Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
9. Juli 1989

Jesus, der metaphaysische Sohn Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Häufig wird heute an einen Priester von besorgten Eltern die Frage gestellt: „Was sollen wir denn machen? Unsere Kinder beten nicht mehr. Unsere Kinder gehen nicht mehr in den Gottesdienst. Unsere Kinder empfangen keine Sakramente mehr. Was sollen wir machen? Wie ist es dazu gekommen?“

Die Antwort auf diese Frage ist nicht schwer, meine lieben Freunde. Wer nicht mehr betet, wer nicht mehr den Gottesdienst besucht, wer keine Sakramente mehr empfängt, der unterläßt all diese Dinge, weil sie ihm keinen Wert mehr bedeuten. Und sie bedeuten ihm keinen Wert mehr, weil er nicht mehr daran glaubt! Am Anfang steht der Zusammenbruch des Glaubens, und dann folgt der Zusammenbruch der religiösen Praxis.

Diesen Zusammenhang kann man an den Religionsbüchern unserer Kinder deutlich machen. Wenn in diesen Religionsbüchern ein gewisser Jesus von Nazareth an die Seite von Gustav Heinemann oder von Willi Brandt oder von Dag Hammaskjöld oder von Martin Luther King gestellt wird, dann ist es kein Wunder, daß in den so belehrten Kindern der Glaube zusammenbricht. Denn es kann ja sein, daß sie weder für Brandt noch für Heinemann zu begeistern sind, was völlig legitim ist, daß man aber den Unterschied hervorheben muß, der zwischen zweifelhaften politischen Gestaltern und Jesus von Nazareth besteht, vor dem sich nach Gottes Willen jedes Knie auf Erden beugen soll. Wenn man also den Kindern nicht klar macht, daß es sich bei Jesus um eine absolut unvergleichliche Persönlichkeit handelt, daß es nur einmal und ein einziges Mal geschehen ist, daß Gott über diese Erde wandelte, wenn also die Gottessohnschaft Jesu nicht feststeht, dann ist alles andere umsonst, dann kann man den Religionsunterricht einstellen.

Das ist der Grund, meine lieben Christen, warum wir uns seit vielen Sonntagen bemühen, Antwort auf die Frage zu finden: Wer ist Jesus? Was haltet ihr von ihm? Wir haben am vergangenen Sonntag die Antwort gegeben: Jesus ist der Sohn Gottes! Aber auch diese Antwort ist noch nicht genügend; denn die Theologen unterscheiden den moralischen und den metaphysischen Sohn Gottes. Moralischer Sohn Gottes, das besagt: Ein Mensch, der in einer besonderen Nähe zu Gott steht, der ein besonderes Verhältnis zu Gott hat, der aus Glaube, Hoffnung und Liebe lebt, von dem kann man in gewissem Sinne sagen, er sei ein Sohn, ein Kind Gottes. Aber das ist natürlich nicht eine volle Wesensbeschreibung unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus. Er ist nicht bloß ein moralischer Sohn Gottes, er ist der metaphysische Sohn Gottes. Was besagt das, der metaphysische Sohn Gottes?

Um wenige Geheimnisse des Glaubens hat die Kirche so gerungen wie um die Gottessohnschaft Jesu. Weil eben die Bezeichnung „Sohn Gottes“ allein noch nicht genügend ist, hat sie durch scharf umrissene Begriffe dieses Geheimnis auszuloten sich bemüht und für alle Zeiten verbindlich festgelegt. Das ist geschehen auf dem Konzil von Nizäa im Jahre 325. Da wurden in das Glaubensbekenntnis die Worte eingefügt „eines Wesens mit dem Vater“. Jesus ist eines Wesens mit dem Vater. Er besitzt dasselbe Wesen wir der Vater, er hat dieselbe Natur wie der Vater. Der Vater und der Sohn unterscheiden sich nicht im Wesen, sondern sie sind wesensgleich – homoousios. Um dieses Wort, um dieses griechische Wort homoousios (wesensgleich) hat jahrhundertelang der Streit getobt. Ganze Völker haben sich dem Arianismus verschrieben – vor allem die Germanen –, der dieses homousios ablehnt und nur sagte „homoiousios“ – wesensähnlich. Nein, sagt der Rechtgläubige, nicht wesensähnlich, sondern wesensgleich, „homoousios“. Das ist also die Wahrheit, die wir heute bekennen, wenn wir sagen: Jesus ist der Sohn Gottes, er ist „eines Wesens mit dem Vater“.

Nun sollte man meinen, damit wäre die Debatte abgeschlossen. Aber weit gefehlt, weit gefehlt, meine Christen! Alle diese Irrtümer kommen in den Religionsbüchern, die Eueren Kindern zugemutet werden, wieder zutage. Ich erinnere etwa an das Religionsbuch für Acht- bis Zwölfjährige von Brigitte Blasius und Karlheinz Ohlig. In diesem Religionsbuch, in dem faktisch alle wesentlichen Wahrheiten des katholischen Glaubens geleugnet werden und das mit der Genehmigung des Generalvikars des Erzbistums München und Freising erschienen ist, wird Jesus in eine Art Sozialarbeiter verwandelt. Die wesentlichen Tatsachen des Lebens Jesu werden dort als bildhafte Erzählungen ausgegeben, welche die Jünger erfunden haben, weil sie sich über Jesus freuten und weil sie damit ausdrücken wollten, was er ihnen bedeutete. Das ist geradezu rührend, nicht wahr? Weil sie sich über ihn freuten, gaben sie ihm die gewaltigsten Namen.

Jedermann wird fragen: Ja, wie kommen die Jünger dazu, welche Berechtigung haben sie, Jesus die gewaltigsten Namen zu geben? Und so erklärt dann dieses Gespann Blasius-Ohlig die Namen, die Jesus gegeben werden. Was bedeutet der Name „Herr“? Das wissen die beiden ganz genau: Herr bedeutet, daß Jesus den Willen Gottes verkündet hat wie kein anderer und daß wir ihm deswegen folgen müssen und ihn als „Herrn“ ansprechen. Ja, meine lieben Christen, weil jemand den Willen Gottes verkündet, deswegen wird er doch nicht zum Herrn, denn wie wir gesehen haben, bedeutet jemanden als Herrn bezeichnen ihn Gott gleichsetzen! Wenn Jesus nur deswegen Herr ist, weil er den Willen Gottes verkündet hat, dann wird er ja von seiner gottgleichen Stellung herabgestuft zu einem erlauchten Propheten.

Und so erklären die beiden auch die Worte „Sohn Gottes“. Sohn Gottes ist Jesus, weil er eben eine besondere Nähe zu Gott hatte, weil er ein besonderes Verhältnis zu Gott hatte, weil er „wie ein Kind seinem Vater nahesteht“. Wie ein Kind seinem Vater! Hier wird also ein Vergleich gemacht. Wenn ich wie ein Löwe kämpfe, dann bin ich deswegen nicht ein Löwe. Und wenn Jesus wie ein Kind dem Vater nahesteht, Gott nahesteht, dann ist er damit nicht Gottes Sohn. „Wie ein Kind sein“ ist doch nicht dasselbe wie „ein Kind sein“! So wird in diesem Buch der Glaube Euerer Kinder abgetrieben. Andere tun es diesen Verfassern, für die ich nur ein Beispiel gebe, gleich.

In Saarbrücken wird der ganze Religionslehrernachwuchs für das Saarland ausgebildet; für ein ganzes Bundesland. In Saarbrücken lehrt Josef Blank, der Theologe Josef Blank, der ein Buch über Jesus von Nazareth geschrieben hat. Und auch er erklärt, warum Jesus Gottes Sohn ist. Er ist Gottes Sohn, weil er aus Vertrauen, Liebe und Hingabe lebt. Nun, aus Vertrauen, Liebe und Hingabe leben viele andere auch und werden doch deswegen nicht Gottes Sohn. Blank sagt: Jesus ist Gottes Sohn, weil in ihm die radikale Liebe Gottes uns begegnet. Nun, die radikale Liebe Gottes begegnet uns auch in Maximilian Kolbe, der sein Leben im Konzentrationslager für einen anderen Häftling dahingegeben hat. Deswegen wird doch Maximilian Kolbe nicht Gottes Sohn! Nach Blank ist Jesus Gottes Sohn, weil er der menschlichste der Menschen ist. Ja, ich dachte immer, Jesus wäre der göttlichste der Menschen, der einzig göttliche der Menschen und nicht der menschlichste der Menschen. Alle diese Irrlehren werden – das Buch ist in mehrfacher Auflage erschienen – heute unseren Jugendlichen, unseren Kindern, unseren angehenden Religionslehrern geboten. Und das alles geschieht mit Wissen und ohne energisches Eingreifen der Bischöfe!

