Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. Juli 1986

Die Verehrung der Gottesmutter

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Sonntag haben wir erkannt, daß die Verehrung der Heiligen der Anbetung Gottes nicht Abbruch tut, sondern daß sie eine notwendige Ergänzung dazu bildet. Gott ist wunderbar in seinen Heiligen, am wunderbarsten ist er in seiner eigenen Mutter, in Maria. Wenn wir die Verehrung der Heiligen als cultus duliae, als Verehrung bezeichnen, dann verdient diejenige Verehrung, die wir der Muttergottes entgegenbringen, die Bezeichnung cultus hyperduliae, d.h. Hochverehrung. Denn sie ragt über alle Heiligen hinaus. Sie hat deswegen Anspruch auf eine besondere, auf eine einzigartige Weise der Verehrung. Gewiß, eine Verehrung, wie sie einem Geschöpf geziemt, aber auch eine Verehrung, wie sie gegenüber dem schönsten aller Geschöpfe angebracht ist.

Diese Verehrung Mariens hat begonnen, als der Engel bei ihr eintrat und ihr die Botschaft brachte. In seinen Bezeichnungen: „Du bist die Gebenedeite, du bist die Gnadenvolle“, da kündigt sich die Verehrung Mariens an. Und wenn Elisabeth beim Besuche Mariens sie als „die Mutter meines Herrn“, also als die Mutter Gottes bezeichnet, dann sehen wir hier eine der Wurzeln der Marienverehrung. Sie selbst hat darum gewußt, daß sie Gegenstand der Verehrung sein würde. „Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter.“ Und wahrhaftig, diese Prophezeiung hat die Kirche nach Kräften erfüllt. Sie betet nach dem Vaterunser das Ave Maria, und das ist katholische Frömmigkeit. Dreimal ruft sie jeden Tag von den Glockentürmen zum Gebet des „Engel des Herrn“. Dieses Gebet gilt der Menschwerdung unseres Heilandes im Schoße Mariens. Zahllose Stätten sind dem Gedächtnis Mariens geweiht. Viele von ihnen sind Gnadenstätten, wo sich Maria hilfreich erwiesen hat, ob es das schlichte Marienthal im Rheingau ist oder die gewaltigen Wallfahrtsorte Kevelaer und Altötting, ob es Loretto in Italien oder Lourdes in Frankreich, ob es Mariazell in der Steiermark oder Guadalupe in Mexiko ist, überall steigt die Verehrung Mariens zum Himmel empor in diesen Heiligtümern.

Wir wollen am heutigen Sonntag fragen: Warum verehren wir  Mariens Herrlichkeit? Warum bringen wir Maria eine Hochverehrung entgegen?

Erstens: Wir verehren Maria, weil sie die Mutter Gottes und unsere Mutter ist. Maria ist Theotokos, wie es das Konzil zu Ephesus im Jahre 431 ein für allemal festgelegt hat. Sie ist Gottesgebärerin. Ja, wie ist das möglich? Wie kann ein Mensch Gott gebären? Um dieses Geheimnis zu verstehen, muß man die Wesenheit Jesu begreifen. Er ist eine Person in zwei Naturen. Person ist das Aktzentrum, ist das Ichbewußtsein, ist der innerste Kern eines geistigen Wesens. Und diese Person ist göttlicher Art. Sie hat sich eine menschliche Natur angeeignet und konnte wegen dieser Aneignung von Maria geboren werden. Aber weil eben das, was in ihrem Schoße lebte, nicht nur eine menschliche Natur war, sondern eine göttliche Natur besaß und ein göttliches Aktzentrum, eine göttliche Person war, deswegen ist Maria nicht bloß Christusgebärerin, wie die Gegner des katholischen Glaubens auf dem Konzil zu Ephesus wollten, sondern ist sie Gottesgebärerin.

Sie ist aber nicht nur die Mutter Gottes, sie ist auch unsere Mutter. Als Johannes unter dem Kreuze als Vertreter der Menschengeschlechtes, also auch als unser Vertreter, die Worte vernahm: „Siehe, deine Mutter!“, da hat uns Christus seine Mutter zu unserer Mutter gegeben. Seitdem ist Maria nicht nur Gottesmutter, sondern auch Menschenmutter, seitdem ist sie die Mutter der Kirche. „Siehe da, deine Mutter!“ So hat er zu Johannes, so hat er durch ihn zu einem jeden von uns gesprochen. Sollten wir die nicht verehren, die die Mutter Gottes und die unsere Mutter ist? Ist es nicht eine ganz einfache Pflicht der Dankbarkeit, diese Mutter in hoher Weise zu verehren? Wahrhaftig, wir verehren Maria, weil sie die Mutter Gottes und unsere Mutter ist.

Zweitens: Wir verehren Maria, weil sie von Gott durch hohe Gnadenvorzüge ausgezeichnet worden ist. Er hat sie erhoben über alle Menschen. Das begann bei der Entstehung Mariens. Sie wurde von dem Makel der Erbsünde bewahrt. Wir alle kommen auf die Welt, mit der Erbsünde, also mit der Gottesferne behaftet, und diese Wunde der Erbsünde muß geheilt werden. Sie wird geheilt in der Taufe. Maria blieb diese Verhaftung unter die Erbsünde erspart. Von ihr gilt das Wort: Tota pulchra es, Maria, et macula originalis non est in te – Du bist ganz schön, Maria, und der Erbschuld Makel ist nicht in dir. Das ergibt sich schon aus der Heiligen Schrift, wenn der Engel zu ihr sagt: „Du bist die Gnadenvolle.“ Ja, man kann nicht gnadenvoll sein, wenn man in der Sünde lebt, wenn man in der Erbsünde lebt, wenn man mit der Erbsünde behaftet ist. Also ist schon aus dieser Bezeichnung zu schließen, daß diese Behaftung Maria erspart blieb.

Die Kirche hat immer an der makellosen Würde Mariens festgehalten. Sie war überzeugt, daß Gott seine irdische Wohnung im vorhinein geheiligt hat; denn wem Gott eine Würde gibt, den macht er dafür geeignet. Am 8. Dezember 1854 hat Papst Pius IX. in feierlicher Weise als Glaubenssatz der Kirche verkündet: „Maria ist von der Erbsünde bewahrt worden.“ Und als die Muttergottes vier Jahre später in Lourdes erschien, da sagte sie zu den Kindern: „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis.“ Weil Maria von der Erbschuld bewahrt blieb, war sie frei von der Konkupiszenz und hat sie auch keine persönliche Sünde begangen. Sie war voll der Tugenden. „Sie strahlt im Tugendkleide!“ Sie besaß alle denkbaren Vollkommenheiten. Wahrhaftig: „Ganz schön bist du, Maria, und kein Makel ist an dir!“

Deswegen also verehren wir Maria, weil sie die Schönste von allen ist, von himmlischem Glanz. Diese Frau, diese wunderbare, hat ein weiteres Privileg erfahren beim Sterben. Auch Maria ist gestorben, das müssen wir wohl annehmen. Aber sie ist nicht im Tode geblieben. Der Leib, der den Herrn und Heiland getragen hat, der sollte nicht verwesen, und so ist der verwandelte Leib Mariens, der verklärte Leib Mariens, den wir uns nach dem Beispiel des Heilandes, des Auferstandenen denken müssen, in den Himmel aufgenommen worden. Niemals hat jemand eine Reliquie von Maria vorweisen können. Es gibt kein Grab Mariens. Sie ist in den Himmel aufgenommen worden mit Seele und Leib.

Nach den Visionen der Katharina Emmerich ist Maria im Alter von 64 Jahren im Jahre 48 in Ephesus gestorben. Das muß man nicht glauben, das muß man nicht annehmen, das ist eine private Offenbarung einer frommen Seele. Aber es ist auch nicht unwahrscheinlich, daß es so gewesen ist, wie Katharina Emmerich in ihren Schauungen es gesehen hat. Eines aber ist gewiß: Pius XII. hat am 1. November 1950 als Glaubenssatz der katholischen Kirche verkündet: „Maria ist nach Beendigung ihres irdischen Laufes mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden.“ Darum verehren wir sie, sie, die Vollendete, sie, die auch leiblich Vollendete, sie – und das ist das Dritte –, die Königin des Himmels.

Seitdem sie in den Himmel eingezogen ist, ist sie die Königin des Himmels, denn sie steht über allen, die der Himmel birgt. Sie ist die Königin der Apostel, die Königin der Martyrer, die Königin der Bekenner, die Königin der Jungfrauen, ja, sie ist die Königin der Propheten und der Patriarchen. Sie steht über allen. Denn sie ist die Heiligste, sie ist die Begnadetste, sie ist die Auserwählteste von allen. Das ist also der zweite Grund, warum wir Maria verehren, weil sie so viele Auszeichnungen von ihrem Herrn und Heiland Jesus Christus empfangen hat.

Wir verehren Maria drittens deswegen so sehr, weil sie mehr als alle andere uns durch ihre Fürbitte hilft. Schon auf Erden war die Fürbitte Mariens mächtig. Ich erinnere an die Geschehnisse auf der Hochzeit zu Kana. Erst recht wird Maria eine machtvolle Fürbittkraft zugeschrieben, seitdem sie in den Himmel erhoben ist. Die großen Theologen des Mittelalters sprechen von der „Allmacht auf Knien“. Natürlich ist Maria nicht allmächtig. Allmacht ist eine Qualität, die Gott allein zukommt. Aber insofern Gott ihre Bitten erhört, all ihre Bitten erhört, stellt er seine Allmacht gleichsam in den Dienst der Fürbitte Mariens, verfügt Maria in gewisser Hinsicht über die Allmacht. Und deswegen preisen wir sie als die mächtige Jungfrau, mächtig durch ihre Fürbitte.

