Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
4. Dezember 1988

Die Auferstehung der Toten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn Tod und Gericht vorüber sind und die Verfügung Gottes über Himmel und Hölle gefallen ist, denn ist das Schicksal des Einzelmenschen entschieden. Er weiß endgültig, wohin er für eine Ewigkeit gehört. Aber auch die, über die das Los gefallen ist, leben noch in einer Erwartung. Sie leben in einer mehrfachen Erwartung. Sie erwarten die Auferstehung des Fleisches, sie erwarten die Wiederkunft Christi, und sie erwarten das Endgericht. Diese drei Themata werden uns an den kommenden Sonntagen beschäftigen. Heute müssen wir uns mit dem ersten dieser Gegenstände beschäftigen, nämlich mit der Auferstehung der Toten.

Die Bezeichnung „Auferstehung der Toten“ ist entnommen dem nicäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis, also jenem Glaubensbekenntnis, das wir in jeder heiligen Messe beten. In dem apostolischen Glaubensbekenntnis heißt es „Auferstehung des Fleisches“. Beides sagt inhaltlich dasselbe, aber der Unterschied in der Formulierung deutet darauf hin, daß hier eine sehr komplexe Wirklichkeit ausgesagt wird. Die Auferstehung des Fleisches ist vielleicht einer der Glaubensartikel, die dem Menschen am meisten zu schaffen machen, weil wir sie uns nicht vorstellen können. Tatsächlich, wir können uns dieses Geschehen nicht vorstellen. Es ist so unbegreiflich, wie die Erschaffung der Welt aus nichts, allein aus der Allmacht Gottes, unbegreiflich ist. Wir wollen zunächst den Inhalt dieser Wahrheit bedenken und darum fragen: Können wir uns wenigstens gewisse Verständnishilfen verschaffen?

Ja, das können wir, wenigstens mit Hilfe des Inhalts dieser Wahrheit. Die Auferstehung des Fleisches ist der Schlußpunkt des ganzen Heilandswirkens Jesu. Sie ist der Zielpunkt des ganzen Christenlebens, und sie ist der Endpunkt des ganzen Menschheitslebens.

Die Auferstehung des Fleisches ist erstens der Schlußpunkt des ganzen Christuslebens. Christus ist durch Menschwerdung, Auferstehung und Himmelfahrt in die Herrlichkeit des Vaters eingegangen. Seine Menschwerdung sollte alle Menschen erlösen, erlösen im Leib und in der Seele. Die Erlösung ist eine Wirklichkeit, die nicht nur die Seele erfaßt, sondern auch den Leib. Als der Herr, nachdem er sein Werk getan hatte, am Kreuze starb und wieder auferstand, da wurde sein totes Fleisch vom Vater im Himmel lebendig gemacht und verwandelt. In verklärter Gestalt ist er dem Grabe entstiegen und in den Himmel aufgefahren. Seine Auferstehung sollte das Vorbild und das Unterpfand unserer Auferstehung sein; denn es gilt das Prinzip: Was am Haupte geschieht, das muß auch an den Gliedern geschehen. Es gibt eine Solidarität, ein Gesetz der Solidarität zwischen Haupt und Gliedern. Was sich am Haupte vollzieht, das muß sich auch an den Gliedern vollziehen. Wenn also der Herr auferstanden ist, dann müssen auch wir auferstehen, und wenn der Herr in den Himmel entrückt wurde, in die Seligkeit des Vaters, dann müssen auch wir in die Seligkeit des Vaters eingehen können.

Ein altes Axiom sagt: „Die Auferstehung Christi ist unsere Erhebung in die Seligkeit Gottes.“ Kraft unserer Verbundenheit mit Christus muß sich an uns, seinen Gliedern, ereignen, was an ihm, dem Haupte, geschehen ist. Er ist der Stammvater der ganzen Menschheit, und was am Stammvater sich zutrug, das muß auch an allen, die seine Nachkommen sind, allen, die zu ihm gehören, vor sich gehen. Deswegen ist die Auferstehung des Fleisches, die Auferstehung der Toten die Krönung, der Schlußpunkt des ganzen Heilandswirkens. Ohne die Auferstehung des Fleisches fehlte diesem Wirken etwas.

Die Auferstehung des Fleisches ist aber auch zweitens die Krönung und der Zielpunkt des ganzen Christenlebens. Was geschah in der Taufe? Wir wurden Christus eingegliedert, Christus verähnlicht. Diese Ähnlichkeit ist noch nicht vollkommen. Sie ist erst vollendet, wenn wir mit Seele und Leib in der Verklärung des Himmels mit ihm herrschen und uns freuen dürfen. Erst dann hat die Taufe ihr Ziel erreicht. Erst dann ist die Verähnlichung mit Christus vollkommen.

Was ist die Firmung? Sie ist die Begabung mit dem Heiligen Geist. Dieser Geist ist der Geist der Unverweslichkeit und der Unsterblichkeit, und bevor dieser Geist nicht unseren sterblichen Leib in die Unsterblichkeit verwandelt hat, ist auch die Firmung, ist die Wirkung der Firmung nicht vollendet. Es muß, was in uns angelegt wurde durch den Heiligen Geist, hervorkommen in der Auferstehung des Fleisches.

Was ist die Kommunion? Sie ist Vereinigung mit dem Heilande, mit dem lebendigen Gott. Sie ist Arznei der Unsterblichkeit. Und bevor wir diese Unsterblichkeit nicht auch dem Fleische nach gewonnen haben, ist auch der Sinn der heiligen Kommunion noch nicht erfüllt. Wir kommunizieren uns hinein in das ewige Leben auch des Leibes. Ja, die Kommunion ist zweifellos Speise für die Seele, sie ist aber auch in gewisser Hinsicht Speise für den Leib, insofern durch sie Unsterblichkeitskeime eingesetzt werden, die einmal wunderbar aufleuchtend hervorbrechen sollen bei der Auferstehung des Fleisches.

Die Auferstehung des Fleisches ist drittens der Endpunkt des ganzen Menschheitslebens. Die Schöpfung ist deswegen erfolgt, weil Gott seine Liebe verströmen wollte, weil er seine Geschöpfe zum Ebenbild seiner selbst machen wollte. Aber dieses Ebenbild ist eben noch nicht vollkommen, wenn nicht beide Teile des Menschen, Leib und Seele, in der Seligkeit vorhanden sind. Die Seelen, die jetzt in der Ewigkeit weilen, sind noch in der Erwartung, sie sind noch in einem Zustand der Vorerfüllung. Dieser Zustand der Unvollkommenheit wird erst zur Vollkommenheit gewandelt, wenn auch das Fleisch in verklärter Weise sich der Seele wieder zugesellt. Die Erhebung, die gnadenhafte Erhebung des Menschen sollte auch den Leib ergreifen. Auch der Leib sollte aus Gott, in Gott und für Gott leben. Und das geschieht erst in vollkommener Weise, wenn nicht mehr diese irdische Zeltwohnung uns umkleidet, sondern wenn uns der pneumatische, der vom Geist durchwirkte Leib in der Auferstehung geschenkt wird.

Und ebenso ist es mit der Beseligung. Die Beseligung ist nicht zu ihrer letzten Vollendung gekommen, bevor sie nicht den Leib ergriffen hat. Erst der mit Leib bekleidete Mensch, erst der vollkommene Mensch ist das Ziel des ganzen Menschheitslebens. Erst dann, wenn die Auferstehung der Toten erfolgt ist, erst dann ist die Vollendung des Menschheitslebens gewährleistet.

Das also, meine lieben Freunde, ist der Inhalt dieser Wahrheit. Die Auferstehung der Toten, die Auferstehung des Fleisches ist der Schlußpunkt des ganzen Heilandslebens, sie ist der Zielpunkt des ganzen Christenlebens und sie ist der Endpunkt des ganzen Menschheitslebens.

Können wir etwas von dieser Wahrheit begreifen, so daß sie unserem Verständnis näher kommt? Nun, ich erinnere an ein Wort, das der große Philosoph und Mathematiker Pascal gesprochen hat: „Ich vermag nicht einzusehen,“ schreibt einmal Pascal, „wieso es schwieriger sein soll, den Seelen ihren Leib zurückzugeben, als aus nichts eine Schöpfung hervorzubringen.“ Also (das ist der Gedankengang von Pascal): Was Gott zuerst getan hat, nämlich aus dem Nichts eine Welt, eine unermeßliche Welt zu schaffen, aus der Kraft seiner Majestät eine Welt hervorzubringen, das ist doch mindestens ebenso schwer gewesen, wie aus toten Leibern verklärte lebendige Leiber zu schaffen.

Der englische Physiker und Mathematiker Newton, der ein sehr gläubiger Mann war, wurde einmal gefragt: „Wie stellen Sie sich denn eigentlich die Auferstehung von der Toten vor? Wie soll das möglich sein?“ Da nahm Newton eine Handvoll Eisenfeilspäne, also Abfall, der entsteht, wenn man Eisen feilt, und mischte sie unter Sand. Dann sagte er zu dem Frager: „Können Sie diese Eisenfeilspäne aus dem Sand wieder herausholen?“ „Nein.“ Da nahm Newton einen Magneten, und kraft dieses Magneten sammelten sich die Eisenfeilspäne an diesem Stück Eisen. „Der Gott,“ sagte Newton, „der dem toten Eisen diese Kraft verliehen hat, der sollte nicht fähig sein, uns einen verklärten Leib zu verschaffen?“

Denken Sie, meine lieben Freunde, auch an so manche Vorgänge in der Natur! Wenn man eine kleine, zwei Zentimeter große Eichel in der Hand hält und daneben, etwa im Gonsenheimer Wald, einen der großen Eichbäume betrachtet, dann sollte man nicht für möglich halten, daß dieser Rieseneichbaum einmal aus einer so winzigen Eichel geworden ist. So unähnlich sind sich ja beide, nicht wahr, dieses kleine Eichelchen und dieser riesige, mit vielen Ästen und Zweigen versehene Baum. Oder denken Sie an die lebendige Natur der Tiere, etwa einen Schmetterling. Ein Schmetterling ist ja aus einer Raupe geworden. Die Raupe hat sich verpuppt, und aus der Puppe ist dann der Schmetterling hervorgekommen. Sieht denn der Schmetterling der Raupe ähnlich? Ganz und gar nicht, er sieht ihr ganz unähnlich. Aber dieser Schmetterling ist aus einer Raupe geworden.

Das alles ist in der Natur möglich. Soll es Gott, der diese Natur geschaffen hat, unmöglich sein, uns einen neuen Leib zu geben, einen Leib, der anders ist als dieser vergängliche, mit Krankheiten, Leiden und Schmerzen behaftete Leib? Ein durchfeuerter, ein durchpulster, ein vom Geist verklärter Leib, ein Leib, ähnlich dem Leibe Jesu, der durch Türen gehen konnte, der plötzlich kam und verschwand, ein Leib, der keine Bedürfnisse mehr hat, ein Leib, der nicht mehr den Schmerzen und Leiden unterworfen ist, einen solchen Leib zu schaffen sollte Gott unfähig sein?

Der heilige Paulus sagt: „Wenn es keine Auferstehung von den Toten gibt, dann ist auch Christus nicht auferstanden.“ Denn wenn eben der ausnahmslose Grundsatz gilt: Es kann niemand auferstehen, dann kann auch Christus nicht auferstehen. Aber: Contra facta non valent argumenta – Gegen Tatsachen kann man mit Argumenten, mit Verstandesbeweisen nichts machen. „Tatsachen sind hartnäckige Dinge,“ hat einmal Lenin gesagt, und das sind sie tatsächlich.

Wenn Christus auferstanden ist – und das bezeugen seine Jünger –, dann gibt es eben eine Auferstehung von den Toten. Und wenn er als Stammvater auferstanden ist, dann werden wir mit ihm auferstehen, dann wird sich an uns erfüllen, was an ihm geschehen ist und, wie wir glauben, auch an seiner heiligen Mutter geschehen ist, die mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen worden ist.

Christus heißt uns hoffen. Unsere Hoffnung ist nicht auf Überlegungen und auf Vorstellungen gegründet, unsere Hoffnung gründet auf den lebendigen Herrn Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist.

Amen.

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