Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
20. Mai 1991

Die Gaben des Heiligen Geistes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Im 11. Kapitel des prophetischen Buches von Isaias lesen wir: „Doch ein Reis wird sprossen aus dem Wurzelstock Jesse, ein Schößling bricht aus seiner Wurzel hervor. Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. An der Furcht des Herrn hat er sein Wohlgefallen. Nicht nach dem Augenschein wird er richten, nicht nach dem Hörensagen entscheiden. Nein, in Gerechtigkeit richtet er die Geringen, nach Billigkeit spricht er Recht den Armen im Lande. Er schlägt die Gewaltigen mit dem Stab seines Mundes, mit dem Hauch seiner Lippen rafft er den Gottlosen dahin. Gerechtigkeit ist seiner Hüften Gürtel und Treue der Gurt seiner Lenden.“ Diese Verse gehen nach allgemeiner Überzeugung auf den angekündigten Retter, auf den Messias. Von ihm wird ausgesagt, daß der Geist des Herrn, also der Geist Gottes, auf ihm ruht. Und von diesem Geist wird bemerkt, daß mit ihm sieben Gaben verbunden sind, Weisheit, Wissenschaft, Verstand, Rat, Stärke, Frömmigkeit, Furcht des Herrn. Das ist die Ausrüstung des Messias. Hat uns diese Begabung des Messias etwas zu sagen? Ja, denn der Messias teilt seine Ausrüstung allen mit, die sich zu ihm bekehren und zu ihm bekennen. Auch von denen, die sich dem Messias und seinem Reiche anschließen, gilt: Der Geist des Herrn ruht auf ihnen, der Geist der Weisheit und der Wissenschaft, des Verstandes, des Rates und der Stärke, der Frömmigkeit und der Furcht des Herrn. Dazu ist er ja emporgestiegen über alle Himmel, daß er uns den Geist senden konnte. „Wenn ich nicht hingehe, wird der Geist, wird der Beistand nicht zu euch kommen. Wenn ich aber hingehe, werde ich ihn euch senden.“ Aus der verklärten Natur des Heilandes strömt der Heilige Geist auf alle über, die sich zu ihm bekennen, der Geist der Weisheit, der Wissenschaft und des Verstandes, des Rates und der Stärke, der Frömmigkeit und der Furcht des Herrn.

Wenn wir uns diese sieben Gaben etwas näher ansehen, dann werden wir erkennen, meine lieben Freunde, daß sie eine notwendige Begleitschaft der heiligmachenden Gnade sind. Wer immer in der heiligmachenden Gnade ist, der besitzt auch die Gaben des Heiligen Geistes. Aber sie sind selbstverständlich der Steigerung fähig. Und wer die heiligmachende Gnade verliert, von dem weichen auch die Gaben des Heiligen Geistes.

Die Gabe der Weisheit lehrt uns, Gott als unser höchstes Ziel anzusehen und die Vergänglichkeit der irdischen Dinge recht einzuschätzen. Da sieht man, wie wichtig diese Gabe ist: daß man Gott als das höchste Ziel ansieht, nicht den Genuß oder die Macht oder den Ehrgeiz oder den Geltungsdrang. Gott ist das höchste Ziel, und alles andere, um ein Wort des Apostels Paulus zu gebrauchen, ist im Vergleich damit „Kehricht“. Das lehrt uns die Gabe der Weisheit.

Die Gabe der Wissenschaft macht uns tüchtig, die Lehre der katholischen Kirche auch ohne Studium klar zu erfassen. Man staunt manchmal über Einsichten, theologische Einsichten, die der einfache Mann und die einfache Frau haben. Sie sind klüger als mancher Theologe. Sie haben nicht studiert, aber sie sind erleuchtet. Der Heilige Geist hat ihnen die Gabe der Wissenschaft mitgeteilt.

Und mit dieser Gabe vermählt sich gleich die des Verstandes. Die Gabe des Verstandes befähigt uns, die wahre Lehre von der falschen zu unterscheiden. Und wie zeichnen sich darin oft einfache Katholiken vor angeblichen gelehrten Theologen aus! Sie haben das Gespür dafür, was katholisch und was nicht katholisch ist. Sie haben eine Ader, um das zu erkennen, was dem Glauben zusagt und was ihm schadet. Das ist die Gabe des Verstandes. Niemand hat sie ihnen vermittelt außer dem Heiligen Geiste.

Die Gabe des Rates lehrt uns, in schwierigen Situationen, in gefährlichen Fällen das zu erkennen, was wir nach Gottes Willen tun sollen. Die Gabe des Rates ist gewissermaßen die Einsprechung Gottes in unser Herz, damit wir den Weg finden, den wir gehen sollen. Hier ist gewissermaßen die Nahtstelle, wo Gott und das eigene Gewissen sich treffen. Mit seiner Gabe des Rates führt uns Gott den rechten Weg.

Die Gabe der Stärke brauchen wir, um es in diesem Leben der Gefahren und der Lasten auszuhalten. Sie macht uns tüchtig, alles zu ertragen um Gottes willen. Stärke brauchen wir in unserem Leben weiß Gott so notwendig wie kaum etwas anderes. Stärke, um auszuhalten, was uns auferlegt ist, um zu ertragen, was Menschen uns zufügen. Die Gabe der Stärke macht unsere Schultern breit und gibt uns Kraft, hinzunehmen, was über uns verhängt wird.

Die Gabe der Frömmigkeit lehrt uns, von Herzen Gott zu verehren und seinen Willen zu tun. Die Frömmigkeit ist unsere innige Beziehung zu Gott, und sie bedarf ständig der Anfeuerung, sie bedarf ständig der Nährung. Und diese Nährung wird uns zuteil durch den Heiligen Geist.

Und schließlich eine ganz vergessene Gabe, nämlich die Gabe der Furcht des Herrn. Wer fürchtet denn in der nachkonziliaren Periode noch Gott, meine lieben Freunde? Heute hat sich die Vermessenheit ausgebreitet, also die Meinung, Gott werde uns den Himmel schenken, auch wenn man nichts für ihn tut, auch wenn man lebt wie ein Gottvergessener. Das ist die Vermessenheit. Ihr wehrt die Gabe der Furcht des Herrn. Die Furcht des Herrn lehrt uns, lieber alles zu erdulden, als Gott zu beleidigen. Es ist die heilige Scheu, den Vater im Himmel zu kränken, den Geist zu betrüben, der in uns wohnt. Die Furcht des Herrn ist eine notwendige, eine unentbehrliche Gabe in unserer Zeit der Vermessenheit.

Das also, meine lieben Freunde, sind die sieben Gaben des Heiligen Geistes – Weisheit, Wissenschaft, Verstand, Rat, Stärke, Frömmigkeit, Furcht des Herrn. Wir sollten keinen Tag vorübergehen lassen, ohne zum Heiligen Geist zu rufen. Das kann man ganz einfach machen: „Komm, Heiliger Geist!“ Das ist ein schönes Gebet. Ich habe einmal vor fast 40 Jahren bei einem guten, heiligmäßigen Priester Exerzitien gemacht. Und er sagte: „Was machen Sie, wenn Sie mit der Straßenbahn fahren oder wenn Sie auf der Straße gehen? Da müssen Sie rufen: 'Komm, Heiliger Geist!' Immer dieses Gebet im Herzen tragen: 'Komm, Heiliger Geist!' Das ist ein so schönes, ein ergreifendes und ein so hilfreiches Gebet.“ Wenn wir mehr tun wollen, dann greifen wir zu den wunderbaren Gebeten, welche die Kirche in der Liturgie verwendet, etwa zu der Pfingstsequenz: „Komm, o Geist der Heiligkeit aus des Himmels Herrlichkeit, sende deines Lichtes Strahl! Vater aller Armen du, aller Herzen Licht und Ruh, komm mit deiner Gaben Zahl! Tröster in Verlassenheit, Labsal voll der Lieblichkeit, komm, o süßer Seelenfreund! In Ermüdung schenke Ruh, in der Glut hauch Kühlung zu, tröste den, der trostlos weint! O du Licht der Seligkeit, mach dir unser Herz bereit, dring in unsre Seelen ein! Ohne deinen Gnadenschein steht der arme Mensch allein, kann nicht gut und sicher sein. Wasche, was beflecket ist, heile, was verwundet ist, tränke, was da dürre steht! Beuge, was verhärtet ist, wärme, was erkaltet ist, lenke, was da irre geht! Heiliger Geist, wir bitten dich, gib uns allen gnädiglich deiner sieben Gaben Kraft! Gib Verdienst in dieser Zeit und die ewige Seligkeit nach vollbrachter Wanderschaft!“

Amen. Alleluja.

 

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