Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
28. Juli 1991

Die göttliche Würde Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Vor vielen Sonntagen hatten wir das Programm unserer Überlegungen mit den Worten der Heiligen Schrift aufgestellt: Was dünkt euch von Jesus? Wessen Sohn ist er? Wir hatten die Antwort erarbeitet auf diese Frage: Jesus ist der Messias, Jesus ist der danielische Menschensohn, er ist der Heilbringer, der Erlöser. Es sind ihm diese Titel nicht bloß, wie man heute in den Religionsbüchern lesen kann, von seinen begeisterten Jüngern zugelegt worden. Er hat die Wirklichkeit besessen,  die diese Titel aussagen. Er hat ein Selbstbewußtsein besessen, das diesen Titeln entspricht. Nicht bloß aufgrund seiner Sendung nimmt er die Hoheitstitel, die Würdentitel, in Anspruch, sondern auch aufgrund seines Seins. Er ist nicht bloß der Messias, weil er eine messianische Aufgabe hat, sondern er ist der Sohn Gottes, weil er an der Seite des Vaters steht, weil er Gott von Gott ist, weil das Göttliche in ihm in die Welt eingebrochen ist. Hier ist also nicht bloß eine verliehene Würde, sondern eine ihm eigene Würde. Sein Sein, sein Erkennen und sein ganzes Wesen sind göttlicher Art. „Hier ist mehr als Jonas“, sagt er einmal, „hier ist mehr als Salomon. Hier ist mehr als der Tempel.“ Also die Großen des Alten Bundes, seien es die Propheten oder die Könige oder sei es das Heiligtum (der Tempel), sie liegen weit zurück hinter seiner Würde, hinter seiner Hoheit. Hier ist nicht Vollmacht, hier ist Allmacht!

Diese Macht hat der Herr in mannigfacher Weise gezeigt. Wenn wir seine Verkündigung ansehen, so bemerken wir einen erheblichen Unterschied zwischen der Botschaft, die er bringt, und der Verkündigung, die die Propheten auszurichten haben. Wenn die Propheten im Auftrage Gottes sprechen, so leiten sie ihre Rede immer ein: „Also spricht der Herr.“ Sie sind Gefäße der Offenbarung, aber sie sind nicht selbst Offenbarung. Wenn Jesus spricht, fehlt diese Einleitung. Er spricht aus eigener Macht, nicht aus verliehener, übertragener Vollmacht. Das Alte Testament wird auch von ihm als Gottes Urkunde anerkannt, und dennoch sagt er: „Den Alten ist gesagt worden..., ich aber sage euch.“ Die Zeitgenossen Jesu haben begriffen, daß er ein anderer war als die Lehrer, die ihnen das Alte Testament in den Synagogen erklärten. Er sprach anders als ihre Schriftgelehrten, das war der Eindruck der Menschen.

Seine Macht hat der Herr auch gezeigt, indem er Sünden vergab. Als er dem Gichtbrüchigen sagte: „Mein Kind, deine Sünden sind dir vergeben“, da murrten die Anwesenden: „Wie kann dieser Sünden vergeben, der lästert ja Gott.“ Aber Jesus nahm nichts zurück. Er hat eben das gerade nicht getan, was ungläubige Exegeten heute von ihm sagen, nämlich daß er nur die Sündenvergebung, die Gott vorgenommen hat, verkündigt hat. Nein, er selbst ist der Sündenvergeber. „Damit ihr wißt, daß der Menschensohn Macht hat, auf Erden Sünden zu vergeben...“, wirkt er ein ungeheures Wunder, indem er den Kranken heilt und sagt: „Geh nach Hause und nimm dein Bett!“ Ähnlich ist es, als er der Sünderin, die ihn salbt, die Sünden vergibt. Auch da gab es Murren der Anwesenden, und doch, der Herr bleibt bei seiner Verkündigung, bleibt bei seiner Machttat, mit der er der Frau die Sünden nachläßt. Er ist auch der Richter. „Der Menschensohn wird kommen mit den Engeln des Himmels und einem jeden vergelten nach seinen Taten.“

Schließlich ist er auch der Herr über die Natur. Meine lieben Freunde, es besteht nicht der geringste Anlaß, wenn man keine weltanschaulichen Voraussetzungen macht, nämlich daß es nur eine immanente Wirklichkeit gibt, es besteht nicht der geringste Anlaß, die Machttaten Jesu, die uns in den Evangelien berichtet sind, nicht als wirkliche Geschehnisse zu verstehen. Nur eine vorgefaßte Meinung, nur ein philosophisches Vorurteil vermag die Wirklichkeit dieser Taten zu leugnen. Wenn er dem Meere sagt: „Schweige! Verstumme!“, dann zeigt er seine Macht über die Schöpfung. Wenn er den Krankheiten befiehlt, dann ergibt sich, daß er der Herr über diese Krankheiten ist. Der Hauptmann von Kapharnaum hat das erfaßt. Er sagt: Es ist gar nicht notwendig, daß du in mein Haus kommst wie ein Arzt, der dan Kranken untersucht und dann Heilmittel verschreibt. „Sprich nur ein Wort, und so wird mein Knecht gesund.“ Diesen Glauben lobt der Herr. Er sagt: „So großen Glauben habe ich nirgends gefunden im Lande Israel.“

