Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. Januar 1994

Jesus, Mittler des Heils

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Jesus Christus ist eine geschichtliche Persönlichkeit. Sein Leben ist in den Rahmen der Weltgeschichte eingespannt. Er ist aber nicht nur in der Zeit erschienen, sondern er ist auch die Angel, in der sich die Zeiten drehen. Wir sprechen deswegen von der Menschwerdung des Logos als der Zeitenwende. In dem Ablauf dieses Lebens vollzog sich das menschliche Heil. Das redliche irdische Leben wurde also gleichsam gesprengt durch das Geheimnis Gottes, das in diesem Leben wirksam war.

Wir haben das Gottesgeheimnis, das Christusgeheimnis und unser Heilsgeheimnis zu unterscheiden. Das Gottesgeheimnis war seit Ewigkeit verborgen in Gott, dem Schöpfer des Alls. Seit Ewigkeit hat er den Plan gefaßt, den Erlöser zu senden, um die Menschheit heimzuholen zu Gott. Er war verborgen in Gott und ist offenbar geworden in Christus. Seit dem Erscheinen Christi ist das Gottesgeheimnis zum Christusgeheimnis geworden. In dem Ablauf dieses Lebens vollzog sich das Geheimnis unseres Heils.

Niemand hat das besser ausgedrückt als der Apostel Paulus, wenn er schreibt: „Er hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan. So hat es ihm nämlich gefallen, und so hat er es sich vorgenommen, um seinen Heilsplan zu verwirklichen. In ihm, in der Fülle der Zeiten, in Christus, wollte er alles im Himmel und auf Erden wieder einheitlich zusammenfassen. In ihm sind auch wir zu Erben berufen, wir, die ja vorausbestimmt wurden nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt, nach dem Ratschluß seines Willens.“

Das Geheimnis in Christus ist unser Heilsgeheimnis geworden, freilich erst in einer anfanghaften Weise, die Vollendung steht noch aus. Wir warten auf das Offenbarwerden Christi bei seiner zweiten Ankunft und unser endgültiges, unwiderrufliches Heil, Teilnahme an seiner unvergänglichen Daseinsweise, an seinem verklärten Leibesleben. Christus ist das Heil, weil er der menschgewordene Gottessohn ist. In Christus hat Gott das Werkzeug zur Verwirklichung seines Heiles gefunden. Aber er ist nicht nur Werkzeug, sondern er ist geradezu die Wirklichkeit des Heiles selbst; er ist unser Heil, und zwar deswegen, weil in ihm die menschliche Natur von Gott angenommen wurde. Es mußte ja der Mensch befreit werden von den Mächten des Todes, der Schuld, der Sünde, des Teufels, und das eben ist geschehen, als Christus eine menschliche Natur sich aneignete, in einer grundlegenden, allgemeinen Weise, noch nicht in einer konkreten, jeden einzelnen betreffenden Weise. Wir sprechen von einer objektiven Erlösung, die dem einzelnen erst zugewandt werden muß in der subjektiven Erlösung.

Er ist also das Werkzeug des Heiles, er ist der Weg zum Heile, er ist unser Heil. Wer Anteil gewinnen will am Heil, muß zu Christus kommen. Es gibt keinen anderen Weg. Es gibt auch keinen anderen Namen, wie wir in den Texten der heutigen heiligen Messe belehrt werden: Es ist kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, in dem die Menschen das Heil erlangen können. Er ist also der einzige Weg zum Heil. Wer ihn nicht geht, kommt nicht an.

Er ist auch die Brücke, die hinüberführt über den Abgrund der menschlichen Verlorenheit zu Gott. Er ist die Brücke. Er ist die Mitte zwischen Gott und Mensch, weil er Gott in menschlicher Natur ist.

Diese Wirklichkeit läßt sich zusammenfassen in dem Worte: Christus ist unser Mittler. Er vermittelt zwischen der sündigen Menschheit und dem heiligen Gott. Es ist ein Glaubenssatz: Christus ist der Mittler.

