Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. Mai 1989

Komm, Heiliger Geist

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Pfingstfreude Versammelte!

„Ich werde euch den Tröster senden.“ Diese Verheißung hat der Herr seinen Jüngern gemacht, als er nach der letzten Erscheinung in die Herrlichkeit des Vaters aufgenommen wurde. Er hat den Tröster, den Parakleten, den Beistand, den Anwalt – wie man das Wort auch übersetzen kann – gesandt und hat ihm Funktionen aufgetragen, die er seitdem in seiner Kirche als dem Ort des Heiligen Geistes, als dem spezifischen Ort der Gegenwart des Heiligen Geistes, ausübt. „Er wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe, und er wird euch in alle Wahrheit einführen.“

Zwei Funktionen übt dieser Heilige Geist aus in seiner Kirche. An erster Stelle erinnert er an alles, was Jesus gesagt hat. Das darf nicht untergehen. Das darf nicht verkürzt, das darf nicht verfälscht, das darf auch nicht vermehrt werden. Der Geist erinnert an alles, was Jesus gesagt hat.

Er führt aber auch zweitens die Jünger in die ganze Wahrheit ein, d.h. er interpretiert ihnen das, was Jesus gesagt hat. Er ist der Geist, der bei der Lesung der Heiligen Schrift denjenigen, der sich seinem Wirken öffnet, die Wahrheit erkennen läßt. Er ist der eigentliche Interpret von Schrift und Tradition. Dadurch führt er in alle Wahrheit ein.

Unter dem Wirken dieses Geistes hat die Kirche seit zweitausend Jahren unverändert und unermüdlich die Heilige Schrift und die Tradition so verstanden, wie sie von Anfang an gemeint waren. Dazu gehört, daß die Geschehnisse, welche in der Heiligen Schrift berichtet sind, auch als Geschehnisse stehengelassen werden; daß also die Wunder Wunder bleiben und sich nicht in Wundererzählungen oder Wundergeschichten, d.h. erfundene Legenden, verwandeln. Seine Funktion, die Wahrheit in der Kirche zu erhalten, hat dieser Heilige Geist auf dem I. Vatikanischen Konzil im Jahre 1870 mit besonderer Kraft vorgenommen. Auf diesem Konzil im Jahre 1870 hat er die Väter des Glaubens, die Bischöfe des ganzen Erdenrundes, angeleitet, als Glaubenssatz zu verkünden: „Wer sagt, Wunder könnten nicht geschehen, und alle Berichte über solche seien den Fabeln zuzuweisen, und wer sagt, Wunder könnten niemals bewiesen werden, und mit ihnen könne man nicht die göttliche Herkunft des Christentums beweisen, der sei ausgeschlossen.“ Das war Wirken des Heiligen Geistes. Das war Einführung in die Wahrheit.

Doch wie kommt es dann, meine lieben Freunde, daß wir in der Gegenwart, etwa beginnend mit dem II. Vatikanischen Konzil, in unserer Kirche fortwährend mehr eine Entleerung der Evangelien, eine weitgehende Leugnung ihrer Geschichtlichkeit, vor allem eine Ausräumung der Wunder erleben? Wie ist das möglich, wenn der Heilige Geist die Kirche in alle Wahrheit einführt und wenn er sie an alles erinnert, was Jesus gesagt und getan hat?

Das Wirken des Heiligen Geistes, meine Christen, ist kein naturhafter Vorgang. Der Regen fällt, ob die Menschen wollen oder nicht. Die Sonne scheint, ob es ihnen genehm ist oder nicht. Aber der Geist, der Heilige Geist, wendet sich an den freien Willen des Menschen. Er klopft gleichsam an die Tür des Herzens und wartet, ob man ihm öffnet. Wer ihm öffnet, bei dem tritt er ein, nimmt Wohnung und erleuchtet seinen Verstand, dem schenkt er seine Gaben, in dem erzeugt er seine Wirkung. Aber wer sich ihm nicht öffnet, der bleibt in der Finsternis und der kommt dazu, die Evangelien zu Propagandamärchen umzustilisieren.