Die Christenheit hat aus den Erfahrungen, die sie mit der Fürbittkraft Mariens gemacht hat, ihr eine Fülle von Namen beigelegt, die Ausdruck dieser Erfahrungen sind. Sie spricht von der Trösterin der Betrübten. Viele, unzählige Menschen haben in ihrer Trübsal, in ihrer Not ihre Zuflucht zu Maria genommen und sind erhört worden. „In aller Trübsal, Angst und Not komm uns zu Hilfe, o allerseligste Jungfrau Maria!“ Nicht wahr, so haben wir oft und oft gerufen, und sie hat sich als die Mutter der Betrübten erwiesen. Sie wird als das Heil der Kranken bezeichnet. Die Kranken sind ja in besonderer Weise auf die Hilfe angewiesen, aber auf wessen Hilfe mehr als auf die Hilfe Mariens? „Du Heil der Kranken,“ so steht es in allen Wallfahrtsorten, so ist in Lourdes schon mancher mit dieser Anrufung geheilt worden. „Du Heil der Kranken.“ Sie ist aber auch die Zuflucht der Sünder. Wer in Sünde ist, der nimmt – sehr angemessen – seine Zuflucht zu Maria, denn sie hilft ihm. Sie erbittet ihm die Gnaden, die notwendig sind, um von der Sünde zu lassen. Ihre Fürbitte ist geeignet, die Versuchungen zu überwinden, denn diese Fürbitte lockt gleichsam die Gnaden Gottes hervor, die uns stark machen im inneren Kampf. Zuflucht der Sünder. Hilfe der Christen – das ist ein Titel, der Maria gegeben wurde seit dem Jahre 1683. Damals stand ein großes Türkenheer vor Wien. Von Juli bis September wurde Wien von den Türken belagert, und die Christen flehten und riefen zu Maria mit dem Rosenkranz in der Hand. Und am 12. September 1683 wurde ein großer Sieg errungen über die Türken, und sie mußten die Belagerung abbrechen und sich zurückziehen. Da hat die Christenheit wahrhaftig die Hilfe Mariens erfahren. Du Hilfe der Christen, so wird sie seitdem genannt, und ein eigenes Fest ist an diesem Tage eingesetzt worden.

Selbstverständlich, meine lieben Freunde, erhört Christus alle Bitten Mariens. Aber ebenso selbstverständlich ist es, daß Maria nur solche Bitten vorbringt, die der Erhörung würdig sind, nicht wie wir es uns denken, nicht wie wir wollen. Gott sieht tiefer, und Maria ist ganz in Gottes Willen ergeben. Also eine Erhörungsmaschine ist Gott nicht, und eine Fürbittmaschine ist Maria nicht, sondern es wird von ihr nur die Bitte Gott vorgetragen, die secundum rationem salutis vorgebracht wird, also gemäß der Heilsordnung, gemäß der Ökonomie des Heils, die Gott für uns bestimmt hat. Nur solche Bitten trägt Maria zu ihrem Sohn, aber die werden dann unfehlbar erhört.

Wenn wir Maria verehren, wenn wir sie anrufen, dann dürfen wir sicher sein, daß wir im Leben und im Sterben ihren Schutz erfahren werden. So viele Heilige haben Maria angerufen und sind durch ihre Verehrung zu edlen, vornehmen Menschen geworden. Ich erinnere nur an den heiligen Bernhard von Clairvaux. Ihm verdanken wir ja das schöne Gebet: „Gedenke, o gütigste Jungfrau, es ist noch nie erhört worden, daß jemand, der zu dir seine Zuflucht genommen, um deine Hilfe angerufen, deine Fürsprache erfleht, von dir sei verlassen worden!“ Ein ebenso großer Marienverehrer war der heilige Alphons. Er betete nicht nur täglich den Rosenkranz und den Engel des Herrn, sondern er fastete an jedem Samstag bei Wasser und Brot zu Ehren Mariens. „Ich glaube nicht, daß sich die Hölle rühmen kann, einen einzigen zu besitzen, der eine rechte Verehrung Mariens gehabt hat,“ hat der heilige Alphons einmal gesagt. Und der heilige Bernhard ist überzeugt, daß derjenige, der Maria in der richtigen Weise täglich verehrt, nicht verlorengehen kann.

O welche trostreiche Wahrheit ist es doch, Maria zu verehren, verehren zu dürfen, ihr unsere Hingabe, unsere Fürbitte vortragen zu dürfen! Und wir wollen uns heute, meine lieben Freunde, zu ihr wenden und wollen ihr sagen: „O Mutter der Barmherzigkeit, sieh uns in diesem Tränental, in diesem Jammertal! Komm uns zu Hilfe, die wir zu dir rufen, die wir zu dir flehen! Zu dir geht unsere Sehnsucht, unser unstillbares Weinen! Hilf, Maria, hilf doch mir, ein armer Sünder kommt zu dir! Im Leben und im Sterben, laß mich nicht verderben!“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt