Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
28. Januar 1996

Die Bedeutung der Beherrschung der Sinne

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Gott hat den Menschen recht gemacht“, heißt es in dem alttestamentlichen Buch Kohelet, der Prediger. Wie der Mensch aus den Händen Gottes hervorging, war er vollkommen. Er war mit der übernatürlichen Gnade ausgerüstet, und seine natürliche Beschaffenheit war erhoben durch die außernatürlichen Gaben. Sie hielten die natürlichen Unvollkommenheiten der Natur zurück. Die Ursünde und in ihrem Gefolge die Erbsünde haben diese herrliche Harmonie aufgelöst. Die heiligmachende Gnade ging verloren, konnte freilich durch Reue und Buße wiedergewonnen werden. Die außernatürlichen Gaben dagegen gingen für immer verloren. Das ist der Grund, warum wir uns seit vielen Sonntagen mit der Abtötung beschäftigen; denn seitdem die außernatürlichen Gaben verlorengegangen sind, ist die natürliche Beschaffenheit des Menschen gestört. Der Verstand ist verdunkelt, der Wille ist beeinträchtigt, die irasziblen Kräfte, die den Schwierigkeiten begegnen sollten, sind geschwächt, die konkupisziblen Kräfte richten sich in ungeordneter Weise auf das Lustbringende. So haben wir diesen Zwiespalt in uns, den Paulus im 7. Kapitel des Römerbriefes so ergreifend schildert: „Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich nicht will. Wer wird mich herausreißen aus diesem Leibe des Todes?“ Heute zum letzten Male wollen wir zusammenfassend den uns aufgegebenen Kampf mit der Sinnlichkeit betrachten.

Wir müssen von den Fesseln der Sinnlichkeit frei werden. Denn die ungeordnete Sinnlichkeit ist eine Fessel, eine Fessel für den Geist, eine Fessel für den Verstand, eine Fesel für den Willen. „Bringt euren Leib als ein heiliges, lebendiges, Gott wohlgefälliges Opfer dar“, mahnt der Apostel Paulus im Römerbrief. Ein solches heiliges, lebendiges, Gott wohlgefälliges Opfer kann aber der Leib nur sein, wenn er dem Gesetze des Geistes unterworfen ist, wenn sich nicht die Sinnlichkeit entgegen dem Geist und vor dem Befehl des Verstandes und des Willens rührt.

Der Leib ist zu achten; er ist ja das Werkzeug des Geistes, mit dem wir zum Himmel aufbrechen sollen. Der Leib ist das Vehikel, dessen sich Gott bedient, um seine Gnade mitzuteilen, denn alle Sakramente sind an den Leib gebunden. Der Leib ist bestimmt, einmal auferweckt zu werden. Deswegen werden in der heiligen Kommunion gleichsam Auferstehungskeime in ihn eingesetzt, empfangen wir in der heiligen Kommunion das Unterpfand für die Verklärung des Leibes. Und unser Herr und Heiland hat ja selbst einen Leib angenommen, um dadurch auch das Leibesleben zu adeln und zu erheben. Aber noch einmal: Der Leib muß von den Fesseln der Sinnlichkeit befreit werden. Bei diesem Bemühen sind bestimmte Regeln zu beachten. Wir dürfen einmal den Leib nicht übermäßig kasteien. Wir dürfen ihn nicht in einer ungeordneten Weise schwächen. Ein so kluger Lehrer des geistlichen Lebens wie Franz von Sales sagt: „Es ist besser, den Leib bei Kräften zu erhalten, als ihn über Gebühr zu schwächen.“ Er gebraucht einen schönen Vergleich: „Die Hirsche können nicht gut laufen, wenn sie entweder zu fett oder zu mager sind.“ So sind auch wir den Versuchungen am meisten ausgesetzt, wenn wir dem Leib entweder zu viel oder zu wenig gewähren. Es muß bei dem Kampfe gegen die fleischlichen Begierden eine gewisse Mittellinie gefunden werden. Der Leib muß so bei Kräften gehalten werden, daß er ein taugliches Werkzeug des Geistes ist, aber er darf auch nicht so gehegt werden, daß er rebellisch wird. Die Menschen haben immer gewußt, daß das Leibesleben unter das Kommando des Geistes geführt werden muß. Von den Pythagoräern wird erzählt, daß sie herrliche Gerichte auftragen ließen, leckere Speisen; nachdem sie sich an diesen Speisen geweidet hatten, ließen sie sie wieder abtragen und gingen hungrig von dannen. Diese Männer wußten etwas von Beherrschung und vom Kampf gegen die Begierde, verstanden etwas von Selbstüberwindung und von Abtötung.

Die Abtötung ist nicht lebensfeindlich, sondern lebensfreundlich. Es wird nicht abgetötet, was gut ist; es wird abgetötet, was schlecht ist. Es werden diejenigen Begierden niedergehalten, die den Menschen zum Schaden sind. Das Christentum ist keine düstere Religion. Das Christentum ist grundsätzlich eine Religion der Freude. „Alles ist euer“, das ist der erste Satz, „aber ihr seid Christi“, das ist der zweite Satz. Der Christ darf auch fröhlich genießen, aber er muß die Grenzen kennen. Er muß wissen, daß der Genuß ihn nicht übermächtigen darf. Der Leib muß zu einem gefügigen Werkzeug des Geistes gemacht werden. Man kann hier auch des Guten zuviel tun, und manche Heilige haben des Guten zuviel getan. Der heilige Franz von Assisi starb mit 44 Jahren in der Blüte der Jahre. Warum? Weil er sich zugrundegerichtet hatte durch übermäßige Anstrengungen, Fasten, Entbehrungen, er war ja fast erblindet. Und manche Heilige haben erkannt, daß sie in ihrer Jugend, im großen Eifer, den sie hatten, Gott zu dienen und sich zu einem gefügigen Werkzeug der Gnade zu machen, des Guten zuviel getan haben, z.B. der heilige Bernhard hat das offen ausgesprochen. Sie sind also nicht dadurch heilig geworden, daß sie diese Strengheiten auf sich genommen hatten, sondern trotz dieser übertriebenen Strengheiten. Aber das soll kein Gegenargument sein gegen Abtötung. Abtötung ist immer nötig! Wir müssen alle die ungeordneten Neigungen in uns abtöten. Die heilige Theresia von Avila, diese geniale Frau, sagt: „Die zwei Füße, mit denen man auf dem Wege zur Vollkommenheit wandelt, sind Abtötung und Liebe Gottes. Jene (die Abtötung) ist der linke Fuß, diese (die Liebe Gottes) ist der rechte Fuß.“ Also ohne Abtötung geht es nicht, und Abtötung und Liebe gehören innig zusammen.

Es gibt auch Regeln, wie und in welchem Maße man die Abtötungen wählen soll. Wiederum soll der heilige Franz von Sales, dieser geniale Lehrer des geistlichen Lebens, unser Lehrer sein. Er sagt, man soll die Abtötungen wählen, die unseren natürlichen Neigungen am meisten entgegengesetzt sind. Wir wissen ja ungefähr, welches unsere Schwächen sind. Es ist uns durch unsere Gewissenserforschungen, durch unsere Beichten bekannt, wo die Schwachstellen liegen. Hier müssen wir ansetzen, da, wo die natürlichen Neigungen uns am meisten gefährden. Da müssen wir auch mit unseren Abtötungen einsetzen. Und noch ein wichtiger Hinweis des heiligen Franz, nämlich: Die Abtötungen, die von außen kommen, die uns von Gott oder durch unsere Umwelt auferlegt werden, sind jenen vorzuziehen, die wir uns selbst auferlegen. Die ersteren sind wertvoller, weil sie nämlich unvermeidlich sind und der Eigenwille nicht beteiligt ist. Die letzteren können hinzutreten, aber sie haben nicht den Wert der ersteren.

Die Abtötung kann in vielfältiger Weise geschehen. Es gibt eine innere und eine äußere Abtötung. Die innere ist die Erziehung des Willens, die Beherrschung der Triebkräfte, die aus dem Inneren aufbrechen, die äußere Abtötung ist jene, die sich auf äußere Gegenstände richtet. Da muß man sagen mit dem heiligen Vinzenz von Paul: „Die Abtötung der Eßlust ist das ABC des geistlichen Lebens.“ Das heißt, es braucht einer erst gar nicht anzufangen, nach Vollkommenheit zu streben, der sich nicht im Essen beherrschen will. Die Beherrschung der Eßlust ist das ABC des geistlichen Lebens. Wir müssen also im Essen und Trinken Maß halten, wir müssen mit weniger kostbaren Speisen zufrieden sein. Wir sollten auch nicht mäkeln über das Essen, das uns vorgesetzt wird. Vor allem ist es wichtig, das Naschen zu meiden. Naschen ist nicht nur ein Vergehen von Kindern, sondern Naschen ist auch eine Verfehlung von Erwachsenen. Denn die Erwachsenen haben es ja viel leichter, zu naschen als die Kinder. Die Kinder sind darauf angewiesen, aus dem, was sich ihnen darbietet, etwas zu nehmen. Die Erwachsenen können sich alles leisten. Und deswegen ist die Naschlust bei den Erwachsenen gefährlicher. Auch im Rauchen und Trinken soll und muß man sich beherrschen. Ich lernte einmal die Haushälterin des Militärbischofs Rarkowski kennen. Sie erzählte mir, daß der Militärbischof Rarkowski, der ein starker Raucher war, in der ganzen Fastenzeit keine einzige Zigarre anrührte. Immerhin ein großes Opfer für diesen unter Soldaten lebenden Mann.

Auch im Schlafen und in der Erholung kann man sich abtöten. Schlaf ist notwendig, aber nur soviel, wie zur Regeneration erforderlich ist. Erholung ist notwendig, aber nur soviel, wie zur Erhaltung der Gesundheit notwendig ist. Ein bequemes, ein müßiges Leben ist mit christlichem Vollkommenheitsstreben nicht zu vereinbaren. Auch die Arbeit ist eine Weise, wie wir uns abtöten, vor allem die ungeliebte, aber notwendige Arbeit. Rastlos tätig sein, sich im Dienste für Gott und die Menschen aufbrauchen, das ist gottgefällige Abtötung.

Selbstverständlich können wir uns auch im Reden abtöten. Das viele Reden ist eine große Gefahr für uns und andere. Niemand, der sich nicht mit der Zunge zu beherrschen weiß, wird sich auf anderen Gebieten zu beherrschen wissen. Die Zunge ist ein kleines Organ, aber sie kann unermeßlichen Schaden anrichten, wenn sie nicht beherrscht wird. Hier ist Abtötung angebracht. Eine Selbstbelobigung, die wir anbringen möchten, unterdrücken wir. Eine witzige Bemerkung, die ins Gespräch paßt, lassen wir fallen. Das ist Abtötung im Reden. Es gibt für uns Priester und Beichtväter gute Weisungen, welche Abtötungen wir den Menschen empfehlen können und welchen Menschen wir Abtötungen nicht empfehlen können. Skrupulanten und nervösen Personen ist gewöhnlich von Enthaltsamkeit in der Ernährung abzuraten. Sie werden dadurch nur noch mehr nervös und infolgedessen den Versuchungen stärker ausgeliefert. Andererseits gibt es Menschen, die in der Kraft ihrer Liebe Heroisches vollbringen. Ich lernte einmal eine Dame kennen, die mir sagte, sie habe sich in die Brennesseln geworfen, um der Fleischeslust Herr zu werden.

Wir, meine lieben Freunde, wollen ja doch auf dem Wege der Vollkommenheit voranschreiten. Wir wollen das Niedere besiegen und das Höhere fördern. Deswegen müssen wir den Kampf gegen die ungeordneten Begierden aufnehmen. Wir müssen mit unserem Fleische ringen und kämpfen, um dem Geiste den Freiraum zu schaffen, der notwendig ist, um das ewige Ziel zu erreichen. Wir wollen alles, was in unseren Kräften steht, tun, um uns in die Gewalt zu bekommen, uns zu zähmen und lieber uns hier zeitlich züchtigen und die bösen Triebe bekämpfen, als uns ewig strafen lassen.

Amen.

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