Kein Wunder, meine lieben Freunde, daß die Lage des Glaubens Euerer Kinder so ist, wie sie uns leider Gottes vor Augen steht. Damit ist es aber nicht genug. Die Probe auf unser Verhältnis zu Jesus ist das Beten zu ihm. Wenn ich an Jesus glaube als den wesensgleichen Gottessohn, dann bete ich zu ihm genauso wie zum Vater. Ich rufe Jesus genauso als den allmächtigen Gott an wie den Vater im Himmel. Aber das Buch „Glauben, Leben, Handeln“, das Eueren Kindern in die Hände gegeben wird, weiß nichts vom Beten zu Jesus. Es weiß nur etwas vom Beten zu Gott, dem Vater. Bei solchen Tatsachen fühle ich mich immer erinnert an den evangelischen Theologen Herrmann, der auf die Frage: „Zu Jesus beten?“ die Antwort gegeben hat: „Da könnte ich ja ebensogut zu meiner Großmutter beten.“ Das ist der radikale Unglaube! Und leider Gottes gibt es Erscheinungen in unserer Kirche, die diesem Unglauben Nahrung geben, die in die Nähe dieses Unglaubens führen. Ich erinnere an einige Texte aus dem neuen Meßbuch. Am Palmsonntag wird bekanntlich der Christushymnus aus dem Philipperbrief vorgetragen. Der Christushymnus, ein uraltes Bekenntnislied auf Christus, im Brief des heiligen Paulus an die Philipper aufbewahrt, beginnt damit, daß es heißt: „Er, der in Gottesgestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich.“ Er, der in Gottesgestalt war! Aus diesem wunderbaren Satz macht die neue Übersetzung: „Er war wie Gott.“ „Wie Gott sein“ ist nicht dasselbe wie „Gott sein“. Wer wie Gott ist, muß nicht gleich Gott sein. Der ursprüngliche Text sagt: Er hielt an seinem Gott-gleich-Sein, an seiner Gottesgestalt – das ist die Natur, von der das Konzil von Chalkedon spricht –, er hielt an seiner Gottesgestalt nicht wie an einem Raub fest, den man eben gewaltsam umklammert. Die neue Übersetzung sagt: „Er hielt nicht daran fest, Gott gleich zu sein.“ Ja, hat er dann aufgehört? Die Frage stellt sich. Wenn er nicht daran festhielt, dann scheint er ja aufgehört zu haben, Gott gleich zu sein. Diese Übersetzung ist also zumindest gefährlich. Und wenn man daran denkt, daß im Gloria der heiligen Messe es jetzt nicht mehr heißt, daß Christus ist „in der Herrlichkeit Gottes des Vaters“, sondern daß er ist „zur Herrlichkeit Gottes des Vaters“, wird man wieder hellhörig. Wenn Christus nämlich in der Herrlichkeit Gottes des Vaters ist, dann ist er dem Vater gleichgeordnet. Wenn er dagegen „zur“ Herrlichkeit Gottes des Vaters ist, dann ist er dem Vater untergeordnet.

Am Christkönigsfest beteten wir im alten Meßbuch darum, daß die Welt, die der Sünde unterworfen ist, davon befreit und Christus, dem König, unterworfen wird. Das Gebet richtet sich an Christus, den König. Beten zu Jesus. Das neue Meßbuch gibt diese Richtung auf. Da richtet sich das Gebet nicht mehr an Jesus, sondern an den Vater. Warum denn? Ist Christus nicht der Gottkönig, als den wir ihn am Christkönigsfest feiern? Und wenn er das ist, muß ich da nicht zu ihm beten und ihn anflehen, daß die Welt, die der Sünde unterworfen ist, durch seine Macht davon befreit wird?

Das sind Beispiele, meine lieben Christen, Beispiele für gefährliche Veränderungen, die sich auch in unserem gottesdienstlichen Leben vollziehen. Hier muß eine Wende kommen, wenn unserem Volk, vor allem unseren Kindern der Glaube erhalten oder wiedergegeben werden soll.

Wir wollen uns bemühen, diesen ganzen, ungebrochenen Glauben an unseren Herrn Jesus Christus zu bewahren. Denn an diesem Glauben hängt unser Heil. Der Apostel Johannes schließt sein Buch, das Johannesevangelium, mit dem Satze: „Das ist aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist.“ Jawohl, das muß unser Glaube sein: Jesus, der Messias, ist der wesensgleiche Sohn Gottes. Er ist nicht bloß der moralische, er ist der metaphysische Sohn Gottes. Er ist der Sohn Gottes, zu dem wir beten können, ja beten müssen. Er ist die zweite Person in der Gottheit, dem Vater gleich an Wesen, Macht und Herrlichkeit. Er ist jener Gott, vor dem der Apostel Thomas in die Knie sank und sprach: „Mein Herr und mein Gott!“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt