Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
Mensch
24. Mai 1987

Der Zorn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Friedfertigkeit, von der wir am vergangenen Sonntag sprachen, ist der Zorn entgegengesetzt. Zornig ist, wer sich, wenn ihm etwas nicht gefällt, aufregt. Der Mensch, der zornig ist, verändert sich, sein Gesicht fängt an zu glühen, seine Augen sprühen Feuer, die Zunge stößt wilde Worte hervor, die Menschen stampfen im Zorn mit den Füßen auf, ergreifen Gegenstände und schleudern sie umher. Der Zorn verändert den Menschen, und so mancher, der sich im Spiegel sehen würde, wenn er zornig ist, würde eher und lieber daran gehen, den Zorn zu bekämpfen.

Es gibt auch die Rede von einem gerechten Zorn. Damit ist gemeint die Empörung über offenkundiges Unrecht und der Eifer für Gottes Sache. Der Eifer für Gottes Sache ist kein Zorn, sondern er ist eben das starke Bestreben, Gott und seine Ehre gefördert zu sehen. Solchen Eifer für Gottes Sache hatte Christus, als er die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel trieb. Solchen Eifer für Gottes Sache bewies Moses, als er vom Berge Sinai herabstieg und erkannte, daß das Volk sich ein goldenes Kalb gemacht hatte und es anbetete. Dieser Eifer, dieser glühende Eifer für Gottes Sache ist berechtigt, er ist ein Kind der Liebe, er ist geduldig und gütig, ohne Verwirrung und ohne Haß.

Der ungerechte Zorn unterscheidet sich dadurch vom gerechten Zorn, daß der von diesem Zorn Befallene sich selbst rächen will, daß er sich selbst, seine eigene Persönlichkeit, seinen Vorteil, seinen Nutzen betroffen sieht und dafür Rache nehmen will.

Der Zorn, meine lieben Freunde, hat viele Schäden im Gefolge. Es sind vor allem vier: Einmal schadet der Zornige seiner Gesundheit. Die Aufregung erschüttert den ganzen Körper. Wir wissen, daß im Zorn die Galle übertreten kann, und daß der Zorn deswegen die Gelbsucht zur Folge haben kann, ja so mancher ist im Zorne schon vom Schlage getroffen worden, z.B. der bedeutende Landsknechtsführer Georg von Frundsberg, der unter den Kaisern Maximilian und Karl V. gelebt hat. Der Zorn bringt den Menschen um seine Gesundheit. Der Zornige straft die Verfehlungen anderer an sich selbst, und deswegen ist der Zorn so töricht. Der Zornige fügt sich selbst am meisten, ja vielleicht allein Schaden zu.

Der zweite Schaden besteht darin, daß der Zornige die Vernunft verliert. Alle Unbilden erscheinen ihm vergröbert, er steigert sich hinein in seine Verletztheit und schießt mit seinem Zorn und mit den Äußerungen seines Zornes weit über das Ziel hinaus. Da stößt der Mensch Worte hervor, die er in normalem Zustande niemals über seine Lippen bringen würde. Der Zornige hat tatsächlich etwas von einem Wahnsinnigen, von einem Besessenen an sich. Der heilige Franz von Sales pflegte, wenn er jemanden im Zorne sah, zu beten: „Herr, vergib ihm, denn er weiß nicht, was er tut!“ Tatsächlich bringt der Mensch im Zorne Dinge zustande, die er in ruhigem Zustande nur schwer bereuen kann, Verletzungen, Verwundungen, Feindschaften, das alles wird im Zorn hervorgestoßen, ja bis zum Mord. Der große griechische König Alexander saß einmal beim Gelage und neben ihm sein Freund Kleitos, und Kleitos erzählte ihm von den Waffentaten, von den bedeutenden Waffentaten des Vaters Alexanders, Philipps von Makedonien. Er pries den Vater so, daß der Sohn eifersüchtig wurde, ergrimmte und seinen Freund Kleitos in der Aufregung, im Zorn mit dem Speer durchbohrte. Das hatte der Zorn getan.

Der dritte Schaden, den der Zorn dem Menschen zufügt, ist darin gelegen, daß der Zornige verhaßt wird bei den Menschen. Mit einem Zornwütigen will niemand etwas zu tun haben. Ein Zorniger wird ebenso gemieden wie ein Wolkenbruch oder ein verheerender Sturm. Der Zorn entfernt uns also von den Menschen, raubt uns die Zuneigung der Menschen, führt uns in die Isolierung. Der Zorn zerstört die Bande unter den Menschen.

