Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
30. Juni 1996

Der Opfercharakter der heiligen Messe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vorigen Sonntag feierte der Heilige Vater in Berlin im Olympia-Stadion eine heilige Messe. Sie wurde über das Fernsehen übertragen. Der Ansager begleitete den Gottesdienst mit seinem Kommentar. Ich habe nur wenig davon selbst angeschaut, aber das Wenige ist mir in Erinnerung geblieben. Als jener Vorgang der heiligen Messe sich abspielte, den wir die Opferbereitung nennen, erklärte er: „Jetzt werden die Gaben dargebracht, die für das 'Mahl' bestimmt sind.“ Und als dann der Teil des Gottesdienstes kam, den wir den Kanon, also den vorgeschriebenen Hauptteil mit der Wandlung, nennen, sagte der Ansager: „Jetzt beginnt die große Danksagung.“ Soweit diese eben genannten Äußerungen betroffen sind, hätte der Kommentator auch einen anglikanischen oder protestantischen Gottesdienst begleiten können. Das eigentlich Unterscheidende, das entscheidend Wesentliche, worauf es in der heiligen Messe, in der katholischen heiligen Messe, ankommt, ist die Tatsache, daß hier ein Opfer dargebracht wird. Die heilige Messe ist ein Meßopfer. Man kann von einer Eucharistiefeier reden; Eucharistie heißt Danksagung, gewiß. Aber es ist die Danksagung in der Gestalt des Opfers. Man kann von dem „Mahl“ der heiligen Messe sprechen, aber dieses Mahl ist ein Opfermahl. Das Mahl geschieht, nachdem das Opfer vollzogen ist.

Das Glaubenskonzil von Trient hat unmißverständlich die heilige Messe als ein Opfer bezeichnet. „Denn der Herr wollte beim letzten Mahl in der Nacht des Verrates seiner geliebten Braut, der Kirche, ein sichtbares Opfer hinterlassen. Er selbst hat damals beim Letzten Abendmahl Gott dem Vater seinen Leib und sein Blut unter den Gestalten von Brot und Wein dargebracht. Er hat seinen Nachfolgern im Priestertum geboten, dieses Opfer darzubringen. Er setzte das neue Opferlamm ein, sich selbst, auf daß er von der Kirche durch die Priester unter sichtbaren Zeichen geopfert werde.“ Hier hat also das Konzil in völliger Klarheit den Opfercharakter der Eucharistie herausgestellt, und, um noch ein übriges zu tun, hat es einen eigenen Lehrsatz formuliert: „Wer sagt, in der Messe werde Gott nicht ein wirkliches, eigentliches Opfer dargebracht, oder die Opferhandlung bestehe in nichts anderem, als daß uns Christus zur Speise gereicht werde, der sei ausgeschlossen.“ Das also ist die Wahrheit über dem Opfer der heiligen Messe. Wir wollen uns diesem Gegenstand heute und an weiteren Sonntagen in intensiver Weise zuwenden.

Am heutigen Sonntag wollen wir vor allem auf die Heilige Schrift und auf die Tradition hören. Das Opfer des Neuen Bundes wurde im Alten Bunde angekündigt und vorabgebildet. Eine solche Ankündigung und Vorabbildung war das Opfer des Melchisedech. Es heißt im 1. Buch der Heiligen Schrift: „Melchisedech, der König von Salem, brachte Brot und Wein herbei, er war nämlich ein Priester des höchsten Gottes, und segnete Abraham mit den folgenden Worten...“ Es gibt Versuche, diese Schriftstelle zu entwerten und zu verharmlosen. Man sagt: Er brachte Brot und Wein herbei, um die müden Krieger (sie kamen ja von einem Feldzug) zu erquicken; er wollte sie laben. Auf diese Weise wäre natürlich diese Stelle kein Hinweis auf das Opfer des Neuen Bundes. Aber diese Erklärung scheitert daran, daß er als Priester des höchsten Gottes bezeichnet wird; und die entscheidende und wesentliche Aufgabe des Priesters ist es, zu opfern, nicht müde Krieger zu laben. Deswegen muß diese Stelle als eine Weissagung und eine Vorabbildung des eucharistischen Opfers angesehen werden; denn Christus wird im Psalm 109 als „Priester nach der Ordnung des Melchisedech“ bezeichnet. Priester nach der Ordnung des Melchisedech ist, wer ein ähnliches Opfer wie Melchisedech darbringt, also mit Brot und Wein. Und eben unter diesen Gestalten hat der Herr beim Letzten Abendmahl sein eucharistisches Opfer eingesetzt.

Eine weitere Vorausverkündigung des eucharistischen Opfers finden wir beim Propheten Malachias. Nach dem Exil trat der Prophet Malachias auf und sprach im Namen Gottes zu Volke: „Kein Wohlgefallen habe ich an euch, und kein Opfer mag ich aus euren Händen, denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang wird mein Name groß sein unter den Völkern, und überall wird meinem Namen geopfert und ein reines Speiseopfer dargebracht werden. Denn groß wird mein Name sein unter den Völkern.“ Der Prophet kündet dem Volke im Namen Gottes an, daß das alte Opferwesen nicht mehr Gottes Wohlgefallen besitzt. Es soll ein neues, ein reines Opfer dargebracht werden, und zwar an allen Orten. Damit kann nicht das Kreuzesopfer gemeint sein, weil das Kreuzesopfer lediglich einmal und an einem Ort vollzogen wurde. Es kann nur das eucharistische Opfer gemeint sein, das an allen Orten in moralischer Allgemeinheit, in moralischer Universalität dargebracht wird und das rein ist nicht wegen der menschlichen Priester, die es darbringen, sondern das rein ist wegen des Hauptpriesters, Christus, und wegen der Opfergabe, wiederum Christus; rein also wegen der himmlischen Opfergabe und wegen des himmlischen Opferpriesters. Diese Weissagung des Malachias ist im Letzten Abendmahle in die Wirklichkeit übergeführt worden, als der Herr Brot in seine heiligen und ehrwürdigen Hände nahm und das eucharistische Opfersakrament einsetzte. Aus dieser Zeremonie ergibt sich eindeutig der Opfercharakter der heiligen Eucharistie. Denn einmal wurde dieses Opfer unter den getrennten Gestalten von Brot und Wein eingesetzt. Warum unter zwei Gestalten? Weil die zwei Gestalten die Trennung, die reale, die wirkliche Trennung von Leib und Blut Christi in seinem Opfertode darstellen. Was am Kreuze real geschah, das geschieht am Abendmahlstisch symbolisch. Die Trennung der Gestalten weist auf den Opfercharakter der Eucharistie hin.

Sodann erhellt der Opfercharakter auch aus den Worten, die der Herr gebrauchte. „Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Dies ist mein Blut, das für euch vergossen wird.“ Hingeben und vergießen sind Opferbegriffe. Wer diese Termini gebraucht, der gibt damit zu verstehen, daß hier ein Opfer dargebracht wird, daß es sich um Opferelemente handelt, daß der Leib ein Opferleib und das Blut ein Opferblut ist.

Schließlich noch eine dritte Beweisführung aus dem Wort über den Kelch. Da spricht der Herr davon, daß dies das „Blut des Neuen Bundes“ ist. Was in dem Kelche ist, ist Bundesblut.  Damit erinnert der Herr an die Bundesschließung, an die erste Bundesschließung am Berge Sinai. Damals wurde der Bund auch geschlossen durch Blut, durch blutige Opfer. Und ähnlich wie es damals geschah, so geschieht es jetzt; auch jetzt wird ein Bund geschlossen. Und diesmal sind es nicht Opfer von Stieren und Böcken, diesmal ist es das Opfer und das Blut des unbefleckten Lammes Jesus Christus. Opferblut und Bundesblut sind dasselbe. Weil es Bundesblut ist, ist es Opferblut.

Die Kirche hat diese eben genannten Schriftstellen immer in dem Sinne, wie ich ihn jetzt vor Ihnen entfaltet habe, verstanden. Von den ältesten Zeiten her berichtet die Tradition, daß die Eucharistie als Opfer verstanden wurde. Um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert entstand das wertvolle Dokument der Didache, der Lehre der zwölf Apostel. Darin heißt es: „Am Tage des Herrn versammelt euch! Brechet Brot und saget Dank, nachdem ihr zuvor eure Sünden bekannt habt, damit euer Opfer rein sei. Keiner, der mit seinem Nächsten einen Streit hat, soll mit euch zusammenkommen, bis sie sich versöhnt haben, damit euer Opfer nicht entweiht werde. Denn dieses ist das Opfer, von dem der Herr gesprochen hat: 'An jedem Ort und zu jeder Zeit soll man mir ein reines Opfer darbringen. Denn ich bin der große König, spricht der Herr, und mein Name ist wunderbar unter den Völkern.'„ Aus diesem Texte ergibt sich ganz offensichtlich, daß hier nicht rein geistige Opfer, etwa Gehorsam, Überwindungen und Danksagung gemeint sind, sondern daß hier eine äußere Opfergabe, eben der unter den Gestalten von Brot und Wein verborgene Herr und Heiland mit seinem Opferfleisch und seinem Opferblut, gemeint ist.

Der Papst Clemens von Rom, der am Ende des 1. Jahrhunderts lebte, hat einen Brief nach Korinth geschrieben, in dem er u.a. ausführt, daß die Aufgabe der Bischöfe in der Darbringung der Opfergabe besteht. „Es wird für uns keine geringe Sünde sein, wenn wir diejenigen, die untadelig und heilig die Gaben dargebracht haben, aus dem Episkopat verdrängen.“ Das war nämlich in Korinth geschehen. Hier wird also davon gesprochen, daß die Bischöfe die Gaben darbringen. Dies ist nichts anderes als eine Opferterminologie. Die Worte deuten auf eine dingliche Opfergabe, eben auf den Leib und das Blut des Herrn unter den Gestalten von Brot und Wein hin.

Völlig eindeutig ist dann der heilige Irenäus von Lyon, der um 200 lehrt, daß Christi Fleisch und Blut „das neue Opfer des Neuen Bundes sind, das die Kirche von den Aposteln überliefert bekam und das sie in der ganzen Welt Gott darbringt.“ Ebenso Bischof Cyprian um die Mitte des 3. Jahrhunderts, der lehrt, daß Christus als Priester nach der Ordnung des Melchisedech Gott dem Vater ein Opfer darbrachte, und zwar dasselbe, wie Melchisedech es dargebracht hatte, d.h. Brot und Wein, nämlich seinen Leib und sein Blut. „Der Priester, der nachahmt, was Christus getan, vertritt in Wahrheit Christi Stelle, und er bringt dann in der Kirche Gott dem Vater ein wahres und vollkommenes Opfer dar, wenn er zu opfern beginnt, wie er sieht, daß Christus selbst geopfert hat.“

Diese Zeugnisse mögen genügen, weil sie die ältesten sind. Später ist der Sachverhalt noch viel häufiger und ausführlicher dargestellt worden. Aber die eben angeführten Quellen bezeugen uns, daß die alte Kirche das Geschehen in der Eucharistie als Opfer, als Gott dargebrachtes Opfer verstanden hat. Natürlich ist die heilige Messe ein Gedächtnis des Kreuzesopfers. Natürlich ist sie die Applikation, die  Zuwendung des Kreuzesopfers, aber sie ist eben Gedächtnis und Zuwendung nur, insofern sie selbst ein Opfer ist. Es ist heute üblich geworden, diese beiden genannten Worte, nämlich Gedächtnis und Zuwendung, vom Konzil von Trient anzuführen. Aber man unterschlägt die anderen Texte, wo nämlich gesagt ist, daß die heilige Messe ein „wahres und eigentliches Opfer“ ist, also nicht ein fiktives und ein uneigentliches. Ein wahres und eigentliches! Eben deswegen muß man beides zusammen sehen. Die heilige Messe ist die Gegenwärtigsetzung und Zuwendung des Kreuzesopfers. Aber sie ist es nur, indem sie selbst ein wahres und eigentliches Opfer ist.

Amen.

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