6. September 1987
Die Hoffnung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Im größten Teile des Glaubensbekenntnisses heißt es: Ich glaube. Ich glaube an Gott, ich glaube an Jesus Christus. Aber gegen Ende, da heißt es nicht mehr: Ich glaube, sondern: Ich erwarte, ich erhoffe die Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Da ist also eine Zäsur, ein Einschnitt.
Glaube und Hoffnung sind nicht dasselbe. Die Hoffnung ist die vertrauensvolle Erwartung der Güter, die Christus für die Erfüllung des göttlichen Willens uns versprochen hat. Die Hoffnung ist also zusammengesetzt aus einer Erwartung, aus einer Sehnsucht und aus einem Vertrauen. Wir können diese Mischung von sehnsüchtiger Erwartung und vertrauensvollem Hoffen an dem Greis Simeon erkennen. Ihm war die Verheißung zugekommen, er werde den Messias schauen. Er erwartete sehnsuchtsvoll diesen Tag, aber er hatte auch Vertrauen darauf, daß er ihn schauen werde. Hoffnung ist also die vertrauensvolle Erwartung der Güter, die uns Gott, die uns Christus für die Erfüllung des göttlichen Willens versprochen hat.
Welches sind diese Güter? Die Güter, die uns Christus für die Erfüllung des göttlichen Willens versprochen hat, sind die ewige Seligkeit und alle Mittel, die dazu notwendig sind. Die ewige Seligkeit hat uns Christus versprochen, wenn er sagte: „Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Ich gehe hin, euch eine zu bereiten.“ Das ist unser Ziel, dafür sind wir auf Erden, zu diesem Ziele streben wir, auf dieses Ziel leben wir hin. Die ewige Seligkeit, das ist das alles überragende Ziel unseres Lebens, und dieses Ziel hat uns Gott zu geben versprochen. Die Mittel zu diesem Ziele sind die göttliche Gnade, die zeitlichen, für das irdische Leben unentbehrlichen Dinge, die Verzeihung der Sünden, die Erhörung der Gebete und die Befreiung aus Not.
Diese fünf Mittel hat uns Christus ebenfalls versprochen, um das ewige Ziel zu erlangen. Zuerst seine Gnade. Ohne Gnade ist es unmöglich, Gott zu gefallen. Wir benötigen die einwirkende Gnade, um dem Bösen widerstehen zu können und uns zu bekehren. Wir brauchen die heiligmachende Gnade, um in der Freundschaft Gottes zu leben und in die Seligkeit eingehen zu können. Auch die zeitlichen Mittel sind uns zur Erlangung der ewigen Seligkeit in bestimmtem Grade und Maße notwendig. Gott hat uns diese zeitlichen Mittel verheißen. „Sorget nicht ängstlich für euer Leben, was ihr essen sollt, noch für eueren Leib, was ihr anziehen sollt. Der Vater im Himmel weiß, daß ihr das alles braucht. Er sorgt für euch, er, der die Blumen des Feldes und die Vögel des Himmels nährt und kleidet.“ Die Verzeihung der Sünden ist uns notwendig, damit wir in den Gnadenstand gelangen, und Gott hat sie uns oft verheißen. „Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe.“ In der ergreifenden Parabel vom verlorenen Sohn oder vom verlorenen Schaf hat uns der Herr die Hirtenliebe unseres Gottes deutlich vor Augen geführt. Unvergeßlich ist uns auch das Beispiel des Schächers am Kreuze, der in letzter Stunde aufgrund seiner Reue die Verzeihung der Sünden erlangt hat. Christus hat uns auch die Erhörung unserer Gebete versprochen. „Alles, worum ihr mich in meinem Namen bitten werdet, werde ich euch geben. Alles, um was ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, das wird er euch geben.“ Die Erhörung unserer Gebete ist uns von Christus verheißen, nur müssen wir Geduld haben, nur müssen wir es ihm überlassen, wann seine Stunde kommt. Das mußte selbst die Muttergottes erfahren bei der Hochzeit zu Kana, als sie hörte: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Die Stunde seines Eingreifens bestimmt er nach seinem eigenen souveränen Ermessen. Und natürlich müssen wir nach dem Willen Gottes um Erhörung bitten, nach seiner Meinung und nach seiner Intention. Auch Hilfe in der Not hat er uns versprochen. Als die Apostel auf dem See in großer Furcht um Hilfe riefen, da sagte der Herr zu ihnen: „Ihr Kleinmütigen, warum seid ihr furchtsam?“ Wenn Christus im Boote ist, dann braucht man keine Furcht zu haben.
Das sind also die Güter, die uns Christus versprochen hat: die ewige Seligkeit und die dazu notwendigen Mittel. Die Hoffnung auf diese Güter nun geht hervor aus dem Glauben. Hoffnung und Glaube sind nicht dasselbe, aber sie sind verschwistert. Der Glaube zeigt uns nämlich die Güter, und die Hoffnung strebt und sehnt sich danach. Der Glaube sagt uns, daß der Gott, der uns die Güter versprochen hat, höchst getreu, allmächtig und höchst gütig ist und daß Christus uns alles Gute am Kreuze verdient hat. Der Glaube ist also die Unterlage der Hoffnung. Wer nicht glaubt, kann auch nicht hoffen. Der Glaube sagt uns, daß Gott höchst getreu ist. Er lügt nicht, er steht zu dem, was er verheißen hat, er betrügt die Menschen nicht mit seinen Verheißungen. Er kann aber auch erfüllen, was er verheißen hat, denn er ist nicht ohnmächtig, er ist vielmehr allmächtig. Er ist imstande, das zu vollbringen, was er verheißen hat. Und er ist höchst gütig. Er will uns mehr helfen, als wir bereit sind, zu empfangen. Alles Gute aber hat uns Christus durch seinen Tod am Kreuze verdient. Wenn Gott seines Sohnes nicht geschont hat, sondern ihn für uns hingegeben hat, wie sollte er in ihm uns nicht alles schenken?
