Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. Oktober 1998

Die Mitwirkung an fremden Sünden

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten uns vorgenommen, von den Pflichten zu sprechen, die der Einzelne gegenüber dem Nächsten hat. Am vergangenen Sonntag sprachen wir von den Pflichten, die er gegenüber der Seele des anderen hat, und wir erwähnten, daß man sich versündigt, wenn man den Nächsten verführt oder ihm Ärgernis gibt. Eine andere Weise, wie man sich gegen die Seele des Nächsten verfehlt, ist die fremde Sünde, ist das gemeinsame Sündigen.

Viele Sünden geschehen allein, aber vielleicht ebenso viele oder noch mehr geschehen im Zusammenwirken. Wir unterscheiden beim Sündigen Täterschaft und Teilnahme. Täterschaft besteht darin, daß man die Sünde selbst setzt. Bei der Täterschaft ist zu unterscheiden die unmittelbare und die mittelbare Täterschaft. Unmittelbarer Täter ist derjenige, der ohne Mittelsmann, ohne Mittelsperson die Tat, die sündhafte Tat vollendet. Mittelbarer Täter ist jemand, der sich eines Mittels bedient, nämlich einer Mittelsperson, um die Tat zu vollbringen. Denken Sie an einen Arzt, der eine Schwester beauftragt, einem Patienten Gift zu geben. Die Schwester reicht dem Patienten das Gift, ohne zu ahnen, daß sie hier einen Menschen in den Tod befördert, denn sie ist der Meinung, es sei eine Arznei. Mittelbare Täterschaft.

Sodann unterscheiden wir Allein- und Mittäterschaft. Wie gesagt, viele Sünden werden von einem einzelnen allein verrichtet. Aber ebenso viele oder vielleicht noch mehr werden durch mehrere Täter vollbracht. Hier unterscheiden wir wieder die freiwillige und die notwendige Mittäterschaft. Es gibt Sünden, die können überhaupt nur vollbracht werden, indem ein Mittäter vorhanden ist; denken Sie an einen Ehebruch oder denken Sie an eine unerlaubte Eheschließung. Die freiwillige Mittäterschaft besteht darin, daß sich jemand mit einem anderen zusammentut, um eine Tat zu vollbringen. Nehmen wir an, zwei Männer wollen einen Tabernakel berauben. Der eine bringt das Schweißwerkzeug mit, der andere erbricht die Tür und hält Wache, während der Raub geschieht.

Die zweite Form, wie man eine Sünde vollbringen kann neben der Täterschaft, ist die Teilnahme. Die Teilnahme zerfällt wiederum in die Anstiftung und in die Beihilfe. Anstifter zu einer Straftat oder zu einer Sünde ist derjenige, der in dem anderen den Willen erzeugt, diese Sünde zu vollbringen. Die Anstiftung kann auf mannigfache Weise geschehen, durch Bitte, Rat, Beschluß, durch Befehl, durch Geschenke, durch Bestechung. Ich kann mich erinnern: Als ich ein Knabe war, reizten manche Jungen andere  zur Sünde, indem sie sagten: Du traust dich ja nicht. Auf diese Weise wurde ein anderer aufgereizt, eine Sünde zu tun. Du traust dich ja nicht. Er wollte dann zeigen, daß er sich traut. Die zweite Form der Teilnahme ist die Beihilfe. Beihilfe zu einer Sünde leistet jener, der nicht mit dem Täterwillen die Tat vollbringt, sondern in irgendeiner Weise zu der Tat beiträgt. Die Beihilfe kann eine positive oder eine negative sein. Positiv betreibt Beihilfe zur Sünde, wer eine Handlung setzt, durch die die Sünde gefördert wird, und zwar in direkter Weise. Negative Beihilfe betreibt, wer eine Pflicht unterläßt, so daß die Sünde geschehen kann. Jetzt haben wir ein Beispiel positiver Beihilfe, das durch alle Zeitungen ging, erlebt. Der Rainer Körppen hat den jüdischen Geschäftsmann Jakub Fiszman mit einem Spaten erschlagen. Sein Sohn, der Sven Körppen, steuerte das Auto, mit dem diese beiden zum Wald gebracht wurden, und er nahm den Vater wieder auf, nachdem er seine grausige Tat vollbracht hatte. Er hat Beihilfe geleistet zu dieser schändlichen Tat.