Wir haben an den vergangenen Sonntagen die Wunder Jesu uns vor Augen geführt. Wir sprachen von seinen Totenerweckungen, von seinen Krankenheilungen, von der Befreiung Besessener. Wir haben seine Naturwunder vor uns vorüberziehen lassen. Es gibt ganz ergreifende unter diesen Geschehnissen, etwa, wie er das Töchterlein des Synagogenvorstehers Jairus aus dem Tode erweckt. Es war zwölf Jahre alt, so berichtet der Evangelist. Aber was schreiben die nachkonziliaren Schriftgelehrten, die dem Heiligen Geist den Weg in ihre denkerische Potenz versperren? In der Geschichte des Jairus – ich zitiere jetzt doppelt –, in der Geschichte des Jairus spricht sich der Glaube der Gemeinde aus, daß mit Jesu Wirken die Endzeit, in der die Toten auferweckt werden, angebrochen ist.

Da muß man stutzen. In diesem Bericht „spricht sich der Glaube der Gemeinde aus“. Jedermann wird fragen: Ist dieser Glaube berechtigt oder nicht? Hat dieser Glaube etwa das Wunder erzeugt, d.h. in dichterischer Freiheit erfunden, oder stützt sich dieser Glaube auf etwas, was tatsächlich geschehen ist? In den Wundern oder aus den Wundern, schreibt derselbe Schriftgelehrte, erkennt man, wer Jesus ist. Ja, aber doch nur, wenn diese Wunder wirklich geschehen sind. Wenn sie sich nicht ereignet haben, wenn man Jesus die Wunder nur nachgesagt und zugeschrieben hat, dann sieht man doch daraus nicht, wer Jesus ist, sondern nur, wofür er von enthusiastischen Anhängern gehalten wurde, wofür er fälschlich von ihnen gehalten wurde.

Diese Leugnung der Wunder, diese Ausräumung der Geschichtlichkeit ist heute weit verbreitet. Sie geht von den Lehrstühlen der Theologie in die Lehrbücher der Kinder ein. Soeben, meine Freunde, hat ein gläubiger Luxemburger Theologe, Francois Reckinger, Schulbücher für den Religionsunterricht untersucht. Bei dieser Untersuchung kommt er zu folgendem Ergebnis: „Was Theologieprofessoren seit den sechziger Jahren ungehindert lehren, wirkt sich seit Jahrzehnten massiv und zunehmend in weit verbreiteten Religionsbüchern aus: Wegdiskutieren des Wunders, Leugnung der Jungfrauengeburt, der Existenz der Engel und des Teufels, Umdeutung der Erbsünde, Vernebelung der wahren Gottheit Jesu, vor allem durch Verschweigen seiner Präexistenz, Umdeutung der Auferstehung im Tode, Unterschlagung der Lehre vom Gericht Gottes und der ewigen Verdammnis, Ablehnung pauschaler Ansichten zur Frage der vorehelichen Geschlechtsgemeinschaft.“

Das ist das Wirken des Gegengeistes gegen den Heiligen Geist. Das ist das Wirken jener, die sich dem Heiligen Geiste nicht geöffnet haben, sondern sich ihm verschließen. Das ist die verhängnisvolle Tätigkeit jener, bei denen der Heilige Geist mit seiner Wahrheit nicht mehr ankommen kann. Wenn Jesus keine Wunder gewirkt hat, wenn Jesus nicht Tote erweckt und den Seesturm gestillt hat, dann ist er nicht der gottgesandte Messias, dann ist er nicht der metaphysische Gottessohn, dann ist er ein Pseudomessias und ein Hochstapler. Dann sind die Evangelisten Betrüger, und wir sind Betrogene.

So ernst, meine lieben Christen, müssen wir die Lage in unserer Kirche sehen. Das alles geschieht ungehindert von den Bischöfen. Das alles geschieht an Tausenden und Abertausenden von Stellen. Das alles geschieht, ohne daß wirksame Maßnahmen dagegen ergriffen werden. Dafür kann man nicht den Heiligen Geist verantwortlich machen, denn der Heilige Geist zwingt nicht. Er lädt ein, er wirkt ein, er klopft an, aber der Heilige Geist drängt nicht und zwingt nicht in eine bestimmte Richtung.

Vom Wunderstern in Bethlehem bis zum Erdbeben beim Tode des Herrn reiht sich Wunder an Wunder in diesem wahrhaftig wunderbaren Leben unseres Herrn. Alle Wunder Jesu erfahren ihre Krönung und Aufgipfelung in seiner Auferstehung. Nicht ein irrationaler Glaube hat die Auferstehung erzeugt, wie manche dieser Schriftgelehrten behaupten, sondern die Erscheinungen und das leere Grab haben die Jünger zu der Überzeugung gebracht: Jesus ist wahrhaftig, das heißt leibhaftig auferstanden. Er ist nicht bloß im Glauben der Jünger auferstanden, d.h. in einer ideologischen Annahme, sondern er ist wahrhaftig auferstanden und geht uns voran in den Himmel, um uns eine Wohnung zu bereiten.

Die Wunder Jesu haben eine so tröstliche und verheißungsvolle Bedeutung. In den Wundern Jesu kündigt sich nämlich der neue Himmel und die neue Erde an. In den Wundern zeigt uns der Herr, daß er Macht hat über die Elemente und daß er uns also aus Tod und scheinbarem Untergang retten kann, daß er fähig ist, uns vom Tode des Leibes zu erwecken, daß er willig ist, uns eine Wohnung bei sich zu bereiten. Seine Wunder sind eine Verheißung, eine Verheißung, die auf Tatsachen beruht, also nicht bloß auf Worten, sondern er hat sich als der erwiesen, der der Herr der Zukunft ist, weil er der Herr der Gegenwart war. Er hat sich als der erwiesen, der alle Angst vor den Elementen und alle Sorge vor dem Untergang von uns nehmen kann, weil er als Schöpfer dieser Erde, als Schöpfer der Welt den Elementen gebieten kann: „Schweige! Verstumme!“

So haben wir also, meine lieben Freunde, die wir uns dem Wirken des Geistes öffnen wollen, Anlaß zur Freude. Wir sind nicht Fabeln nachgelaufen, als wir uns zu Jesus, dem Wunderheiland, bekannten, nein, wir haben den Berichten von Augen- und Ohrenzeugen getraut. Die Apostel sind für die Wahrhaftigkeit ihrer Berichte, nicht ihrer Phantasien in den Tod gegangen. Man geht nicht für phantastische Erfindungen in den Tod, wohl aber für Tatsachen, von denen einmal Petrus sagt: „Wir können nicht schweigen von dem. was wir gesehen und gehört haben.“ Wir können es nicht, selbst wenn wir es wollten.

Und so ist also, meine lieben Freunde, der heutige Tag ein Freudentag, der Tag, an dem Gott uns seinen verheißenen Geist gesandt hat; diesen Geist, der die Kirche in der Wahrheit hält und der sie in alle Wahrheit einführt; diesen Geist, der sie an alles erinnert, was Jesus gesagt und getan hat; diesen Geist, der uns das Verständnis der Heiligen Schrift und der Tradition aufschließt; diesen Geist, der fähig ist, auch Ungläubige zu bekehren, sobald sie aufhören, sich seinem Einflusse zu verweigern.

So soll unser heißes Gebet an diesem Pfingstsonntag sein: „Herr, sende aus deinen Geist, und alles – alles – wird neu geschaffen, und du wirst das Antlitz der Erde erneuern. Du wirst hineinfahren in die verdunkelten Seelen und sie erhellen mit deinem Lichte. Komm, o Heiliger Geist, komm, o komm mit deiner Macht und mit deiner Gnade!“

Amen.

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