringend seiner Hilfe bedürfen, dann zesiert das Gelübde, dann muß er erst seinen Angehörigen helfen, und dann erst darf er weiter entfernten Menschen mit seinem Vermögen zu Hilfe kommen. Auch die persönlichen Lebensumstände können sich so ändern, daß die Gelübdebindung fraglich wird. Vor mehreren Jahrzehnten lernte ich in einem Franziskanerkloster einen Franziskanerbruder kennen. Er stammte aus meiner Heimat, und wir kamen ins Gespräch. Er sagte mir, daß er um Entbindung von seinen Gelübden eingegeben habe. Er hatte also den Papst gebeten, er möge ihn von seinen Gelübden der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams als Franziskanerbruder entbinden. Wie kam er zu diesem Antrag? Nun, er war viele Jahre als Soldat im Kriege gewesen, und das sind natürlich Umstände, mit denen ein Klosterangehöriger an sich nicht zu rechnen brauchte; das waren ungewöhnliche Umstände, das waren Verhältnisse, die ihm, so muß man wohl sagen, den Klosterberuf geraubt haben. Und der Heilige Vater hat die Sache so gesehen und ihn von seinen Gelübden entbunden. Der Franziskanerbruder war in Lebensumstände geraten, die bei der Gelübdeablegung nicht vorhersehbar waren und die nachher zu einer solchen Persönlichkeitsveränderung führten, daß ihm das Verbleiben im Kloster nicht mehr zumutbar war.

Gelübde sind eine Weise der Gottesverehrung. Wenn wir geloben, wollen wir damit Gott ehren, wollen wir ihm nicht nur die Früchte, sondern auch die Wurzeln des Baumes schenken. Was wir gelobt haben, das müssen wir aber auch erfüllen. Wir sollen nicht geloben, wenn wir nicht die Kraft in uns verspüren, das Gelobte einzuhalten. Hast du gelobt, dann erfülle, was du gelobt hast! Besser ist es, nicht geloben als geloben und nicht erfüllen.

Amen.

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