Das griechische Wort mesitäs bedeutet soviel wie Unterhändler, Schiedsrichter, Garant, Bürge einer getroffenen Vereinbarung. Und alles das ist, freilich in einer eminenten Weise, auf Christus zu übertragen. Er ist der Bürge, er ist der Unterhändler, er ist der Schiedsrichter, freilich in einer anderen Weise, als es irdische Mittler zu sein behaupten. Es hat immer im Mythos und in der Menschengeschichte Personen gegeben, denen man mittlerische Tätigkeit zusprach. Ich erinnere etwa an den mythischen Gott Mithras. Dieser Gott Mithras hat auch in Deutschland, im damaligen Germanien, viele Heiligtümer gehabt. Noch heute werden – z.B. in Dieburg – Mithrasheiligtümer gezeigt. Der Kult kam durch Soldaten, römische Soldaten und Kaufleute nach Deutschland, dem damaligen Germanien, und hat sich hier lange, jahrhundertelang gehalten wegen seiner Ähnlichkeit (vermutet man) mit christlichen Erscheinungen. Und deswegen wurde er vom Christentum ja auch erbittert bekämpft, weil diese Ähnlichkeit zu Verwirrung führen konnte. Dieser mythische Gott, der also nie gelebt hat, dieser mythische Gott Mithras hat nach der Religion seiner Anhänger die Aufgabe, das kosmische Gleichgewicht wiederherzustellen. In der Welt besteht ein ständiger Kampf zwischen Licht und Finsternis, Tag und Nacht, Geist und Leib, Materie und Seele, und in diesem unaufhörlichen Kampf, in diesem zerstörerischen Wüten der Kräfte gegeneinander stellt Mithras (nach der Religion seiner Anhänger) die Versöhnung, den Frieden, das Gleichgewicht wieder her.

Das mag eine ferne Ahnung sein von dem, was Christus nach Gottes Willen getan hat. Aber der Mythos von Mithras ist weder aus dem Christentum abgeleitet noch hat er dem Christentum zum Vorbild gedient. In den Mythen lebt vielmehr, aus der Sehnsucht der Menschen geboren, und vielleicht auch als ein entfernter Abklang einer Naturoffenbarung, ein Wissen darum, daß die Menschheit, daß die Welt im argen liegt und daraus befreit werden muß. Und das eben ist die Aufgabe des Mittlers. In der Offenbarungsreligion, im Alten Testament, ist oft von Mittlern die Rede. Die Könige, die Priester, die Propheten dienen als Mittler. Sie vermitteln zwischen Gott und den Menschen, zwischen dem von Gott immer wieder abfallenden Volke und dem heiligen Gott, der im Zorn dieses Volk sich von ihm abwenden sieht.

Der wichtigste Mittler im ganzen Alten Testament ist Moses. Moses wurde von Gott aufgestellt als ein Amtsträger, der mit Aufträgen an das Volk entsandt wurde. Seine wichtigste Tätigkeit übt er aus am Berge Sinai, als er das Gesetz von Gott empfängt. Er hat Weisungen an das Volk zu überbringen, die ihm von Gott aufgetragen werden, und umgekehrt: Wegen seiner von Gott geschaffenen Mittlerstellung wird er auch vom Volke beauftragt, es bei Gott zu vertreten. Das Volk sagt: „Rede du mit Gott, und wir wollen dann hören, was Gott zu dir gesagt hat!“ Er legt Fürbitte ein für das Volk, und das ist eine eminent mittlerische Tätigkeit. Ja, er fastet und betet vierzig Tage für das Volk, und so wird er durch seine fürbittende und leitende Tätigkeit – im Deuteronomium ausgedrückt – zu dem vorbildlichen Mittler des ganzen Alten Bundes.

Seine historische Gestalt wird ergänzt durch den Entwurf des Gottesknechtes im Buche des Propheten Isaias. Der Gottesknecht ist ein von Gott bestellter Amtsträger. Er soll das Licht und das Recht zu den Menschen bringen, er hat seinen Auftrag unter tausend Schwierigkeiten zu erfüllen. Von innen wird er von Zweifeln geplagt, von außen wird er verfolgt. Mißtrauen und Argwohn begegnen ihm, er wird verhaftet, es droht ihm der Tod. Aber er bleibt standhaft. Er weiß, daß er durch sein stellvertretendes Sühneleiden die Sünden des Volkes tilgen soll. In diesem Gottesknecht aus dem Buche Isaias haben wir einen Vorentwurf dessen, was unser Heiland Jesus Christus sein sollte. Er hat das erfüllt, was die Gottesknechtlieder des Propheten Isaias vorentworfen haben.

Jesus ist der Mittler des Neuen Bundes. Er selbst hat dieses Wort nie gebraucht. Aber er hat sich so verhalten, wie sich nur ein Mittler verhalten kann, und er hat ein Bewußtsein gehabt, wie es ein Mittler haben muß. Dieses Bewußtsein drückt sich aus in den beiden Worten Menschensohn und Gottesknecht. Als der Menschensohn ist er über die ganze Menschheit und über die ganze Erde gesetzt. Er thront zur Rechten Gottes. Als der Gottesknecht ist er gekommen, sein Leben hinzugeben als Lösegeld für die vielen. Durch seinen Tod erlöst er die Menschen, und wer Erlösung gewinnen will, der muß mit ihm in Verbindung treten.

Es hat immer wieder Theologen gegeben, die das Mittlertum Jesu als eine Erfindung der urchristlichen Gemeinde ausgegeben haben. Jesus, so sagen diese Theologen, habe sich gar nicht als Mittler verstanden, sondern seine Anhänger, seine begeisterten Anhänger haben ihn zum Mittler erhöht. Anklänge an diese Irrlehren finden Sie heute in vielen Religionsbüchern, und deswegen ist es notwendig, darüber zu sprechen, damit Ihre Kinder nicht vergiftet werden durch scheinbare oder wirkliche religionsgeschichtliche Parallelen. „Da sieht man's ja,“ sagt man, „es war in anderen Religionen ganz ähnlich“, und so ist das Christentum den anderen Religionen gleichzustellen als eine von vielen, nicht die absolute Religion, sondern eine wie Mohammedanismus oder Buddhismus oder Pantheismus oder wie sie alle heißen, diese vielen Religionen.

Die Ableitung des mittlerischen Wesens Jesu aus der Urgemeinde begegnet zwei unüberwindlichen Schwierigkeiten. Einmal ist die Gestalt Jesu in den Evangelien so beschrieben, wie sie niemand erfinden kann. In aller Schlichtheit und Redlichkeit wird hier ein volles menschliches Leben gezeichnet, das freilich vom göttlichen Hintergrund erfüllt war. Wer so schreibt, wie die Evangelisten schreiben, der erfindet nicht, sondern der legt Zeugnis ab! Und das Zeugnis geht aus von der Wirklichkeit und der Redlichkeit dieses Lebens.

Der zweite Grund, warum diese Konstruktion nicht hält, ist darin gelegen, daß die erforderlichen langen Zeiträume fehlen, die notwendig sind, um einen Menschen zu göttlicher Höhe zu erheben. Im Buddhismus und im Islam hat es Jahrhunderte gedauert, bis aus dem eindeutig Menschencharakter tragenden Religionsstifter der Halbgott wurde. Ganz anders im Christentum. Schon die Urgemeinde, schon die ersten Anhänger Jesu haben ihn als den erhöhten Herrn gewußt, der wiederkommen wird, um die Welt zu richten. Es hat keinen langen Prozeß gebraucht, um Jesus in dieser Höhe zu sehen, sondern weil er so war, wie sie ihn beschrieben haben, weil sie seine Wirklichkeit entgegengenommen haben aus seinem Auftreten, deswegen haben sie ihn als den Mittler verehrt und angebetet.

Paulus, der große Herold des Herrn, spricht die mittlerische Stellung Jesu in vielen Texten seiner Briefe aus. Ich erinnere vor allem an seine Parallele zwischen Adam und Christus. Adam war auch Mittler, nämlich Mittler der Schuld. Christus aber ist Mittler in einem ganz erhabenen Sinnne, er ist Mittler der Erlösung. Diese Adam-Christus-Parallele ist fundamental für das Bewußtsein Pauli, daß Jesus Mittler war. Und wenn dabei der Mythos vom Urmenschen ein sprachliches Gewand geliefert haben mag, was denkbar ist, ein sprachliches Gewand, nicht ein inhaltliches, wenn dieser Mythos ein sprachliches Gewand geliefert hat, so ist doch gar nicht zu übersehen, daß der himmlische Urmensch aus den Mythen, der ja keine Wirklichkeit hat, sondern ein Phantasieprodukt ist, daß der himmlische Urmensch der Mythen hier ersetzt ist durch den geschichtlichen Jesus Christus. Gott tritt aus der Verborgenheit hervor, ergreift den Menschen und rettet ihn, und zwar durch den in Zeit und Ort festliegenden Lebenswandel und das Wirken des Christus.

Wer gerettet werden will, muß nach Paulus in Verbindung treten mit Christus, mit seinem mittlerischen Tun. Man muß zu dem Mittler kommen, um sich vermitteln zu lassen. Und wie geschieht das nach Paulus? Das geschieht durch Glaube und Sakramente. Indem der Mensch sich gläubig an Christus anschließt und sich in den Sakramenten in seine neue Existenzform hineinziehen läßt, gewinnt er Anteil am mittlerischen Wirken Jesu. Und durch dieses Anteilgewinnen am mittlerischen Wirken Jesu wird er erlöst und gerettet.

An drei Stellen seiner Briefe kommt Paulus wörtlich auf den Mittler Jesus zu sprechen. Bei ihm kommt tatsächlich das Wort „Mittler“ vor, etwa im ersten Timotheusbrief: „Es ist ja nur ein Gott, ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Jesus Christus, der sich selbst als Lösegeld für alle dahingegeben hat.“ Oder im Hebräerbrief: „Nun hat er einen um so erhabeneren Priesterdienst erlangt, als er Mittler eines besseren Bundes ist, der auf bessere Verheißungen gründet.“ Besser als der Alte Bund ist der Neue. Und schließlich noch im Galaterbrief: „Wozu nun das Gesetz? Es wurde um der Übertretungen willen hinzugefügt, bis der Same käme, dem die Verheißung geworden ist. Durch Engel angeordnet, ist es durch eines Mittlers Hand gegangen. Es gibt aber keinen Mittler, wo es sich nur um eine einzige Partei handelt. Nun ist aber Gott ein einziger.“

Der Text ist zugegebenermaßen schwer. Es ist die Frage, ob dieser Mittler, von dem hier die Rede ist, Christus ist, oder ob es Moses ist. In jedem Falle ist das Wort „Mittler“ (mesitäs) in den Paulusbriefen zu finden.

Johannes, der letzte der Evangelisten, hat in aller Eindeutigkeit die mittlerische Funktion Jesu ausgesprochen, wenn er sagt, daß Jesus die Tür ist. Die Tür ist eben das Vehikel, durch das man in einen Raum eintritt; und wer aus der irdischen Welt in die himmlische, wer in die Unzugänglichkeit Gottes eintreten will, muß durch die Tür gehen, die Jesus ist. Also der Ausdruck „Tür“ ist im Johannesevangelium eine andere Wendung für das mittlerische Wesen Jesu.

Außerdem sagt Jesus im Johannesevangelium: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Wenn er (und nur er) der Weg ist, dann ist er eben die einzige Möglichkeit, wie man zu Gott kommen kann; denn ohne Weg kann man nicht laufen, ohne Weg kann man keinen Zugang finden. Der Weg muß beschritten werden, und er ist der Weg, der einzige Weg, der zu Gott führt. Sein mittlerisches Tun gipfelt in der Fürbitte und im Sterben. Das fürbittende Gebet Jesu und sein Heilssterben sind der Höhepunkt seines mittlerischen Tuns.

Glauben Sie nicht, meine lieben Freunde, daß die Bezeichnung Jesu als des Mittlers eine Spielerei von Theologen sei. Nein, in diesem Namen drückt sich sein gottmenschliches Wesen aus. Die Bezeichnung Jesu als des Mittlers ist ein weihnachtlicher Gedanke; denn die mittlerische Tätigkeit konnte Jesus nur ausüben, weil er eine menschliche Natur angenommen hat. Wir werden in den kommenden Sonntagen sehen, wie diese menschliche Natur von Jesus, von Gott, gebraucht wurde, um das mittlerische Werk zu Ende zu führen, um durch sein mittlerisches Tun das Heil der Menschheit zu beschaffen.

Amen.

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