Die vierte Wirkung des Zornes ist die Gefahr, ewig verloren zu gehen, denn der Zorn vertreibt ja den Heiligen Geist aus der Seele. Zorn, ungerechter Zorn und Gnadenstand sind unvereinbar. Der Zorn ist normalerweise eine schwere Sünde, eine Todsünde. Er zählt zu den Hauptsünden, zu den Wurzelsünden. Zorn und Heiliger Geist können nicht zusammen in einem Herzen wohnen. Wer aber den Heiligen Geist verliert, wer aus der Gnade herausfällt, der ist in Gefahr, ewig verloren zu gehen. Wenn Christus den Sanftmütigen und Friedfertigen den Himmel verheißt, dann bleibt den Zornigen nur die Hölle.

Darum, meine lieben Freunde, wollen wir alles tun, um die Anlage zum Zorn, die in jedem Menschen ist, zu bekämpfen, den Zorn zu überwinden. Es gibt einige Regeln, die uns helfen können, mit dem Zorn fertigzuwerden. Die erste Regel lautet: Wenn der Zorn in dir aufwallt, dann darfst du nie reden oder handeln. Im Zorn soll man weder reden noch handeln. Man soll schweigen und vorläufig das Handeln aufschieben. Der gelehrte Heide Athenodor gab dem Kaiser Augustus den Rat, er solle bei Aufwallung des Zornes die 24 Buchstaben des griechischen Alphabets vor sich hin sprechen. Auf diese Weise gewinne er Abstand von seiner Zorneswallung und komme wieder in einen Zustand der Vernünftigkeit. Ein anderer, Klinias, empfahl, man solle ein Lied singen, wenn man zornig sei. Nun, in jedem Falle ist es richtig, im Zorne weder zu reden noch zu handeln, weil, was im Zorne vorgebracht wird, nicht dem Willen Gottes gemäß ist. Der Mensch tut nicht, was vor Gott gerecht ist, wenn er zornig ist. Deswegen: Schweigen und das Handeln aufschieben!

Das zweite, was man tun kann, wenn der Zorn kommt, ist beten. Die Jünger haben, als der Sturm im Meere tobte, ihre Zuflucht zum Heiland genommen, damit er den Sturm stille. Wenn es in unserem Herzen stürmen will, dann wollen wir beten. Es wird empfohlen, das Gegrüßet seist du, Maria zu sprechen, natürlich so, daß es niemand vernimmt, im Herzen; oder das Ehre sei dem Vater, aber man muß es gleich tun, man darf es nicht aufschieben. Ein junges Bäumchen kann gebogen werden, eine anfängliche Krankheit kann geheilt werden. Der Beginn des Zornes ist noch mit der Chance versehen, den Zorn zu bewältigen. Wenn wir uns aber einmal erst auf die Höhe des Zornes emporgeschaukelt haben, dann ist es schwer, den Ausbruch zu verhindern.

Das dritte, was empfohlen wird, um den Zorn zu besänftigen, ist, niemals einen Groll in sich unterhalten. Der Zorn entsteht nicht plötzlich, der Zorn bereitet sich vor. Im Herzen eines Menschen sammelt sich Zornesstoff an. Er vergräbt sich in seine Verletztheiten, in sein Beleidigtsein, und aus dieser Anhäufung von Zornesstoff entsteht eines Tages, wenn der Funke hineinfährt, das große Feuer, daß es hell auflodert. Deswegen darf man es nicht so weit kommen lassen. Jede Beleidigung, jede Kränkung – unser Leben ist ja voll davon – muß man sofort vergeben, sofort wieder aus der Seele hinausschaffen, sie nicht im Groll in der Seele anhäufen und auf diese Weise den Zorn, den Zornesausbruch vorbereiten.

Und schließlich ein Viertes: Wenn wir zornig gewesen sind, sogleich um Vergebung bitten. „Laß die Sonne nicht untergehen über deinem Zorn!“ mahnt der Apostel, d.h. bevor es Abend wird, bevor es Nacht wird, muß der Zornesausbruch wieder aus der Welt geschafft werden, muß wieder Frieden gemacht werden mit dem, den unser Zorn getroffen hat, muß man sich wieder vergleichen, damit nicht – das ist nämlich die Fortsetzung dieses Wortes – dem Teufel Raum gegeben wird. Aus dem Zorn kommt leicht der Haß. „Brüder, lasset die Sonne nicht untergehen über euerem Zorne, gebet dem Teufel nicht Raum!“

So wollen wir uns, meine lieben Freunde, bemühen, das ganze Leben bemühen, jeden Tag bemühen, ein beherrschter Mensch zu werden. Der Verstand, der von der Liebe geführte Verstand, die Vernunft soll Herrscher über unsere Reden, über unsere Taten, über unser Herz sein. Wir wollen den Menschen den Dienst erweisen, den sie uns häufig nicht erweisen, nämlich den Dienst der Milde, der Sanftmut, der Geduld. Wir wollen friedfertig sein und uns erinnern, daß den Friedfertigen das Reich Gottes verheißen ist.

Amen.

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