Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. März 1991

Leiden für Gott – Leben und Sterben der heiligen Theresia von Lisieux

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Mit dem heutigen Sonntag beginnt die Passionszeit, der letzte Abschnitt der Bußzeit. Passion heißt Leiden. Wenn wir von der Passion sprechen, dann meinen wir das Leiden Christi, das fruchtbringende, erlöserische Leiden Christi. Er hat durch Leiden die Welt erlöst, und das scheint ein Gesetz zu sein. Immer, wenn Menschen am erlöserischen Werke Christi teilnehmen wollen, müssen sie durch das Feuer der Leiden gehen. Der Herr hat es angedeutet, wenn er sagt, daß jeder, der sein Jünger sein wolle, das Kreuz auf sich nehmen müsse, und das Kreuz ist eben das Zeichen des Leidens. Wenn wir vom Kreuze sprechen, dann meinen wir das Marterwerkzeug, an dem unser Heiland verblutet ist. Das Gesetz, daß nur der Leidende in der Nachfolge Christi stehen kann und daß nur durch Leiden die Welt erlöst wird, hat sich an allen Heiligen erfüllt. Sie mögen in ein Heiligenleben schauen, welches immer es sein mag: Es gibt keinen Heiligen, der nicht ein hohes Maß, ja, wie es manchmal scheint, ein Übermaß an Leiden getragen hat.

Ich möchte,  meine lieben Freunde, Ihre Blicke heute auf eine Leidende lenken, an der sich dieses Gesetz in besonderem Maße erfüllt hat. Es ist Therese Martin, jenes Mädchen aus der Normandie, die mit 24 Jahren ihre Seele Gott zurückgegeben hat, bekannt als Theresia vom Kinde Jesu oder Theresia von Lisieux. Von Natur aus war sie für das Leiden gar nicht ausgerüstet. Sie war ein schönes Mädchen, sie war mit guten Geistesgaben ausgestattet, sie stammte aus wohlhabendem Hause, sie war behütet von ihrem Vater, die Mutter war ja früh gestorben, und verwöhnt von ihren Schwestern. Als sie mit 15 Jahren in den Karmel, in das Kloster der Karmelitinnen in Lisieux, eintrat, wurde ihr ein Leidensbecher kredenzt, den viele andere verweigert hätten. Aber sie hat diesen Leidensbecher angenommen, sie hat ihn geleert bis zur Neige, bis zum letzten Tropfen.

Die Leiden begannen mit ihrer Oberin. Die Oberin war eine herrschsüchtige Frau, von Eifersucht erfüllt. Sie suchte ihre Nonnen zu beherrschen. Gegenüber Therese war sie verständnislos, argwöhnisch, mißtrauisch. Ständig hatte sie etwas zu rügen. Wenn immer sie sie traf, hatte sie einen Tadel für diese 15jährige Novizin. Wenn Therese im Garten Unkraut jäten mußte, da sprach sie vom Spazierengehen, als ob diese Arbeit ein Vergnügen wäre, und immer wieder beklagte sie die angeblich ungenügenden Leistungen von Kindern im Kloster. Therese mußte sich alle diese Vorwürfe schweigend anhören, gesenkten Hauptes, ohne Widerrede, wie es die Klosterregel verlangte, und so hat sie es getan. Sie fand keinen Ersatz, keinen Ausgleich für das, was ihr die Oberin fehlen ließ, bei den anderen Schwestern. Auch sie waren verständnislos, kleinlich, manchmal sogar boshaft gegenüber ihrer Mitschwester. Zum Beispiel spritzten sie ihr mit Vorliebe schmutziges Wasser ins Gesicht wie kleine Schulmädchen, um sie zu ärgern. Viele Nadelstiche hatte sie von ihnen zu erdulden. Das war die menschliche Atmosphäre in diesem Kloster zu Lisieux.

Am meisten hat Therese gelitten unter der Kälte – das rauhe Klima der Normandie, die feuchten Gänge, die eiskalte Zelle. Viele Nächte hat sie schlaflos auf ihrem Strohsack zitternd vor Kälte zugebracht, heute frieren, morgen frieren, den ganzen Winter frieren. Zu dieser körperlichen Kälte kam die seelische. Man sollte im Kloster keine Freundschaften unterhalten, keine Partikularfreundschaften, wie man das nennt. Und so war dort eine recht kühle, ja abweisende Atmosphäre entstanden. Es fehlte dieser Novizin, dieser Nonne, an menschlicher Zuwendung. Sie ist, so kann man sagen, an der fehlenden Nächstenliebe buchstäblich seelisch verblutet. 

Das allerschlimmste aber war die seelische Trockenheit. Sie war ja ins Kloster gegangen, um Gott ihr Opfer darzubringen und von ihm mit seinen Gnaden beschenkt zu werden. Aber wie das oft nach religiösen Hochspannungen geht, da setzte die Reaktion ein. Sie war im Kloster ohne Trost, ohne den Trost der göttlichen Nähe. Das Lächeln der Himmelskönigin zeigte sich nicht mehr. Sie spürte nicht mehr Gottes Liebe, sondern sie war von Traurigkeit und Düsternis umfangen, so daß sie das schreckliche Wort schreiben konnte: „Mein Trost ist es, hienieden keinen Trost zu haben.“

Immer ist entscheidend, was ein Mensch aus der Lage macht, in die er gestellt wird. Was hat nun Therese aus dieser Lage gemacht? Sie hat den nie aufgegebenen Entschluß gefaßt, eine große Heilige zu werden. Das Ziel der Heiligkeit stand ihr immer, ohne Wanken, leuchtend vor Augen. Und so hat sie die Verkennung, die sie im Kloster traf, so hat sie die Zurücksetzung, so hat sie die Schmerzen als einen Weg angesehen, um zur Heiligkeit zu gelangen. Sie hat sich nicht als die unverstandene Frau aufgespielt, die Trost sucht, sie hat keine Ausnahmeregelung begehrt, sondern sie hat diese Lage, die gegebenen Situation als den Weg zur Heiligkeit begriffen. „Das einzig wahre Königtum“, so schreibt sie, „besteht darin, für nichts geachtet zu werden und verborgen zu sein.“ Sie hat die Leiden, die ihr auferlegt wurden, angenommen. Die meisten Menschen, wir eingeschlossen, suchen den Leiden zu entfliehen, suchen die Leiden abzuweisen. Therese hat die Leiden bejaht. Sie hat die Leiden nicht von sich zu entfernen gesucht, sondern sie hat sich identisch gemacht mit ihrem Leidensschicksal, ja, sie dürstete nach Leiden. Sie hat ein Verlangen gehabt, zu leiden. „Ich verlange nur mehr danach, zu leiden. Ich finde darin ein Glück, das ich nicht für möglich gehalten hätte.“ So schreibt Therese in ihrer Lebensgeschichte, die sie auf Befehl der Oberin gegen Ende ihres Lebens niedergeschrieben hat.

Sie hat im Leiden gelächelt. Sie ließ niemals ihre Umgebung spüren, wieviel sie leiden mußte, und sie hat viel gelitten. „Kein Tag“, schreibt sie in ihrer Lebensgeschichte, „ist ohne Leiden.“ Kein Tag, nicht ein einziger. Aber sie lächelte und war stets zu Scherzen aufgelegt, so daß die Mitschwestern gar nicht merkten, was sie zu leiden hatte. Das ist wohl der Gipfel, wenn jemand das Leiden nicht nur annimmt, wenn er nach dem Leiden nicht nur verlangt, sondern wenn er im Leiden sein Glück findet. Therese kannte die Freude, aber es war eine Freude, die dem Leiden abgerungen ist.

Das Leiden wird freilich nur dann erlöserisch, wenn es von der Liebe erfüllt ist. Nur ein liebendes Leiden besitzt erlöserische Qualität. Und eben das war das Leiden Theresias vom Kinde Jesu. Ihr Herz war von Liebe erfüllt. Es war nicht die erotische Liebe, sie war ja ein Mädchen, das von keinem Manne wußte. Es war die Liebe, die reine Gottesliebe, die Gott in den Herzen erweckt. Diese Liebe war wie ein Flamme, die ihr Leben verzehrt hat. Und in dieser Liebesflamme hat sie ihre Leiden getragen. Leiden und lieben, das war für sie eines. Liebe war für sie kein Gefühl, sondern war Gehorsam gegen Gott. Liebe war für sie Opfer, Darbringung seiner selbst an den Willen Gottes. Das war für sie Liebe.  Und in dieser Liebe hat sie den Gipfel erklommen. Lieben, geliebt werden und wiederkommen, um zu bewirken, daß die Liebe geliebt werde, das sah sie als ihre Sendung an. Ja, sie schrieb den ergreifenden Satz: „Mein Beruf ist die Liebe,“ die grenzenlose Gottesliebe, die sich im Ganzopfer vollendet.

Und dieses Ganzopfer hat Therese gebracht. Ich sagte schon, sie ist im Alter von 24 Jahren gestorben, aber wie gestorben? An einer Miliartuberkulose. Das ist eine Krankheit, wo sich die Tuberkulosekeime in der Blutbahn verbreiten und überall festsetzen. Am ganzen Körper entstehen Knötchen, Tuberkuloseknötchen, die aufplatzen und große Schmerzen verursachen. Mit glühendheißen Wangen, mit eiskalten Füßen, schweißgebadet und kaum noch des Atmens fähig lag sie in ihrer Sterbezelle. Auch in dieser furchtbaren Lage hat sie das Lächeln nicht verlassen. Noch an ihrem Sterbetage lächelte sie den Schwestern entgegen, die ihre Zelle betraten. „Mein Kelch ist gefüllt bis zum Rande. Ich hätte nie geglaubt, daß man so viel leiden kann“, sagte sie in dieser Todeskrankheit. Es war ein langes, ein qualvolles Sterben. Zwei Monate lang mußte sie sich erbrechen, mußte sie alles von sich geben, was sie zu sich nahm, konnte nicht einmal die heilige Kommunion empfangen. Dazu kam die Finsternis der Seele. Ihre Glaubensgrundlage begann zu wanken, eine furchtbare Angst überfiel sie. „Ich spüre den Teufel um mich herum“, so gestand sie. Also nicht einmal das hat Gott ihr geschenkt, daß er ihr ein klagloses, ein ruhiges, im Glauben gefestigtes Sterben gab. Die Schwestern fragten sie gelegentlich in diesen Wochen des lange hingezogenen Sterbens: „Was sagen Sie jetzt Gott?“ „O, ich sage garnichts“, antwortete sie, „ich liebe ihn. Wohlan, wohlan, ich möchte nicht weniger leiden.“ So sagte sie in diesen Qualen und Schmerzen.

Und so,  meine lieben Freunde, ist Therese von dieser Welt gegangen. Ihre letzten Worte waren: „O, ich liebe ihn. Mein Gott, ich liebe dich.“

Amen.

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