Der Herr macht sich aber auch zum Mittelpunkt der Religion. Es ist nicht so, wie Sie heute in ungläubigen Religionsbüchern lesen können, daß wir beten sollen wie Jesus, sondern es ist so, daß wir beten müssen zu Jesus. Er selbst ist der Gegenstand der Religion, nicht nur ihr Lehrer, nicht nur das Vorbild, wie man religiös handeln muß. Er macht sich selbst zum Mittelpunkt der Religion, wenn er sagt, daß sich an ihm alles entscheidet. Er verlangt eine Liebe, die das Teuerste preisgibt. „Wer Vater oder Mutter, Weib oder Kinder mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.“ Er verlangt Nachfolge, und zwar augenblickliche, gehorsame Nachfolge. Einem sagt er: „Folge mir nach!“ Aber der macht Einwände: „Laß mich erst noch vorher meinen Vater begraben.“ „Mensch, laß die Toten ihre Toten begraben“, gibt ihm der Herr zur Antwort. Er fordert die Menschen zu der Treue gegenüber seiner Person auf auch in Verfolgungen. „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen um meinetwillen.“ Selig seid ihr – weil sich an ihm eben alles entscheidet.

Der Herr hat nicht bloß Vollmacht, sondern Allmacht für sich in Anspruch genommen. Besonders signifikant ist sein Verhältnis zum Vater im Himmel. Da kann man lesen, von Harnac angefangen bis zu modernistischen Theologen der Gegenwart, er habe eben ein besonderes Verhältnis, ein höheres Verhältnis, ein gesteigertes Verhältnis zum Vater im Himmel gehabt. Nein, es ist ein andersartiges Verhältnis. Jesus sagt niemals „unser Vater“, wenn er vom Vater im Himmel spricht, er sagt immer „euer Vater und mein Vater“. Er setzt sein Gottesverhältnis niemals, an keiner Stelle der Evangelien, auf dieselbe Stufe mit dem Gottesverhältnis seiner Jünger oder auch seiner Eltern und der Gerechten, sondern sein Gottesverhältnis ist einzigartig und unüberbietbar. Das zeigt, daß er sich als der eingeborene, als der einziggeborene Sohn des Vaters weiß, als der vielgeliebte Sohn des Vaters, zu dem sich dieser Vater im Himmel selbst in der Öffentlichkeit bekannte.

Besonders bedeutsam sind die Wendungen im Munde Jesu, die mit den Worten „Ich bin...“ anfangen. „Ich bin der Weinstock.“ „Ich bin die Tür.“ „Ich bin der Gute Hirt.“ „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Diese Ego eimi, so heißen die beiden griechischen Worte, diese Ego eimi Aussagen sind dem Alten Testament nachempfunden. Im Alten Testament hat ja Gott seinen Namen im Buche Exodus aufgezeichnet und geoffenbart: „Ich bin der Ich bin.“ Und wenn Jesus jetzt ein ganz ähnliche, ja sich deckende Bezeichnung für sich wählt, dann stellt er sich damit an die Seite Gottes. Er spricht so, wie im Buche des Propheten Isaias Gott spricht: „Ihr seid meine Zeugen – Spruch des Herrn, und mein Knecht, den ich erwählte, damit ihr erkennt und mir glaubt und einseht, daß ich bin.“ Oder an einer anderen Stelle: „Darum soll mein Volk meinen Namen erkennen, darum soll es erkennen an jenem Tage, daß ich bin, der da spricht: Ich bin.“ Ebenso unser Herr und Heiland. „Wenn ihr den Menschensohn erhöht haben werdet, dann werdet ihr erkennen, daß ich bin.“ „Wenn ihr glaubet, daß ich bin...“ Diese Redeweise ist also von höchstem Gewicht und von größter Bedeutung. Sie zeigt, daß hier der Herr sich unmittelbar neben den himmlischen Vater stellt.

Für die Erklärung dieser Ansprüche gibt es nur eine Möglichkeit, nämlich entweder spricht hier ein Verrückter, ein Toller, oder es spricht einer, auf den diese Ansprüche in Wahrheit zutreffen. Daß Jesus geistig gesund war, daß er ein normal veranlagter Mensch war, das ist das Zeugnis der Evangelien, dem wir uns mit Sicherheit beugen müssen. Wenn er also nicht ein anmaßender und geistig unnormaler Mensch war, dann kann dieser Hoheitsanspruch nur dadurch erklärt werden, daß er das war, was er zu sein beanspruchte. An uns ist es,  meine lieben Freunde, sich diesem Anspruch zu beugen. An uns ist es, niederzufallen und mit Thomas zu sprechen: „Mein Herr und mein Gott!“

Amen.

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