Die Überzeugung, daß Gott höchst getreu, allmächtig und höchst gütig ist und daß Christus uns alles Gute am Kreuze verdient hat, nennt man Gottvertrauen. Und dieses Gottvertrauen ist untrennbar mit der Hoffnung verbunden. Die Hoffnung ist die vertrauensvolle Erwartung der Güter, die uns Christus für die Erfüllung des göttlichen Willens versprochen hat. Das ist als letztes zu bedenken: Gott gibt seine Gaben nicht bedingungslos. Der Mensch muß auch etwas dazutun, um sie zu erlangen, nämlich sich bemühen, den Willen Gottes zu erfüllen. „Nicht jeder, der zu mir 'Herr, Herr' sagt, wird in das Himmelreich eingehen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist.“ Also: Gottes Verheißungen sind zwar in der Treue Gottes verankert, aber es wäre vermessen, ohne eigene Anstrengung, ohne eigenes Zutun, ohne gute Werke auf die Erfüllung der Verheißungen Gottes zu hoffen. „Ich glaube,“ sagt der heilige Augustinus, „daß ich durch die Kraft der Verdienste Christi den Himmel erhoffen darf.“ Aber er fügt gleich hinzu: „vermittels der Buße und der Erfüllung des göttlichen Willens“. Kraft der Verdienste Christi vermittels der Buße und der Erfüllung des göttlichen Willens.
Der Sünder darf erst dann auf Gott hoffen, wenn er sich bekehrt und wenn er Buße tut. Es wäre Vermessenheit, in der Sünde zu verharren, und auf Gott zu hoffen. Das heißt Gott versuchen! Der König Manasse in Israel war ein solcher Mann, der gottvergessen dahinlebte, die Propheten töten ließ und Götzendienst trieb. Da wurde er gefangengenommen, fortgeführt, und im Kerker bekehrte er sich. Und siehe da, seine Reue, seine Bekehrung war Gott Anlaß, ihn zu befreien. Er durfte in sein Land zurückkehren, und jetzt richtete er den wahren Gottesdienst wieder auf.
Der Gerechte darf auch von Gott hoffen, daß Gott für ihn sorgt. Der heilige Johannes vom Kreuz sagte einmal treffend: „Unsere Sache ist es, Gott zu dienen. Gottes Sache ist es, für uns zu sorgen.“ „Werft alle Sorgen auf den Herrn, er sorgt ja für euch!“ So steht es im 1. Petrusbrief. Wenn wir also Gottes Sache zu der unseren machen, dann dürfen wir vertrauen, daß Gott unsere Sache zu der seinen macht. Wer für Gott arbeitet, für den sorgt Gott.
Der Mensch darf sich also auf Gottes Fürsorge verlassen, wenn er für Gottes Sache unterwegs ist. Freilich muß jeder Mensch tun, was an ihm ist, damit er auf Gott hoffen kann; denn die Hoffnung ersetzt ja nicht das eigene Tun des Menschen, sie setzt es voraus. Der Mensch muß das Beste hoffen, er muß aber auch das Beste tun. Die Hände in den Schoß legen und auf Gott hoffen, das heißt Gott versuchen. Nein, das wäre ein Irrtum, das wäre sogar eine verurteilte Irrlehre. Man muß alles tun, was in seinen Kräften ist, und gleichzeitig von Gott erhoffen, daß er uns schenken wird, was er verheißen hat.
In der heutigen heiligen Messe ist die Oration, das Kirchengebet, diesem Thema gewidmet. Da heißt es: „Wir bitten Gott um Vermehrung von Glauben, Hoffnung und Liebe. Und damit wir würdig werden, das zu erlangen, was Gott verheißen hat, möge er uns dazu führen, daß wir lieben, was er gebietet.“ Also wenn man liebt, was Gott gebietet, d.h. wenn man seinen Willen tut, dann darf man darauf hoffen, daß Gott seine Verheißungen an uns erfüllen wird.
So wollen wir also, meine lieben Freunde, den heutigen Sonntag zum Anlaß nehmen, unsere Hoffnung auf Gott zu erneuern. In bezug auf Menschen darf man den Ausdruck „Hoffnung“ nicht eigentlich verwenden; denn Menschen können keine untrüglichen Verheißungen geben wie Gott. Aber auf Gott dürfen wir hoffen, ja wir enttäuschen Gott, wir beleidigen ihn, wenn wir nicht auf ihn hoffen. Wir nehmen ihn nicht ernst als Gott, wenn wir nicht auf ihn hoffen.
Wir wollen oft das schöne Gebet sprechen, das wir als Kinder gelernt haben bei der Erweckung der Hoffnung: „O mein Gott und Herr, ich hoffe von dir die Vergebung meiner Sünden, deine Gnade und endlich die ewige Seligkeit. Vermehre, o Gott, meine Hoffnung!“
Amen.