Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
30. April 1995

Die geistige Gemeinschaft der Kirche

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten am vergangenen Sonntag begonnen, die Sichtbarkeit der Kirche zu betrachten. Sie ist eine Wesenseigentümlichkeit der katholischen Kirche. Damit ist nicht gemeint, daß man die Menschen, die sich als katholische Christen bezeichnen, mit den Augen des Leibes sehen kann. Diese materielle Sichtbarkeit ist selbstverständlich. Nein, es geht um die formelle Sichtbarkeit. Das heißt, daß man die Glieder der Kirche an religiösen Eigentümlichkeiten als solche erkennen kann.

Die Kirche hat in der Abwehr von falschen Meinungen einer unsichtbaren Kirche die Sichtbarkeit der Kirche immer wieder stark hervorgehoben. So wurde z.B. auf dem Konzil von Konstanz im Jahre 1415 der Satz von Hus zurückgewiesen, nur die Prädestinierten, also die von Gott zum Heil Bestimmten, gehörten zur Kirche. Nein, die Kirche ist zunächst wesentlöich eine äußere Wirklichkeit, die freilich eng mit einer inneren, gnadenhaften, verbunden ist, und diese äußere Wirklichkeit läßt sich genau in Einzelheiten beschreiben. So hat das Konzil von Trient gesagt: „Es gibt in der Kirche ein äußeres, sichtbares Opfer; es gibt ein äußeres, sichtbares Priestertum.“ So hat das I. Vatikanische Konzil erklärt: „Es gibt ein sichtbares Fundament der Kirche, nämlich das Papsttum.“ Und so hat in unseren Tagen das II. Vatikanische Konzil gesagt: „Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfaßt. Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistige Gemeinschaft sind nicht zwei verschiedene Größen, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit.“

Die Kirche ist eine sichtbare Größe. Sie ist sichtbar in ihrem Lehramt, in ihrem Priesteramt, in ihrem Hirtenamt. Alle, die zur Kirche gehören, tragen an dieser Sichtbarkeit mit – mehr oder weniger. Die zur Verfassung der Kirche gehörenden Organe, wie Priester, Bischöfe, Papst, machen natürlich die Sichtbarkeit der Kirche im Normalfalle erheblich deutlicher erkennbar als die einfachen, schlichten Gläubigen. Aber noch einmal: Alle, auch die schlichten Gläubigen sind an der Darstellung der Sichtbarkeit der Kirche beteiligt.

Da erhebt sich die Frage: Ja, wer ist denn eigentlich ein Glied der Kirche? Wer gehört denn zur Kirche so, daß man sagen kann, er ist ein Glied, also ein Teil des Leibes der Kirche? Jedermann wird darauf zunächst die Antwort geben: Nun, wer getauft ist. Denn die Taufe ist der Eingang in die Kirche, wie unser kirchliches Gesetzbuch erklärt: „Die Taufe ist die Eingangspforte zu den Sakramenten. Ihr tatsächlicher Empfang oder wenigstens das Verlangen danach ist zum Heile notwendig. Durch sie werden die Menschen von den Sünden befreit, zu Kindern Gottes neu geschaffen und durch ein untilgbares Prägemal Christus gleichgestaltet, der Kirche eingegliedert.“ Oder an einer anderen Stelle heißt es: „Durch die Taufe wird der Mensch der Kirche Christi eingegliedert und wird in ihr zur Person mit den Rechten und Pflichten, die den Christen eigen sind.“ Die Taufe aber ist ein äußerer Vorgang. Die Taufe ist ein äußeres Geschehen, das freilich innere und innerliche Wirkungen zeitigt. Denn die Taufe verleiht ein Prägemal, wie wir soeben gehört haben. Sie verähnlicht den Menschen Christus. Sie ist ein signum configurativum, wie die Theologen sagen. Sie unterscheidet auch den Christen, den Getauften, von allen anderen, sie ist ein signum distinctivum, und sie verpflichtet ihn, alles zu halten, was Christus von ihm verlangt, sie ist deswegen ein signum obligativum. Und sie bereitet den Getauften zum Empfang der späteren Sakramente; sie ist deswegen auch ein signum dispositivum. Also nicht durch eine menschliche Eintrittserklärung, durch eine bürokratische Zeremonie tritt man in die Kirche ein, sondern durch ein Geschehen von oben, durch die Neugeburt im heiligen Taufsakrament.

Aber jetzt erhebt sich die Frage: Genügt die Taufe, um ein Glied der Kirche zu werden? Braucht es nur die Taufe, damit man sagen kann: Das ist ein Christ, das ist ein Glied der Kirche? Diese Meinung ist von der Kirche immer zurückgewiesen worden. Zu dem ontologischen Prägemal, das in der Taufe dem Menschen verliehen wird, müssen andere Elemente kommen, die sich im personal-ethischen Bereich vollziehen und die ich jetzt sogleich nennen werde.

Ein Kind, das im Säuglingsalter getauft wird, ist ohne weiteres durch diesen einen, einzigen Akt Glied der Kirche geworden. Mehr kann man von ihm nicht verlangen, als daß es die Wassertaufe empfängt. Aber für den, der im Erwachsenenalter getauft wird, d.h. der zum Gebrauch der Vernunft gekommen ist, genügt die Taufe nicht. Es muß hier dem Sendungsbefehl Christi Genüge geschehen, und der lautet: „Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet werden.“ Oder wie es im Matthäusevangelium heißt: „Gehet hin in alle Welt und machet alle Völker zu meinen Jüngern und taufet sie im Namen des dreifaltigen Gottes und lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe!“ Das heißt also: Für denjenigen, der nach Erlangung des Vernunftgebrauches getauft wird, genügt zur Kirchengliedschaft die Taufe allein nicht. Es müssen zwei weitere Elemente hinzukommen, nämlich das Bekenntnis des Glaubens und die Einfügung in die Verfassung der Kirche, also die Unterstellung unter die kirchliche Hierarchie. Denn die Kirche ist eben nicht nur sichtbar im Priesteramt, welches die Taufe verwaltet, die Kirche ist auch sichtbar im Lehramt, welches den Glauben vorlegt, und sie ist auch sichtbar im Hirtenamt, welches den Leib der Kirche lenkt und leitet.

Kein anderer als der von uns allen verehrte Papst Pius XII. hat in seiner Enzyklika „Mystici Corporis“ diese Wahrheit lichthell wie immer ausgesprochen: „Den Gliedern der Kirche sind in Wahrheit nur jene zuzuzählen, die das Bad der Wiedergeburt empfangen haben (die Taufe), sich zum wahren Glauben bekennen und sich weder selbst zu ihrem Unsegen vom Zusammenhang des Leibes getrennt haben noch wegen schwerer Verstöße durch die rechtmäßige kirchliche Obrigkeit davon ausgeschlossen worden sind.“ Nach Pius XII. gehören zu einer wahren Kirchengliedschaft außer der Taufe das Bekenntnis des rechten Glaubens und die Einfügung in die hierarchische Ordnung der Kirche.

Damit hat Pius XII. nichts Neues vorgetragen. So ist immer in der Kirche gelehrt worden. Wer den wahren Glauben nicht bekennt, der kann auch trotz der Taufe nicht ein Glied der Kirche sein. Und wer zwar den wahren Glauben bekennt, aber sich durch Schisma, durch Spaltung, durch Absonderung, von der Einheit der Kirche trennt, auch der kann nicht ein Glied der Kirche sein, denn der Leib Christi ist nicht gespalten. Er ist eines, und er muß eines sein auch in der sichtbaren Wirklichkeit. Er wird aber eines in der sichtbaren Wirklichkeit durch das Bekenntnis desselben Glaubens und durch die Einfügung in das hierarchische Band, das die Kirche umschließt.