Eine ganz wichtige Unterscheidung bei der Mitwirkung zu fremden Sünden ist die zwischen formeller Mitwirkung und materieller Mitwirkung. Formell wirkt zu einer Sünde mit, wer den Willen hat, die Sünde auch zu begehen. Formelle Mitwirkung ist Begehung der Sünde mit Absicht und mit Willen. Materielle Mitwirkung besteht darin, daß man nicht in die böse Absicht einstimmt, daß man sich aber an der Handlung irgendwie beteiligt, wobei die eigene Mitwirkung einwandfrei ist, doch vom anderen, der sündigt, mißbraucht wird. Materielle Mitwirkung ist also nicht in sich böse, sondern kann nur durch die Umstände böse werden. Sie kann aber auch durch die Umstände erlaubt sein. Materielle Mitwirkung ist immer erlaubt, wenn vier Punkte zusammentreffen, einmal, daß die Handlung, die der Mitwirkende setzt, selbst einwandfrei ist, sodann, daß man in den bösen Willen nicht einstimmt, weiter, daß man einen triftigen Grund hat, die Mitwirkung zu setzen, und schließlich, daß man die Sünde zu hindern nicht imstande ist. Der triftige Grund muß um so gewichtiger sein, je näher die Mitwirkung an die Tat heranführt, je gewisser der sündhafte Wille des anderen ist, je wahrscheinlicher es ist, daß die Sünde nicht zustande käme, wenn man nicht materiell mitwirkte, und je größer das Ärgernis ist, das von der Mitwirkung zu befürchten ist. Ich will Ihnen einige Beispiele bieten für die materielle Mitwirkung, denn das ist ein Gegenstand, meine lieben Freunde, der uns tagtäglich begegnet. Ein Taxifahrer in Frankfurt, der einen Mann zum Bordell fährt, stimmt in dessen schlechte Absicht nicht ein, aber er hat Beförderungspflicht. Ein Taxifahrer muß die Gäste, die sich ein Taxi mieten wollen, annehmen. Schlimmer ist eine andere Mitwirkung, die vor einigen Jahrzehnten in Persien geschah. Der Schah von Persien hatte die Angewohnheit, Bedienstete nach Europa zu schicken, die ihm jeweils für ein Wochenende eine Frau besorgten, mit der er Unzucht trieb. Eine solche Mitwirkung ist so nahe an die Verführung herangerückt, daß man sie nicht als erlaubt ansehen kann. In der Gefahr materieller Mitwirkung sind Gastwirte. Wenn sie einem Mann, von dem sie wissen, daß er sich betrinken wird, berauschende Getränke verabreichen, dann machen sie sich mitschuldig an seiner Trunkenheit. Es müssen außerordentlich schwerwiegende Gründe vorhanden sein, daß sie zu diesem Tun mitwirken können. Eine uns häufig unmittelbar angehende Mitwirkung ist die Vermietung von Wohnungen oder Zimmern. Man darf die Vermietung von Wohnungen und Zimmern nicht zum Anlaß werden lassen, damit der Unzucht Vorschub geleistet wird. Der Mann in Alzey, von dem in der gestrigen Zeitung die Rede war, der sein Haus in Armsheim vermietet hat, wußte nicht, daß der Mieter ein Zuhälter ist, der dort Prostituierte beschäftigt. Kann unsereins einem Paar ein Zimmer vermieten, von dem er weiß, daß es nicht verheiratet ist? Es wäre dies zulässig, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind, nämlich erstens, andere Mieter sind nicht zu finden, und zweitens, man ist auf die Mieteinnahmen zum Lebensunterhalt angewiesen.

Nicht nur im Bereich des privaten Lebens ist materielle Mitwirkung möglich, sondern auch im Bereich des öffentlichen Lebens. Denken Sie etwa an die Drogerien, die Kondomapparate aufstellen. Das ist eine materielle Mitwirkung, die zweifellos nicht erlaubt ist. Ein Drogist muß seinen Lebensunterhalt auch ohne Kondomautomaten verdienen können. Beamte müssen manchmal Gesetze anwenden, die nicht einwandfrei sind. Denken Sie etwa an das Gesetz, das die Zivilehe für jede Eheschließung vorschreibt, die vom Staat anerkannt werden soll; oder denken Sie an das Gesetz der Ehescheidung, wo zwei Menschen, die ehelich verbunden waren, getrennt werden. Eine solche Mitwirkung ist für Beamte nur gestattet, wenn nicht in sich Schlechtes geschieht und wenn das, was da vor sich geht, lediglich Vollzug eines Gesetzes ist, wobei der Beamte nur ausspricht, was der Gesetzgeber beschlossen und zu verantworten hat. Und da sind wir gleich wieder bei der Frage: Wie muß ich mich gegenüber dem Gesetzgeber verhalten als Wahlberechtigter? Antwort: Es ist materielle Mitwirkung zu schlechten Gesetzen, wenn ich Abgeordnete wähle, von denen ich weiß, daß sie Gesetze beschließen werden, die das Gemeinwohl eklatant schädigen; wenn ich weiß, daß Abgeordnete, die gewählt werden, glaubensfeindliche, religionsschädliche, sittengefährdende Gesetze beschließen werden. Das ist eine verbotene materielle Mitwirkung, denn jeder hat die Möglichkeit, auch andere Abgeordnete zu wählen.

