Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. April 2015

„Ich habe den Herrn gesehen!“

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Evangelist Johannes widmet das letzte Kapitel seines Evangeliums der Auferstehung und den Auferstehungszeugnissen Jesu. Das 21. Kapitel wird nämlich gewöhnlich – vielleicht mit gutem Recht – als Nachtrag angesehen. Das 20. Kapitel ist dann der Abschluss des Evangeliums, eben der siegreiche Abschluss mit den Auferstehungsberichten. In diesem 20. Kapitel sind vier Episoden mit dem Auferstandenen zusammengefasst. Die erste und die zweite Episode gelten Maria Magdalena, die dritte und die vierte sind den elf Aposteln und ihrer Begegnung mit dem Herrn gewidmet. Die erste Episode zeigt, wie Maria Magdalena in der Frühe zum Grabe kam und feststellte, dass es leer war. Mit einem Blick in die Grabkammer überzeugte sie sich, dass der Leichnam Jesu sich nicht mehr darin befindet. Sie zieht daraus nicht den Schluss, dass Jesus auferstanden ist, sondern dass die Leiche von unbekannten Händen fortgeschafft worden ist. Sie eilt zu den Aposteln und meldet ihnen, was sie gesehen hat. Und zwei Apostel, nämlich die führenden Petrus und Johannes, machen sich auf, um der Nachricht nachzugehen, welche ihnen Maria Magdalena gebracht hatte. Das Ergebnis der beiden Begebenheiten ist dasselbe, nämlich sie wussten nicht, was mit Jesus geschehen ist – Unwissenheit. Dieses radikale Unvorbereitetsein auf die Auferstehung und das Erscheinen des Herrn, dieses radikal Unvorbereitetsein zeigt, dass die Wirklichkeit des Auferstandenen nicht erfunden, sondern erlebt ist. Das Grab ist leer. Petrus geht hinein und stellt nur die empirischen Tatsachen fest. Anders Johannes: Er geht hinein und kommt zum Glauben. Das Vorhandensein der Binden und des Schweißtuches – und zwar in guter Ordnung – bringen ihn zur Erkenntnis, dass der Leichnam nicht gestohlen oder in ein anderes Grab verbracht worden ist, sondern dass Jesus auferstanden sein muss. Johannes, der Lieblingsjünger, ist der Erste, der an die Auferstehung Jesu glaubt. Dafür spricht, dass Magdalena später den Jüngern nicht die Auferstehung Jesu meldet, sondern seine Erscheinung. Die Auferstehung wussten sie schon von Johannes.

Die zweite Episode. Maria Magdalena ist von ihrem Besuch bei den Aposteln wieder aus der Stadt zurückgekehrt, ist immer noch der Meinung, dass der Leichnam Jesu fortgeschafft worden ist. Und sie steht weinend vor der Grabkammer, wirft nochmals einen Blick hinein und sieht zwei weißgekleidete Gestalten am Kopf- und Fußende der Steinbank sitzen, auf der Jesus niedergelegt worden war. Diese fragen sie nach dem Grund ihrer Trauer, und sie antwortet: „Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wo man ihn hingelegt hat.“ Wie sie sich aber plötzlich rückwärts wendet, sieht sie eine Gestalt, erkennt aber die Gestalt nicht. Sie hält sie für den Gärtner, der nach ihrer Meinung den Leichnam fortgeschafft hat, weil er ihn in dem Grabe nicht dulden wollte. Die Augen Maria Magdalenas waren gehalten, so wie wir eben von den Emmausjüngern gehört haben. Jesus ging mit ihnen, aber sie erkannten ihn nicht. Ihre Augen waren gehalten, d.h. der Auferstandene zeigt sich, wann und wie und wo er will; man kann ihn nicht herbeizwingen. Und genauso war es bei der Erscheinung Christi am See Genezareth. Er stand am Ufer, aber die Jünger erkannten ihn nicht. Jesus muss also eine veränderte Gestalt angenommen haben. Als der vermeintliche Gärtner sie fragt, wen sie suche, bittet sie ihn, wenn er den Leichnam weggetragen hat, er möge ihr den Ort nennen, wohin er ihn geschafft hat, damit sie ihn holen und anderswo beisetzen könne. Nun redet diese Gestalt Maria an und sagt: „Maria!“ Jetzt erkennt sie ihn. Jetzt wendet sie sich ihm zu und begrüßt ihn mit der gewohnten Anrede: „Rabboni!“ (mein Meister). Die Anrede mit ihrem Namen hat ihr blitzschnell geoffenbart, wer der Sprecher ist. Aber sie begnügt sich nicht mit der Begrüßung Jesu, sondern in ihrer Freude wirft sie sich ihm zu Füßen und umfasst seine Füße. Sie will ihn festhalten. Jesus wehrt es ab: „Halte mich nicht fest“, oder „halte mich nicht auf“, er hat noch etwas vor, er ist ja noch nicht zum Vater aufgestiegen, und da kann er nicht auf Erden festgehalten werden. Zu seiner Verherrlichung gehört nicht nur die Auferstehung, sondern auch die Erhöhung, die Rückkehr zum Vater. Er hat ja zu seiner Lebzeit immer erklärt, dass er zum Vater gehe. Dorthin will er nun gehen, und Magdalena darf ihn nicht festhalten. „Ich bin noch nicht zum Vater hinaufgestiegen. Gehe aber zu meinen Brüdern – so nennt er jetzt die Apostel – und sage ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“ Magdalena, diese wunderbare Frau der Urzeit, ist überwältigt, sie stürzt zurück nach Jerusalem: „Ich habe den Herrn gesehen.“ Das ist der Jubelruf: Ich habe den Herrn gesehen.

Die dritte Episode im 20. Kapitel bei Johannes ist den Jüngern gewidmet. Der Herr erscheint den Jüngern, die bei verschlossenen Türen, aus Angst vor den Juden, zusammengekommen sind. Er stellt sich in ihre Mitte, und das ist so unerhört, das ist so unbegreiflich, das ist so unfasslich, dass die Jünger meinten, er sei ein Gespenst. Wegen dieser Art des Kommens musste Jesus ihnen zeigen, dass er der auferstandene Gekreuzigte ist, niemand anders als der auferstandene Gekreuzigte. Und er zeigte ihnen die Wundmale der Hände und der Seite. Das ist ein untrügliches Zeichen, dass er derselbe ist, der am Kreuze gehangen hat. Sie sind von der Realität seiner Auferstehung und von der Identität mit dem Gekreuzigten dadurch überzeugt worden. Aber es geschieht noch etwas anderes: Der Herr hauchte sie an. Anhauchen ist nach biblischer Sicht Kraftübertragung. Mit einem Hauch, mit einem allmächtigen Hauch hat Gott die Welt erschaffen und die Seele in den ersten Menschen eingefügt. Und jetzt haucht der Herr die Jünger an. Sie erhalten die Gewalt der Sündenvergebung. Das ist die erste Gewalt, die der Auferstandene seinen Jüngern überträgt: die Gewalt der Sündenvergebung. Was der irdische Jesus dem Petrus und den Aposteln verheißen hatte, das gewährt er ihnen jetzt: die Gewalt, Sünden zu erlassen und zu behalten. Jesus überträgt die Vollmacht der Sündenvergebung auf seine Jünger. Warum sagt er nicht nur: „Welchen ihr die Sünden erlassen werdet, denen sind sie erlassen“? Warum sagt er auch: „Welchen ihr sie behalten werdet, denen sind sie behalten“? Die Lossprechung von den Sünden soll nicht unterschiedslos gewährt werden, sondern nur dem, der dafür bereit ist, der sich also auch von der Sünde und von der Sündenneigung getrennt hat. Das ist der Ursprung unserer Beichte. Durch das Bekenntnis der Sünden gibt der Pönitent dem Priester die Möglichkeit zu beurteilen, ob er die Sünden nachlassen oder ob er sie behalten muss. Ich bin 64 Jahre Beichtvater, meine lieben Freunde, und ich kann mich noch an jeden Fall erinnern, wo ich einem Pönitenten sagen musste: „Ich kann Sie nicht lossprechen.“ Warum nicht? Weil der Pönitent nicht willens war, die Gelegenheit zur Sünde oder auch die Sünde selbst aufzugeben. Die Kirche sieht in diesem Akt des Auferstandenen die Einsetzung des Bußsakramentes.

In der letzten Erzählung, eine Woche später, kommt Jesus noch einmal zu den Jüngern, erscheint ihnen, und diesmal ist einer dabei, der das erste Mal gefehlt hat: Thomas. Thomas spielt hier eine Doppelrolle. Er ist einer von den Zwölfen, und deswegen muss er Zeuge der Auferstehung werden. Beim ersten Mal war er aber nicht dabei, als Jesus erschien. Das muss nachgeholt werden. Andererseits ist er einer von denen, die ihn beim ersten Mal nicht sahen, deswegen vertritt er uns, denn wir sehen ihn auch nicht. Thomas lehnt jedes fremde Zeugnis kategorisch ab. Er will sich nur auf seine eigene Sinneswahrnehmung verlassen. Was er mit hartnäckigem Trotz verlangt, das gewährt ihm der Auferstandene. „Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Diese Handlung des Herrn überwältigt Thomas. Er ist jetzt nicht nur von der Wirklichkeit der Auferstehung Jesu überführt, sondern erkennt auch mit blitzartiger Erleuchtung den Auferstandenen als seinen himmlischen Herrn und Gott. Er bricht zusammen: „Mein Herr und mein Gott!“ Das ist das Bekenntnis zu Jesus als Gott. Das ist die Wiederholung dessen, was im Prolog des Johannesevangelium steht: „Und Gott war das Wort“ – der LOGOS, und Gott war das Wort. Auf diese Weise, wie er sich verhalten hat, nimmt Thomas die Haltung der Gläubigen vorweg, die auch zum Glauben kommen sollen. Und deswegen ergeht die Mahnung an ihn: „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Und der leise Tadel: „Weil du mich gesehen hast, hast du Glauben gefasst; selig, die nicht sehen und doch glauben.“ Das ist eine Belehrung für uns. Den künftigen Jüngern, so erklärt Jesus, den künftigen Jüngern wird das Schauen des Auferstandenen mit leiblichen Augen nicht mehr möglich sein. Und niemand hat das Recht, dieses Schauen als Vorbedingung für den Glauben an Jesus zu verlangen. Künftighin muss sich der Glaube allein auf das Zeugnis der ersten Jünger über Jesu gesamtes irdisches Wirken mit Einschluss seines Todes und seiner Auferstehung verlassen. Und dieses Zeugnis bleibt ja in der Verkündigung der Kirche lebendig. Die künftigen Jünger preist Jesus selig, weil ihr auf die Predigt der Kirche sich gründender Glaube denselben Wert hat wie der Glaube der Augenzeugen, nämlich des ewigen Lebens teilhaftig zu werden. „Selig sind, die nicht gesehen und doch geglaubt haben.“

Amen.        

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