Jetzt haben wir ein Mittel in der Hand, meine lieben Freunde, zu erkennen, wer zur Kirche gehört und wer nicht zur Kirche gehört. Ich glaube nicht, daß man, wie manche Theologen wollen, zwischen einer Vollgliedschaft und einer Teilgliedschaft unterscheiden kann. Ich glaube, daß es nur eine Gliedschaft gibt und eine Nichtgliedschaft. Entweder man ist ein Glied, oder man ist kein Glied. Ein Drittes halte ich für ausgeschlossen. Es gehören also nicht zur Kirche diejenigen, die die Taufe nicht empfangen haben, die Ungetauften. Ihnen fehlt die Verähnlichung mit Christus, und wie soll man ohne diese Verähnlichung mit Christus, die in der Taufe geschieht, in seinen Leib aufgenommen werden können? Es gehören aber auch nicht zur Kirche diejenigen, die den wahren Glauben nicht bekennen. Vom Bekenntnis des vollen und ganzen katholischen Glaubens gibt es keine Dispens. Man kann nicht sagen: Etwas mehr oder weniger glauben, darauf kommt es nicht an. Es kommt auf jede und die volle Wahrheit an! Und wer nur eine Wahrheit leugnet, der hat das ganze Bekenntnis abgewiesen, der hat den Stein herausgelöst, der das ganze Gebäude zum Einsturz bringt. Also die sogenannten Orthodoxen, die sogenannten Protestanten, die sogenannten Anglikaner, sie gehören nicht zur katholischen Kirche. Selbstverständlich gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den nichtkatholischen Gemeinschaften und der katholischen Kirche. Wenn man einen goldhaltigen Berg abzutragen sich unterfängt, dann gibt es goldhaltige Splitter. Und so ist es auch mit den Verbänden, die sich von der katholischen Kirche abgetrennt haben. Sie haben zweifellos Güter bewahrt, die zur katholischen Kirche gehören. Sie haben die Schriften des Alten und des Neuen Testamentes; manche haben ein Priestertum, wie die Orthodoxen, und damit die volle Eucharistie, weil sie eben ein Priestertum haben. Man kann deswegen durchaus sagen, daß diese Abspaltungen, daß die Angehörigen dieser Abspaltungen eine gewisse Verbindung mit der Kirche und den Kirchengliedern haben. So sagt auch das II. Vatikanische Konzil: „Sie sind der Kirche verbunden.“ Natürlich, durch das, was sie mitgenommen haben aus ihrer Trennung. Aber sie sind keine Glieder.

Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Getrennten guten Glaubens sind, ob sie also überzeugt sind, im rechten Glauben zu sein, oder ob sie bösen Glaubens sind, also erkennen, daß sie eigentlich eine anomale Existenz haben. Es kommt allein auf das äußere Faktum der Trennung im Glauben an. Wer im Glauben von der Kirche getrennt ist, kann nicht Glied der Kirche sein. Dennoch genügt die Taufe, damit diese getrennten Christen der Kirche unterstellt sind. Denn die Kirche ist über alle Getauften gesetzt. Ob sie den Glauben bekennen oder nicht, ob sie sich getrennt haben oder nicht: Die Kirche hat Vollmacht für alle Getauften. Das ist immer so gewesen, daß die Kirche diese Vollmacht über die Getauften in Anspruch genommen hat. Wenn sie seit 1983 im neuen Gesetzbuch die nichtkatholischen Getauften von den rein kirchlichen Gesetzen freistellt, dann bestätigt diese Freistellung die Gewalt der Kirche über die nichtkatholischen Getauften; denn ich kann nur freistellen, über wen ich gesetzt bin. Gerade die Freistellung bezeugt, daß sie über alle Getauften gesetzt ist. Ob man das nun mit Rahner als „Untertanschaft“ bezeichnet oder ob man von einer „konstitutionellen Gliedschaft“ spricht, wie Mörsdorf will, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, daß alle Getauften der Gewalt der Kirche unterstellt sind.

Wer in der Kirche ist als Glied, der ist normalerweise im Hafen des Heiles, der ist unter denen, die, wenn sie die Liebe bewahren, gerettet werden. In einer späteren Predigt werden wir über die Zusammenhänge zwischen äußerer Zugehörigkeit und Heilsgewißheit sprechen. Es ist klar, daß man die äußere Zugehörigkeit auch im Leben bewähren muß. Man muß das, was man von Gott geschenkt bekommen hat in der Taufe, im Glauben und in der Führung durch die kirchliche Hierarchie, im Leben zeigen. Nur dann kann man auf Rettung hoffen. Aber noch einmal: Die Gliedschaft ist von dem sittlichen Verhalten grundsätzlich unberührt. Die Sünder gehören ebenso zur Kirche wie die Gerechten. Nur jene, die den Glauben preisgeben oder die sich der Unterstellung unter die kirchliche Hierarchie entziehen, können nicht mehr als Glieder der Kirche angesprochen werden. Auch das II. Vatikanische Konzil hat sich in dieser Weise ausgesprochen, wenn es sagt: Voll der Gesellschaft der Kirche verbunden sind nur die, die den Geist Christi haben, ihre gesamte Ordnung und all ihre Heilsmittel annehmen und in ihrem sichtbaren Verbande mit Christus, der sie durch den Papst und die Bischöfe leitet, verbunden werden, nämlich durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente, der kirchlichen Leitung und Gemeinschaft. Hier haben wir es: die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente, der kirchlichen Leitung und der Gemeinschaft. Und das steht auch dann im kirchlichen Gesetzbuche. Wenn es zunächst scheinen könnte, als ob die Taufe genüge, um die Kirchengliedschaft zu begründen, so wird in einem späteren Gesetz ausdrücklich gesagt: „Voll in der Gemeinschaft der katholischen Kirche in dieser Welt stehen nur jene Getauften, die in ihrem sichtbaren Verband mit Christus verbunden sind, und zwar durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung.“

Aus diesem Befund ergeben sich unsere Aufgaben, meine lieben Freunde. Die Taufe wird immer in uns bleiben. Die Wirkung der Taufe kann niemals rückgängig gemacht werden. Semel Christianus, semper Christianus; wenn man einmal getauft ist, dann bleibt man es. Die Taufe ist also unzerstörbar und damit auch die Unterworfenheit unter die Kirche, die aus ihr folgt. Aber die beiden anderen Bindungen an die Kirche sind von uns am Leben zu erhalten, nämlich das Glaubensbekenntnis und die Unterstellung unter die kirchliche Hierarchie. Hier kann es Konflikte, Schwierigkeiten und Friktionen geben. Im Laufe der Kirchengeschichte sind viele Menschen von der Kirche abgefallen. Im 16. Jahrhundert kann man ein Dutzend deutscher Bischöfe aufzählen, die zum Protestantismus übergegangen sind. Es hat sogar Kardinäle gegeben, in Frankreich, die sich den Hugenotten angeschlossen haben. Andere haben sich durch Spaltung von der Kirche getrennt. Ich erinnere beispielsweise an das Schisma von Utrecht. In Holland haben sich im 17. Jahrhundert Männer von der Kirche getrennt, die dem Irrlehrer Jansenius anhingen, und dieses Schisma existiert heute noch.

Wir sind berufen, den Glauben in der vollen Wirklichkeit, in seiner Ganzheit und Fülle zu bekennen und zu leben. Wir sind berufen, den rechtmäßig gebietenden Hirten zu gehorchen und uns von ihnen nicht zu trennen. Wenn es, was Gott verhüten möge, geschehen könnte, daß eine größere Zahl von Hirten den katholischen Glauben nicht mehr bekennt, dann sind sie aus der Gliedschaft der katholischen Kirche herausgefallen. Dann zieht sich gleichsam die Kirche in jene zurück, die am Glauben festhalten. Nach der seligen Katharina Emmerich kann es sein, daß, wenn alle abgefallen sind, ein einziger katholischer Christ die Kirche darstellt. Wir wollen zu Gott hoffen, daß es soweit nicht kommt. Aber an uns ist es, das Unsere zu tun, daß die Kirche im Glauben und in der hierarchischen Führung sichtbar bleibt. Dazu müssen wir die Hirten mahnen, daß sie ihr Lehramt ernstnehmen, daß sie den Glauben unverkürzt und unverfälscht vorlegen. Dazu müssen wir sie auch mahnen, daß sie in der Einheit mit dem Felsen der Kirche verharren, daß sie nicht Sondermeinungen vertreten, die sie vom Heiligen Vater trennen. Wenn es so geschieht, daß wir im Glauben und in der Leitung mit ihnen vereinigt sind und bleiben können, dann dürfen wir auch mit Zuversicht das Lied singen, das wir als Kinder und Jugendliche so gern gesungen haben:

Fest soll mein Taufbund immer stehn,

ich will die Kirche hören.

Sie soll mich allzeit gläubig sehn

und folgsam ihren Lehren.

Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad'

in seine Kirch' berufen hat.

Nie will ich von ihr weichen.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt