Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. Juli 1989

Jesus, der Heiland

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ So lautet die Botschaft der Engel an die Hirten auf den Halden von Bethlehem. „Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus“, der Messias, „der Herr“. In diesem einen Satze finden sich drei gewaltige Bezeichnungen für Jesus Christus, „Heiland“, „Christus“, also Messias, und „Herr“. Wir haben an den vergangenen Sonntagen die Selbstbezeichnungen Jesu bzw. die Bezeichnungen, welche die Jünger ihm gegeben haben, uns vor Augen vorgeführt. „Christus“ heißt Messias, der Heilbringer, der im Alten Bunde verkündigt wurde und der in Jesus erschienen ist. „Herr“ bedeutet Gottgleichheit, denn Tausende von Malen wird in der griechischen Bibel, in der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, für den Ausdruck Jahwe, also für den Gottesnamen, das Wort Kyrios, „Herr“, eingesetzt. Und wenn dieses Wort auf Jesus übertragen wird, dann gibt der, der das tut, zu verstehen, daß Jesus Gott ist.

Wie steht es nun mit dem Namen „Heiland“? „Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren.“ Wenn wir diesen Ausdruck hören, dann wird es uns warm in unserem Herzen; denn dieses Wort hat so etwas Heimeliges, etwas so Wohltuendes, etwas so Warmes in sich. Unsere Vorfahren, die diesen Ausdruck für das lateinische Wort Salvator gefunden haben, müssen dabei empfunden haben, daß dieser Ausdruck besonders geeignet ist, unseren Herrn Jesus Christus zu bezeichnen. Wo kommt dieser Ausdruck her? Welches ist seine sprachliche Wurzel? Wie alles, was im Neuen Testament steht, griechisch geschrieben ist, so ist auch dieser Ausdruck natürlich ursprünglich griechisch. Und der griechische Ausdruck für Heiland heißt soter. Soter! Dieses Wort ist in der Antike, also in der Zeit, als Jesus geboren wurde, vielfältig verwendet worden. Das Wort soter wurde von den Heiden verwendet für ihre Götter, aber nicht für alle, sondern nur für bestimmte Götter, nämlich für die Heilgötter. Also zum Beispiel für den Heilgott Asklepius oder Äskulap, das ist dasselbe, Asklepius und Äskulap. Asklepius war der große Heilgott, zu dem man wallfahrtete, um Genesung von den Krankheiten zu erreichen. Es gab die Heil- und Heiligtümer Epidaurus, Kos und Pergamon, und da begaben sich die Menschen, die krank waren oder deren Angehörige krank waren, hin und nahmen die Inkubation vor, d.h. sie ließen sich eine Zeit lang in den Tempeln nieder und flehten den Gott um Heilung an. Wir können ruhig annehmen und zugeben, daß damals Heilungen in den Heiligtümern geschehen sind. Warum denn nicht? Diese Heiden haben halt unter einem falschen Namen den wahren Gott angerufen, und warum soll der wahre Gott nicht das Flehen eines schuldlos Irrenden erhören?

Andere bezeichneten Zeus, den obersten der Götter, als „Heiland“, als soter, weil Zeus eben als der Welterhalter galt. Und in Ägypten waren es Isis und Serapis, diese beiden für mächtig gehaltenen Götter, welche mit dem Namen soter, Heiland, belegt wurden. Von den Göttern übertrug man den Namen auf Menschen. Menschen, die als Gesegnete erkannt wurden, Menschen, von denen Friede und Ordnung ausging, bezeichnete man als soter, als Heiland; also vor allem die Kaiser. Der Kaiser Augustus, der ja ein bedeutender Herrscher war und dem gewaltigen Römerreich den Frieden gab, wurde als soter, als Heiland, gefeiert. Da also kommt das Wort her. Aus der griechischen Antike haben die Christen das Wort soter übernommen und auf Gott und seinen Christus übertragen. Im Neuen Testament kommt das Wort 16 mal vor. Entweder wird damit der Vater im Himmel oder Jesus Christus bezeichnet.

Die Übernahme dieses Wortes war nicht willkürlich. Denn selbstverständlich ist der wahre Gott, den die Juden verehrten und den die Christen verehren, auch ein Heiland. Er ist der Heiland, der alle anderen Heilande weit übertrifft. Auf ihn paßt dieser Ausdruck viel mehr als auf die anderen, denen er gegeben wurde. Deswegen wird eben der Ausdruck sotär, Heiland, auch auf den Vater im Himmel übertragen. Er hat in der hebräischen Bibel ein Äquivalent, also ein gleichbedeutendes Wort. In der hebräischen Bibel gibt es nämlich das Wort Jeshua, und das heißt: „Jahwe – also der Gottesname – Jahwe ist Heil.“ Jeshua bedeutet also Retter, ja Heiland. Es gibt somit in der hebräischen Bibel ein Wort, das dem griechischen soter fast ganz entspricht. Und dieser Name Jeshua – Jesus – wurde unserem Heiland bei seiner Namengebung übertragen. Nach dem Matthäusevangelium erhält Josef die Weisung, den Knaben „Jesus“ zu nennen, und warum? „Denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.“ Also, weil seine Funktion, weil seine Aufgabe Erlösung, Heilandsdienst war, deswegen heißt er Jesus, das heißt Retter, Heiland.

Die Jünger, welche Jesus den Namen Heiland gegeben haben, haben also nicht willkürlich gehandelt. Es ist nicht ihrer Phantasie entsprungen oder ihrer Begeisterung für Jesus zu verdanken, daß sie ihn Heiland nannten, sondern es ist eine sachlich gerechtfertigte, ja geforderte Bezeichnung. Sie haben Jesus als den Heiland erlebt in seinen Heilungswundern, bei der Brotvermehrung, in seiner Macht über die Natur. Sie haben ihn erlebt als den, der alles wohl macht, und deswegen konnten, nein, mußten sie ihm den Namen soter, Heiland, geben, um auf diese Weise zu bezeugen, daß er weit, weit, unendlich weit alle Heilande, die es in ihrer Umgebung gab, überragte.

Diese Übersetzungsarbeit ist immer wieder notwendig. Als die ersten Missionare nach Grönland kamen, um dort die Menschen zu Christen zu machen, fanden sie kein Wort für „Heiland“. Sie bemühten sich, den Männern und Frauen zu erklären, worum es sich handelte, aber es schien vergeblich. Endlich dämmerte es einem der Männer. „Meinst du,“ so sagte er zu dem Missionar, „meinst du vielleicht einen Mann, der, wenn einem anderen das Boot umkippt, ins Wasser springt und ihn vor dem Ertrinken rettet?“ So hat man das Wort in der grönländischen Sprache für „Heiland“ gefunden. Noch heute bedeutet Heiland in ihrer Sprache „Retter aus der Not des Ertrinkens“. Retter aus der Not des Ertrinkens, nicht wahr, das ist eine schöne Bezeichnung in einem Lande, das von Wasser umgeben ist, um den Heiland zu bezeichnen.

So also wird im Neuen Testament der Name „Heiland“ auf Jesus übertragen. Sein ganzes Heilungs- und Heilswerk wird mit diesem Namen ausgedrückt. „Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren.“ Und das bedeutet den Eingang in diese Welt. Aber auch seine Wiederkunft wird mit seinem Heilandswirken in Verbindung gebracht. „Unsere Heimstätte ist im Himmel,“ schreibt der Apostel Paulus im Philipperbrief, „von wo wir auch unseren Heiland Jesus Christus erwarten.“ Also Heiland ist uns Jesus seit seiner Epiphanie, seit seinem Erscheinen auf Erden, Heiland ist er für die ganze Zeit seines Lebens und seines Wirkens, Heiland aber bleibt er auch, solange ihn der Himmel aufbewahren muß, bis er kommt, zu richten die Lebendigen und die Toten.

Und noch einmal wird, vor allem vom Evangelisten Johannes, betont, daß dieser Heiland nicht eine Erfindung ist, sondern daß er eine Wirklichkeit ist, daß er eine historische Tatsache ist. In seinem ersten Briefe schreibt der Apostel Johannes: „Wir haben erkannt – wir haben erkannt! Wir haben gesehen und erkannt! –, daß der Vater den Sohn als Heiland der Welt gesandt hat.“ Also die Erfahrungen, die sie mit ihm gemacht haben, das wunderbare Leben und Wirken Jesu, das ist der Grund, warum ihm der Name Heiland gegeben wurde. Nicht grundlos, sondern wohlbegründet erhielt er den Namen Heiland. So kann sich also das feste Vertrauen auf ihn stützen, denn dieses Vertrauen ist gerechtfertigt. So kann man ihn anrufen, denn diese Anrufung ist nicht vergebens.

Als der Herr im Lande der Samariter wanderte und sich mit der Frau am Jakobsbrunnen unterhielt, da lief sie ja bekanntlich in die Stadt und verkündete: „Ich habe den Messias gesehen.“ Die Bewohner der Stadt kamen heraus und sprachen selbst mit Jesus, und dann sagten sie zum Schluß: „Jetzt glauben wir nicht mehr bloß wegen deiner Worte,“ der Worte der Frau, „jetzt glauben wir, weil wir gesehen und erkannt haben, daß dieser wahrhaft ist der Heiland der Welt.“ Der Heiland der Welt! Das ist mehr als nur Heiland für ein bestimmtes Gebiet, Heiland für eine bestimmte Gruppe, etwa für die Kranken. Nein, „Heiland der Welt“ besagt der universale Heiland, der einzige universale Heiland, der für alle Heilandsdienst verrichtet, der für alle der Heiler, der Retter, der Erlöser ist. „Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren.“

Das ist also, meine lieben Freunde, der Sinn und die Herkunft des wichtigen Titels, den wir unserem Jesus geben, Heiland. Im Norden Amerikas lebten und leben Reste indianischer Stämme. Und vor einiger Zeit hat ein Missionar einen schwerkranken Indianer in seiner letzten Stunde noch zum Christen machen können. Er spendete ihm die Taufe. Der Mann ging auf alles ein, und auf diese Weise hat er ihm die Seele gewaschen und ihn für die Ewigkeit bereitet. Als der Priester fertig war, sagte ihm der alte Indianer: „Schwarzrock, sage mir noch einmal den Namen dessen, der mich so geliebt hat und für mich gestorben ist!“ Der Missionar griff nach seinem Kreuz, das er auf der Brust trug, reichte es ihm, zeigte es ihm und sagte zu dem Indianer: „Sieh, das ist er, unser Heiland Jesus Christus!“ Da wurde der Mann zu Tränen gerührt, und mit tränenden Augen umfaßte er das Kreuz und küßte es und sagte: „Lieber Jesus, wie tut es mir leid, daß ich dich so spät erkannt habe. Hätte ich dich früher kennengelernt, wie hätte ich dich lieb gehabt!“

Ja wahrhaftig, meine lieben Freunde, wer einmal begriffen hat, wer und was unser Heiland Jesus Christus ist, der Erlöser, der Retter, der uns den Weg in die Ewigkeit bahnt, der Anführer des Heiles, wie ihn einmal Petrus in einer Predigt der Apostelgeschichte bezeichnet, wer das also begriffen hat, der kann das Wort Heiland nur mit Ergriffenheit und mit Liebe und mit Dankbarkeit aussprechen. „Du Heiland der Welt, du unser göttlicher Meister, erbarme dich unser und ziehe uns an dein Herz!“

Amen.

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