Besondere Gefahren lauern auf Schauspieler. Wir wissen, daß es viele Schauspiele gibt, die den Glauben und die Sitten untergraben. Die Urheber solcher Schauspiele begehen eine formelle Sünde. Aber die an der Aufführung Beteiligten, wie ist deren Handeln zu beurteilen? Nun, wenn sie in sich Anstößiges tun sollen, dann müssen sie von diesem Schauspiel zurücktreten. Ich habe es erlebt, daß ein Geiger im Grazer Sinfonieorchester sich weigerte, bei einer Oper mitzuspielen, in der irreligiöse Texte und Lieder gesungen werden. Er hat sich auf seine Gewissenfreiheit berufen und ist damit durchgekommen. In Heidelberg wird zur Zeit „Die Macht des Schicksals“ von Verdi aufgeführt. In dieser merkwürdigen Inszenierung geschieht folgendes. Soldaten verrichten ihre Notdurft auf einem Kreuze. Es ist offensichtlich, daß Schauspieler, die sich einen Rest von katholischem, christlichem Empfinden bewahrt haben, dazu nicht mitwirken dürfen. In Dortmund wird das Stück „Gesualdo“ von Thomas Strittmatter aufgeführt. In diesem Stück wird ein Hof geschildert, der von Sittenlosigkeit überbordet. Aber von Zeit zu Zeit erscheint ein Priester mit zwei Meßdieners und gibt allen Generalnachlaß, und dieser Nachlaß dient zum Stimulans, also zur Aufreizung von neuen Ausschweifungen. Ohne Zweifel ist eine Mitwirkung an diesem Machwerk, an diesem erbärmlichen Machwerk nicht zulässig.

Es wird gern über die Generation hergefallen, die von 1933 bis 1945 in Deutschland gelebt hat. Da weiß man heute angeblich besser, wie man es hätte machen sollen. Meine lieben Freunde, wir sind mit tausend Fäden mit unserer Umgebung verknüpft, und es ist schlechthin unmöglich, sich jeder materiellen Mitwirkung zu enthalten. Wir finanzieren mit unseren Steuern die Theater, die schlechte Stücke aufführen. Wir finanzieren mit unseren Beiträgen die Abtreibungen, welche die Krankenkassen bezahlen. Die Männer und Frauen, die im Dritten Reich Uniformen für die SS genäht haben, haben materiell mitgewirkt zu deren Verbrechen, aber in einer ganz entfernten Weise. Es war ihr Lebensunterhalt, an der Nähmaschine zu sitzen und solche Uniformen herzustellen. Die Eisenbahner, welche Personen in die Lager in Polen beförderten, wo ihnen Hunger und Tod drohten, haben ihre Pflicht erfüllt. Sie waren Beamte im Transportdienst. Man wird ihnen nicht vorwerfen können, daß sie nicht von der Lokomotive herabgesprungen sind und den Zug haben stehen lassen. Die Firma Degussa, die Giftgas hergestellt hat, hat an den Morden, die damit begangen wurden, keinen Anteil. Das Giftgas konnte auch zu anderen Zwecken verwendet werden und wurde auch zu anderen Zwecken verwendet. Schuldig waren diejenigen, die es zu teuflischen Zwecken verwendeten. Aber man wird die Firma Degussa deswegen nicht einer unerlaubten Mitwirkung zeihen können. Oder denken Sie, um ein letztes Beispiel zu erwähnen, an die vielen Männer und Frauen in England und Amerika, die Fliegerbomben herstellten. Mit diesen Fliegerbomben wurden in Deutschland Hunderttausende von Zivilisten getötet, wurden Wohnviertel ausgelöscht, wurden Feuerstürme entfacht. Diese Männer und Frauen waren daran nicht schuld, schuld war der Premierminister Churchill, der diese Vernichtung von Wohnvierteln angeordnet hat.

Wir sehen, meine lieben Freunde, es ist nicht einfach, die Prinzipien der katholischen Moraltheologie auf die einzelnen Fälle anzuwenden. Man braucht dazu ein feines Gewissen, und es kann durchaus sein, daß jemand eine Mitwirkung als unerlaubt ansieht, von der ein anderer annimmt, sie sei noch erlaubt. In jedem Falle gilt das Wort aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an Timotheus: „Mache dich nicht fremder Sünden mitschuldig!“

Amen.

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