Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. August 1992

Die Häufung der Kirchenaustritte

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Wenn die Ehe der Prinzessin Caroline für ungültig erklärt wird, trete ich auch der Kirche aus.“ So sagte mir vor einigen Jahren ein angesehener, lupenreiner Katholik. „Wenn die Ehe der Prinzessin Caroline für ungültig erklärt wird, trete ich auch der Kirche aus.“ Andere stellen der Kirche andere Bedingungen. „Wenn die Kirche ihre Sexualethik nicht ändert, dann trete ich aus der Kirche aus.“ „Wenn die Kirche Geschiedene nicht zur zweiten Ehe zuläßt, dann trete ich aus der Kirche aus.“ Als der Berliner Bischof seine Bereitschaft erkennen ließ, den früheren Staatschef Honecker in ein kirchliches Asyl aufzunehmen, da sagten Katholiken: „Wenn der den Honecker aufnimmt, trete ich aus der Kirche aus.“

Der Kirchenaustritt ist eine Erscheinung, die es nur in jenen Ländern gibt, in denen die Kirche die Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes besitzt. Körperschaft des öffentlichen Rechtes besagt, daß ein Verband mit hoheitlicher Macht auftritt. Eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes kann Beamte haben, kann Steuern einheben, kann Dienstherrenfähigkeit besitzen, und die katholische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes. Sie kann über diejenigen, die ihr zugehören, Macht ausüben. Der Staat versteht nun die Religionsfreiheit so, daß jedermann auch seine Religion wechseln können müsse; deswegen stellt er das Institut des Kirchenaustritts bereit. Man kann aus der Körperschaft des öffentlichen Rechtes Katholische Kirche mit bürgerlicher Wirkung austreten. Dieser Austritt geschieht entweder vor dem Amtsgericht oder vor dem Standesamt, in Mainz und in Rheinhessen vor dem Amtsgericht, in der Pfalz vor dem Standesamt. Der Austritt aus der Kirche beendet jene Rechte und Pflichten, die in die Bereiche des staatlichen Lebens hineinragen. Ein aus der Kirche Ausgetretener kann zum Beispiel nicht mehr an einer staatlichen Schule Religionsunterricht erteilen. Ein Kind, das aus der Kirche ausgetreten ist, braucht nicht mehr am Religionsunterricht teilzunehmen. Vor allem aber beendet der Austritt aus der Kirche die Kirchensteuerpflicht. Wer ausgetreten ist, braucht auch zu den Lasten der Kirche nichts mehr beizutragen. In anderen Ländern, wie in Frankreich oder in England, gibt es keinen Kirchenaustritt. Wer sich dort von der Kirche trennt, bleibt dann einfach fort. Aber einen förmlichen, vor dem Amtsgericht oder vor dem Standesamt erklärten Austritt kennen diese Länder nicht.

Nun treten in den letzten Jahren sehr viele Menschen aus der Kirche aus. Der Höhepunkt war im Jahre 1990. Damals sind 143.530 Katholiken aus der Kirche ausgetreten, also eine ganze große Stadt hat die Kirche verlassen. Allein hier an dem kleinen Ort Budenheim waren es 29 Katholiken. Das ist aber nur der Höhepunkt. Die Kirchenaustritte im Jahre 1991, für die noch keine endgültigen Zahlen vorliegen, waren noch viel höher. Mir sagte der Generalvikar von Essen, im Bistum Essen seien im Jahre 1991 fast doppelt so viele Katholiken aus der Kirche ausgetreten wie 1990. Wir müssen also für 1991 etwa mit 280.000 bis 300.000 Kirchenaustritten rechnen. Das ist die höchste Zahl, die jemals erreicht wurde. In der Zeit des Nationalsozialismus, als die Menschen gedrängt wurden, aus der Kirche auszutreten, gab es eine hohe Zahl von Kirchenaustritten im Jahre 1937. Damals verließen 137.000 Katholiken ihre Kirche. Aber diese Zahl ist jetzt, wo kein Druck auf die Menschen ausgeübt wird, wo sie aus eigenen Stücken die Kirche verlassen, weit überboten.

Wie erklären sich diese Kirchenaustritte? Welches sind ihre Gründe? Man ist mit einer Antwort schnell bei der Hand: Ja, das ist die Kirchensteuer; die Leute wollen keine Kirchensteuer bezahlen. Meine lieben Freunde, diese Auskunft ist falsch. Sie ist vordergründig und deswegen irrig. Alle Menschen, die an irgendetwas Interesse haben, wissen, daß man dafür zahlen muß. Jeder Arbeiter weiß: Wenn ich organisiert bin, muß ich zahlen. Sie zahlen also Beiträge für ihren Rudersportverein oder Tennisclub; sie bezahlen ihre Beiträge an die Gewerkschaften oder an den Beamtenbund, denn davon haben sie etwas. Sie wissen, mit diesen Geldern, die ich dahin gebe, werden meine Interessen vertreten. Da kommen wir auf die wahren Gründe. Man muß beim Kirchenaustritt Anlaß und Ursache unterscheiden. Der Anlaß ist eine Begebenheit, die einen Schritt auslöst, der aber selbst auf tieferen Gründen beruht. Ein Beispiel: Am 28 Juni 1914 wurde der östereichische Thronfolger Franz Ferdinand von einem serbischen Studenten ermordet. Dieser Mord löste den Ersten Weltkrieg aus. Aber er war nicht die Ursache, er war nur der Anlaß. Die Ursache des Ersten Weltkrieges lag viel tiefer. Es war die Revanche, die Frankreich verlangte wegen des verlorenen Krieges von 1870/71, es war der Neid Englands gegen das aufstrebende Deutsche Reich, es war der panslawistische Haß Rußlands gegen das Deutschtum, das war die Ursache für den Ersten Weltkrieg. Die Ermordung des Thronfolgers war nur der Anlaß.

Ähnlich ist es bei der Erklärung des Kirchenaustritts. Die Kirchensteuer ist der Anlaß, denn wozu soll man für ein Unternehmen zahlen, von dem man nichts hat, von dem man nichts hält? Und da kommen wir auf den tiefsten Grund für die Kirchenaustritte. Die Menschen, die die Kirche verlassen, sind mit der Kirche nicht mehr verbunden, sie schätzen die Werte der Kirche nicht mehr. Anders ausgedrückt: Sie haben den Glauben verloren. Der Verlust des Glaubens ist der Grund, weswegen sich heute so viele Menschen von der Kirche trennen. Die Kirche ist ein Produkt des Glaubens, und wer ihren Glauben nicht teilt, dem bleibt keine Wahl, wenn er konsequent ist, als dieses Unternehmen zu verlassen.

Aber da erhebt sich die Frage: Wie kommt es denn zum Verlust des Glaubens, jetzt, wo die Kirche frei ist, wo sie alle Möglichkeiten hat? 12 Theologische Fakultäten an den Universitäten in der Bundesrepublik, Religionsunterricht an allen Schulen, Geld in Hülle und Fülle. Wie kommt es denn, daß jetzt so viele Menschen den Glauben verlieren, daß sich jetzt so viele Menschen wegen des Glaubensverlustes von der Kirche trennen? Die Absage an die Kirche ist eine Absage an den Glauben der Kirche. Wer hat nun diesen Glauben zerstört? An erster Stelle die ungläubigen Theologieprofessoren. Sie sind die Hauptverantwortlichen für diese Entwicklung. Ich lese Ihnen einmal ein paar Sätze eines solchen Theologieprofessors vor: „Der Glaube bedeutet nicht ein Fürwahrhalten von wunderbaren Tatsachen und von autoritativ vorgelegten Glaubenssätzen. Wahrheit kann man nicht festhalten“, sagt dieser Theologieprofessor. Von Christus: „Er hat sich vermutlich weder als Messias noch als Gottesknecht oder als Gottessohn und wohl auch nicht als Menschensohn bezeichnet. Die Wundergeschichten der Evangelien sind meistens legendarisch. Sogenannte Naturwunder braucht man mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht als historisch anzusehen. Die Auferweckung Jesu ist kein objektiv und neutral feststellbares historisches Faktum. Die Ostergeschichten sind weitgehend legendär. Es handelt sich dabei nicht um historische Züge, sondern um Stilmittel, die Aufmerksamkeit wecken und Spannung erzeugen sollen. Die Himmelfahrtsgeschichte ist eine Ostergeschichte und partizipiert an deren legendarischem Charakter. Die Rede von einem Weiterleben oder Fortleben nach dem Tode ist irreführend.“ Das sind Sätze, wörtlich oder inhaltlich, die von einem katholischen Theologieprofessor geschrieben wurden. Dieser Theologieprofessor ist heute Bischof von Rottenburg; es handelt sich um Walter Kasper.

Sie werden mir jetzt abnehmen, wenn ich sage, daß von solcher Verkündigung nur der Unglaube hervorgehen kann. Und da sieht man tatsächlich seine Wirkung. Ich habe hier den Brief eines Lehrers, der katholische Religion unterrichtet, und der die Wirkungen zeitigt, die von einer solchen Verkündigung zu erwarten waren. Dieser Lehrer schreibt wörtlich: „Glauben heißt nicht wissen, aber auf Vermutungen und auf Erzählungen anderer angewiesen sein und auf deren Unzulänglichkeit gegenüber Lügnern, auch auf deren Irrtümer angewiesen sein, wie gesagt, eben nichts wissen. Eine Gewißheit kann es im Glauben nicht geben. Die Kirche ist eine der letzten Diktaturen, und die ziehen nicht mehr. Die Aufklärung und die freie Forschung haben unseren Glauben entmythologisiert, nicht erst jetzt, das geht ja schon seit über 20 Jahren so, und die Forschung ist nicht mehr aufzuhalten. Uns gehen die Augen auf wie Adam und Eva, und wir sehen, was wir ernten und daß wir und einen so sicher gemeinten Schatz, den unverbrüchlichen Glauben, verloren haben.“ Dieser von Professoren vorgetragene Unglaube geht über die Priester und Laientheologen, die von ihnen ausgebildet werden, in die breite Masse des Volkes über. Was sich heute in unseren Schulen im Religionsunterricht abspielt, was heute an Religionsbüchern dargeboten wird, spottet jeder Beschreibung. Damit wird vielfach – ich spreche nicht von allen Religionslehrern – der Glaube nicht auferbaut, sondern abgetrieben.

Dazu kommen andere Ursachen. In der Kirche hat sich viel verändert, ich glaube allzu viel. Viele vermögen die Kirche nicht mehr als die Kirche wiederzuerkennen, in die sie als Kinder hineingetauft wurden. Mir sagte einmal ein Priester, der jetzige Pfarrer von Bretzenheim: „Man weiß nicht, was man noch verteidigen soll.“ Der Pfarrer hatte das richtige Gespür: Es wird so viel preisgegeben, es wird so viel aufgegeben, daß man nicht mehr weiß, was man festhalten soll. Die Veränderungen in der Kirche haben in den Menschen eine Mentalität erzeugt, in der sie keine Änderung mehr für unmöglich halten. Es ist so viel geändert worden, daß selbst die Dogmen und selbst die höchsten Moralgesetze nach der Meinung dieser Menschen veränderbar sind, d. h. sie haben jeden Halt verloren.

Dazu kommen weitere verhängnisvolle Schritte, die in der Kirche getroffen worden sind. Durch die Umwandlung des Gottesdienstes ist manchen Menschen die religiöse Heimat genommen worden. Viele Menschen haben durch die veränderten Formen des Gottesdienstes, wo die vertrauten Lieder nicht mehr gesungen werden, wo in den Predigten merkwürdige Ansichten zu hören sind, viele Menschen haben durch diese veränderten Formen des Gottesdienstes die Verbindung mit der Kirche verloren. Die Menschen glauben die Kirche nicht mehr nötig zu haben, auch deswegen nicht, weil man ihnen das Beichten abgewöhnt hat. Wir, die wir uns als arme Sünder bekennen, die wir angewiesen sind auf Vergebung, die wir zum Beichtstuhl gehen oft und oft – wir Priester beichten oft, wir alten Priester – wir wissen, daß wir auf die Kirche, daß wir auf das Priestertum angewiesen sind. Denn nur ein Priester kann zu uns sprechen: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ Diejenigen aber, denen man gesagt hat: Das ist gar keine Sünde, das braucht ihr nicht zu beichten, ihr könnt euch mit der Bußandacht begnügen, diejenigen haben die Verbindung mit der Kirche und mit den Priestern nicht mehr. Kein Wunder, daß sie sagen: Wozu brauche ich noch eine Kirche? Das alles,  meine lieben Freunde, sind die Folgen von unüberlegten Änderungen, und die Quittung dafür erhalten wir heute durch die Massenkirchenaustritte.

Die Kirche kann selbstverständlich die Austritte nicht billigen. Wer den Kirchenaustritt erklärt, trennt sich auch von der Kirche, von der einzigen Kirche Christi, von der Arche des Heils. Nur in dieser Kirche ist die Wahrheit und die Gnade Gottes in der Fülle vorhanden. Nur zu dem Vorsteher dieser Kirche hat Christus gesagt: „Du bist der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“ Das ist der Schafstall Gottes, das ist die Arche des Heiles, das ist unsere Mutter, und man verläßt seine Mutter nicht, auch wenn sie noch so krank ist. Wir müssen also, meine lieben Freunde, bei der Kirche ausharren. Wir sehen die Schäden, und wir sehen sie nur allzu deutlich. Aber kein Schaden, und mag er noch so groß sein, kann ein Anlaß oder ein Grund sein, uns von dieser Kirche zu trennen.

Im Leben haben sich schon viele Menschen von der Kirche losgesagt, aber ich kenne keinen, der im Angesichte des Todes die Kirche verlassen hat. Es gibt dagegen manche, die gerade im Angesicht des Todes zu dieser Kirche gefunden haben. Vor kurzem ist ein Buch herausgekommen mit den Briefen des Generalmajors Helmut Stieff. Helmut Stieff eist eines der Opfer des 20. Juli 1944. Helmut Stieff war Protestant, aber als er vor seiner Hinrichtung stand, da schrieb er seiner Frau in einem Brief: „Ich habe mich entschlossen, katholisch zu werden. Ich will in dem Glauben sterben, der der deine ist.“ Und Helmut Stieff ist in diesem Glauben gestorben.

So wollen auch wir,  meine lieben Freunde, uns nicht irremachen lassen. Wir wollen zu dem stehen, was wir oft und oft gesungen haben: „Fest soll mein Taufbund immer stehn. Ich will die Kirche hören. Sie soll mich allzeit gläubig sehn und folgsam ihren Lehren. Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad' in seine Kirch' berufen hat. Nie will ich von ihr weichen.“

Amen.

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